Entscheidungsdatum
18.02.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G308 2179427-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX (alias XXXX alias XXXX alias XXXX), geboren am XXXX (alias XXXX alias XXXX alias XXXX), Staatsangehörigkeit: Irak (alias: XXXX), vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Alexander FUCHS in 4020 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2017, Zahl: XXXX, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 12.05.2015 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (AsylG 2005).
2. Am 13.05.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des Beschwerdeführers im Asylverfahren statt.
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, seine Mutter sei früh gestorben und der Beschwerdeführer sei mit seinen Geschwistern bei der Stiefmutter gewesen. Diese habe ihn mit den Geschwistern irgendwann aus dem Haus geworfen. In weiterer Folge habe er seine Geschwister unterstützen müssen. Zwei seiner Schwestern seien Witwen und habe eine von ihnen ein behindertes Kind. Anfang des Jahres 2014 sei der Beschwerdeführer auf dem Weg zur Arbeit gewesen, als eine Autobombe explodiert und er dabei verletzt worden sei. Er habe mehrere Wunden erlitten, die zum Teil genäht hätten werden müssen. Er habe für sich keine Zukunft im Irak gesehen und sei daher geflüchtet, um sich ein neues Leben aufzubauen, sodass auch seine Geschwister nachkommen können. Er wolle vor allem, dass seine Nichte in Österreich operiert werde. Im Falle einer Rückkehr fürchte er, dass er dort getötet werde. Das sei in seinem Heimatland überall möglich.
3. Am 04.04.2017 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, statt.
Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen befragt vor, er sei im Juli 2014 in Bagdad von zwei Unbekannten auf einem Motorrad verfolgt worden, habe jedoch entkommen können. Er habe in einer Bäckerei in Bagdad gearbeitet. Der Schwager des Beschwerdeführers habe gute Kontakte zu einer örtlichen Moschee und habe den Beschwerdeführer gewarnt, da er gehört habe, dass man den Inhaber der Bäckerei, in welcher der Beschwerdeführer gearbeitet habe, "aussieben" wollte, da dieser Schiit gewesen sei. Mitte August 2014 sei ein Auto vor der Bäckerei explodiert, wodurch alle Mitarbeiter verletzt worden seien. Auch der Beschwerdeführer habe Verletzungen an der Stirn, den Unterarmen und am Oberkörper erlitten und auch Narben davongetragen. Danach habe er beschlossen, in die Türkei legal auszureisen und habe dort bis etwa Jänner 2015 in Istanbul als Fremdenführer gearbeitet. Nachdem er keine Aufenthaltsgenehmigung in der Türkei erhalten habe, sei er in den Irak zurückgekehrt und schließlich nach Europa geflüchtet.
Darüber hinaus legte der Beschwerdeführer einen irakischen Personalausweis, einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis und eine irakische Wohnkarte sowie Empfehlungsschreiben, eine Bestätigung über einen absolvierten Erste-Hilfe-Grundkurs und eine Bestätigung über eine vorhandene Lehrstelle vor.
4. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 15.11.2017, dem Beschwerdeführer am 20.11.2017 durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 12.05.2015 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat "Irak" (Spruchpunkt II.) abgewiesen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den "Irak" gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.), sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG dem Beschwerdeführer eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine ihn selbst direkt betreffende Bedrohung habe geltend machen können und auch im Falle einer Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könnte, dass ihm persönliche Verfolgung im Irak drohe. Das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Autobombe sei widersprüchlich und sei diesem daher die Glaubwürdigkeit zu versagen.
Das Bundesamt traf weiters Feststellungen zur Situation im Herkunftsland Irak.
5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seines bevollmächtigten Rechtsvertreters vom 04.12.2017, beim Bundesamt per Fax am 05.12.2017 einlangend, das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge den Bescheid dahingehend abändern, dass dem Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz Folge gegeben und dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG zuerkannt wird; in eventu dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG erteilt wird und die gegen den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrentscheidung aufgehoben sowie die Abschiebung in den Irak für unzulässig erklärt wird; in eventu den Bescheid zur Gänze beheben und zur neuerlichen Verhandlung an das Bundesamt zurückverweisen.
Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb die Identität des Beschwerdeführers trotz der vorgelegten Beweismittel nicht festgestellt werden habe können. Weiters müsse eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz stellt, die Fluchtgründe glaubhaft machen, dies aber nicht beweisen. Das Bundesamt habe dem Beschwerdeführer zu Unrecht nicht den Status des Asylberechtigten zuerkannt, da dieser nicht immer aus den individuell gegenüber Einzelnen vorhandenen Verfolgungshandlungen abgeleitet werden könne, sondern auch bei einer Gruppenverfolgung. Im Irak komme es in unterschiedlicher Intensität zu Vertreibungen von Sunniten mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung. Da der Beschwerdeführer Sunnit sei, bestehe für ihn die Gefahr der Gruppenverfolgung im Irak aus diesem Grund. Die Voraussetzungen zur Gewährung des Status des Asylberechtigten lägen somit vor. Jedenfalls aber wäre dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen. Aufgrund der kämpferischen Auseinandersetzungen und der politischen Gegebenheiten im Irak bestehe für den Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative und laufe der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in den Irak Gefahr, Opfer eines bewaffneten Konflikts zu werden. Weiters befinde sich der Beschwerdeführer wegen des laufenden Verfahrens rechtmäßig in Österreich, verfüge über gute Deutschkenntnisse, die er weiter verbessere und in den nächsten Monaten die Prüfung zum A2-Zertifikat ablegen werde. Er befinde sich in einem aufrechten Dienstverhältnis, da er eine Lehre zum Koch absolviere, wofür er über eine entsprechende Beschäftigungsbewilligung des AMS verfüge. Er erhalte eine Lehrlingsentschädigung in Höhe von netto EUR 616,56 und sei aufgrund des Arbeitsverhältnisses auch kranken- und unfallversichert. Er führe einen europäischen Lebenssitz und sei sozial integriert. Der Beschwerdeführer nehme an gemeinnützigen Tätigkeiten seiner Wohnortgemeinde teil, sei in der örtlichen Pfarrgemeinschaft eingebunden und führe ein Privatleben iSd. Art. 8 EMRK. Die Integrationsbemühungen seien deutlich ersichtlich und hätte das Bundesamt daher dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilen müssen.
Der Beschwerde waren nachfolgende Unterlagen beigelegt:
- Kopie des Lehrvertrages vom 07.09.2017 (AS 288 f);
- Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 23.08.20107 über die Beschäftigungsbewilligung des Beschwerdeführers (AS 290 f);
- Bestätigung des Dienstverhältnisses samt Angabe des Brutto- und Nettolohnes (AS 292);
- Bestätigungsschreiben der Wohnortgemeinde vom 27.04.2017 über die gemeinnützige Tätigkeit des Beschwerdeführers (AS 293);
- Unterstützungsschreiben vom 30.03.2017 (AS 294);
- Teilnahmebestätigung am Erste Hilfe Grundkurs des Österreichischen Roten Kreuzes vom 26.03.2016 (AS 295)
6. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 13.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
7. Am 04.12.2018 langte die mit 30.11.2018 datierte Urkundenvorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein. Der Beschwerdeführer legte seinen Arbeitsvertrag vom 19.10.2018 als Abwäscher sowie eine Beschäftigungsbewilligung des Arbeitsmarkservice vom 19.10.2018 vor. Mit Schreiben vom 17.12.2018 legte der BF die Anmeldebestätigung bei der niederösterreichischen GKK vor.
8. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 21.01.2019 wurden dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsvertretung ein Konvolut aktueller Berichte zur Lage im Herkunftsstaat Irak (Stand November 2018) zur Stellungnahme binnen drei Wochen übermittelt.
9. Eine Stellungnahme langte am 31.01.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Zu den Länderberichten werde ausgeführt, dass aus Sicht des Beschwerdeführers im Irak kein Friede in Aussicht sei. Es gäbe ständig gewalttätige Auseinandersetzungen und bestehe jeden Tag die Gefahr, Opfer eines Anschlages oder einer Tötung zu werden. Somit seien im Falle einer Abschiebung in den Irak die Voraussetzungen für eine Verletzung der Grundrechte nach Art. 2 und Art. 3 EMRK gegeben. Es bestehe daher auch keine innerstaatliche Fluchtalternative und täglich die Gefahr, erneut Opfer etwa einer Autobombe zu werden, zumal die Narben des Beschwerdeführers von einem derartigen Anschlag stammen würden. Der Vorfall habe sich ereignet, als der Beschwerdeführer zur Arbeit gegangen sei und in unmittelbarer Nähe eine Autobombe explodiert sei, die ihn erheblich verletzt habe. Die Eltern des Beschwerdeführers seien bereits verstorben und habe er nur noch zwei Schwestern im Irak. Im Falle seiner Rückkehr würde er daher keine finanzielle Unterstützung erhalten und sei auch seine wirtschaftliche Existenz gefährdet. Der Staat sei weder schutzfähig und schutzwillig noch in der Lage, Sozialleistungen oder sonstige Hilfestellungen zu bieten. Der Beschwerdeführer sei sunnitischer Moslem. Er sei deswegen einmal von "Andersgläubigen" mit einer Waffe bedroht worden, als er von seinem, überwiegend sunnitisch bewohnten, Stadtviertel in Bagdad in ein anderes Stadtviertel gegangen sei. Glücklicherweise sei ihm die Flucht gelungen. Der Irak vollstrecke und vollziehe weiters die Todesstrafe. Insgesamt sei bereits aus den Länderberichten ersichtlich, dass eine Abschiebung mit einer Menschenrechtsverletzung gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK verbunden wäre und daher unzulässig sei.
