Entscheidungsdatum
12.06.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L508 1434760-5/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. HERZOG als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Pakistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.04.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG, § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 3, § 15b Abs. 1, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1 a FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrenshergang und Sachverhalt
1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein Staatsangehöriger aus Pakistan, stellte am 01.10.2012 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
Er begründete im Verfahren zu seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz vom 01.10.2012 seine Ausreise aus Pakistan zusammengefasst im Wesentlichen wie folgt: Er stamme aus der Stadt Sialkot in der Provinz Punjab, sei gesund und habe seine Heimat verlassen, da er eine - nicht sexuelle - Freundschaft mit einem Mädchen gehabt habe, weshalb er von deren Familie bedroht und angegriffen sowie jenes Mädchen getötet worden sei. Des Weiteren sei seine Mutter verstorben und der Vater habe das Dorf verlassen, um nochmals zu heiraten und habe der Vater gesagt, dass er die Kinder nicht mehr haben wolle und diese auch nichts von dessen Erbschaft erhalten würden. Der Beschwerdeführer sei dann zu seinem Großvater mütterlicherseits gezogen, wo er von seinem Vater aufgesucht und geschlagen worden sei, weshalb sein Onkel mütterlicherseits die Ausreise organisiert habe. Weiters sei seine gesamte Familie sunnitischen Glaubens, doch ihm habe der schiitische Glaube besser gefallen, weshalb er als einziger Schiite sei, was er jedoch bei der Erstbefragung nicht angegeben habe, da die Schiiten in Pakistan Probleme hätten.
2. Dieser erste Antrag auf internationalen Schutz wurde vom Bundesasylamt (nachfolgend: BAA) mit Bescheid vom 09.04.2013, Zahl 12 13.801-BAT, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 idF vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr. 87/2012 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Das Bundesasylamt erachtete das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Ausreisegründen sowie dessen vorgebrachte Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensgemeinschaft mit näherer Begründung für nicht glaubhaft, ging davon aus, dass der Beschwerdeführer Sunnit ist, und führte aus, dass auch kein Sachverhalt im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK vorliege und eine Ausweisung im Falle des Beschwerdeführers keine Verletzung des Art. 8 EMRK darstelle.
Die Entscheidung des Bundesasylamtes wurde dem Beschwerdeführer am 12.04.2013 zugestellt und erwuchs mangels - rechtzeitiger - Erhebung einer Beschwerde mit Ablauf des 26.04.2013 in Rechtskraft.
3. Der Beschwerdeführer stellte am 01.08.2013 nach Rücküberstellung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II VO) aus Deutschland einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welcher vom BAA mit Bescheid vom 12.11.2013, Zl. 13 11.182-EAST Ost, gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idF vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr. 87/2012 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan ausgewiesen (Spruchpunkt II.). Eine gegen diese Entscheidung des Bundesasylamtes vom Beschwerdeführer erhobene Beschwerde wurde vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.12.2013, E10 434760-2/2013/6E, gemäß §§ 68 Abs. 1 AVG 1991 iVm § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 abgewiesen.
Die Entscheidung des Asylgerichtshofes erwuchs mit 18.12.2013 in Rechtskraft.
4. Am 07.02.2014 stellte der Beschwerdeführer nach Rücküberstellung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II VO) aus Deutschland, wo gegen ihn im Februar 2014 ein Einreise-/Aufenthaltsverbot im Schengener Gebiet erlassen worden war, einen dritten Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem wurde er am 08.02.2014 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt sowie nach der am 13.02.2014 erfolgten Zulassung des Verfahrens in der Regionaldirektion Graz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend: BFA) am 07.05.2015 niederschriftlich einvernommen.
Im Rahmen dieses Verfahrens brachte der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung am 08.02.2014 vor, seine alten Fluchtgründe seien nach wie vor aufrecht und diesbezüglich sei sogar eine Verschlechterung eingetreten. Er sei damals vom sunnitischen zum schiitischen Glauben gewechselt, weshalb er verfolgt und von seiner Familie hinausgeworfen worden sei. Er habe danach nur heimlich Kontakt mit seinen Schwestern gehabt, weshalb Mitte letzten Jahres auch seine Schwestern vom Vater hinausgeworfen worden seien. Danach sei er von seinem Vater via Skype mit dem Umbringen bedroht worden. Er habe Angst von seinem Vater umgebracht zu werden. Es gebe in Pakistan Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten und es würden oft Menschen gegenseitig getötet, weshalb er nicht zurück könne. Bei der Einvernahme vor dem BFA am 07.05.2015 führte der Beschwerdeführer aus, dass er die gleichen Probleme habe, wie er sie in seinen vorangegangenen Verfahren geschildert habe, und dass nichts Neues dazu gekommen sei. Zu den dem Beschwerdeführer in der Einvernahme am 07.05.2015 vom BFA zur Kenntnis gebrachten Länderinformationen gab der Beschwerdeführer an, dass er aus den von ihm genannten Gründen nicht in Pakistan leben könne.
5. Das BFA wies mit Bescheid vom 18.05.2015 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 07.02.2014 gemäß § 68 Abs. 1 AVG (neuerlich) wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.). Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Das BFA stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei, und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer vom BFA mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.
6. Der Beschwerdeführer hat gegen den ihm am 19.05.2015 zugestellten Bescheid des BFA mit Schriftsatz vom 22.05.2015 fristgerecht Beschwerde erhoben und diesen zur Gänze angefochten.
7. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 16.06.2015, Zahl L516 1434760-3/3E als unbegründet ab, die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wies es mit Erkenntnis vom 16.06.2015, Zahl L516 1434760-3/4E ebenfalls als unbegründet ab.
Beide Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes wurden dem Beschwerdeführer zugestellt und sind rechtskräftig.
8. Am 16.02.2019 wurde der Beschwerdeführer im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle in einem Bus von Paris nach Wien angetroffen. Am selben Tag stellte er den vierten und nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und es fand die Erstbefragung nach dem AsylG 2005 statt. (Aktenseite des gegenständlichen Verwaltungsverfahrensaktes [im Folgenden: AS] 33). Befragt zu den in seinem Rucksack gefundenen Lichtbildern von pakistanischen Rupien, führte der BF aus, dass er von seiner schiitischen Gemeinde und Freunden Spenden erhalten habe. Er würde das Geld benötigen, um damit in das Ausland zu reisen. Sein Leben sei in Pakistan in Gefahr. Er sei zweimal attackiert worden. Er habe mit dem Geld nach Kanada reisen wollen, weil er gehört hätte, dass in Kanada keine Asylwerber zurückgeschickt werden würden. Es seien etwa 550.000 pakistanische Rupien.
Im Jänner oder Februar 2016 sei er nach Pakistan gereist und im Juli 2018 sei er ausgereist. Am 02.04.2016 sei ihm die Bestätigung einer schiitischen Gemeinde ausgestellt worden (AS 37).
Zu seinen neuen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung an, dass die Fluchtgründe gleich geblieben seien. Doch die Lage sei schlechter als vorher. Seine Familie habe ihn nach seiner Rückkehr nicht mehr akzeptiert. Niemand wolle mehr mit ihm Kontakt haben. Er habe bei einer Rückkehr - wegen der Sunniten und seiner Familie - Angst um sein Leben (AS 39).
Befragt seit wann ihm die Änderungen der Situation/ seiner Fluchtgründe bekannt seien, erwiderte der BF, dass sich seine Situation zwei Wochen nach seiner Einreise (Februar 2016) nach Pakistan wieder geändert habe. Er sei zuerst Moslem sunnitischen Glaubens gewesen und hätte 2008 zu den Schiiten gewechselt. Er sei der Einzige in seiner Familie gewesen und dies sein ein Problem für sie gewesen. Am 27.04.2018 hätte er eine schiitische Versammlung für seine verstorbene Mutter organisiert. Sie hätten gemeinsam beten wollen. Er sei zuvor gewarnt worden, dass er so etwas nicht machen dürfe. Nach dieser Versammlung sei er am Weg nach Hause attackiert worden und aufgrund einer Verletzung einen Tag im Krankenhaus gewesen (AS 39).
