TE Vwgh Erkenntnis 2020/7/13 Ra 2018/11/0167

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Veröffentlicht am 13.07.2020
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Index

E1E
E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
59/04 EU - EWR
60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

AVRAG 1993 §7d Abs1
AVRAG 1993 §7i Abs4
AVRAG 1993 §7i Abs4 Z1
AVRAG 1993 §7i Abs5 idF 2011/I/024
AVRAG 1993 §7i Abs7 idF 2014/I/094
B-VG Art133 Abs4
VStG 1991 §31 Abs1
VStG §32 Abs2
VStG §44a
VStG §44a Z1
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §50
VwRallg
12010E056 AEUV Art56
62018CJ0064 Maksimovic VORAB

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2018/11/0168

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Finanzamts Oststeiermark gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Steiermark, jeweils vom 21. Juni 2018, Zlen. LVwG 30.26-734/2018-24 und LVwG 30.26-736/2018-24, jeweils betreffend Übertretungen des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Leoben; mitbeteiligte Parteien: 1. D F (zu Ra 2018/11/0167) und 2. S B (zu Ra 2018/11/0168), beide in B (Italien), beide vertreten durch die Oberhammer Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Karlsplatz 3/1), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit gleichlautenden Straferkenntnissen der belangten Behörde vom 22. und 23. Jänner 2018 wurde den Mitbeteiligten jeweils Folgendes zur Last gelegt:

Zeit: 13.11.2015

Ort: [V A A D in St. P-F, D-Straße 1]

Ihre Funktion: Beschuldigter

Sie haben in Ihrer Eigenschaft als verantwortliches Vorstandsmitglied der Firma [D C I SpA. mit Sitz in B, Italien], diese ist Arbeitgeber nachangeführter Personen, zu verantworten, dass Organen der Finanzpolizei Region Süd bei den erforderlichen Erhebungen beim Bauvorhaben [V A A D in St. P-F, D-Straße 1] (Errichtung eines Drahtwalzwerkes) die Unterlagen zur Überprüfung der folgenden Arbeitnehmer nicht bereitgestellt werden konnten, obwohl Arbeitgeber/innen jene Unterlagen, die zur Überprüfung des dem/der entsandten (überlassenen) Arbeitnehmerinnen für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts erforderlich sind (Lohnunterlagen: Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Unterlagen betreffend Lohneinstufung), in deutscher Sprache für die Dauer der Beschäftigung der Arbeitnehmer/innen am Arbeits(Einsatz)Ort bereitzuhalten haben.

Es wurden keine Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege (es wurden lediglich Bestätigungen der Arbeiter vorgelegt aus denen hervorgeht, dass Entgelt ausbezahlt wurde. Die Höhe des Entgelts sowie die tatsächliche Überweisung ist nicht ersichtlich.), keine Lohnaufzeichnungen (Lohnkontoblätter, Lohnlisten, An- und Abmeldungen zur Krankenversicherung bzw. vgl. Unterlagen) und keine Unterlagen betreffend die Lohneinstufung (Nachweis Berufsausbildung/Qualifikation, Unterlagen über einschlägige Vordienstzeiten bzw. Berufserfahrung, Unterlagen, welche die Basis der Einstufung in den AT-KV gebildet haben) in deutscher Sprache vorgelegt. Es wurden zum Zeitpunkt der Kontrolle lediglich die Arbeitsverträge, die Lohnzettel und die Arbeitsaufzeichnungen in deutscher Sprache vorgelegt.“

Dadurch sei in 142 Fällen § 7i Abs. 4 Z 1 iVm § 7d Abs. 1 AVRAG verletzt worden, weshalb je Übertretung eine Geldstrafe in Höhe von € 2.000,-- sowie im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 12 Tagen verhängt würden. Weiters wurde ausgesprochen, dass das angeführte Unternehmen gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand für die verhängten Geldstrafen, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen sowie die (mit € 28.400,-- bestimmten) Verfahrenskosten hafte. Im Anschluss daran findet sich eine Auflistung der betroffenen Arbeitnehmer.

