TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/19 W265 2212240-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.02.2020
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Entscheidungsdatum

19.02.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W265 2212241-1/18E

W265 2212240-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX auch XXXX , StA. Iran und 2.) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2018, 1.) Zl. XXXX und 2.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der Erstbeschwerdeführern gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 und dem Zweitbeschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine iranische Staatsangehörige, reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann (dem Zweitbeschwerdeführer), einem afghanischen Staatsangehörigen, unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten diese am 30.10.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin statt. Dabei gab sie u.a. an, iranische Staatsangehörige zu sein. Befragt dazu, warum sie ihr Land verlassen habe, gab die Erstbeschwerdeführerin an, die Ehe mit dem Zweitbeschwerdeführer sei von ihren Eltern nicht geduldet worden. Er sei abgelehnt worden, weil er nicht Iraner sei. Ihr Vater habe bereits einen anderen Mann für sie in Aussicht gehabt. Im Falle einer Rückkehr in den Iran würde sie von ihrem Bruder getötet werden.

Auch der Zweitbeschwerdeführer wurde am selben Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gab er u.a. an, afghanischer Staatsangehöriger zu sein, der bereits mehrere Jahre im Iran gelebt habe. Befragt dazu, warum er sein Land verlassen habe, gab der Zweitbeschwerdeführer an, der Bruder der Erstbeschwerdeführerin habe ihn mit dem Tod bedroht. Die Familie der Erstbeschwerdeführerin sei mit ihm nicht einverstanden gewesen, da er Afghane sei. Im Falle einer Rückkehr würde er vom Bruder der Erstbeschwerdeführerin umgebracht werden.

3. Am 06.04.2018 erfolgte die Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers und erklärte diese zu ihren Ausreisegründen, ihre Eltern seien gegen ihren jetzigen Ehemann (den Zweitbeschwerdeführer) gewesen, der ein Afghane sei. Sie hätte ihren Cousin mütterlicherseits heiraten sollen. Laut iranischem Gesetz (seit 2006) dürften Afghanen keine Iraner heiraten. Sie habe ihre Schwester um Hilfe gebeten. Ihr Vater und ihr Bruder hätten jedoch davon erfahren, woraufhin sie geschlagen und eingesperrt worden sei. Sie hätten ihr das Handy weggenommen. Ihr Bruder habe auf ihrem Handy die Nummer des Zweitbeschwerdeführers entdeckt und diesen kontaktiert. Ihr Bruder habe sich ausdrücklich gegen die Eheschließung ausgesprochen. Der Zweitbeschwerdeführer habe bei ihrer Familie um ihre Hand anhalten wollen, aber ihre Familie habe dies abgelehnt. Daraufhin sei der Zweitbeschwerdeführer von ihrem Bruder geschlagen worden, woraufhin der Zweitbeschwerdeführer in einen anderen Stadtteil Irans übersiedelt sei. Sie hätten in dieser Zeit heimlich Kontakt gehabt. Sie hätten dennoch heiraten wollen. Der Zweitbeschwerdeführer habe einen Mullah gefunden, der sie vermählte, obwohl ihr Vater gegen die Ehe gewesen sei. Die traditionelle Eheschließung sei am September 2015 erfolgt. Unmittelbar nach der Heirat seien sie ausgereist.

Die Erstbeschwerdeführerin legte neben Integrationsunterlagen auch ihren iranischen Personalausweis vor.

Der Zweitbeschwerdeführer gab im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Ausreisegründen an, er sei mit der Erstbeschwerdeführerin befreundet gewesen und sie hätten heiraten wollen. Ihre Familie sei jedoch dagegen gewesen. Seine Mutter und sein Bruder seien auch gegen die Heirat gewesen. Es sei sehr ungewöhnlich, dass ein Afghane eine Iranerin heirate. Seit 2006 dürften Iranerinnen keine Afghanen mehr heiraten. Sie hätten nicht heiraten dürfen. Er habe gemeinsam mit einem Freund bzw. seinem Arbeitgeber die Familie der Erstbeschwerdeführerin aufgesucht, aber sie hätten ihn sehr schlecht behandelt und aus dem Haus geworfen. Der Bruder der Erstbeschwerdeführerin habe ihm auf dem Heimweg seiner Arbeit aufgelauert und geschlagen. Er habe ihn mit dem Messer an der Brust, am Oberarm und am Oberschenkel verletzte. Der Bruder der Erstbeschwerdeführerin habe vom Kontakt zwischen ihm und der Erstbeschwerdeführerin gewusst. Er habe aufgrund seiner Illegalität im Iran nicht die Polizei aufgesucht. Sein Freund habe ihn in eine Klinik gebracht. Sie hätten dennoch heiraten wollen. Sowohl er als auch die Erstbeschwerdeführerin hätten nochmals versucht, die Zustimmung ihrer Familien zu bekommen, was jedoch erfolglos gewesen sei. Deshalb hätten sie ausreisen müssen.