IDENTITÄTSFESTSTELLLUNG
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität sowie Alias-Identitäten (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger der Republik Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitisch-moslemischen Glauben. Seine Muttersprache ist Arabisch. Seine Identität steht nicht fest und gilt ausschließlich für das gegenständliche Verfahren (vgl Erstbefragung vom 13.05.2015, AS 37 ff; als bedenklich eingestufte Kopien des irakischen Personalausweises und Staatsbürgerschaftsnachweises, AS 129 ff; Aktenvermerk des Bundesamtes vom 15.10.2018 samt Kopie eines irakischen Reisepasses mit anderem Nachnamen; Auszüge aus dem Fremdenregister, dem Melderegister, den Sozialversicherungs- und Grundversorgungsdaten vom 12.02.2019).
Der Beschwerdeführer reiste am 25.09.2014 auf dem Luftweg von Bagdad legal in die Türkei aus, nachdem er sich zuvor zwischen 21.07.2014 und 14.08.2014 in Georgien aufgehalten hatte. Er hielt sich nach Ablauf seines 30-tägigen Visums in der Türkei weiterhin für mehrere Monate, zumindest bis Jänner 2015, dort auf und reiste schließlich zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen Jänner und April 2015 schlepperunterstützt von der Türkei nach Europa. Am 12.05.2015 wurde der Beschwerdeführer von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Österreich zur Identitätsfeststellung festgenommen. Im Rahmen dessen wurde beim Beschwerdeführer ein gefälschter französischer Personalausweis sichergestellt und stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (vgl Einreise- und Ausreisestempel in der Kopie des Reisepasses des Beschwerdeführers; Angaben Beschwerdeführer, Erstbefragung vom 13.05.2015, AS 37 ff; Angaben Beschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt, vom 04.04.2017, AS 109 ff; Anhalteprotokoll der LPD vom 12.05.2015, AS 1ff).
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er ist gesund, bedarf keiner medizinischen Behandlung und ist arbeitsfähig. Er ist in Bagdad geboren und hat dort vier bis sechs Jahre die Grundschule absolviert und bis zu seiner Ausreise in die Türkei gelebt und gearbeitet. In Bagdad leben nach wie vor zwei verwitwete Schwestern des Beschwerdeführers, wovon eine ein behindertes Kind hat. Eine dritte Schwester gilt seit Jahren als verschollen, die beiden Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. Der Beschwerdeführer hat weiters zwei Halbgeschwister, die er aber nicht kennt. In Bagdad lebte der Beschwerdeführer in einem mehrheitlich sunnitisch bewohnten Viertel und arbeitete als Bäcker. Mit seinem Einkommen hat er auch seine beiden verwitweten Schwestern und deren Kinder miterhalten. Während seines Aufenthalts in der Türkei war er als Reiseführer in Istanbul erwerbstätig (vgl Angaben Beschwerdeführer, Erstbefragung vom 13.05.2015, AS 37 ff; Angaben Beschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt, vom 04.04.2017, AS 109 ff).
Der Beschwerdeführer weist im Zentralen Melderegister nachfolgende Wohnsitzmeldungen auf (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 12.02.2019):
- 15.05.2015-21.05.2015 Hauptwohnsitz
- 21.05.2015-25.07.2016 Hauptwohnsitz
- 25.07.2016-12.12.2016 Hauptwohnsitz
- 12.12.2016-12.06.2017 Hauptwohnsitz
- 12.06.2017-laufend Hauptwohnsitz
Mit Bescheid des Arbeitsmarkservice vom 23.08.2017 wurde dem Beschwerdeführer eine Beschäftigungsbewilligung als Lehrling für die berufliche Tätigkeit als Koch/Köchin von 01.09.2017 bis 31.08.2020 im Ausmaß von 40 Wochenstunden und einem monatlichen Entgelt von EUR 700,00 (brutto) erteilt (vgl aktenkundige Kopie des Bescheides).