2        Den dagegen von den Mitbeteiligten erhobenen Beschwerden gab das Verwaltungsgericht mit den (gleichlautenden) angefochtenen Erkenntnissen statt, behob die angefochtenen Straferkenntnisse wegen Verfolgungsverjährung und stellte die Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG iVm § 38 VwGVG ein.

Als Sachverhalt stellte es jeweils fest, die Finanzpolizei habe nach einer am 13. November 2015 beim Bauvorhaben der V A A D GmbH in St. P-F durchgeführten Kontrolle am 6. April 2016 Strafanträge betreffend die Mitbeteiligten als gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen Berufene der D C I Spa. wegen des Verdachtes der Übertretung des § 7d iVm. § 7i AVRAG in 142 Fällen erhoben. In diesen Strafanträgen sei ausgeführt worden, dass für die angeführten Personen keine Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, keine Lohnaufzeichnungen (Lohnkontoblätter, Lohnlisten, An- und Abmeldung zur Krankenversicherung bzw. vergleichbare Unterlagen) und keine Unterlagen zur Lohneinstufung (Nachweis der Berufsausbildung/Qualifikation, Unterlagen über einschlägige Vordienstzeiten bzw. Berufserfahrung, Unterlagen, welche die Basis der Einstufung in den AT-KV gebildet haben könnten) in deutscher Sprache vorgelegt worden seien, sondern lediglich Arbeitsverträge, Lohnzettel und Arbeitszeitaufzeichnungen. In den am 1. September 2016 von der belangten Behörde an die Mitbeteiligten ergangenen Aufforderungen zur Rechtfertigung sei nicht angeführt worden, welche Unterlagen - die im letzten Teil des 1. Satzes der Aufforderung zur Rechtfertigung in Klammern bezeichneten Lohnunterlagen würden zur Zitierung des Gesetztextes gehören und keinen Tatvorwurf beinhalten - die Mitbeteiligten nicht bereit gehalten hätten. Darüber hinaus habe die Formulierung des Tatvorwurfes gelautet: „... die Unterlagen zur Überprüfung der folgenden Arbeitnehmer nicht bereitgestellt werden konnten...“. Am 22. Dezember 2016 seien von der belangten Behörde neuerliche Aufforderungen zur Rechtfertigung an die Mitbeteiligten ergangen, welche jenen vom 1. September 2016 geglichen hätten. Auch die Verständigungen von Ergebnissen der Beweisaufnahmen der belangten Behörde an die Mitbeteiligten vom 19. April 2017 und 28. November 2017 hätten dieselben Mängel aufgewiesen. Im Spruch der bekämpften Straferkenntnisse habe die belangte Behörde erstmals angeführt, welche Lohnunterlagen zum Zeitpunkt der Kontrolle nicht bereitgehalten worden seien, und dass in diesem Zeitpunkt lediglich die Arbeitsverträge, die Lohnzettel und die Arbeitszeitaufzeichnungen in deutscher Sprache vorgelegt worden seien. Im Tatvorwurf des Spruches sei wiederum ausgeführt worden, dass „die Unterlagen zur Überprüfung der folgenden Arbeitnehmer nicht bereitgestellt werden konnten...“. Zur Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht jeweils aus, die getroffenen Feststellungen ergäben sich schlüssig und widerspruchsfrei aus dem Akt der belangten Behörde.