9. Der Beschwerdeführer wurde am 01.03.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen (AS 103 - 123).
Zunächst legte der BF dar, dass er den damaligen - pakistanischen - Menschenrechtsminister im August 2016 getroffen und kennengelernt hätte. Er habe gemeinsam mit dem Minister seinen Vater anrufen wollen, um diesen zur Akzeptanz seiner Person zu bewegen. Die Fotografie sei im Büro des Ministers in Islamabad entstanden. Das Treffen sei über seine Kommune zustandegekommen. Der Minister habe ihm 200.000 pakistanische Rupien zum Aufbau seiner Zukunft gegeben. Dieser habe ihm geholfen.
In der Folge bestätigte der BF, dass sämtliche Angaben, die er im Zuge der Erstbefragung durch die Polizei gemacht habe, richtig seien und er diese aufrecht erhalte.
Er sei in Pakistan alleine. Er hätte mit keiner Person Kontakt gehabt. Alle hätten ihn 2016 rausgeschmissen, weil er 2008 die Religion gewechselt habe.
Befragt, weshalb er jetzt einen neuen Asylantrag stellte, führte der BF aus, dass sich sein Leben in Pakistan in einer unsicheren Lage befinde. Er sei in Pakistan zweimal attackiert worden. Einmal habe ihn sein Vater geschlagen und bedroht und einmal habe ihn auch eine andere starke Communitiy - Sipah-e-Sahaba Pakistan - bedroht. Er hätte bereits bei der Polizei alles erzählt. Er sei nach einer religiösen Sitzung für seine Mutter - am 27.04.2018 in der Nacht - attackiert worden. Es seien drei Geistliche und die Nachbarschaft anwesend gewesen. Der Vorfall mit seinem Vater habe sich bereits 2016 ereignet.
Seine Mutter sei am 27.04.2008 verstorben. Er habe den zehnten Todestag begangen. Er sei zu seiner Community gegangen, hätte sich hingesetzt und mit diesen Leuten diesen Tag begangen. Er könne nicht in die Community seiner Mutter gehen. Diese würde ihn töten. Sein Vater habe dies in dessen Community getan.
Er sei zwischen 2016 und 2018 wöchentlich sicher zwei- oder dreimal in seiner Community gewesen. Er sei auch zuvor dort gewesen, aber versteckt. Er wäre sonst von seiner Familie geschimpft worden.
Er sei etwa im Jänner oder Februar 2016 in Pakistan eingereist. Er sei zwei bis drei Monate in Haft gewesen, da er illegal an der Grenze festgenommen worden sei. Die Polizei habe von ihm Geld für seine Freilassung verlangt. Es gebe keine Unterlagen über die Inhaftierung im Iran bzw. Pakistan. Er hätte keine Unterlagen darüber erhalten. Die iranische Sicherheitsbehörde habe ihm alles Geld abgenommen. Diese hätten versucht, mit der Familie Kontakt aufzunehmen, um Geld zu verlangen. Er habe gesagt, dass er mit keinem Kontakt habe. Da er keine Angehörigen gehabt habe, hätten sie ihn nach drei oder vier Monaten einfach so freigelassen. Nach seiner Freilassung sei er zuerst zu seinem Onkel mütterlicherseits gegangen. Dieser habe aber das Haus verkauft und sei ausgewandert. Dann sei er zu seiner Schwester gegangen, wo er etwa zehn bis 15 Tage gelebt habe. Dann habe ihn deren Schwiegervater - nach dessen Rückkehr aus Mekka - rauschgeschmissen. Er habe dann versucht, seine zweite Schwester aufzusuchen. Diese habe ihn aber wegen seines Religionswechsels nicht akzeptiert. In der Folge sei er zu seinem Vater. Dieser habe ihn sofort geschlagen und beschimpft. Er sei etwa drei Jahre in Pakistan verblieben. Während dieser Zeit habe seine Community für ihn einen Raum gemietet und Arbeit organisiert.
Er sei bei dem Vorfall am 27.04.2018 nach der Sitzung am Heimweg gewesen und alleine attackiert worden. Er sei ins Krankenhaus gebracht worden und habe sich anschließend für eine Beschwerde zur Polizei begeben. Man habe ihn im Krankenhaus genäht und bandagiert.
Des Weiteren bestätigte der BF, dass sich seine Probleme mit jenen der Vorverfahren decken würden. Diese seien gleich geblieben, nur sei er jetzt zweimal attackiert worden.
Er sei im Jahr 2018 von einer großen Gruppe angegriffen worden. Diese hätten ihn auch telefonisch bedroht. Anfang 2018 - im Jänner - habe er Plakate bzw. eine Einladung für den Todestag seiner Mutter aufhängen lassen. Auf diesem sei sein Name bzw. der Name seiner Mutter gestanden.
Abschließend wurden dem BF die aktuellen Länderfeststellungen zu Pakistan zur Wahrung des Parteiengehörs ausgefolgt und deren maßgeblicher Inhalt kurz erläutert. Zudem wurde der BF auf die Möglichkeit zur umfassenden Stellungnahme in der zweiten Einvernahme (Parteiengehör) vor dem BFA hingewiesen.
Im Rahmen der Einvernahme im Viertverfahren brachte der BF auch mehrere Unterlagen in Vorlage. Konkret handelte es sich hierbei um eine Fotografie des Grabsteines seiner Mutter (AS 127 [Übersetzung: AS 237]), Fotografien seiner Mutter und Tante (AS 131 - 135), Fotografien des BF und eines ehemaligen Menschenrechtsministers in Pakistan (AS 143 - 145), eine Bestätigung eines schiitischen Vereins (AS 129 [Übersetzung: AS 237]) und Fotografien von Geld (AS 137 - 141).
10. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG 2005 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, es sei beabsichtigt, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben (AS 149, 151).
11. Nach einer Rechtsberatung am 05.03.2019 wurde der Beschwerdeführer am 11.03.2019 erneut von der belangten Behörde einvernommen (AS 173 - 179). Im Rahmen der Einvernahme brachte der BF eine Security Card (AS 181, 183 [Übersetzung: AS 287]), ein Schreiben der XXXX (AS 185 - 187 [Übersetzung: AS 289 - 295] ), ein medizinisches Schreiben eines Krankenhauses (AS 189 [Übersetzung: AS 295 f]), ein Schreiben der XXXX (AS 189 [Übersetzung: AS 297 f]), einen Report an die Polizei (AS 191 [Übersetzung: AS 299, 301]), Bestätigungen über Spenden (AS 183, 193 [Übersetzung: AS 289, 301 f]), einen Führerschein (AS 195 [Übersetzung: AS 305 f]), Plakate bezüglich des Gedenktages seiner Mutter (AS 197 [Übersetzung: AS 307 f]), ein Bestätigungsschreiben einer Moschee (AS 199 [Übersetzung: AS 311 f]) und ein weiteres Schreiben einer Moschee (AS 201 [Übersetzung: AS 313 f]) in Vorlage.
Im Anschluss hob die belangte Behörde mit einem mündlich verkündeten Bescheid vom 11.03.2019 (auf dem Bescheid offensichtlich irrtümlich 11.03.2018 angegeben) den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf (AS 218 ff). Sie begründete dies damit, dass sich an den Fluchtgründen des Beschwerdeführers nichts geändert habe. Der Beschwerdeführer habe den vierten Antrag auf Basis der Angaben aus seinem Erstverfahren gestellt. Er habe nicht glaubhaft machen können, im Jahr 2015 nach Pakistan zurückgekehrt zu sein. Es bestehe eine aufrechte Rückkehrentscheidung und aufgrund der Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat in Verbindung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers könne davon ausgegangen werden, dass ihm keine Verletzung nach § 12a Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 drohe.
12. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.03.2019 wurde im amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2019 erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend den BF festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 nicht rechtmäßig sei. Der Bescheid vom 11.03.2019 wurde daher aufgehoben.
13. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.04.2019 (AS 317 - 461) wies das BFA den Antrag vom 16.02.2019 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurück (Spruchpunkt I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung und wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt IV. und V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht gemäß § 55 Abs. 1a FPG nicht (Spruchpunkt VI.) und wurde dem BF gemäß § 15b Abs. 1 AsylG aufgetragen von 16.02.2019 im folgenden Quartier Unterkunft zu nehmen: XXXX (Spruchpunkt VII.).
Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass entschiedene Sache vorliege und das Vorbringen des Beschwerdeführers in einem rechtskräftig beendeten Verfahren bereits als nicht glaubwürdig erachtet worden sei. Insoweit seine gesteigerten Angaben im Folgeantrag auf einen unglaubwürdig befundenen Sachverhalt im ersten Verfahren aufbauen würden, begehre er faktisch die Auseinandersetzung mit seinen bereits im vorangegangenen - rechtskräftig beendeten - Asylverfahren vorgebrachten Fluchtgründen. Im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand, seine Integration sowie seine private wie familiäre Situation hätten sich für die belangte Behörde ebenso wenig Umstände ergeben, die zu einer anderen Einschätzung als in dem rechtskräftig abgeschlossenen ersten Verfahren geführt hätten.
14. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.04.2019 (AS 467, 469) wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
15. Gegen den Bescheid des BFA vom 29.04.2019 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz vom 13.05.2019 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (AS 487 ff). Hinsichtlich des genauen Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.
15.1. In der Beschwerde wird zunächst beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge
* die angefochtene Entscheidung zur Gänze beheben, das Verfahren zulassen, einen Bescheid in der Sache selbst erlassen und dem BF Asyl gem. § 3 AsylG, hilfsweise den Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG gewähren;
* hilfsweise feststellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und daher festzustellen sei, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung/ plus vorliegen und daher gem. § 58 Abs. 2 AsylG ein Aufenthaltstitel gem. § 55 AsylG von Amts wegen zu erteilen sei;
* hilfsweise den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und zur Durchführung eines erneuten Verfahrens und Erlassung eines inhaltlichen Bescheides an das BFA zurückverweisen und
* eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen.
15.2. In der Folge wird nach kurzer Wiederholung des Verfahrensgangs und des Sachverhalts dargelegt, dass seitens des Bundesamtes die Ermittlungspflichten nach § 18 AsylG nicht erfüllt worden seien. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes im Beschluss vom 15.03.2019 verwiesen, wonach die Behörde bereits hinsichtlich des Bescheides vom 11.03.2019 wesentliche Ermittlungsschritte unterlassen habe. So hätte die Behörde den Aufenthaltsort des BF zwischen 23.09.2015 (bis dahin sei er in Österreich gemeldet gewesen) und 16.02.2019 (Aufgriff des BF im Bus von Paris nach Wien) nicht ermittelt. Es wäre somit nicht nachvollziehbar, weshalb die Behörde die Rückkehr des BF nach Pakistan in Zweifel gezogen habe. Insbesondere würde es dem Akteninhalt widersprechen, wenn die Behörde angebe, der BF hätte das Bundesgebiet noch nicht verlassen (Busticket von Paris nach Wien). Des Weiteren führe das Bundesverwaltungsgericht an: "Der Bescheid und die vorgelegten Akten enthalten keinerlei Ermittlungsergebnisse, sonstige Informationen oder Anhaltspunkte, die die Auffassung der Behörde, die Rückkehrentscheidung sei noch aufrecht, tragen können." Auch hinsichtlich des gegenständlichen Bescheides vom 29.04.2019 habe die Behörde ihre Ermittlungspflicht verletzt, da sie sich lediglich auf die Einvernahmen vom 01.03.2019 und 11.03.2019 gestützt habe und keine weitere Befragung vorgenommen habe, um den Sachverhalt abschließend zu ermitteln. So halte die Behörde dem BF im Rahmen der Beweiswürdigung des Bescheides Widersprüche vor, welche bei Nachfrage in der Einvernahme, bereits vom BF aufgeklärt werden hätten können.
15.3. Darüber hinaus müsse hinsichtlich des Vorhalts, dass sich im Privat- bzw. Familienleben des BF seit dem Vorverfahren nicht geändert hätte, angemerkt werden, dass sich der BF sehr bemühe, seine Deutschkenntnisse zu verbessern und sich in Österreich zu integrieren. Im Vergleich dazu habe der BF keinerlei Anknüpfungspunkte mehr in Pakistan, insbesondere da er bei einer Rückkehr auf kein soziales oder familiäres Netzwerk zurückgreifen könnte, da er von seiner Familie aufgrund der Konversion verstoßen worden sei.
15.4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei aufgrund der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zwingend geboten. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Rechtsprechung des VfGH betreffend Art. 47 GRC zur Zahl U 466/11 und U 1836/11 vom 14.03.2012 verwiesen. Diesbezüglich verlangte der EGMR in der Entscheidung Denk gegen Österreich, 05.12.2013, 23396/09, zwingend die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, wenn die Rechtssache erstmals von einem Gericht entschieden wird und die Durchführung ausdrücklich beantragt wird (vgl. Denk gegen Österreich Rz 18).
15.5. Mit diesem Rechtsmittel wurde kein hinreichend substantiiertes Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre zu einer anderslautenden Entscheidung zu gelangen.
16. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt des BFA langte am 15.05.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
17. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 17.05.2019 beschlossen, dass der Beschwerde gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt werde; dies insbesondere mit der Begründung, dass im Sinne einer Grobprüfung - nur um eine solche könne es sich bei der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung handeln - im Hinblick auf den vorliegende Sachverhalt nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne, dass es sich dabei um vertretbare Behauptungen im Sinne des Artikel 3 EMRK handle, respektive könne nicht ohne detaillierte Überprüfung von der Rechtmäßigkeit der seitens des BFA getroffenen Entscheidung ausgegangen werden.
18. Hinsichtlich des Verfahrensganges und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
19. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt des Erst-, Zweit- und Drittverfahrens, in den gegenständlichen Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen (Sachverhalt):
II.1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Pakistan und damit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Punjabi an und ist sunnitischen Glaubens.
Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Der BF trägt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren.
Der Beschwerdeführer reiste bereits im Jahr 2012 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte im Oktober 2012 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Er verließ nach rechtskräftig negativem Abschluss des Verfahrens Österreich Anfang Juli 2013 in Richtung Deutschland, von wo er ein erstes Mal am 01.08.2013 rücküberstellt wurde.
Der Beschwerdeführer stellte am 01.08.2013 einen ersten Folgeantrag, welcher rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, und reiste er anschließend erneut nach Deutschland, von wo er am 07.02.2014 abermals nach Österreich rücküberstellt wurde. Deutschland erließ im Februar 2014 auch ein Einreise-/Aufenthaltsverbot im Schengener Gebiet.
Er stellte am 07.02.2014 einen zweiten Folgeantrag, welcher ebenfalls rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde.
Der BF verließ in der Folge zwischenzeitlich das Bundesgebiet und wurde am 16.02.2019 im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle in einem Bus von Paris nach Wien angetroffen. Am selben Tag stellte er seinen dritten Folgeantrag bzw. den nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer hält sich demnach seit seiner ersten Einreise in Österreich auch nicht ununterbrochen im österreichischen Bundesgebiet auf. Er verfügte noch nie über ein Aufenthaltsrecht für Österreich außerhalb des Asylverfahrens.