4. Nach der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde wurden den Beschwerdeführern zwei Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation, "Iran, Ehe zwischen Iranerin und Afghane, Arbeitserlaubnis, Aufenthaltstitel, vom 19. Dezember 2017" und "Afghanistan, Ehen in Afghanistan, Registrierung und Gültigkeit, vom 05. Jänner 2017" übermittelt und die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme eingeräumt.

5. Am 22.10.2018 brachten die Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme ein.

6. Am 08.11.2018 wurden die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer erneut vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu ihren Fluchtgründen befragt.

7. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit oben genanntem Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug der Erstbeschwerdeführerin auf den Herkunftsstaat Iran und in Bezug auf den Zweibeschwerdeführer auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde den Beschwerdeführern kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.-V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

8. Hiergegen brachten die Beschwerdeführer mit einem gemeinsamen Schriftsatz vom 02.01.2019 das Rechtsmittel der Beschwerde ein und wird auf den Inhalt dieser verwiesen.

9. Die belangte Behörde legte die bezugshabenden Fremdakte dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und langten diese am 07.01.2019 ein.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.08.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der die Beschwerdeführer ausführlich zu ihren Fluchtgründen, zu ihren persönlichen Umständen im jeweiligen Herkunftsstaat sowie zu ihrer Integration in Österreich befragt wurde. Der Zweitbeschwerdeführer wurde im Rahmen dieser mündlichen Verhandlung auch zu seinem Nachfluchtgrund befragt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung teil. Die Verhandlungsniederschrift wurde der Erstbehörde übergeben.

11. Zu dem in der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderberichtsmaterial gab die Vertretung der Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme ab.

12. Mit Schreiben vom 08.10.2019 wurden ergänzende Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat übermittelt. Es wurde die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme eingeräumt.

13. Die Vertretung der Beschwerdeführer gab dazu eine weitere schriftliche Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde der genannten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Stellungnahmen, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Erstbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und ist am XXXX auch XXXX im Iran geboren. Die Erstbeschwerdeführerin ist iranische Staatsangehörige. Sie stammt aus einer sehr traditionell eingestellten Familie.

Der Zweitbeschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX in einem Dorf in der Provinz Herat geboren. Der Zweitbeschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe. Er übersiedelte im Kleinkindalter mit seiner Familie im Iran, wo er bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind nach moslemischen Ritus verheiratet. Die Eheschließung durch einen Mullah erfolgte im September 2015 im Iran, unmittelbar vor der Ausreise nach Europa.

Die Erstbeschwerdeführerin lernte den Zweitbeschwerdeführer im Juni 2014 auf dem Schulweg kennen. Sie tauschten Telefonnummern aus und hatten in weiterer Folge regelmäßig Kontakt und trafen sich auch in Parks, wo sie miteinander Zeit verbrachten. Der Zweitbeschwerdeführer teilte der Erstbeschwerdeführerin erst nach einigen Treffen mit, dass er afghanischer Staatsangehöriger ist. Sieben oder acht Monate später beschlossen die Beschwerdeführer zu heiraten. Die Erstbeschwerdeführerin berichtete ihrer Schwester von ihren Heiratsabsichten, die die Familie der Erstbeschwerdeführerin darüber in Kenntnis setzte. Sowohl der Vater als auch der Bruder der Erstbeschwerdeführerin sprachen sich gegen die Heirat der Erstbeschwerdeführerin mit dem Zweitbeschwerdeführer aus, da die Familie der Erstbeschwerdeführerin bereits eine Heirat der Erstbeschwerdeführerin mit einem Cousin mütterlicherseits geplant hatte. Die Erstbeschwerdeführerin wurde von ihrem Bruder geschlagen und er nahm ihr in weiterer Folge das Handy ab, um einen weiteren Kontakt der Erstbeschwerdeführerin mit dem Zweitbeschwerdeführer zu unterbinden.

Der Zweitbeschwerdeführer hielt dennoch bei der Familie der Erstbeschwerdeführerin um deren Hand an. Der Bruder der Erstbeschwerdeführerin warf den Zweitbeschwerdeführer hinaus. Zwei oder drei Tage später verletzte der Bruder der Erstbeschwerdeführerin den Zweitbeschwerdeführer mit einem Messer, als der Zweitbeschwerdeführer auf dem Heimweg von der Arbeit war. Nach diesem Vorfall übersiedelte der Zweitbeschwerdeführer in die Stadt Teheran, wodurch ein persönlicher Kontakt zwischen den Beschwerdeführern nicht mehr möglich war. Sie hielten jedoch telefonischen Kontakt. Die Erstbeschwerdeführerin benützte dafür eine Telefonzelle, da ihr von ihrem Bruder das Handy weggenommen worden war.