3        Rechtlich ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass keine einzige Aufforderung zur Rechtfertigung der belangten Behörde und auch keine der Verständigungen von der Beweisaufnahme detailliert angeführt habe, welche Lohnunterlagen zum Zeitpunkt der Kontrolle von den Mitbeteiligten nicht bereitgehalten worden seien. Betreffend die fehlenden „Unterlagen zur Überprüfung der Arbeitnehmer in den Aufforderungen zur Rechtfertigung vom 1. September 2016 und 22. Dezember 2016“ sei auszuführen, dass der Begriff „Unterlagen“ ohne nähere Konkretisierung zu unbestimmt sei, um die Grundlage für eine Bestrafung bilden zu können. Das Bestimmtheitsgebot des Art. 18 Abs. 1 B-VG und in weiterer Folge des § 7d AVRAG verlange für einen Tatvorwurf eine besonders genaue Determinierung des unter Strafe gestellten Verhaltens. Dieser Anforderung werde der Begriff „Unterlagen“ in den beiden Aufforderungen zur Rechtfertigung, in denen lediglich der Gesetzestext zitiert worden sei, nicht gerecht. Es hätte jedenfalls den Mitbeteiligten genau vorgeworfen werden müssen, welche nach § 7d Abs. 1 AVRAG gemeinten Lohnunterlagen bei der Kontrolle zur Tatzeit nicht bereitgehalten worden seien. Dies sei jedoch erstmals in den Straferkenntnissen geschehen.

Zur Dauer der Verfolgungsverjährung sei auszuführen, dass hier nicht die dreijährige Frist des § 7i Abs. 7 AVRAG zur Anwendung gelange, zumal sich diese Bestimmung lediglich auf Unterentlohnungen beziehe. Es komme daher die Verjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG zur Anwendung. Eine Verfolgungshandlung, die den Eintritt der Verfolgungsverjährung verhindere, habe sich auf alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale der zur Last gelegten Verwaltungsübertretung zu beziehen. Im gegenständlichen Fall sei den Mitbeteiligten erstmals mit den angefochtenen Straferkenntnissen vom 22. und 23. Jänner 2018 vorgeworfen worden, welche Lohnunterlagen fehlten, und es sei damit binnen der Verfolgungsverjährungsfrist, die am 13. November 2016 geendet habe, keine ausreichende Verfolgungshandlung gesetzt worden. Angesichts der somit eingetretenen Verfolgungsverjährung sei das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG einzustellen gewesen.

Im Übrigen seien sowohl die Aufforderungen zur Rechtfertigung als auch der Spruch des jeweiligen Straferkenntnisses insofern undeutlich, als der Tatvorwurf jeweils gelautet habe, dass die Unterlagen „nicht bereitgestellt“ hätten werden können. Laut § 7d Abs. 1 AVRAG habe ein Arbeitgeber die Unterlagen jedoch nicht den Organen der Finanzpolizei „bereitzustellen“, sondern diese bereitzuhalten. Mit diesem Vorwurf verfehle die belangte Behörde die Tatbeschreibung zur vermeintlich verletzten Pflicht insoweit, als ein Arbeitgeber gemäß § 7d Abs. 1 AVRAG diese Unterlagen lediglich bereitzuhalten habe.

Zusammenfassend folge daraus, dass weder aus den Aufforderungen zur Rechtfertigung noch aus dem Spruch des jeweiligen Straferkenntnisses klar zum Ausdruck komme, welche Unterlassung zu bestrafen sei bzw. bestraft worden sei. Der angefochtene Strafpunkt stehe daher im Widerspruch zum Gebot des § 44a Z 1 VStG, sodass auch aus diesem Grund die Straferkenntnisse zu beheben und die Verwaltungsverfahren einzustellen seien.

4        Gegen diese Erkenntnisse richtet sich die vorliegende außerordentliche (Amts-)Revision. In der Zulässigkeitsbegründung wird (unter Hinweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs) vorgebracht, dass das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Eintritt der Verfolgungsverjährung und der Tauglichkeit der Verfolgungshandlung abweiche.