Der Beschwerdeführer stellte in Österreich viermal einen Antrag auf internationalen Schutz; alle vier Anträge wurden abgewiesen bzw. wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Er verfügt ab dem Zeitpunkt der Erlassung dieser Entscheidung wiederum über keinen gültigen Aufenthaltstitel für Österreich.
Im gegenständlichen Verfahren ergab sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat noch in sonstigen in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen.
Der Beschwerdeführer stützte seinen vierten Antrag auf internationalen Schutz auf bereits im Erstverfahren getätigte Angaben, über welche bereits vom BAA rechtskräftig abgesprochen wurde. Ansonsten hat er keine glaubwürdigen neuen Gründe vorgebracht.
In Bezug auf die individuelle Lage des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat kann keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.
Im Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland festgestellt werden.
Selbst wenn man sein nunmehriges Vorbringen als wahr qualifizieren und daher annehmen würde, dass der BF durch seinen Vater und die Sipah-e-Sahaba Pakistan bedroht und verfolgt worden war, muss diesbezüglich festgestellt werden, dass sein Vorbringen keine Asylrelevanz entfalten würde. Der Beschwerdeführer könnte eine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch nehmen und wäre dem BF jedenfalls auch eine Rückkehr nach Islamabad möglich und zumutbar. Es wären dort die existentiellen Lebensgrundlagen des Beschwerdeführers durch Aufnahme einer eigenen beruflichen Tätigkeit gesichert. In den Städten leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Menschen, die die Polizei wegen Mordes sucht, können in einer Stadt unbehelligt leben, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt (AA 21.08.2018). Die Hauptstadt Pakistans, Islamabad, gilt als vergleichsweise sicher. Das Hauptstadtterritorium Islamabad erlitt einen Anschlag mit einem Toten im Jahr 2016 (PIPS 1.2017). Im Jahr 2017 verzeichnete das Hauptstadtterritorium Islamabad drei Anschläge mit zwei Todesopfern. Zwei der Anschläge waren religiös-sektiererisch motiviert und richteten sich gegen Schiiten (PIPS 1.2018). Für das erste Quartal 2018 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS für das Hauptstadtterritorium Islamabad keinen terroristischen Angriff (Aggregat aus: PIPS 6.4.2018; PIPS 6.3.2018; PIPS 5.2.2018), weshalb hier von einer stabilen Sicherheitslage auszugehen ist. Diese Stadt ist für den Beschwerdeführer auch direkt erreichbar.
Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.
Der private und familiäre Lebensmittelpunkt des BF befindet sich in Pakistan. Der BF ist ledig und verfügt in Österreich über keine familiären oder sonstigen nennenswerten sozialen Bindungen. Der BF verfügt über normale soziale Kontakte und besucht(e) hier eine Moschee. Unterstützungserklärungen wurden keine vorgelegt. Der BF geht keiner Erwerbstätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung. Er ist kein Mitglied bei einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Er besucht(e) in der Vergangenheit Deutschkurse. Insoweit verfügt er aufgrund dieser Deutschkurse und seines mehrjährigen Aufenthaltes in Österreich über einfache Deutschkenntnisse. Bislang wurde aber noch keine Bestätigung über eine erfolgreich abgelegte Prüfung in Vorlage gebracht. Der BF gilt als strafrechtlich unbescholten.
Auch sonst konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.
Es konnten keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat Pakistan gemäß § 46 FPG unzulässig wäre.
II.1.2. In Bezug auf die zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan zu treffenden Feststellungen schließt sich das Bundesverwaltungsgericht den seitens des BFA getroffenen Feststellungen an:
Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 6.3.2019: aktuelle Entwicklungen Kaschmir-Konflikt (betrifft: Abschnitt 3/Sicherheitslage);
Indien ist am 26.2.2019 zum ersten Mal seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum eingedrungen und flog als Vergeltung für den Selbstmordanschlag vom 14.2.2019 [Anm.: vgl. dazu KI im LIB Indien vom 20.2.2019] einen Angriff auf ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad außerhalb der Stadt Balakot (Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Pakistan). Dies liegt außerhalb der umkämpften Region Kaschmir (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019b, WP 26.2.2019). Indien ist überzeugt davon, dass der Selbstmordanschlag vom 14. Feber von Pakistan aus geplant und unterstützt wurde (NZZ 26.2.2019).
Über die Auswirkungen des Bombardementsgehen die Angaben auseinander: Während indische Behörden darüber berichten, dass fast 200 (CNN News 18 26.2.2019) Terroristen, Ausbilder, Kommandeure und Dschihadisten getötet und das Lager komplett zerstört wurden, bestätigt das pakistanische Militär zwar den Luftangriff (DW 26.2.2019), verlautbart jedoch, dass sich die indischen Flugzeuge ihrer Bombenlast nahe Balakot hastig im Notwurf entledigt hätten, um sofort aufgestiegenen pakistanischen Kampfjets zu entkommen. Nach pakistanischen Angaben gibt es weder eine große Anzahl an Opfern (Dawn 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019a), noch wäre Infrastruktur getroffen worden (DW 26.2.2019).
Beobachter zeigten sich skeptisch, dass bei diesem Militärschlag tatsächlich eine große Anzahl an Terroristen an einem Ort getroffen worden sein könnte. Anwohner des Ortes Balakot berichteten der Nachrichtenagentur Reuters, sie seien am frühen Morgen durch laute Explosionen aufgeschreckt worden. Sie sagten, dass nur ein Mensch verletzt und niemand getötet worden sei. Außerdem erklärten sie, dass es in der Vergangenheit tatsächlich ein Terrorlager in dem Gebiet gegeben habe. Dieses sei aber mittlerweile in eine Koranschule umgewandelt worden (FAZ 26.2.2019b).
Die pakistanischen Streitkräfte haben am 27.2.2019 eigenen Angaben zufolge zwei indische Kampfflugzeuge über Pakistan abgeschossen und bestätigten die Festnahme eines Piloten. Ein Sprecher der indische Regierung bestätige den Abschuss einer MiG-21 (Standard 27.2.2019). Der indische Pilot wurde den indischen Behörden am 1.3.2019 am Grenzübergang Wagah übergeben. Der pakistanische Ministerpräsident Imran Khan bezeichnete die Freilassung als eine "Geste des Friedens" (Zeit 1.3.2019).
Pakistan hat am 27.2.2019 seinen Luftraum vollständig gesperrt (Flightradar24 27.2.2019) und am 1.3.2019 für Flüge von/nach Karatschi, Islamabad, Peschawar und Quetta (am 2.3. auch Lahore) wieder geöffnet (Flightradar24 27.2./1.3./2.3.2019; vgl. AAN 1.3.2019). Der komplette Luftraum wurde - mit Einschränkungen - am 4.3. freigegeben (Dawn 6.3.2019; vgl. Dawn 4.3.2019b).
Am 2.3.2019 wurde gemeldet, dass bei Feuergefechten im Grenzgebiet von Kaschmir mindestens sieben Menschen getötet und zehn weitere verletzt worden waren. Gemäß indischen Medienberichten seien im indischen Teil der Konfliktregion eine 24 Jahre alte Frau und ihre beiden Kinder durch Artilleriebeschuss ums Leben gekommen sowie acht weitere Personen verletzt worden. Nach Angaben der pakistanischen Sicherheitskräfte wurden im pakistanischen Teil Kaschmirs ein Bub und ein weiterer Zivilist sowie zwei Soldaten getötet und zwei weitere Menschen verletzt. Die Armeen der verfeindeten Nachbarn hatten seit 1.3.2019 immer wieder an verschiedenen Stellen über die de-facto-Grenze zwischen den von Pakistan und Indien kontrollierten Teilen Kaschmirs geschossen (Presse 2.3.2019). Am 3.3.2019 meldeten beide Seiten, dass die Lage entlang der "Line of Control" wieder relativ ruhig sei (Reuters 3.3.2019)
Der pakistanische Informationsminister bestätige am 3.3.2019, dass eine entscheidende Aktion gegen die extremistischen und militanten Organisationen Jaish-e-Mohammad (JeM) sowie Jamaatud Dawa (JuD) mit ihrem Wohltätigkeitsflügel Falah-i-Insaniat Foundation (FIF) unmittelbar bevorstehe. Dieses Vorgehen würde in Übereinkunft mit dem National Action Plan (NAP) stehen. Der Beschluss dazu sei bereits lange vor dem Anschlag auf indische Sicherheitskräfte am 14.2. gefallen und erst jetzt veröffentlicht worden. Die Entscheidung sei nicht auf Druck Indiens getroffen worden (Dawn 4.3.2019a).