Nach nochmaligem Versuch der Beschwerdeführer, von ihren Familien die Zustimmung zur Eheschließung zu erhalten, was von den Familien versagt wurde, nahm die Erstbeschwerdeführerin mit dem Zweitbeschwerdeführer neuerlich über eine Telefonzelle telefonischen Kontakt auf. Sie verabredeten eine Flucht für den nächsten Tag. Am nächsten Tag teilte die Erstbeschwerdeführerin ihrer Familie mit, ihren Onkel mütterlicherseits zu besuchen. Bevor die Erstbeschwerdeführerin das elterliche Haus verließ, nahm sie das Handy ihrer Schwester an sich, womit sie den Zweitbeschwerdeführer kontaktierte. Die Beschwerdeführer vereinbarten einen Treffpunkt in Serah Andisheh, von dort aus fuhren sie nach Shahriyar. Der Zweitbeschwerdeführer kannte in diesem Teil Irans eine Familie, die den beiden die Möglichkeit zur Nächtigung anboten. In der ersten Nacht kam ein Mullah, der die Ehe zwischen der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer schloss. Der Zweitbeschwerdeführer bot dem Mullah Geld für die Eheschließung an, da dieser zunächst die Eheschließung nicht vornehmen wollte. Das Ehepaar, bei dem sie zwei Nächte nächtigen konnten, war bei der Eheschließung anwesend und nahmen die Rolle der Zeugen ein. Der Mullah händigte den Beschwerdeführern kein Dokument hinsichtlich ihrer Eheschließung aus. Einen Tag später flohen sie gemeinsam in Richtung Europa. Seit ihrer Flucht haben die Beschwerdeführer keinen Kontakt zu ihren jeweiligen Familien. Der Erstbeschwerdeführerin droht bei einer Rückkehr in den Iran die Gefahr eines Ehrenmordes durch ihre Familie.

Im Hinblick auf die aktuelle Situation im Iran kann somit nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Iran asylrelevanter Verfolgung unterliegt.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4. Zur maßgeblichen Situation im Iran:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Erstbeschwerdeführerin getroffen:

Politische Lage

Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution" [auch Oberster Rechtsgelehrter, Oberster Führer oder Revolutionsführer], Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt (AA 15.2.2019a, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 12.2018) und kann diesen theoretisch auch absetzen (ÖB Teheran 12.2018). Das Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel "Revolutionsführer" (GIZ 3.2019a).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani, wiedergewählt: Mai 2017). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 3.2019a).

Der Revolutionsführer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inklusive der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 12.2018). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel (AA 12.1.2019).

Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Islamische Beratende Versammlung oder Majles, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 12.2018).

Der Wächterrat (12 Mitglieder, sechs davon vom Obersten Führer ernannte Geistliche, sechs von der Judikative bestimmte Juristen) hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein westliches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 15.2.2019a, FH 4.2.2019, BTI 2018). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 3.2019a).

Der Expertenrat wählt und überwacht den Revolutionsführer auf Basis der Verfassung. Die 86 Mitglieder des Expertenrats werden alle acht Jahre vom Volk direkt gewählt. Für die Zulassung der Kandidaten ist der Wächterrat zuständig (WZ 11.1.2017).

Der Schlichtungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Er hat zum einen die Aufgabe, im Streitfall zwischen verschiedenen Institutionen der Regierung zu vermitteln, zum anderen hat er festzustellen, was die langfristigen "Interessen des Systems" sind. Diese sind unter allen Umständen zu wahren. Der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 3.2019a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 12.1.2019).

Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a). Am 26. Februar 2016 fanden die letzten Wahlen zum Expertenrat und die erste Runde der Parlamentswahlen statt. In den Stichwahlen vom 29. April 2016 wurde über 68 verbliebene Mandate der 290 Sitze des Parlaments abgestimmt. Aus den Wahlen gingen jene Kandidaten gestärkt hervor, die das Wiener Atomabkommen und die Lockerung der Wirtschaftssanktionen nach dem "Implementation Day" am 16. Januar 2016 unterstützen. Zahlreiche Kandidaten waren im Vorfeld durch den Wächterrat von einer Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen worden. Nur 73 Kandidaten schafften die Wiederwahl. Im neuen Parlament sind 17 weibliche Abgeordnete vertreten (AA15.2.2019a).

Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.2.2019). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Die Wahlen an sich liefen im Prinzip frei und fair ab, unabhängige Wahlbeobachter waren aber nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 12.1.2019).

