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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §37Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer, den Hofrat Mag. Berger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des D K, vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, MBA, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10 (4. OG), gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 19. Dezember 2019, LVwG 30.19-2667/2019-7, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde i.A. einer Übertretung nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Liezen), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 2. August 2019 wurde über den Revisionswerber wegen der Übertretung des § 50 Abs. 4 Glücksspielgesetz - GSpG gemäß § 52 Abs. 1 Z 5 GSpG eine Geldstrafe (sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Der Revisionswerber habe gegen eine Duldungs- und Mitwirkungspflicht gemäß § 50 Abs. 4 GSpG verstoßen, weil er in seiner Eigenschaft als Person, die Glücksspieleinrichtungen bereithalte, den Organen der Abgabenbehörde den Zutritt zur Betriebsstätte nicht ermöglicht habe, weil er den Organen der öffentlichen Aufsicht die Zugangstür zum Lokal nicht geöffnet habe.
2 Aufgrund einer Mahnung der belangten Behörde vom 23. September 2019 zur Einzahlung des Strafbetrages und einer Mahngebühr teilte der Revisionswerber der belangten Behörde mit Schreiben vom 3. Oktober 2019 mit, er habe das in der Mahnung angeführte Straferkenntnis nie erhalten und sei im August 2019 auf Urlaub gewesen. Er ersuche um nochmalige Zustellung und Aussetzung des Strafbetrages. In der Folge wurde dem Revisionswerber das Straferkenntnis erneut „zur Kenntnisnahme“ übermittelt.
3 Die vom Revisionswerber gegen dieses Straferkenntnis mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2019 erhobene Beschwerde, die einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung enthielt, wurde vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) in der Folge mit dem angefochtenen Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als verspätet zurückgewiesen. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das LVwG für nicht zulässig.
4 Das LVwG stellte (u.a.) den folgenden Sachverhalt fest: Das Straferkenntnis der belangten Behörde sei nach einem ersten Zustellversuch bei der Postgeschäftsstelle 8042 hinterlegt und ab dem 8. August 2019 zur Abholung bereitgehalten worden. Eine Verständigung über die Hinterlegung sei an der Abgabestelle zurückgelassen worden. Der Revisionswerber sei von 6. bis 18. August 2018 in Kroatien auf Urlaub gewesen. Am 27. August 2019 sei das Dokument der belangten Behörde rückgemittelt worden.
5 Beweiswürdigend führte das LVwG aus, das Straferkenntnis und der rückgemittelte RSa-Brief mit den Angaben des Zustellversuches, des Beginnes der Abholfrist und des Rücksendedatums seien im Akt aufliegend. Den Angaben des Revisionswerbers im Schreiben (Mail) an das LVwG vom 2. Dezember 2019 hinsichtlich des Zeitraumes dessen Abwesenheit von der Abgabestelle werde Glauben geschenkt. Die Zurücklassung der Hinterlegungsanzeige ergebe sich aus der Angabe des Revisionswerbers, er habe den Brief nicht mehr abholen können, was die Kenntnis von der Hinterlegungsanzeige erfordere.
6 In der rechtlichen Würdigung führte das LVwG aus, hinterlegte Dokumente würden gemäß § 17 Abs. 3 Zustellgesetz - ZustG mit dem ersten Tag der Frist als zugestellt gelten. Dies gelte nicht, wenn sich ergebe, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis habe erlangen können. Dies treffe hier zu. Der Revisionswerber habe nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt, weil ihm bei Annahme der Zustellung am 8. August 2019 für die Beschwerdeerhebung nur zwei Wochen und vier Tage verblieben wären. Gemäß § 17 Abs. 3 letzter Satz ZustG werde die Zustellung jedoch an dem der Rückkehr folgenden Tag innerhalb der Abholfrist bewirkt. Dies sei Montag der 19. August 2019 gewesen; dieser Tag liege noch innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Zwei-Wochen-Frist für die Bereithaltung des hinterlegten Dokuments (22. August 2019). Es gelte daher das hinterlegte Dokument mit 19. August 2019 als zugestellt und errechne sich daraus Montag, der 16. September 2019, als Ende der Beschwerdefrist. Die am 21. Oktober 2019 erhobene Beschwerde sei daher verspätet und aus diesem Grund zurückzuweisen.