Quellen:
* AAN - Austrian Aviation Network (1.3.2019): Pakistan öffnet den Luftraum wieder teilweise, http://www.austrianaviation.net/detail/pakistan-oeffnet-den-luftraum-wieder-teilweise/, Zugriff 4.3.2019
* CNN News 18 (26.2.2019): Surgical Strikes 2.0: '200-300 Terrorist Dead', https://www.news18.com/videos/india/surgical-strikes-2-0-200-300-terrorist-dead-2048827.html, Zugriff 26.2.2019
* Dawn (26.2.2019): Indian aircraft violate LoC, scramble back after PAF's timely response: ISPR, https://www.dawn.com/news/1466038, Zugriff 26.2.2019
* Dawn (4.3.2019a): Govt plans decisive crackdown on militant outfits, https://www.dawn.com/news/1467524/govt-plans-decisive-crackdown-on-militant-outfits, Zugriff 4.3.2019
* Dawn (4.3.2019b): Pakistan airspace fully reopened, says aviation authority, https://www.dawn.com/news/1467600, Zugriff 6.3.2019
* Dawn (6.3.2019): Airlines avoiding Pakistan's eastern airspace, making flights longer, https://www.dawn.com/news/1467798/airlines-avoiding-pakistans-eastern-airspace-making-flights-longer, Zugriff 6.3.2019
* DW - Deutsche Welle (26.2.2019): Indische Jets fliegen Luftangriff in Pakistan, https://www.dw.com/de/indische-jets-fliegen-luftangriff-in-pakistan/a-47688997, Zugriff 26.2.2019
* FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2019a): Indien fliegt Luftangriffe in Pakistan, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-fliegt-angriffe-gegen-mutmassliche-islamisten-in-pakistan-16060732.html, Zugriff 4.3.2019
* FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2019b): Pakistan: Wir behalten uns vor, auf Indiens Angriffe zu reagieren, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indische-luftwaffe-verletzt-den-pakistanischen-luftraum-16061769.html, Zugriff 4.3.2019
* Flightradar24 (27.2.2019; Ergänzungen am 1.3.2019 und 2.3.2019): Tensions between India and Pakistan affect air traffic, https://www.flightradar24.com/blog/tensions-between-india-and-pakistan-affect-air-traffic/, Zugriff 4.3.2019
* NZZ - Neue Züricher Zeitung (26.2.2019): Die Spirale der Eskalation dreht, https://www.nzz.ch/meinung/indien-bombardiert-pakistan-spirale-der-eskalation-dreht-ld.1462893, Zugriff 26.2.2019
* Presse, die (2.3.2019): Kaschmir: Sieben Tote bei Schüssen an Grenze von Indien und Pakistan, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5588780/Kaschmir_Sieben-Tote-bei-Schuessen-an-Grenze-von-Indien-und-Pakistan, Zugriff 4.3.2019
* Reuters (3.3.2019): India-Pakistan border quiet but Kashmir tense amid militancy crackdown, https://www.reuters.com/article/us-india-kashmir-pakistan-idUSKCN1QK093, Zugriff 6.3.2019
* Reuters (4.3.2019): Pakistan adds flights, delays reopening of commercial airspace, https://www.reuters.com/article/us-india-kashmir-pakistan-airports/pakistan-adds-flights-delays-reopening-of-commercial-airspace-idUSKCN1QL0SH, Zugriff 5.3.2019
* Standard, der (27.2.2019): Pakistan schießt indische Kampfjets ab, Premier warnt vor "großem Krieg", https://derstandard.at/2000098654825/Drei-Tote-bei-Absturz-von-indischem-Militaerflugzeug-in-Kaschmir, Zugriff 4.3.2019
* SZ- Süddeutsche Zeitung (26.2.2019): Indien bombardiert pakistanischen Teil Kaschmirs, https://www.sueddeutsche.de/politik/indien-pakistan-luftangriff-1.4345509, Zugriff 26.2.2019
* WP - The Washington Post (26.2.2019): India strikes Pakistan in severe escalation of tensions between nuclear rivals, https://www.washingtonpost.com/world/pakistan-says-indian-fighter-jets-crossed-into-its-territory-and-carried-out-limited-airstrike/2019/02/25/901f3000-3979-11e9-a06c-3ec8ed509d15_story.html?utm_term=.ee5f4df72709, Zugriff 26.2.2019
* Zeit, die (1.3.2019): Pakistan lässt indischen Piloten frei, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/kaschmir-konflikt-pakistan-indischer-pilot, Zugriff 4.3.2019
KI vom 15.11.2018: Proteste nach Freispruch in Blasphemiefall Asia Bibi (betrifft: Abschnitte 2/Politische Lage; 4/Rechtsschutz/Justizwesen; 15/Todesstrafe; 16/Religionsfreiheit, insb. 16.3/Christen und 16.5/Blasphemiegesetze)
Der Oberste Gerichtshof Pakistans hat am 31.10.2018 das Todesurteil gegen Asia Bibi wegen Gotteslästerung aufgehoben und sie von allen Vorwürfen freigesprochen (Standard 3.11.2018, vgl. Guardian 31.10.2018), nachdem Bibis Berufung gegen das Todesurteil des Lahore High Court zuletzt im Oktober 2016 ohne Anhörung vom Obersten Gericht in Islamabad vertagt wurde, da sich einer der Richter weigerte, den Fall zu verhandeln (Dawn 8.10.2018). Die Urteilsverkündung, wodurch Bibi nach neun Jahren Haft im Todestrakt freigelassen werden soll (Guardian 31.10.2018), wurde ab 8.10.2018 drei Wochen lang vorgehalten (Dawn 8.10.2018; vgl. Guardian 31.10.2018), da Befürworter der Blasphemiegesetze drohten, das Land lahmzulegen und die Richter zu töten, falls Bibis Todesurteil nicht aufrecht erhalten werde (Guardian 31.10.2018).
Nach Bekanntwerden des Urteils kam es landesweit zu tagelangen Protesten durch Islamisten (Standard 3.11.2018; vgl. Dawn 3.11.2018a). Paramilitärische Sicherheitskräfte wurden in der Hauptstadt Islamabad eingesetzt, um den Obersten Gerichtshof, die Diplomatenviertel und die Wohnsiedlung der Richter zu schützen (Guardian 31.10.2018; vgl. Dawn 30.10.2018). Nach einer Einigung mit der Regierung erklärte die Islamistenpartei Tehreek-e-Labaik (TLP) die Massenproteste am 3.11.2018 für beendet (Standard 3.11.2018; vgl. ORF 4.11.2018). Die Demonstranten entfernten die Barrikaden in den großen Städten; Karachi, Lahore und Islamabad kehrten zur Normalität zurück. Geschäfte und Schulen waren wieder geöffnet (ORF 4.11.2018).
Nach dem Freispruch gab es Bestrebungen, Bibi so schnell wie möglich außer Landes zu bringen (Guardian 31.10.2018). Ein zwischen TLP und Regierung unterzeichnetes Fünf-Punkte-Papier sieht vor, dass sich die Regierung einem am 1.11.2018 eingebrachten Überprüfungsantrag zum Urteil (Review Petition) durch die TLP nicht entgegenstellt und Bibi die Ausreise aus Pakistan untersagt wird (Standard 3.11.2018; vgl. Zeit 3.11.2018, Express Tribune 1.11.2018, BBC 8.11.2018).