Der Beschwerdeführer war daraufhin im Zeitraum 01.09.2017 bis 05.09.2018 als Arbeiterlehrling für den Lehrberuf Koch mit einem Nettobezug von EUR 616,56 beschäftigt (vgl aktenkundige Kopie der Bestätigung über das "Dienstverhältnis" vom 23.11.2017 sowie des Lehrvertrages vom 07.09.2017; Sozialversicherungsdatenauszug vom 12.02.2019).
Im Zeitraum 06.09.2018 bis 18.10.2018 bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld (vgl Sozialversicherungsdatenauszug vom 12.02.2019).
Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 19.10.2018 wurde dem Beschwerdeführer eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit eines Küchengehilfen im Ausmaß von 40 Wochenstunden für den Zeitraum 19.10.2018 bis 18.10.2019 bei einem monatlichen Brutto-Entgelt von EUR 1.500,00 erteilt (vgl aktenkundige Kopie des Bescheides vom 19.10.2018). Seit 19.10.2018 bis laufend ist der Beschwerdeführer als Arbeiter (Abwäscher) in einem Hotel sozialversicherungspflichtig erwerbstätig (vgl aktenkundige Kopie des Arbeitsvertrages vom 19.10.2018; Sozialversicherungsdatenauszug vom 12.02.2019).
Zum Entscheidungszeitpunkt bezieht der Beschwerdeführer keine Leistungen aus der Grundversorgung (vgl Grundversorgungsdatenauszug vom 12.02.2019). Nach den Angaben des Beschwerdeführers hat er einen Deutschkurs besucht, diesen aber wieder abgebrochen. Der Beschwerdeführer hat bisher weder einen Deutschkurs noch eine Deutschsprachprüfung erfolgreich absolviert. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer über maßgebliche Deutschkenntnisse verfügt (vgl Angaben Beschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt, vom 04.04.2017, AS 115). Er hat im Jahr 2017 im Konversationscafe seiner Heimatpfarre mitgearbeitet (vgl Unterstützungsschreiben vom 30.03.2017), im März 2016 einen Erste-Hilfe-Grundkurs beim Österreichischen Roten Kreuz absolviert (vgl Bescheinigung vom 26.03.2016) und im März 2017 gemeinnützige Hilfstätigkeiten in seiner Wohnortgemeinde verrichtet (vgl Bestätigungsschreiben der Wohnortgemeinde vom 27.04.2017). Dass sich der Beschwerdeführer im Entscheidungszeitpunkt nach wie vor ehrenamtlich oder in Vereinen engagiert oder eine Ausbildung macht, konnte hingegen nicht festgestellt werden. Er hat in Österreich keinerlei familiäre Bezüge (vgl Angaben Beschwerdeführer, Erstbefragung vom 13.05.2015, AS 37 ff; Angaben Beschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt, vom 04.04.2017, AS 109 ff).
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten (vgl Einsicht in das Strafregister vom 12.02.2019).
Der Beschwerdeführer hat sich durchaus um eine Integration in Österreich in beruflicher Hinsicht bemüht. Insgesamt konnten jedoch keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration in sprachlicher, gesellschaftlicher und insgesamt auch beruflicher Hinsicht festgestellt werden.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass er wegen seiner beruflichen Tätigkeit in der Bäckerei im Herkunftsstaat individuell und aktuell verfolgt wäre. Der Beschwerdeführer wurde in Bagdad auf dem Weg zur Arbeit bei der Explosion einer Autobombe verletzt. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass sich die Bombe gegen den Beschwerdeführer persönlich oder gegen seinen schiitischen Arbeitgeber, den Bäckermeister, gerichtet hätte. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Autobombe direkt vor der Bäckerei gezündet worden wäre oder sich direkt gegen die Bäckerei gerichtet hätte. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass sich die Explosion direkt vor der Bäckerei ereignet hätte, dem Beschwerdeführer oder seinem schiitischen Bäckermeister persönlich gegolten hätte oder wer die Urheber desselben gewesen sein sollten.
Der Beschwerdeführer selbst wurde zu keiner Zeit persönlich und konkret bedroht. Insbesondere konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den sunnitischen Muslimen einer individuellen oder aktuellen Verfolgung durch schiitische Milizen ausgesetzt gewesen wäre.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass er aus anderen Gründen einer individuellen und aktuellen Bedrohung oder Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre.