7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
8 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision (unter anderem) geltend, das LVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis u.a. auf VwGH 18.11.2015, Ra 2015/17/0026) zur Einräumung von Parteiengehör bei Verspätung eines Rechtsmittels abgewichen.
10 Aus diesem Grund erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.
11 Der Beweis, dass eine Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, wird durch den eine öffentliche Urkunde darstellenden Zustellnachweis (Rückschein) erbracht, gegen den jedoch gemäß § 47 AVG in Verbindung mit § 292 Abs. 2 ZPO der Gegenbeweis zulässig ist. Behauptet jemand, es liege ein Zustellmangel vor, so hat er diese Behauptung entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen, welche die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet sind (vgl. VwGH 1.4.2008, 2006/06/0243; 23.11.2016, 2013/05/0175).
12 Bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Beschwerde handelt es sich um eine Rechtsfrage gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, die, wenn Anhaltspunkte für die Verspätung vorliegen, von Amts wegen zu erfolgen hat. Das Verwaltungsgericht hat dazu nach amtswegigen Erhebungen Tatsachen festzustellen. Dabei ist der Partei vom Verwaltungsgericht auch außerhalb einer mündlichen Verhandlung bereits im Rahmen der amtswegigen Prüfung der Rechtzeitigkeit der Beschwerde Gelegenheit zu geben, zu dabei hervorkommenden Tatsachen und Ermittlungsergebnissen Stellung zu nehmen (vgl. VwGH 11.1.2018, Ra 2017/02/0221).
13 Das LVwG hat dem Revisionswerber zwar mit Schreiben vom 20. November 2019 Gelegenheit geboten, zur Frage der Zustellung des Straferkenntnisses am 8. August 2019 und der verspäteten Beschwerdeerhebung Stellung zu nehmen und gegebenenfalls Beweismittel zur Glaubhaftmachung einer Ortsabwesenheit vorzulegen, wobei es an ihn für den Fall der Geltendmachung der Ortsabwesenheit (lediglich) die Frage gestellt hat, ob er am 8. August 2019 von der Abgabestelle tagsüber oder über längere Zeit abwesend gewesen und wann er an die Abgabestelle zurückgekehrt sei. Das LVwG ist in der Folge von einer Ortsabwesenheit des Revisionswerbers ausgegangen. Das mit 27. August 2019 angenommene Datum der Rückübermittlung des zuzustellenden Dokuments an die belangte Behörde ist dem Revisionswerber jedoch nicht vorgehalten worden. Das LVwG hat seine Begründung tragend auf dieses Datum gestützt, ohne dem Revisionswerber, der im Übrigen eine mündliche Verhandlung beantragt hatte, hiezu rechtliches Gehör zu gewähren. Das Datum der Rückübermittlung des Dokuments an die belangte Behörde ist auf der in den vorgelegten Verfahrensakten enthaltenen Kopie des diesbezüglichen Rückscheines nicht vermerkt.
14 Da das LVwG dem Revisionswerber, der bereits in seinem Schreiben vom 2. Dezember 2019 behauptet hatte, dass er, als er wieder zuhause gewesen sei, „den Brief nicht mehr habe abholen können, weil dieser schon zurückgegangen sei“, zum Datum der Rückübermittlung kein Parteiengehör eingeräumt hat, der Revisionswerber in der Revision aber vorgebracht hat, es sei ihm am 19. August 2019 bei der versuchten Abholung mitgeteilt worden, dass das Dokument bereits retourniert worden sei, und er hiezu die Einvernahme des Schalterbediensteten beantragt hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das LVwG bei Einräumung des Parteiengehörs und damit bei Vermeidung des Verfahrensmangels zum Ergebnis gekommen wäre, dass die Beschwerde rechtzeitig eingebracht wurde.
15 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
16 Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 24. Juni 2020
Schlagworte
Parteiengehör Verfahrensbestimmungen Amtswegigkeit des Verfahrens Mitwirkungspflicht ManuduktionspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020170017.L00Im RIS seit
09.08.2020Zuletzt aktualisiert am
09.08.2020