Zum derzeitigen Aufenthaltsort von Asia Bibi gab es keine offiziellen Angaben (Zeit 3.11.2018). Sie wurde am 7. November 2018 aus dem Gefängnis entlassen und befindet sich nun in Pakistan an einem geheimen Ort (BBC 8.11.2018). Pakistanische Medien haben seit dem Freispruch gemutmaßt, sie könne das Land bereits verlassen haben (BBC 8.11.2018; vgl. Tagesanzeiger 4.11.2018). Journalisten, die dies ohne offizielle Bestätigung berichteten, wurden von Informationsminister Fawad Hussein als "äußerst verantwortungslos" bezeichnet (BBC 8.11.2018).
Der Pakistanische Informationsminister Fawad Chaudhry erklärte, von der Regierung würden alle notwendigen Schritte gesetzt, um Bibis Sicherheit zu gewährleisten (BBC 3.11.2018). Bibis Ehemann und ihre Töchter wechseln ständig ihren Aufenthaltsort (ORF 4.11.2018) und bitten in anderen Staaten um Asyl (BBC 8.11.2018, vgl. Tagesanzeiger 4.11.2018). Der Anwalt von Asia Bibi hat aus Sorge um die eigene Sicherheit wie auch dem Wohlergehen seiner Familie das Land verlassen (Standard 3.11.2018; vgl. Zeit 3.11.2018, ORF 4.11.2018, BBC 8.11.2018).
Menschenrechtler kritisierten die Vereinbarung zwischen der Regierung und den Islamisten als Bankrotterklärung des Rechtsstaates (Zeit 3.11.2018), während Fawad Chaudhry erklärte, die Übereinkunft wurde getroffen, um die Proteste ohne Gewaltausübung zu beenden (BBC 3.11.2018).
Nachdem am 8.10.2018 das Urteil gegen Bibi vorgehalten wurde, wurden die Medien angehalten, über diesen Fall nicht zu berichten (Dawn 8.10.2018; vgl. Guardian 31.10.2018, Express Tribune 31.10.2018). Auch wurde eine Berichterstattung über die Proteste nach dem Freispruch von Medien vermieden (Guardian 31.10.2018). In Folge der Proteste, die teilweise von Vandalismus und Brandstiftung begleitet waren, wurden in der Provinz Punjab ca. 1.100 Personen festgenommen (Daily Pakistan 5.11.2018).
Die Spannungen in Pakistan wurden durch die Nachricht von der Ermordung des bedeutenden pakistanischen Religionsführers Sami ul-Haq verschärft, der am 2.11.2018 in seinem Haus in Rawalpindi von Unbekannten niedergestochen wurde. Ul-Haq, der auch als "Vater der Taliban" bekannt war, war ein Verbündeter der regierenden Tehreek-e-Insaf-Partei von Premierminister Imran Khan. Dieser verurteilte die Ermordung und ordnete eine Untersuchung an. Die afghanischen Taliban sprachen in einer Erklärung von "einem großen Verlust für die gesamte islamische Nation". In Ul-Haqs Koranschulen wurden spätere Taliban-Größen wie Mullah Omar und Jalaluddin Haqqani ausgebildet (Standard 3.11.2018; vgl. ORF 4.11.2018).
Quellen:
I. BBC (3.11.2018): Asia Bibi: Deal to end Pakistan protests over blasphemy case, https://www.bbc.com/news/world-asia-46080067, Zugriff 5.11.2018
II. Dawn (3.11.2018): Live blog: Protests on Asia Bibi's acquittal, https://www.dawn.com/live-blog/, Zugriff 5.11.2018
III. Dawn (30.10.2018): Supreme Court acquits Asia Bibi, orders immediate release, https://www.dawn.com/news/1442396, Zugriff 5.11.2018
IV. Dawn (8.10.2018): Supreme Court reserves verdict on Asia Bibi's final appeal against execution, https://www.dawn.com/news/1437605/supreme-court-reserves-verdict-on-asia-bibis-final-appeal-against-execution, Zugriff 5.11.2018
V. Express Tribune, the (1.11.2018): Review petition filed against SC verdict, https://tribune.com.pk/story/1838656/1-review-petition-filed-aasia-bibis-acquittal/, Zugriff 5.11.2018
VI. Express Tribune, the (31.10.2018): Aasia Bibi acquitted by Supreme Court, https://tribune.com.pk/story/1837746/1-security-beefed-sc-prepares-announce-aasia-bibi-verdict/, Zugriff 5.11.2018
VII. Guardian (31.10.2018): Asia Bibi: Pakistan court overturns blasphemy death sentence, https://www.theguardian.com/world/2018/oct/31/asia-bibi-verdict-pakistan-court-overturns-blasphemy-death-sentence, Zugriff 5.11.2018
VIII. ORF (4.11.2018): Pakistan: Zukunft von Christin Asia Bibi weiter unsicher, https://religion.orf.at/stories/2945335/, Zugriff 5.11.2018
IX. Standard, der (3.11.2018): Anwalt von freigesprochener Christin verließ Pakistan, https://derstandard.at/2000090586614/Anwalt-von-freigesprochener-Christin-verliess-Pakistan, Zugriff 5.11.2018
X. Zeit (3.11.2018): : Islamisten erzwingen mögliche Berufung im Fall Bibi, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-11/pakistan-asia-bibi-christin-freispruch-proteste-gotteslaesterung-islam, Zugriff 5.11.2018
XI. Tagesanzeiger (4.11.2018): Ehemann von freigesprochener Christin bittet um Asyl, https://www.tagesanzeiger.ch/news/standard/ehemann-von-freigesprochener-christin-bittet-um-asyl/story/17378032, Zugriff 5.11.2018
XII. DW - Deutsche Welle (3.11.2018): Nach Blasphemie-Freispruch: Asia Bibi immer noch in Haft, https://www.dw.com/de/nach-blasphemie-freispruch-asia-bibi-immer-noch-in-haft/a-46140621, Zugriff 5.11.2018
XIII. Daily Pakistan (5.11.2018): Hundreds arrested for vandalism during protests against Asia Bibi's acquittal, https://en.dailypakistan.com.pk/headline/hundreds-arrested-for-vandalism-during-protests-against-asia-bibis-acquittal/, Zugriff 5.11.2018
XIV. BBC (8.11.2018): Pakistan blasphemy case: Asia Bibi freed from jail, https://www.bbc.com/news/world-asia-46130189, Zugriff 14.11.2018
Kommentar:
Blasphemie wird laut pakistanischem Strafgesetzbuch mit dem Tode bestraft. Bisher wurde noch kein Mensch in Pakistan wegen Blasphemie hingerichtet (Guardian 31.10.2018; vgl. LIB Pakistan, Abschnitt 16.5). Jedoch wurden seit 1990 mindestens 65 Personen, die der Blasphemie bezichtigt wurden, bei Aktionen der Selbstjustiz getötet (Guardian 31.10.2018).
Der Fall gegen Bibi demonstriert, wie in Pakistan Beschuldigungen der Blasphemie verwendet werden, um persönliche Streitigkeiten auszutragen und wie Entscheidungen am Beginn des gerichtlichen Instanzenweges Angeklagte aus Angst um deren Leben nicht freisprechen möchten (Guardian 31.10.2018). Im Jahr 2011 wurden der Gouverneur der Provinz Punjab, Salmaan Taseer, sowie der Minister für Minderheiten, Shahbaz Bhatti, ermordet, nachdem sie öffentlich Asia Bibi verteidigt hatten und sich für eine Reform der Blasphemiegesetze ausgesprochen hatten (Guardian 31.10.2018; vgl. LIB Pakistan, Abschnitt 16.5).