Weder der Beschwerdeführer noch seine Familienangehörigen im Irak hatten Probleme mit staatlichen Behörden, Gerichten oder der Polizei, es ist gegen ihn kein Gerichtsverfahren anhängig, er ist kein Mitglied einer Partei bzw. einer parteiähnlichen Organisation und hatte auch weder aufgrund seiner Volksgruppen- noch Religionszugehörigkeit im Irak Probleme (vgl Angaben Beschwerdeführer, Erstbefragung vom 13.05.2015, AS 37 ff; Angaben Beschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt, vom 04.04.2017, AS 109 ff; Beschwerdevorbringen, AS 283 ff; Vorbringen in der Stellungnahme vom 29.01.2019).
Ein konkreter Anlass für sein (fluchtartiges) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt ist oder, dass Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:
Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Irak mit Stand November 2018 auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben.
Dazu ist bezogen auf den Beschwerdeführer festzuhalten:
"[...]
1. Politische Lage
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).
Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).
Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018). Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vgl. IRIS 11.5.2018).
Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).
In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).
Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).
Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 12.10.2018
- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker- 180915115434675.html, Zugriff 19.10.2018
- BBC - British Broadcasting Corporation (9.12.2017): Iraq declares war with Islamic State is over, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-42291985. Zugriff 18.10.2018
- BBC - British Broadcasting Corporation (3.10.2018): New Iraq President Barham Saleh names Adel Abdul Mahdi as PM, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-45722528. Zugriff 18.10.2018
- CIA - Central Intelligence Agency (17.10.2018): The World Factbook - Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html. Zugriff 19.10.2018
- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 18.10.2018
- Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and- politics-of-iraq/. Zugriff 17.10.2018
- The Guardian (3.10.2018): Iraqi president names Adel Abdul-Mahdi as next prime minister, https://www.theguardian.com/world/2018/oct/03/iraqi-president-names-adel-abdul-mahdi-as-next-prime-minister, Zugriff 18.10.2018
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- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas 52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 17.10.2018
- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?. http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC Iraqi-elections Report 2018.pdf. Zugriff 18.10.2018
- Reuters (15.9.2018): Iraq parliament elects Sunni lawmaker al-Halbousi as speaker, breaking deadlock, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics/iraq-parliament-elects-sunni-lawmaker-al-halbousi-as-speaker-breaking-deadlock-idUSKCN1LV0BH. Zugriff 18.10.2018
- Rol - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 18.10.2018
- Der Standard (13.5.2018): Wahlen im Irak: Al-Abadi laut Kreisen in Führung, https://derstandard.at/2000079629773/Irakische-Parlamentswahl-ohne-groessere-Zder. Zugriff2.11.2018
- Der Standard (3.10.2018): Neue alte Gesichter für Iraks Topjobs, https://derstandard.at/2000088607743/Neue-alte-Gesichter-fuer-Iraks-Topiobs. Zugriff 19.10.2018
- TA - Tagesanzeiger (12.5.2018): Im Bann des Misstrauens, https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/im-bann-des-misstrauens/storv/29434606, Zugriff 18.10.2018
- UNSC - United Nations Security Council (17.1.2018): Report of the Secretary-General pursuant to resolution 2367 (2017), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N1800449.pdf, Zugriff 19.10.2018
- WZ - Wiener Zeitung (12.5.2018): Erste Wahl im Irak nach Sieg gegen IS stößt auf wenig Interesse, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/964399_Erste-Wahl-im-Irak-nach-Sieg-gegen-IS-stoesst-auf-wenig-Interesse.html, Zugriff 23.10.2018
1.2. Parteienlandschaft
Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).
Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018).
Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018)
Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran ("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).
[...]
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Quelle: LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf. Zugriff 2.11.2018
Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al- Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018).
Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).