Die Erwartung, dass durch den 2015 erfolgten Abschluss des Atomabkommens (JCPOA) Reformkräfte im Iran gestärkt würden, hat sich in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt. Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen "unislamisches" oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was im ersten Halbjahr 2018 zu einer signifikanten Reduktion der vollstreckten Todesurteile (-60%) führte. Jedoch gab es 2018 mit der Einschränkung des Zugangs zu unabhängigen Anwälten in "politischen" Fällen und der zunehmenden Verfolgung von Umweltaktivisten auch zwei eindeutig negative Entwicklungen (ÖB Teheran 12.2019).

Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 12.1.2019).

Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken.

Latente Spannungen im Land haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten bisweilen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 11.6.2019).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 22. September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. Am 7. Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 11.6.2019, vgl. AA 11.6.2019b). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 11.6.2019b). Im ganzen Land, besonders außerhalb von Teheran, kann es immer wieder zu politisch motivierten Kundgebungen mit einem hohen Aufgebot an Sicherheitskräften kommen (BMEIA 11.6.2019).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen.

Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 20.6.2018b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 11.6.2019).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK im September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 11.6.2019b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. (EDA 11.6.2019). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 12.2018).

Rechtsschutz/Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 12.2018). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den sogenannten Chef der Judikative. Dieser ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer ("Iranian Bar Association"; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt. Die Liste der Verteidiger in politischen Verfahren ist auf 20 Anwälte beschränkt worden, die z. T. dem Regime nahe stehen (AA 12.1.2019). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.2.2019).

Obwohl das Beschwerderecht rechtlich garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen (BTI 2018).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 13.3.2019). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 17.1.2019). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 17.1.2019).

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 29.5.2018).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015, vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegendas Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019).

Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen - auch für Ersttäter - vom Gericht angeordnet werden (AA 12.1.2019). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen ("Qisas"), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes ("Diya") kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten (ÖB Teheran 12.2018).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon sieben Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten, ihre Familien werden nicht oder sehr spät informiert. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 12.1.2019).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 12.1.2019).

Frauen

Generell genießt die Familie in Iran, ebenso wie in den meisten anderen islamischen Gesellschaften, einen hohen Stellenwert. Der Unterschied zwischen Stadt und Land macht sich aber auch hier bemerkbar, in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auf dem Land hat das traditionelle islamische Rollenmodell weitgehende Gültigkeit, der Tschador, der Ganzkörperschleier, dominiert hier das Straßenbild. In den großen Städten hat sich dieses Rollenverständnis verschoben, wenn auch nicht in allen Stadtteilen. Während des Iran-Irak-Krieges war, allen eventuellen ideologischen Bedenken zum Trotz, die Arbeitskraft der Frauen schlicht unabdingbar. Nach dem Krieg waren Frauen aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken oder gar zu entfernen. Die unterschiedliche und sich verändernde Stellung der Frau zeigt sich auch an den Kinderzahlen: Während in vielen ländlichen, gerade den abgelegeneren Gebieten fünf Kinder der Normalfall sind, sind es in Teheran und Isfahan im Durchschnitt unter zwei. Viele junge Frauen begehren heute gegen die nominell sehr strikten Regeln auf, besonders anhand der Kleidungsvorschriften für Frauen wird heute der Kampf zwischen einer eher säkular orientierten Jugend der Städte und dem System in der Öffentlichkeit ausgefochten. Eine Bewegung, die sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut, ist der islamische Feminismus. Dieser will die Rechte der Frau mittels einer islamischen Argumentation durchsetzen. Auch wenn die Stellung der Frau in Iran, entgegen aller Vorurteile gegenüber der Islamischen Republik, in der Praxis sehr viel besser ist als in vielen anderen Ländern der Region, sind Frauen auch hier nicht gleichberechtigt (GIZ 3.2019c). Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Fahrradverbot). Eine Diskussion über den Zugang von Frauen zu Sportveranstaltungen ist im Gange (AA 12.1.2019).

In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen vielfältigen Diskriminierungen unterworfen, die jedoch zum Teil relativ offen diskutiert werden. Von einigen staatlichen Funktionen (u.a. Richteramt, Staatspräsident) sind Frauen gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ausgeschlossen. Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei 19,8% (1,07 Millionen gegenüber 10,3% und 2,25 Millionen in absoluten Zahlen bei den Männern). Unter Frauen mit höherer Bildung liegt sie noch deutlich höher. Auch nach der Population Situation Analysis der Universität Teheran vom Sommer 2016 besteht im Bereich der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt erhöhter Nachholbedarf (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018). Die stagnierende wirtschaftliche Lage Irans hat ein stetiges Wachstum der Arbeitslosenrate in den vergangenen Jahren zur Folge gehabt. Insbesondere hat die hohe Arbeitslosigkeit im Land auch Einfluss auf die wirtschaftliche Situation von alleinstehenden Frauen genommen; u.a. sieht das Gesetz nicht die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern vor. Außerdem haben selbst gut qualifizierte Frauen Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle zu finden (ÖB Teheran 12.2018).