5        Die Mitbeteiligte erstatteten eine Revisionsbeantwortung.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

7        Die Revision ist aus dem in ihr genannten Grund zulässig. Sie ist auch begründet.

8        Die maßgebenden Bestimmungen des AVRAG, BGBl. Nr. 459/1993 idF BGBl. I Nr. 113/2015, lauten auszugsweise:

Verpflichtung zur Bereithaltung von Lohnunterlagen

§ 7d. (1) Arbeitgeber/innen im Sinne der §§ 7, 7a Abs. 1 oder 7b Abs. 1 und 9 haben während des Zeitraums der Entsendung insgesamt (§ 7b Abs. 4 Z 6) den Arbeitsvertrag oder Dienstzettel (§ 7b Abs. 1 Z 4), Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung zur Überprüfung des dem/der entsandten Arbeitnehmers/in für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts in deutscher Sprache am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten, auch wenn die Beschäftigung des/der einzelnen Arbeitnehmers/in in Österreich früher geendet hat. Bei innerhalb eines Arbeitstages wechselnden Arbeits(Einsatz)orten sind die Lohnunterlagen am ersten Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten. Ist die Bereithaltung der Unterlagen am Arbeits(Einsatz)ort nicht zumutbar, sind die Unterlagen jedenfalls im Inland bereitzuhalten und der Abgabenbehörde auf Aufforderung nachweislich zu übermitteln, wobei die Unterlagen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind. Für die Übermittlung gebührt kein Ersatz der Aufwendungen.

...

Erhebungen der Abgabenbehörden

§ 7f. (1) Die Organe der Abgabenbehörden sind berechtigt, das Bereithalten der Unterlagen nach §§ 7b Abs. 5 und 7d zu überwachen sowie die zur Kontrolle des dem/der nicht dem ASVG unterliegenden Arbeitnehmer/in unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zustehenden Entgelts im Sinne des § 7i Abs. 5 erforderlichen Erhebungen durchzuführen und

1.   die Betriebsstätten, Betriebsräume und auswärtigen Arbeitsstätten oder Arbeitsstellen sowie die Aufenthaltsräume der Arbeitnehmer/innen ungehindert zu betreten und Wege zu befahren, auch wenn dies sonst der Allgemeinheit untersagt ist,

2.   von den dort angetroffenen Personen Auskünfte über alle für die Erhebung nach Abs. 1 maßgebenden Tatsachen zu verlangen, wenn Grund zur Annahme besteht, dass es sich bei diesen Personen um Arbeitgeber/innen oder um Arbeitnehmer/innen handelt, sowie

3.   in die zur Erhebung erforderlichen Unterlagen (§§ 7b Abs. 5 und 7d) Einsicht zu nehmen, Abschriften dieser Unterlagen anzufertigen und die Übermittlung von Unterlagen zu fordern, wobei die Unterlagen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind. Erfolgt bei innerhalb eines Arbeitstages wechselnden Arbeits(Einsatz)orten die Kontrolle nicht am ersten Arbeits(Einsatz)ort, sind die Unterlagen der Abgabenbehörde nachweislich zu übermitteln, wobei die Unterlagen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind. Für die Übermittlung gebührt kein Ersatz der Aufwendungen.

...

Strafbestimmungen

§ 7i. ...

...

(4) Wer als

1.   Arbeitgeber/in im Sinne der §§ 7, 7a Abs. 1 oder 7b Abs. 1 und 9 entgegen § 7d die Lohnunterlagen nicht bereithält, oder

2.   Überlasser/in im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung nach Österreich entgegen § 7d Abs. 2 die Lohnunterlagen dem/der Beschäftiger/in nicht nachweislich bereitstellt, oder

3.   Beschäftiger/in im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung entgegen § 7d Abs. 2 die Lohnunterlagen nicht bereithält

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall von 4 000 Euro bis 50 000 Euro zu bestrafen.

(5) Wer als Arbeitgeber/in einen/e Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen. ...

(5a) Die Strafbarkeit nach Abs. 5 ist nicht gegeben, wenn der/die Arbeitgeber/in vor einer Erhebung der zuständigen Einrichtung nach den §§ 7f bis 7h die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt nachweislich leistet.

(6) Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde fest, dass

1.   der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt binnen einer von der Behörde festzusetzenden Frist nachweislich leistet, und

2.   die Unterschreitung des nach Abs. 5 Z 1 maßgeblichen Entgelts unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien gering ist oder

3.   das Verschulden des/der Arbeitgebers/in oder des/der zur Vertretung nach außen Berufenen (§ 9 Abs. 1 VStG) oder des/der verantwortlichen Beauftragten (§ 9 Abs. 2 oder 3 VStG) leichte Fahrlässigkeit nicht übersteigt,

hat sie von der Verhängung einer Strafe abzusehen. ...