Quellen:
- Al Jazeera (6.6.2018): Iraq orders recount of all 11 million votes from May 12 election, https://www.aljazeera.com/news/2018/06/iraq-orders-recount-11-million-votes-12-election-180606163950024.html. Zugriff 23.10.2018
- Al-Monitor (23.8.2018): Many Iraqi legislators call for canceling election results, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/05/iraq-election-fraud.html. Zugriff 23.10.2018
- The Arab Weekly (7.10.2018): Room for optimism in Iraq under new leadership, https://thearabweekly.com/room-optimism-iraq-under-new-leadership. Zugriff 23.10.2018
- BP - Baghdad Post (17.12.2017): All Shia political parties have armed militias - Nujaba, https://www.thebaghdadpost.com/en/Story/21086/All-Shia-political-parties-have-armed-militias-Nujaba. Zugriff 22.10.2018
- CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq's Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy- Brief.pdf, Zugriff 22.10.2018
- Fanack (27.9.2018): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/. Zugriff 17.10.2018
- The Guardian (12.5.2018): Martyr or master? Future of anti-Isis militias splits Iraq ahead of elections, https://www.theguardian.com/world/2018/may/12/iraq-elections-become-battleground-iranian-influence, Zugriff 22.10.2018
- HoC - House of Commons (12.6.2018): Briefing paper: Iraq and the 2018 election, researchbriefings.files.parliament.uk/documents/.../CBP-8337.pdf. Zugriff 22.10.2018
- IRIS - Institute of Regional and International Studies (11.5.2018): Iraq Votes 2018: Election Mobilization Strategies, https://auis.edu.krd/iris/sites/default/files/IraqVotes2018_MobilizationStrategies1.pdf. Zugriff 2.11.2018
- ISPI - Istituto per gli studi di politica internazionale (10.5.2018): After IS: The meaning of Iraq's election for the Arab Sunni community, https://www.ispionline.it/sites/default/files/pubblicazioni/commentary_seloom_10.05.2018.pdf. Zugriff 22.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (22.5.2018): Sadr-Communist Alliance And Iraq's 2018 Elections Interview With Benedict Robin, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/05/sadr-communist-alliance-and-iraqs-2018.html. Zugriff 22.10.2018
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www. kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30. pdf?180501131459, Zugriff 17.10.2018
- LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf. Zugriff 23.10.2018
- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 18.10.2018
- MEMO - Middle East Monitor (16.1.2018): Iraq: 3 major Sunni provinces form alliance to run in elections, https://www.middleeastmonitor.com/20180116-iraq-3-major-sunni-provinces-form-alliance-to-run-in-elections/, Zugriff 22.10.2018
- MEMO - Middle East Monitor (27.2.2018): Iraq Islamic party will not run in upcoming elections, https://www.middleeastmonitor.com/20180227-iraq-islamic-party-will-not-run-in-upcoming-elections/, Zugriff 22.10.2018
- Niqash (7.7.2016): Too Many Contradictions: Why Iraq's New Political Parties Law Can Never Work, http://www.niqash.org/en/articles/politics/5304/. Zugriff 22.10.2018
- Niqash (5.4.2018): Formerly-Armed Angels? The Controversial Iraqi Militia That Now Prefers Social Work To Politics, http://www.niqash.org/en/articles/security/5873/. Zugriff 22.10.2018
- Reuters (19.5.2018): Cleric Moqtada al-Sadr's bloc wins Iraq election, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election-results/cleric-moqtada-al-sadrs-bloc-wins-iraq-election-idUSKCN1IJ2X0. Zugriff 19.10.2018
- Reuters (24.5.2018): Iraqi PM Abadi says election fraud allegations to be investigated, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election-fraud/iraqi-pm-abadi-says-election-fraud-allegations-to-be-investigated-idUSKCN1IP2Z2. Zugriff 23.10.2018
- Reuters (10.8.2018): Recount shows Iraq's Sadr retains election victory, no major changes, https://www.reuters.com/article/us-iraq-election/recount-shows-iraqs-sadr-retains-election-victory-no-major-changes-idUSKBN 1KV041, Zugriff 19.10.2018
- Der Standard (29.10.2017): Kurdenpräsident Barzani hinterlässt einen Trümmerhaufen, https://derstandard.at/2000066849335/Kurdenpraesident-Barzani-hinterlaesst-einen-Truemmerhaufen, Zugriff 22.10.2018
- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2016): Die "Volksmobilisierung" im Irak, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2016A52_sbg.pdf. Zugriff 22.10.2018
- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Die Badr-Organisation: Irans wichtigstes politisch-militärisches Instrument im Irak, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A27sbg.pdf, Zugriff 22.10.2018
- WI - al-Waqä'i'a al-iräqiyya (12.10.2015): Law No. 36 of 2015 on Political Parties, https://www.ilo.org/dvn/natlex/docs/ELECTRONIC/102986/124758/F1240401810/4383.pdf. Zugriff 22.10.2018
- WoR - War on the Rocks (25.8.2017): Iraq's competing security forces after the battle for Mosul, https://warontherocks.com/2017/08/iraqs-competing-security-forces-after-the-battle-for-mosul/, Zugriff 22.10.2018
- WSJ - Wall Street Journal (9.8.2018): Iraq Election Results Unchanged After Recount on Fraud Allegations, https://www.wsj.com/articles/iraq-election-results-unchanged-after-recount-on-fraud-allegations-1533852653. Zugriff 23.10.2018
- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltpolitik/994916_Schluesselland-Irak.html. Zugriff 15.10.2018
1.3. Protestbewegung
Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormen Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).
Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).