In rechtlicher Hinsicht unterliegen Frauen einer Vielzahl diskriminierender Einschränkungen. Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-)frau als dem (Ehe-)mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA 12.1.2019, vgl. HRW 17.1.2019, ÖB Teheran 12.2018, AI 26.2.2019). Zum Beispiel legt das Gesetz es Frauen nahe, sich für drei Viertel der regulären Arbeitszeit von Männern zu bewerben und Frauen brauchen das Einverständnis ihres Ehemannes, um eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Außerdem werden Stellen oft geschlechtsspezifisch ausgeschrieben, sodass es Frauen verwehrt wird, sich - ungeachtet ihrer Qualifikationen - für bestimmte Positionen zu bewerben. Auch von sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz wird berichtet. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern außerdem den Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen in Gewerkschaften, um Frauenrechte effektiver vertreten und einfordern zu können (ÖB Teheran 12.2018).

Laut Gesetz darf eine jungfräuliche Frau nicht ohne Einverständnis ihres Vaters, Großvaters oder eines Richters heiraten (US DOS 13.3.2019). Väter und Großväter können bei Gericht eine Erlaubnis einholen, wenn sie das Mädchen früher verheiraten wollen. Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen liegt bei 13 Jahren (AA 12.1.2019, vgl. AI 22.2.2018). Auch können iranische Frauen ihre iranische Staatsbürgerschaft nicht an ausländische Ehemänner oder ihre Kinder weitergeben (HRW 18.1.2018, vgl. US DOS 13.3.2019, ACCORD 12.2015).

Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Frauen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Männer mit 15 Jahren), ihre Zeugenaussagen werden hingegen nur zur Hälfte gewichtet und bei bestimmten Straftatbeständen ist die Zeugenaussage von männlichen Zeugen Verurteilungsvoraussetzung. Weitere diskriminierende Vorschriften finden sich im Staatsangehörigkeitsrecht, internationalen Privatrecht, Arbeitsrecht sowie im Sozialversicherungsrecht (AA 12.1.2019).

Bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote müssen Frauen mit Strafen rechnen. So kann etwa eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, mit Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder Geldstrafe bestraft werden. Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich; dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen (AA 12.1.2019). Ende 2017/Anfang 2018 kam es zu größeren Protesten von Frauen gegen den Kopftuchzwang, bei denen einige Frauen öffentlich ihren Schleier abnahmen. Die Proteste wurden von den Sicherheitskräften rasch eingedämmt, von der Judikative wurden schwere Strafen (z. T. mehrjährige Haft) verhängt. Dennoch wurde dadurch eine öffentliche Debatte angestoßen. Das Forschungszentrum des Parlaments veröffentlichte etwa eine Studie, welche die geringe Zustimmung zum Kopftuchzwang thematisierte und sogar dessen Abschaffung in Erwägung zog. Im Oktober 2018 kam es wieder zu vereinzelten Berichten über Frauen, die ihr Kopftuch abgenommen hatten. Letztlich erlebte auch die Diskussion rund um das Stadionverbot für Frauen wieder frischen Wind, nachdem bei WM-Spielen der Fußballnationalmannschaft im Juni 2018 im Azadi-Stadion auch Frauen zugelassen waren. Zudem wurden im Oktober und November 2018 auf Druck der FIFA - und trotz massiven Widerstands von Teilen des Klerus - zum ersten Mal ausgewählte Frauen zu zwei Livespielen eingelassen (ÖB Teheran 12.2018).

Gesetzliche Regelungen räumen geschiedenen Frauen das Recht auf Alimente ein. Angaben über (finanzielle) Unterstützung vom Staat für alleinerziehende Frauen sind nicht auffindbar. Das Gesetz sieht vor, dass geschiedenen Frauen vorzugsweise das Sorgerecht für ihre Kinder bis zu deren siebentem Lebensjahr gegeben werden soll. Danach soll das Sorgerecht dem Vater übertragen werden, außer dieser ist dazu nicht im Stande. Heiraten geschiedene Frauen erneut, verlieren sie das Sorgerecht für Kinder aus einer früheren Ehe (ÖB Teheran 12.2018).

Alleinstehende, nicht geschiedene Frauen haben Schwierigkeiten, selbstständig eine Wohnung zu mieten und alleine zu wohnen, da gesellschaftliche Normen verlangen, dass eine unverheiratete Frau im Schutze ihrer Familie oder eines männlichen Familienmitglieds lebt. Im Gegensatz dazu dürfte es gesellschaftlich akzeptiert sein, dass geschiedene Frauen alleine wohnen (ÖB Teheran 12.2018).