(7) Die Frist für die Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 VStG) beträgt drei Jahre ab der Fälligkeit des Entgelts. Bei Unterentlohnungen, die durchgehend mehrere Lohnzahlungszeiträume umfassen, beginnt die Frist für die Verfolgungsverjährung im Sinne des ersten Satzes ab der Fälligkeit des Entgelts für den letzten Lohnzahlungszeitraum der Unterentlohnung. Die Frist für die Strafbarkeitsverjährung (§ 31 Abs. 2 VStG) beträgt in diesen Fällen fünf Jahre. ...

(7a) Für den Fall, dass der/die Arbeitgeber/in das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt für den betroffenen Zeitraum der Unterentlohnung nach Abs. 5 nachträglich leistet, beträgt die Dauer der Fristen nach § 31 Abs. 1 und 2 VStG ein Jahr (Verfolgungsverjährung) oder drei Jahre (Strafbarkeitsverjährung), soweit nicht aufgrund des Abs. 7 die Verjährung zu einem früheren Zeitpunkt eintritt; der Fristenlauf beginnt mit der Nachzahlung.

(8) Parteistellung in Verwaltungsstrafverfahren

1.   nach Abs. 1 erster Satz, Abs. 2 und 4 und nach § 7b Abs. 8 hat die Abgabenbehörde, in den Fällen des Abs. 5 in Verbindung mit § 7e das Kompetenzzentrum LSDB,

2.   nach Abs. 5 in Verbindung mit § 7g und in den Fällen des Abs. 1 zweiter Satz und Abs. 3 hat der zuständige Träger der Krankenversicherung,

3.   nach Abs. 1, 2a, 4 und 5 und nach § 7b Abs. 8 in Verbindung mit § 7h hat die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse,

auch wenn die Anzeige nicht durch die in den Z 1 bis 3 genannten Einrichtungen erfolgt. Diese können gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde Beschwerde beim Verwaltungsgericht und gegen das Erkenntnis oder den Beschluss eines Verwaltungsgerichts Revision beim Verwaltungsgerichtshof erheben.“

9        Die §§ 31 und 32 VStG idF BGBl. I Nr. 33/2013 lauten auszugsweise:

Verjährung

§ 31. (1) Die Verfolgung einer Person ist unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2) vorgenommen worden ist. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.

...

Beschuldigter

§ 32. (1) Beschuldigter ist die im Verdacht einer Verwaltungsübertretung stehende Person von dem Zeitpunkt der ersten von der Behörde gegen sie gerichteten Verfolgungshandlung bis zum Abschluß der Strafsache. Der Beschuldigte ist Partei im Sinne des AVG.

(2) Verfolgungshandlung ist jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Strafverfügung u. dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.

...“

10       Vorauszuschicken ist, dass das Verwaltungsgericht zu Recht von der Anwendbarkeit der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG im Revisionsfall ausging, da sich jene des § 7i Abs. 7 AVRAG lediglich auf Unterentlohnungen, nicht aber auf die Nichtbereithaltung von Lohnunterlagen bezieht. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Textzusammenhang, in dem sich der mit BGBl. I Nr. 94/2014 eingeführte Abs. 7 des § 7i AVRAG befindet, sondern wird auch durch die Entstehungsgeschichte, konkret die Vorgängerbestimmung des § 7i Abs. 5 AVRAG idF BGBl. I Nr. 24/2011 bestätigt:

§ 7i AVRAG idF BGBl. I Nr. 24/2011 lautete auszugsweise:

Strafbestimmungen

§ 7i. (1) ...

(2) Wer als Arbeitgeber/in im Sinne der §§ 7, 7a Abs. 1 oder 7b Abs. 1 oder als Beauftragte/r im Sinne des § 7b Abs. 1 Z 4 entgegen § 7d die Lohnunterlagen nicht bereithält oder als Überlasser/in im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung die Lohnunterlagen dem/der Beschäftiger/in nicht bereitstellt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 500 Euro bis 5 000 Euro, im Wiederholungsfall von 1 000 Euro bis 10 000 Euro zu bestrafen.

