TE Vwgh Beschluss 2020/6/30 Ra 2020/20/0207

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Veröffentlicht am 30.06.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, in der Rechtssache der Revision des M F in V, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116/17-19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2019, W198 2180526-1/23E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der aus Afghanistan stammende Revisionswerber stellte am 9. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Er brachte im Wesentlichen vor, einen Drohbrief von den Taliban erhalten zu haben und daher um sein Leben zu fürchten.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 22. November 2017 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Der Revisionswerber erhob gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung derselben mit Beschluss vom 25. Februar 2020, E 276/2020-7, ablehnte und die Beschwerde über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers mit Beschluss vom 19. März 2020, E 276/2020-10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5        In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Der Revisionswerber wendet sich zur Begründung der Zulässigkeit der Revision gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts.

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 18.5.2020, Ra 2020/20/0062, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 3.6.2020, Ra 2020/20/0161, mwN).

11       Entgegen dem Revisionsvorbringen bestehen die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht „fast ausschließlich“ aus Mutmaßungen. Vielmehr setzte sich das Verwaltungsgericht - auch unter Berücksichtigung einschlägiger Berichte zur Situation im Heimatland des Revisionswerbers - mit dem zum Grund der Flucht erstatteten Vorbringen eingehend auseinander und kam - aufgrund näher dargestellter Widersprüche und Ungereimtheiten, wie etwa auch, dass sich im vorgelegten Brief Aussagen fänden, die „überhaupt nicht zu seinem Fluchtvorbringen passen“ - zum Ergebnis, dass es sich bei dem Brief um eine Fälschung handle. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich auch mit der Behauptung des Revisionswerbers, sein Bruder sei nach dessen Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban angegriffen worden, sowie mit den in diesem Zusammenhang vorgelegten Fotos auseinandergesetzt, maß diesen jedoch schon deshalb keinen ausschlaggebenden Beweiswert zu, weil sie keinen Rückschluss darauf zuließen, dass es sich bei der abgebildeten Person um den Bruder des Revisionswerbers handle. Der Revisionswerber zeigt nicht auf, dass sich die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, die auf eine Drohung durch die Taliban aufbauende Fluchtgeschichte des Revisionswerbers sei unglaubwürdig, auf unvertretbare beweiswürdigende Erwägungen stützten. Darauf, dass anhand der vorliegenden Beweismittel auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar sein könnte, kommt es - wie bereits erwähnt - im Revisionsverfahren nicht an.

12       Der Revisionswerber wendet sich weiters gegen die im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung und macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe nicht alle für diese Abwägung relevante Aspekte einbezogen.

13       Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel. Die durch das Bundesverwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist nur dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das Bundesverwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hat (vgl. VwGH 15.5.2020, Ra 2020/20/0145, mwN).

14       Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. auch dazu VwGH Ra 2020/20/0145).

15       Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0002, mwN). Liegt - wie fallbezogen gegeben - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. VwGH 23.1.2020, Ra 2019/18/0322, mwN).

16       Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN).

17       Im vorliegenden Fall hat sich das Bundesverwaltungsgericht mit den für die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG relevanten Umständen auseinandergesetzt. Entgegen dem Revisionsvorbringen würdigte das Bundesverwaltungsgericht auch die Bemühung des Revisionswerbers, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Soweit in der Revision vorgebracht wird, das Bundesverwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass keine Bindungen des Revisionswerbers zum Herkunftsstaat mehr bestünden, entfernt sie sich schon deshalb vom festgestellten Sachverhalt, weil danach diverse Familienangehörige des Revisionswerbers weiterhin in Afghanistan lebten.

18       Dass das Bundesverwaltungsgericht bei seinen Erwägungen zur Interessenabwägung die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien nicht beachtet oder diese in unvertretbarer Weise - insbesondere in Bezug auf die Gewichtung der fallbezogen gegebenen Umstände - zur Anwendung gebracht hätte, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

19       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 30. Juni 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200207.L00

Im RIS seit

10.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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