Aufgrund der Schwierigkeit für Frauen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Jedoch erhalten manche Frauen, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm leben (wie zum Beispiel lesbische Frauen od. Prostituierte), keine Unterstützung durch die Familie und können Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat werden (ÖB Teheran 12.2018).

Häusliche Gewalt ist in Iran sehr weit verbreitet und die Gesetze dagegen sind schwach. Ein Drittel der Frauen gibt an, Opfer physischer Gewalt geworden zu sein, über die Hälfte gibt an, mit psychischer Gewalt konfrontiert worden zu sein. Krisenzentren und Frauenhäuser nach europäischem Modell existieren in Iran nicht. Angeblich sollen staatlich geführte Einrichtungen für alleinstehende Frauen, Prostituierte, Drogenabhängige oder Mädchen, die von Zuhause davon gelaufen sind, vorhanden sein. Jedoch sind Informationen über diese Einrichtungen der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Genauere Informationen über mögliche Unterstützungen des Staates für alleinstehende Frauen sind nicht eruierbar (ÖB Teheran 12.2018).

Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können aber nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Fälle von Genitalverstümmelung sind nicht bekannt (AA 12.1.2019). Vergewaltigung ist generell mit der Todesstrafe bedroht, bei Ehepartnern wird Vergewaltigung jedoch nicht als Vergehen gesehen (ÖB Teheran 12.2018). Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen, wie häusliche Gewalt und Früh- und Zwangsverheiratungen, sind weit verbreitet und werden nicht geahndet. Geschlechtsspezifische Gewalt ist weiterhin nicht strafbar (AI 22.2.2018).

Der Wächterrat ließ keine der 137 Frauen, die bei der Präsidentschaftswahl 2017 antreten wollten, für eine Kandidatur zu. Aufgrund des gesetzlichen Zwangs, ein Kopftuch (Hidschab) zu tragen, stehen Frauen im Visier von Polizei und paramilitärischen Kräften. Sie können schikaniert und festgenommen werden, wenn Haarsträhnen unter ihrem Kopftuch hervorschauen, wenn sie stark geschminkt sind oder eng anliegende Kleidung tragen. Frauen, die sich gegen die Kopftuchpflicht einsetzen, können Opfer staatlich unterstützter Verleumdungskampagnen werden (AI 22.2.2018). Nach anderen Berichten will die Polizei Frauen, die sich auf den Straßen "unislamisch" kleiden oder benehmen, nunmehr belehren statt bestrafen. Frauen, die (in der Öffentlichkeit) die islamischen Vorschriften nicht beachten, würden laut Teherans Polizeichef seit einiger Zeit nicht mehr auf die Wache gebracht. Vielmehr würden sie gebeten, an Lehrklassen teilzunehmen, um ihre Sichtweise und ihr Benehmen zu korrigieren. In Iran müssen alle Frauen und Mädchen ab neun Jahren gemäß den islamischen Vorschriften in der Öffentlichkeit ein Kopftuch und einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verbergen. "Sünderinnen" droht die Festnahme durch die Sittenpolizei, in manchen Fällen auch ein Strafverfahren und eine saftige Geldstrafe. Die Gesetze - und Strafmaßnahmen - gibt es schon seit fast 40 Jahren, genauso lange haben sie nicht viel gebracht. Die Kopftücher wurden und werden immer kleiner und die Mäntel immer kürzer und enger. Auch strengere Kontrollen der Sittenpolizei auf den Straßen führten nicht zu dem erhofften Sinneswandel der Frauen. Laut Polizeichef Rahimi gab es 2017 bereits mehr als 120 solcher Aufklärungsklassen, an denen fast 8.000 Frauen teilgenommen haben. Bewirkt haben sie anscheinend aber wenig. Nach der Wiederwahl des moderaten Präsidenten Hassan Rohani und der Ausweitung der gesellschaftlichen Freiheiten werden besonders abends immer mehr Frauen ohne Kopftuch in Autos, Cafés und Restaurants der Hauptstadt gesehen (Standard.at 27.12.2017; vgl. Kurier.at 27.12.2017). Seit Ende Dezember 2017 fordern immer mehr iranische Frauen eine Abschaffung der Kopftuchpflicht. Als Protest nehmen sie in der Öffentlichkeit ihre Kopftücher ab und hängen sie als Fahne auf. Auch gläubige Musliminnen, die das Kopftuch freiwillig tragen, ältere Frauen, Männer und angeblich auch einige Kleriker haben sich den landesweiten Protestaktion angeschlossen (Kleine Zeitung 3.2.2018).

