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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 30. März 2020, Zl. VGW-151/083/15628/2019-11, betreffend Aufenthaltsbewilligung (mitbeteiligte Partei: M D, vertreten durch RIHS Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 29. Oktober 2019 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde, Revisionswerber) den Antrag des Mitbeteiligten, eines iranischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Student“ gemäß § 64 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gestützt ua. auf § 21 Abs. 3 NAG ab.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. März 2020 gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt, behob den angefochtenen Bescheid und erteilte dem Mitbeteiligten einen Aufenthaltstitel für den Zweck „Student“ mit 12-monatiger Gültigkeit. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für unzulässig.
Das Verwaltungsgericht verwies zunächst darauf, dass dem Mitbeteiligten 2014 eine Aufenthaltsbewilligung „Studierender“ erteilt und diese in der Folge bis zum 26. Juni 2016 verlängert worden sei. Der anschließende Verlängerungsantrag des Mitbeteiligten sei mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 10. März 2017 abgewiesen, die dagegen erhobene Revision - nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung - mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Juli 2019, Ra 2017/22/0087, zurückgewiesen worden. Daraufhin habe der Mitbeteiligte den gegenständlichen Antrag samt Zusatzantrag auf Zulassung der Inlandsantragstellung nach § 21 Abs. 3 NAG gestellt. In der Folge verwies das Verwaltungsgericht auf die vorgelegten Studienbestätigungen, das Sprachzertifikat auf Niveau B2, die Beschäftigungsbewilligung, die Gehaltsnachweise und die Wohnrechtsvereinbarung mit der Lebensgefährtin. Der Mitbeteiligte sei als Studierender an einer FH zugelassen und er habe im Studienjahr 2018/2019 einen Studienerfolg im Ausmaß von 44 ECTS-Punkten erbracht. Der erforderliche Unterhalt sei durch das Kontoguthaben und die regelmäßigen Einkünfte gesichert. Die weiteren Erteilungsvoraussetzungen wurden ebenfalls als gegeben angenommen.
Die Inlandsantragstellung sei zulässig, weil sich der Mitbeteiligte seit 8. Juli 2014 in Österreich aufhalte, hier erfolgreich studiere, eine Lebensgemeinschaft führe und einer Erwerbstätigkeit nachgehe. Zwar sei es bedenklich, dass nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (vom 29. Juli 2019) keine entsprechenden Umsetzungsschritte erfolgt seien, fallbezogen sei aber - auch im Hinblick auf verminderte Reisetätigkeit aufgrund COVID 19 - ausnahmsweise die Inlandsantragstellung zuzulassen.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
5 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht sei mit seiner Interessenabwägung in unvertretbarer Weise von den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Grundsätzen abgegangen. So sei nicht berücksichtigt worden, dass sich der Mitbeteiligte nur auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung in Österreich aufgehalten habe und ihm bewusst gewesen sein musste, dass er nicht dauerhaft im Bundesgebiet verbleiben könne. Seit Abweisung des letzten Verlängerungsantrags habe das Aufenthaltsrecht nur auf der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beruht, was das entstandene Privat- und Familienleben weiter relativiere. Dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Reisen auf Grund des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie wesentlich schwerer möglich gewesen seien, führe nicht dazu, dass die Interessenabwägung automatisch zugunsten des Mitbeteiligten ausgehen müsse.
6 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht erfolgreich mit Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG bekämpft werden (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2019/22/0130, Rn. 12, mwN).
7 Eine derartige Unvertretbarkeit vermag der Revisionswerber vorliegend nicht aufzuzeigen. Auch wenn der Revisionswerber zutreffend darauf hinweist, dass der aufenthaltsrechtliche Status bei der Interessenabwägung eine Rolle spielt (vgl. etwa VwGH 28.2.2019, Ra 2018/22/0285), ist die vorliegend vorgenommene Interessenabwägung im Hinblick auf die in Anschlag gebrachten sozialen, beruflichen und familiären Merkmale nicht als unvertretbar zu erkennen. Auf die weitere Rüge, die faktische Unmöglichkeit einer Ausreise (hier aufgrund der COVID-19-Pandemie) führe nicht automatisch zu einem Überwiegen der Interessen des Fremden, kommt es nicht an, weil der angefochtenen Entscheidung nicht die Annahme eines derartigen Automatismus zugrunde liegt.
8 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
9 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 8. Juli 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220120.L00Im RIS seit
28.09.2020Zuletzt aktualisiert am
28.09.2020