KI vom 31.7.2018: Wahlen am 25.7.2018 (betrifft: Abschnitt 2/Politische Lage)
Am 25. Juli 2018 fanden in Pakistan Wahlen statt. Es war das erste Mal in der Geschichte Pakistans, dass zwei gewählte Regierungen in Folge ihre volle Amtszeit dienen konnten (EUEOM 27.7.2018). Neben der Nationalversammlung wurden auch vier Provinzversammlungen (Punjab, Sindh, Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan) gewählt (NDTV 26.7.2018).
Laut offiziellem Resultat der Wahlkommission erlangte die Partei Tehreek-e-Insaf (PTI) von Imran Khan 115 Sitze im Parlament in Islamabad. Die bisherige Regierungspartei Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N) unter Shehbaz Sharif folgte mit 64 Sitzen, die Partei Pakistan Peoples Party (PPP) von Bilawal Bhutto kam mit 43 auf den dritten Platz (Dawn 30.7.2018). Khan hat noch keinen Koalitionspartner. Um alleine regieren zu können, hätte die PTI 137 Sitze benötigt (NZZ 28.7.2018). Die PML-N und PPP kündigten bereits an, in der Opposition gegen Imran Khan zusammenzuarbeiten (Dawn 30.7.2018). Imran Khan begann zunächst Koalitionsgespräche mit der Partei Muttahidda Qaumi Movement (MQM) (Dawn 28.7.2018).
Die Armee hatte am Wahltag 370.000 Soldaten eingesetzt, die die Wahllokale sichern sollten (NZZ 28.7.2018; vgl. EUEOM 27.7.2018). Zusätzlich waren 450.000 Polizisten im Einsatz. Die Befugnisse des Sicherheitspersonals wurden im Vergleich zur vorigen Wahl erweitert (EUEOM 27.7.2018). Erstmals waren Soldaten nicht nur vor, sondern auch in den Wahllokalen anwesend, auch während der Auszählung der Stimmen. Der Leiter der EU-Wahlbeobachtermission, Michael Gahler, sagte am Donnerstag gegenüber lokalen Medien, dem ersten Eindruck nach hätten sich die Soldaten strikt an ihren Einsatzbefehl gehalten (NZZ 28.7.2018).
Die Wahlbeteiligung lag laut Wahlkommission landesweit bei 51,7 Prozent (ECP o.D.). Etwa 106 Millionen Menschen waren wahlberechtigt. Neun Millionen Frauen hatten sich erstmals als Wählerinnen registrieren lassen. Obwohl es vereinzelt Beschwerden gab, dass Frauen von der Stimmabgabe abgehalten wurden, war die Wahlbeteiligung von Frauen anscheinend höher als früher. Die Wahlkommission hatte angeordnet, dass die Ergebnisse von Distrikten, in denen die Stimmen der Frauen unter 10 Prozent blieben, ungültig seien. Fast alle Parteien umwarben deshalb in diesem Jahr die Pakistanerinnen, wählen zu gehen (NZZ 28.7.2018). In den ehem. Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) stieg die Zahl der Frauen, die als Wählerinnen registriert waren, um 66 Prozent gegenüber der vorhergehenden Wahl (EUEOM 27.7.2018; vgl. NZZ 28.7.2018).
Obwohl Schritte unternommen wurden, die Beteiligung von Minderheiten an den Wahlen zu sichern, blieb die Situation der Ahmadiya-Gemeinschaft unverändert. Ahmadis werden weiterhin in einem separaten Wählerverzeichnis geführt Eine Novelle des Wahlgesetzes 2017 hätte Ahmadis ins generelle Wählerverzeichnis inkludiert, diese Änderung wurde jedoch am 23.11.2017 nach Massenprotesten wieder rückgängig gemacht (EUEOM 27.7.2018).
Die Wahlverlierer prangerten auch Wahlfälschung an und erklärten, sie würden das Ergebnis nicht anerkennen. Sharif erklärte, das Militär habe die Abstimmung zugunsten Khans manipuliert. Auch Bilawal Bhutto sprach, ebenso wie Vertreter islamistischer Parteien, von Wahlfälschung (NZZ 28.7.2018). Die Wahlbeobachtermission der EU schätzte den Wahlvorgang als transparent und gut durchgeführt ein, bemerkte jedoch Schwierigkeiten bei der Auszählung. Die Wahlhelfer hielten die Prozeduren nicht immer ein und hatten Schwierigkeiten, die Formulare für die Resultatsübermittlung korrekt auszufüllen (EUEOM 27.7.2018). Bei der pakistanischen Wahlkommission wurden bis kurz nach Schließung der Wahllokale 654 Beschwerden registriert, die ausschließlich Verstöße gegen die Wahlordnung betreffen würden. Über das Militär habe es keine Beschwerde gegeben (Standard 26.7.2018). Durch technische Probleme im erstmals eingesetzten Result Transmission System (RTS) kam es zu Verzögerungen der Bekanntgabe von Sprengelergebnissen an die Wahlkommission (EUEOM 27.7.2018).
Am Wahltag kam es in Belutschistan zu zwei Anschlägen mit Todesopfern auf Wahllokale (EUEOM 27.7.2018). Bei einem Selbstmordanschlag in Quetta kamen 31 Menschen ums Leben, darunter auch Kinder und Polizisten, 35 Personen wurden verletzt. Der IS reklamierte den Anschlag für sich (Standard 26.7.2018; vgl Dawn 26.7.2018). In Khuzdar wurde bei einem Granatenangriff auf ein Wahllokal ein Polizist getötet (Dawn 26.7.2018; vgl. Standard 25.7.2018). Weiters gab es regional Zusammenstöße zwischen Anhängern unterschiedlicher Parteien (EUEOM 27.7.2018; vgl. Dawn 26.7.2018) vorwiegend in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (Dawn 26.7.2018). Bereits im Vorfeld der Wahl waren bei mehreren Anschlägen auf Parteien und Kandidaten mehr als 180 Menschen getötet worden (Standard 25.7.2018; vgl. Kurzinformation vom 18.7.2018).
Reporter ohne Grenzen berichten von zahlreichen Einschränkungen für Journalisten während des Wahlkampfes. In den vergangenen Monaten seien unabhängige Medien wiederholt zensiert und kritische Journalisten bedroht, tätlich angegriffen und entführt worden (ROG 25.7.2018). Auch die Wahlbeobachtermission der EU sah deutliche Hinweise für Einschränkungen der Redefreiheit durch staatliche und nicht-staatliche Akteure (EUEOM 27.7.2018). Gemäß Reporter ohne Grenzen versuchten insbesondere das Militär und die Geheimdienste eine unabhängige Berichterstattung zu verhindern (ROG 25.7.2018). Weit verbreitete Selbstzensur der Berichterstatter hinderte gemäß EU-Wahlbeobachtermission Wahlberechtigte daran, eine qualifizierte Wahlentscheidung zu treffen (EUEOM 27.7.2018).