Einige rechtliche Bestimmungen bezüglich Frauen

Aufenthaltsbestimmungsrecht:

Der Ehemann hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sich und seine Frau (Art. 1104 des iranischen Zivilgesetzbuchs, iZGB) (AA 9.12.2015). Sie benötigt die schriftliche Einwilligung ihres Ehemannes, um einen Reisepass zu beantragen (Art. 18 III Passgesetz) (AA 9.12.2015, vgl. FH 4.2.2019). Der Ehemann hat das Recht, jederzeit ohne Angabe von Gründen eine Ausreisesperre gegen seine Ehefrau zu verhängen (AA 9.12.2015). Frauen benötigen einen männlichen Vormund oder eine Begleitperson auf Reisen (US DOS 13.3.2019). In einigen Städten benötigen allein reisende Frauen eine behördliche Erlaubnis, um in öffentlichen Hotels und Gästehäusern übernachten zu können (AA 9.12.2015).

Volljährigkeit:

Mädchen werden mit dem 9. Lebensjahr volljährig, Jungen mit Vollendung des 15. Lebensjahres. Geschäftsfähigkeit erlangen beide in der Regel erst mit 18 Jahren (AA 9.12.2015).

Eherecht:

Die Ehe eines nicht-muslimischen Mannes mit einer Muslimin ist verboten (Art. 1059 ZGB); für die Ehe einer iranischen Frau mit einem Ausländer ist eine behördlichen Sondergenehmigung erforderlich (Art. 1060 ZGB) (AA 9.12.2015). Eine ledige Frau benötigt unabhängig von ihrem Alter zur ersten Eheschließung die Zustimmung des gesetzlichen Vormunds, in der Regel die des Vaters (Art. 1043 ZGB) (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 13.3.2019). Laut Art. 1108 ZGB hat eine Ehefrau, die ihre Ehepflichten (Gehorsam und Ehebeziehungen) nicht erfüllt, keinen Anspruch auf Unterhalt. Der Ehemann hat das Recht zur Vielehe (bis zu vier Frauen) (AA 9.12.2015).

Scheidungsrecht:

Der Ehemann hat das Recht zur Scheidung, ohne dass er den Scheidungsantrag begründen muss. Ebenso kann er nach einer widerrufbaren Scheidung die Ehe innerhalb von drei Monaten wieder aufnehmen. Eine Frau kann bei Geisteskrankheit und Impotenz des Ehemanns (Art. 1122, 1125 ZGB), wegen einer unerträglichen Härte im Falle der Fortführung der Ehe z.B. bei stark unislamischer Lebensführung des Ehemanns oder bei Verletzung der Unterhaltspflicht (Art. 1130 ZGB) die Scheidung beantragen (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 13.3.2019). Zusätzlich zu diesen gesetzlich geregelten Fällen werden in standardisierten, notariell beurkundeten Eheverträgen oft weitere Scheidungsgründe vereinbart (z.B. für die Frau gefährliche Erkrankung, Drogenkonsum, weitere nicht abgestimmte Heirat des Ehemanns). Das Vorliegen der Scheidungsbedingungen nachzuweisen ist für die Frau sehr schwierig. Im Streitfall kann sich ein solcher Rechtsstreit über mehrere Jahre hinziehen. Die Frau hat jedoch in den meisten Fällen die Möglichkeit, dem Mann gegen die Scheidung die Morgengabe zu schenken, wobei es sich häufig um große Summen handelt. Lässt sich der Mann scheiden, muss er diese der Frau auszahlen. Einen besonders hohen Anteil stellen einvernehmliche Scheidungen dar (AA 9.12.2015).

Sorgerecht:

Das Sorgerecht gliedert sich nach den Vorschriften des iZGB in zwei Kategorien: Die Vermögenssorge sowie alle Fragen der Stellvertretung (sog. "Welayat") liegen immer beim

Vormund des Kindes, in der Regel also beim Vater. Über Fragen des körperlichen und geistigen Wohls des Kindes (sog. "Hezanat") entscheiden beide Ehegatten gemeinsam. Bei einer Scheidung erhält die Frau für Kinder bis zum Alter von sieben Jahren die "Hezanat" (Sorgerecht in Bezug auf körperliches und geistiges Wohl des Kindes) (Art. 1169 ZGB). Bei Erreichen der Altersgrenze fällt sie automatisch an den Vater. Nur in Fällen der Beeinträchtigung des physischen oder moralischen Wohls der Kinder kann das Sorgerecht ausnahmsweise durch ein Gericht auch nach Erreichen der Altersgrenze der Mutter zugesprochen werden. Sie verliert das Sorgerecht, wenn sie wieder heiratet (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 13.3.2019).