Quellen:
- Al Jazeera (22.7.2018): Iraq protests: What you should know, https://www.aliazeera.com/indepth/features/iraq-protests-180717074846746.html. Zugriff 23.10.2018
- Al Jazeera (3.8.2018): Protests in Iraq dwindle after weeks of anger, https://www.aljazeera.com/news/2018/08/protests-iraq-dwindle-weeks-anger-180803192747710.html, Zugriff 24.10.2018
- Carnegie - Carnegie Middle East Center (19.9.2018): The Basra Exception, http://carnegie- mec.org/diwan/77284?lang=en. Zugriff 23.10.2018
- CNN - Central News Network (17.7.2018): Protests spread, turn deadly in Iraq: At least 8 are dead, dozens hurt, https://edition.cnn.com/2018/07/16/world/iraq-protests-violent/index.html. Zugriff 23.10.2018
- The Daily Star (19.7.2018): In Iraq, old grievances fuel deadly protests, https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2018/Jul-19/457085-in-iraq-old-grievances-fuel-deadly-protests.ashx, Zugriff 23.10.2018
- DW - Deutsche Welle (15.7.2018): Protests spread from oil-rich Basra across southern Iraq, https://www.dw.com/en/protests-spread-from-oil-rich-basra-across-southern-iraq/a-44678926. Zugriff 23.10.2018
- HRW - Human Rights Watch (24.7.2018): Iraq: Security Forces Fire on Protesters, https://www.hrw.org/news/2018/07/24/iraq-security-forces-fire-protesters, Zugriff 24.10.2018
- ICG - International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq's summer brushfire, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-how-cope-iraqs-summer-brushfire, Zugriff 23.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (14.7.2018): Protests In Iraq Greatly Escalate And Spread Throughout South, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/protests-in-iraq-greatly- escalate-and.html, Zugriff 24.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (17.7.2018): Iraq Government Starts Crackdown On Protests, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/iraq-government-starts-crackdown-on.html. Zugriff 24.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (21.7.2018): 2 Killed As Protests Hit 10 Provinces In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/2-killed-as-protests-hit-10-provinces.html. Zugriff 24.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (25.7.2018): Silencing Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/silencing-protests-in-iraq.html. Zugriff 24.10.2018
- Kurier (15.7.2018): Proteste im Irak eskalieren weiter: Mehrere Tote, https://kurier.at/politik/ausland/proteste-im-irak-eskalieren-weiter-mehrere-tote/400066748. Zugriff 24.10.2018
- NPR - National Public Radio (27.9.2018): Months Of Protests Roil Iraq's Oil Capital Basra, https://www.npr.org/2018/09/27/651508389/months-of-protests-roil-iraqs-oil-capital-basra?t=1539869569857&t= 1540298050551, Zugriff 23.10.2018
- Die Presse (15.7.2018): Massive Proteste breiten sich im Süden des Irak aus, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5464674/Massive-Proteste-breiten-sich-im-Sueden-des-Irak-aus, Zugriff 24.10.2018
- Vox (8.9.2018): The violent protests in Iraq, explained, https://www.vox.com/world/2018/9/7/17831526/iraq-protests-basra-burning-government-buildings-iran-consulate-water, Zugriff 24.10.2018
- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?emssc=LCwsLA==&emcnt=994916&emloc=69&emref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=0. Zugriff 2.11.2018
1.4. Autonome Region Kurdistan
Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25. September 2017 deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.9.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018).
Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren, angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.2.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen einen Dämpfer. Präsident Barzani erklärte als Reaktion darauf am 29.10.2017 seinen Rücktritt. Der kampflose Rückzug der kurdischen Peshmerga scheint auch auf zunehmende Differenzen zwischen den kurdischen Parteien hinzudeuten (BPB 24.1.2018).
Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der kurdischen Autonomieregion (AA 12.2.2018).
Im Dezember 2017 forderte die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen gegen die Regionalregierung in Sulaymaniya mehrere Todesopfer. Daraufhin hat sich die Oppositionspartei Gorran aus dem kurdischen Parlament zurückgezogen (BPB 24.1.2018). In der Autonomieregion gehen die Proteste schon auf die Zeit gleich nach 2003 zurück und haben seitdem mehrere Phasen durchlaufen. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind jedoch gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018).