(3) Wer als Arbeitgeber/in ein/en Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. ...

(4) Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde fest, dass die Unterschreitung des Grundlohns gering oder das Verschulden des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin geringfügig ist, hat sie von der Verhängung einer Strafe abzusehen, sofern der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt binnen einer von der Behörde festzusetzenden Frist nachweislich leistet und eine solche Unterschreitung des Grundlohns durch den/die Arbeitgeber/in das erste Mal erfolgt. ...

(5) Die Verjährungsfrist (§ 31 Abs. 2 VStG) für Verwaltungsübertretungen gemäß Abs. 3 beträgt ein Jahr.

(6) In den Fällen des Abs. 1 erster Satz und Abs. 2 hat die Abgabenbehörde, in den Fällen des Abs. 3 in Verbindung mit § 7e das Kompetenzzentrum LSDB Parteistellung; die Abgabenbehörde und das Kompetenzzentrum LSDB sind berechtigt, gegen Entscheidungen Rechtsmittel und Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.

...“

Die Verjährungsbestimmung in § 7i Abs. 5 AVRAG idF BGBl. I Nr. 24/2011 bezog sich aufgrund ihres Verweises auf Abs. 3 zweifelsfrei nur auf Fälle der Unterentlohnung. Eine eigene Verjährungsbestimmung für Fälle der Nichtbereithaltung von Lohnunterlagen enthielt das AVRAG in der genannten Fassung nicht. Die Materialien zu § 7i Abs. 7 AVRAG idF BGBl. I Nr. 94/2014 (319 Blg NR 25. GP, 22), der den früheren Abs. 5 ablöste, enthalten keinen Hinweis darauf, dass sich die im ersten Satz dieser Bestimmung enthaltene Verjährungsfrist nunmehr auch auf Fälle der Nichtbereithaltung von Lohnunterlagen beziehen sollte.

11       Eine die Verfolgungsverjährung nach § 31 VStG unterbrechende Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG hat sich auf eine bestimmte physische Person als Beschuldigten, auf eine bestimmte Tatzeit, den ausreichend zu konkretisierenden Tatort und sämtliche Tatbestandselemente der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift im Sinn des § 44a Z 2 VStG zu beziehen; die (korrekte) rechtliche Qualifikation der Tat ist hingegen nicht erforderlich. Somit muss sich die Verfolgungshandlung im Sinn der §§ 31 und 32 VStG auf alle der späteren Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente beziehen (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2020/02/0013, 0014, mwN).

12       Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu § 44a Z 1 VStG hat die Tatumschreibung so präzise zu sein, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wahren kann und er nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt ist (vgl. dazu etwa VwGH 1.10.2018, Ra 2017/03/0086, mwN). Diese Rechtsschutzüberlegungen sind auch für die Prüfung der Frage anzustellen, ob eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinn des § 32 Abs. 2 VStG gegeben ist. Das bedeutet, dass die der beschuldigten Person vorgeworfene Tat (lediglich) unverwechselbar konkretisiert sein muss, damit diese in die Lage versetzt wird, dem Vorwurf entsprechend zu reagieren und damit ihr Rechtsschutzinteresse zu wahren (VwGH 19.11.2019, Ra 2019/09/0027, mwN).

Zum Bestimmtheitsgebot des § 44a VStG hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von der Zielrichtung des Konkretisierungsgebots des § 44a Z 1 VStG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die an die Tatumschreibung zu stellenden Erfordernisse nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall unterschiedlich zu beurteilen sind. Eine derartige - notwendigerweise einzelfallbezogene - Beurteilung ist im Regelfall (wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde) nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2017/11/0301, mwN).