Staatsangehörigkeit:

Die ausländische Ehefrau eines Iraners erwirbt durch die Eheschließung automatisch die iranische Staatsangehörigkeit und wird dann ausschließlich als Iranerin behandelt. Erwirbt die iranische Ehefrau unmittelbar durch eine Eheschließung die Staatsangehörigkeit ihres ausländischen Ehemannes, verliert sie die iranische Staatsangehörigkeit. Nach dem Tod des Ehemanns oder nach Trennung der Eheleute hat die Frau ein Recht auf Wiedererwerb der iranischen Staatsangehörigkeit. Wird der Ehemann eingebürgert, erwerben Ehefrau und minderjährige Kinder automatisch ebenfalls die iranische Staatsangehörigkeit. Eine mit einem iranischen Staatsangehörigen verheiratete Frau kann nominell weder eine andere Staatsangehörigkeit erwerben noch aus der iranischen Staatsangehörigkeit entlassen werden (AA 9.12.2015). Das Kind eines iranischen Vaters erwirbt seine Staatsangehörigkeit. Das Kind erwirbt in der Regel aber nicht die Staatsangehörigkeit von seiner iranischen Mutter (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 13.3.2019, FH 4.2.2019, AI 29.2.2019), es kann sich jedoch nach Erreichen der Volljährigkeit einbürgern lassen (AA 9.12.2015).

Einwilligungsvorbehalt:

Der Ehemann einer iranischen Frau hat das Recht, der Ehefrau die Ausübung eines Berufs zu versagen, wenn dies den Interessen der Familie widerspricht und seiner Würde zuwiderläuft (AA 9.12.2015).

Sozialversicherung:

Das Sozialversicherungswesen ist darauf ausgelegt, dass der Mann die Familie unterhält. Der Fall, dass eine Frau für das Familieneinkommen sorgt, obwohl auch der Mann dazu in der Lage wäre, ist nicht vorgesehen. Eine Frau erhält in der Regel lediglich dann Leistungen aus der Sozialversicherung, wenn sie die einzige Ernährerin der Familie ist (AA 9.12.2015).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer, zu ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu ihrer Ausreise:

Die Feststellung zum Namen des Beschwerdeführers ergeben sich aus ihren dahingehend übereinstimmenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Auf Grund ihrer übereinstimmenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie dem Bundesverwaltungsgericht konnten die oben genannten Daten als Geburtsdaten der Beschwerdeführer festgestellt werden.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer (Name und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Beschwerdeführer im Asylverfahren.

Die Feststellungen, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer verheiratet sind und die Eheschließung einen Tag vor ihrer Ausreise nach Europa durch einen Mullah stattgefunden hat, beruhen auf den diesbezüglich im Wesentlichen widerspruchsfreien und im gesamten Verfahren gleichbleibenden Aussagen der Beschwerdeführer, an deren Richtigkeit keine Zweifel entstanden sind.

Die Feststellungen zu der Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, der Volksgruppenzugehörigkeit des Zweitbeschwerdeführers gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im Wesentlichen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten deckenden - Aussagen der Beschwerdeführer zu zweifeln.

Die Angaben der Beschwerdeführer zu ihren Geburtsorten, ihren Aufenthaltsorten, ihren Familienangehörigen sowie ihrer Einreise nach Österreich waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen in Afghanistan und im Iran plausibel.

Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführer:

Die Erstbeschwerdeführerin wiederholte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubwürdig und mit den Angaben des Zweitbeschwerdeführers übereinstimmend die im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getätigten Angaben zu ihrem Fluchtgrund und vermochten ein durchaus nachvollziehbares Bild der von ihr erlebten Geschehnisse zeichnen. Sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der Zweitbeschwerdeführer konnten das von ihnen Erlebte durch zahlreiche Details und präzise Angaben schildern, gaben auf gestellte Fragen konkrete und spontane Antworten, wodurch sie in der mündlichen Verhandlung einen glaubwürdigen und authentischen Eindruck hinterließen.

Im Übrigen weist das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin zu ihrer allgemeinen Situation als Frau im Iran keine wesentlichen Widersprüche auf und wirkt gemessen an den Länderinformationen durchaus nachvollziehbar, plausibel und damit auch glaubhaft. Das erkennende Gericht geht daher in einer Gesamtbetrachtung davon aus, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer zu ihrem Fluchtvorbringen glaubhaft ist.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der Erstbeschwerdeführerin:

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die oben wiedergegebenen Länderberichte wurden den Beschwerdeführern - neben darüber hinaus gehenden Länderfeststellungen - in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übergeben bzw. mittels Parteiengehör übermittelt. Den Beschwerdeführern wurde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Die Beschwerdeführer erstatteten zwar im Wege ihrer Vertretung mehrere Stellungnahmen zu den Länderberichten, trat den wiedergegebenen Länderberichten und Erkenntnisquellen jedoch nicht substantiiert entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A.)

3.1. Zur Zuerkennung des Status der Asylberechtigten:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit de

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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