Am 30.9.2018 fanden in der kurdischen Autonomieregion Wahlen zum Regionalparlament statt (Tagesschau 30.9.2018). Mit einer Verzögerung von drei Wochen konnte die regionale Wahlkommission am 20.10.2018 die Endergebnisse veröffentlichen. Zahlreiche Parteien hatten gegen die vorläufigen Ergebnisse Widerspruch eingelegt. Gemäß den offiziellen Endergebnissen gewann die KDP mit 686.070 Stimmen (45 Sitze), vor der PUK mit 319.912 Stimmen (21 Sitze) und Gorran mit 186.903 Stimmen (12 Sitze) (ANF 21.10.2018; vgl. Al Jazeera 21.10.2018, RFE/RL 21.10.2018). Die Oppositionsparteien lehnen die Abstimmungsergebnisse ab und sagen, dass Beschwerden über den Wahlbetrug nicht gelöst wurden (Al Jazeera 21.10.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-dieasyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 12.10.2018
- Al Jazeera (21.10.2018): Opposition parties reject vote results in Iraq's Kurdish region, https://www.aljazeera.com/news/2018/10/opposition-parties-reject-vote-results-iraq-kurdish-region-181021194012607.html, Zugriff 23.10.2018
- ANF - ANF News (21.10.2018): Wahlergebnisse in Südkurdistan veröffentlicht, https://anfdeutsch.com/kurdistan/wahlergebnisse-in-suedkurdistan-veroeffentlicht-7293. Zugriff 23.10.2018
- BPB - Bundeszentrale für politische Bildung (24.1.2018): Kurdenkonflikt, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54641/kurdenkonflikt. Zugriff 22.10.2018
- LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf. Zugriff 23.10.2018
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (21.10.2018): Ruling KDP Wins Most Seats In Kurdish Regional Parliament Vote, https://www.rferl.org/a/ruling-kdp-wins-most-seats-in-kurdish-regional-parliament-vote/29555348.html. Zugriff 23.10.2018
- Tagesschau (30.9.2018): Wahl in Irakisch-Kurdistan Ein Parlament, das besser arbeitet?, https://www.tagesschau.de/ausland/irak-kurden-wahlen-101.html. Zugriff 23.10.2018
2. Sicherheitslage
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak. https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 19.7.2018
- CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress. https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf. Zugriff 29.10.2018
- MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving. https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish immigration service report security in iraq variablebut improving/10061710. Zugriff 30.10.2018
2.1. Islamischer Staat (IS)
Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).
Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018).
Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).
Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).
Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).
Quellen:
- Atlantic (31.8.2018): ISIS Never Went Away in Iraq, https://www.theatlantic.com/international/archive/2018/08/iraq-isis/569047/. Zugriff 30.10.2018
- CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf. Zugriff 29.10.2018
- ISW - Institute for the Study of War (2.10.2018): ISIS's Second Resurgence, https://iswresearch.blogspot.com/2018/10/isiss-second-resurgence.html. Zugriff 30.10.2018
- Jamestown Foundation (28.7.2018): Is Islamic State Making Plans for a Comeback in Iraq?, https://iamestown.org/program/is-islamic-state-making-plans-for-a-comeback-in-iraq/. Zugriff 30.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (3.7.2018): June 2018 Islamic State Rebuilding In Rural Areas Of Central Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/07/june-2018-islamic-state-rebuilding- in.html, Zugriff 30.10.2018
- Joel Wing - Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-state-returns-to-baghdad-while.html, Zugriff 30.10.2018
- Niqash (12.7.2018): Extremists Intimidate, Harass, Dislocate Locals In Salahaddin, Then Take Over, http://www.niqash.org/en/articles/securitv/5951/. Zugriff 30.10.2018
- WP - Washington Post (17.7.2018): ISIS is making a comeback in Iraq just months after Baghdad declared victory, https://www.washingtonpost.com/world/isis-is-making-a-comeback-in-iraq-less-than-a-year-after-baghdad-declared-victory/2018/07/17/9aac54a6-892c-11e8-9d59-dccc2c0cabcfstory.html?noredirect=on&utmterm=.8ebfcea17e9f, Zugriff 30.10.2018
2.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 6.2.2018).
So wurden beispielsweise im September 2018 vom Irak-Experten Joel Wing 210 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 195 Todesopfern im Irak verzeichnet. Dem standen im September des Jahres 2017 noch 306 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 728 Todesopfern gegenüber. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im September 2018 waren Bagdad mit 65 Vorfällen, Diyala mit 36, Kirkuk mit 31, Salah al-Din mit 21, Ninewa mit 18 und Anbar mit 17 Vorfällen (Joel Wing 6.10.2018).
Die folgende Grafik von ACCORD zeigt, im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im zweiten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im zweiten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 5.9.2018).
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Quelle: IBC - Iraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence, https://www.iraqbodycount.org/database/. Zugriff 31.10.2018
Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards
Jan
Feb
Mar
Apr
May
Jun
Jul
Aug
Sep
Oct