13       Eine Übertretung des § 7d Abs. 1 AVRAG liegt auch dann vor, wenn die in dieser Bestimmung genannten Unterlagen nicht in deutscher, sondern einer anderen Sprache bereitgehalten werden. Fehlen sämtliche der in § 7d Abs. 1 AVRAG genannten Lohnunterlagen in deutscher Sprache, erweist sich angesichts dieses Umstandes die Auffassung, eine Präzisierung (Aufzählung) der Lohnunterlagen sei aus Rechtsschutzüberlegungen weder zum Schutz vor Doppelbestrafung noch zur ausreichenden Verteidigung des Revisionswerbers erforderlich, als vertretbar und im Rahmen der hg. Rechtsprechung gelegen (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2018/11/0141, 0142, mwN).

14       In den Revisionsfällen waren nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts bei der Kontrolle jeweils Arbeitsvertrag, Lohnzettel und Arbeitszeitaufzeichnungen vorgelegt worden. In den aus der Aktenlage ersichtlichen Aufforderungen zur Rechtfertigung vom 1. September 2016 findet sich folgerichtig jeweils nur mehr eine Aufzählung der fehlenden Lohnunterlagen (Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Unterlagen betreffend Lohneinstufung). Selbst wenn es sich dabei nach Ansicht des Verwaltungsgerichts um eine Wiedergabe des Gesetzestexts gehandelt hätte, wurden die relevanten Unterlagen zumindest aufgezählt und deren Fehlen damit in den Tatvorwurf übernommen. Dass eine Präzisierung dieser Unterlagen im Spruch des Straferkenntnisses erfolgte, tut daher dem Umstand keinen Abbruch, dass die Aufforderungen zur Rechtfertigung taugliche Verfolgungshandlungen waren (vgl. VwGH 31.5.1999, 98/10/0008).

15       Die vom Verwaltungsgericht weiters kritisierte Formulierung, die fehlenden Unterlagen seien „bei den erforderlichen Erhebungen beim Bauvorhaben“ nicht in deutscher Sprache „bereitgestellt“ worden, obwohl sie am Arbeitseinsatzort „bereitzuhalten“ wären, ist bei verständiger Lesart dahin zu verstehen, dass diese Unterlagen nicht bereitgehalten wurden (vgl. zur Zulässigkeit der Tatumschreibung mit anderen Worten abermals VwGH 31.5.1999, 98/10/0008).

Vor diesem Hintergrund ist im Sinne der hg. Judikatur nicht erkennbar, inwiefern durch die Formulierung des Tatvorwurfs die Verteidigungsrechte der Mitbeteiligten nicht gewahrt gewesen wären.

16       Soweit das Verwaltungsgericht davon ausgeht, der Spruch des Straferkenntnisses sei undeutlich gewesen, ist es darauf hinzuweisen, dass selbst ein nicht ausreichend konkreter Spruch eines Straferkenntnisses nicht zu dessen Aufhebung führen kann, sondern das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen wäre, den Spruch innerhalb der - angesichts der vorangegangenen Erwägungen rechtzeitig angelasteten - Tatumschreibung selbst zu korrigieren und damit gemäß § 50 VwGVG in der Sache zu entscheiden (vgl. etwa VwGH 6.9.2019, Ra 2019/11/0053 bis 0055, mwN).

17       Dies hat das Verwaltungsgericht ebenso verkannt wie die in den Revisionsfällen gegebene Tauglichkeit der Verfolgungshandlungen. Die angefochtenen Erkenntnisse waren somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufzuheben.

18       Im fortzusetzenden Verfahren werden gegebenenfalls auch die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. September 2019, Rs. C-64/18, Maksimovic, und vom 19. Dezember 2019, Rs. C-645/18, NE, zu beachten sein. Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033 und 0034, bereits ausgesprochen hat, zieht eine Verletzung der in § 7i Abs. 4 AVRAG geregelten Pflichten hinsichtlich mehrerer Arbeitnehmer nur mehr eine einzige Strafe nach sich, da dies zwingende Rechtsfolge des Erfordernisses ist, die Unionsrechtskonformität bei möglichst weitgehender Erhaltung des nationalen Rechts herzustellen.

Wien, am 13. Juli 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62018CJ0064 Maksimovic VORAB

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018110167.L00

Im RIS seit

01.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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