Quellen:
* Dawn (26.7.2018): 'Naya Pakistan' imminent: PTI leads in slow count of 11th general elections vote, https://www.dawn.com/news/1421984/voting-underway-across-pakistan-amid-tight-security-with-only-hours-left-till-polling-ends, Zugriff 30.7.2018
* Dawn (28.7.2018): Imran starts preparations for formation of govt at Centre, https://www.dawn.com/news/1423370/imran-starts-preparations-for-formation-of-govt-at-centre, Zugriff 30.7.2018
* Dawn (30.7.2018): PPP, PML-N join hands to give Imran tough time, https://www.dawn.com/news/1423776/ppp-pml-n-join-hands-to-give-imran-tough-time, Zugriff 30.7.2018
* ECP -Election Commission of Pakistan (o.D.a): Assembly Wise Voters Turnout, https://www.ecp.gov.pk/frmstats.aspx, Zugriff 30.7.2018
* EUEOM - European Union Election Observation Mission Islamic Republic of Pakistan (27.7.2018): Preliminary Statement - Positive changes to the legal framework were overshadowed by restrictions on freedom of expression and unequal campaign opportunities, https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/eu_eom_pakistan_2018_-_preliminary_statement_on_25_july_elections.pdf, Zugriff 30.7.2018
* NDTV - New Delhi Television Limited (26.7.2018): Pakistan Election Results Live Updates: "Want To Fix India-Pak Ties," Says Imran Khan, https://www.ndtv.com/world-news/pakistan-election-result-2018-live-updates-imran-khan-on-brink-of-victory-after-millions-vote-in-pak-1889205, Zugriff 30.7.2018
* NZZ - Neue Zürcher Zeitung (28.7.2018): Imran Khan triumphiert in Pakistan, https://www.nzz.ch/international/wahlen-in-pakistan-imran-khan-triumphiert-ld.1406380, Zugriff 30.7.2018
* ROG - Reporter ohne Grenzen (25.7.2018): Pakistan - Einschränkungen während Wahlkampfes, http://www.rog.at/pm/pakistan-einschraenkungen-waehrend-wahlkampfes/, Zugriff 30.7.2018
* Standard, der (25.7.2018): Dutzende Tote in Pakistan bei Anschlag am Wahltag, https://derstandard.at/2000084092243/Dutzende-Tote-bei-Anschlag-am-Tag-der-Parlamentswahl-in-Pakistan, Zugriff 30.7.2018
* Standard, der (26.7.2018): Ex-Cricketstar Imran Khan steuert auf Wahlsieg in Pakistan zu, https://derstandard.at/2000084154112/Pakistans-Regierungspartei-PML-N-spricht-von-Wahlfaelschung, Zugriff 30.7.2018
KI vom 18.7.2018: Anschläge und Proteste im Vorfeld der Wahlen am 25.7.2018 (betrifft: Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Im Vorfeld der Wahlen am 25. Juli 2018 kam es zu zahlreichen Anschlägen mit Todesopfern (Dawn 13.7.2018a).
Am 13. Juli sind bei einem Selbstmordanschlag in Mastung, Provinz Belutschistan, nach offiziellen Angaben 149 Menschen ums Leben gekommen und über 200 Menschen verletzt worden (CNN 16.7.2018). Das Attentat hatte einer Veranstaltung der Baluchistan Awami Partei gegolten (Dawn 13.7.2018a; vgl. ORF 13.7.2018, CNN 16.7.2018). Es ist der schwerste Anschlag in Pakistan seit vielen Jahren - ähnlich viele Tote gab es zuletzt beim Angriff der Taliban auf die Armeeschule in Peschawar im Dezember 2014 mit ca. 150 Toten (Standard 14.7.2018) - und der Terrorangriff mit den zweitmeisten Todesopfern in der Geschichte Pakistans (CNN 16.7.2018). Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich (ORF 13.7.2018; vgl. CNN 16.7.2018, Standard 14.7.2018), ebenso wie die Ghazi-Gruppe der radikalislamischen Taliban (Standard 14.7.2018). In Folge des Anschlages wurden die Wahlen im Wahlkreis PB-35 (Mastung) verschoben (Nation 14.7.2018).
Ebenfalls am 13. Juli wurden in Bannu [Provinz Khyber Pakhtunkhwa, nahe der Grenze zu den ehem. Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA)] bei einem Anschlag auf eine Wahlkampfveranstaltung des Chief Minister der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Akram Khan Durrani, vier Menschen getötet und 32 Menschen verletzt (Express Tribune 13.7.2018; vgl. News 13.7.2018). Durrani wurde bei dem Anschlag nicht verletzt (Express Tribune 13.7.2018; vgl. Dawn 13.7.2018b). Durrani tritt im Wahlkreis NA-35 (Bannu) als Kandidat der Partei Muttahida Majlis-i-Amal (MMA) an (Dawn 13.7.2018b; vgl News 13.7.2018). Ebenfalls in Bannu wurden wenige Tage zuvor am 7.7. bei einem Bombenangriff auf einen Konvoi des Kandidaten der Muttahida Majlis-i-Amal (MMA) für den Wahlkreis PK-89, Sherin Malik, sieben Personen, darunter der Kandidat, verletzt (Dawn 7.7.2018).
Am 10. Juli wurden bei einem Selbstmordanschlag in Peschawar, Hauptstadt der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, 22 Menschen getötet und 63 Personen verletzt (CNN 11.7.2018; vgl. Nation 11.7.2018). Unter den Toten befindet sich Haroom Bilour, Provinzvorsitzender der Awami National Party (ANP) (Dawn 10.7.2018a) und Kandidat für den Wahlkreis Peschawar PK-78 (Nation 11.7.2018; vgl. Dawn 10.7.2018a). Die Pakistanischen Taliban haben sich zu dem Anschlag bekannt (Dawn 10.7.2018a; vgl. CNN 11.7.2018). Die ANP war bereits im Vorfeld der Wahlen 2013 ein Hauptziel der Taliban (Nation 11.7.2018). Gemäß Angaben der Taliban wurde der Angriff auf Bilour aufgrund deren "anti-islamischen Politik" durchgeführt (Dawn 10.7.2018a; vgl. CNN 11.7.2018). Die Behörden gaben an, dass der Bombenanschlag ein gezieltes Attentat auf Haroom Biloor gewesen sei. Als Folge des Angriffes wurden die Wahlen im Wahlkreis PK-78 verschoben (Dawn 10.7.2018a).
Am 13. Juli kehrten der ehemalige Premierminister Nawaz Sharif und seine Tochter Maryam aus Großbritannien nach Pakistan zurück. Sie wurden bei ihrer angekündigten Ankunft am Flughafen Lahore verhaftet, nachdem sie eine Woche zuvor wegen Korruption in Abwesenheit zu zehn bzw. sieben Jahren Haft verurteilt wurden (CNN 13.7.2018; vgl. New York Times 13.7.2018). In Lahore kam es zu Protesten von Anhängern der Partei Pakistani Muslim League-Nawaz (PML-N), die vom ehemaligen Chief Minister der Provinz Punjab und derzeitigem Parteiführer der PML-N Shahbaz Sharif - Bruder des ehemaligen Premierministers - angeführt wurden (CNN 13.7.2018). Im Vorfeld der angekündigten Proteste wurden etwa 500 Mitglieder der PML-N von den Sicherheitskräften verhaftet (CNN 13.7.2018).
Am 9. Juli veröffentlichte die Nationale Behörde für Terrorismusbekämpfung (National Counter Terrorism Authority - NACTA) die Namen von sechs Persönlichkeiten, für die besondere Gefahr durch terroristische Angriffe bestünde: Imran Khan, Vorsitzender der Pakistan Tehreek-i-Insaf; Asfandyar Wali und Ameer Haider Hoti, Vorsitzende der Awami National Party; Aftab Sherpao, Vorsitzender der Qaumi Watan Party; Akram Khan Durrani, Vorsitzender der Jamiat Ulema-i-Islam-Fazl; und Talha Saeed, Sohn von Hafiz Saeed. Weitere Bedrohungen bestünden gegen die Führungsebenen der Pakistan Peoples Party und der Pakistan Muslim League-Nawaz. Das Innenministerium wurde angewiesen, die Sicherheitsvorkehrungen für die Parteiführungen zu erhöhen (Dawn 10.7.2018b). Für den Wahltag am 25.7. werden etwa 372.000 Sicherheitskräfte eingeteilt, um einen sicheren Ablauf der Wahl zu gewährleisten (CNN 11.7.2018; vgl. Nation 14.7.2018).
Quellen:
* CNN (11.7.2018): Pakistani Taliban claims responsibility for deadly election