Entscheidungsdatum
02.04.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W141 2228594-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Stephan WAGNER sowie den fachkundigen Laienrichter
Robert ARTHOFER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich vom 02.10.2019, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 29.01.2020, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der Bescheid in Form der Beschwerdevorentscheidung bestätigt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Mit Wirksamkeit ab 01.09.2015 hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) der Beschwerdeführerin einen befristeten Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung von 50 vH eingetragen.
1.1. Am 08.02.2019 hat die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde unter Vorlage eines Befundkonvoluts einen Antrag auf Eintragung des Zusatzvermerkes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass und Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b StVO gestellt.
1.2. Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 04.06.2019, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzvermerkes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorliegen.
1.3. Mit Schreiben vom 23.08.2019 hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin gemäß § 45 Abs. 3 AVG das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht und dieser die Möglichkeit eingeräumt dazu innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Erhalt Stellung zu nehmen.
1.4. Die Beschwerdeführerin hat mit Schreiben vom 12.09.2019 eine schriftliche Stellungnahme abgegeben. In dieser bringt sie im Wesentlichen vor, dass sie sich mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht einverstanden erkläre, da ihrer Ansicht nach die Funktionseinschränkungen zu niedrig angesetzt worden seien.
1.5. Zur Überprüfung der vorgebrachten Einwendungen hat die belangte Behörde eine ärztliche Stellungnahme der Allgemeinmedizinerin mit dem Ergebnis eingeholt, dass keine geänderte Einschätzung vorgenommen werden kann.
1.6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.10.2019 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen.
Dem Bescheid waren das allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten sowie die dazugehörige Stellungnahme beigelegt.
2. Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage weiterer medizinischer Beweismittel wurde darin im Wesentlichen vorgebracht, dass die Einschätzung der gesundheitlichen Situation der Beschwerdeführerin den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht werde. Ihre Einschränkungen würden zu Müdigkeit, Schmerzen und Panikattacken führen. Weiters sei eine Verschlechterung der Knochendichte festgestellt worden. Einen MRT-Befund werde sie noch vorlegen.
2.1. Mit Schreiben vom 29.11.2019 reichte die Beschwerdeführerin den angekündigten MRT-Befund nach.
2.2. Zur Überprüfung der Einwendungen der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde ein weiteres Sachverständigengutachten eines Allgemeinmediziners, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 20.01.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht gegeben sind.
3. Mit Bescheid vom 29.01.2020 hat die belangte Behörde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung, die am 19.11.2019 eingelangte Beschwerde, gegen den Bescheid vom 02.10.2019, abgewiesen.
Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG zitierend wurde begründend ausgeführt, dass die belangte Behörde zur Prüfung der gegen den Bescheid rechtzeitig eingebrachten Beschwerde zwei ärztliche Sachverständigengutachten sowie eine ärztliche Stellungnahme einholte, welche im Ergebnis ergeben haben, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzvermerkes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorliegen.
4. Mit Schreiben vom 11.02.2020 beantragte die Beschwerdeführerin den Verwaltungsakt und die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen.
5. Mit Schreiben vom 14.02.2020 hat die belangte Behörde den Verwaltungsakt und die Beschwerde vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Da sich die Beschwerdeführerin mit der Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht einverstanden erklärt hat, war dies zu überprüfen.
1. Feststellungen:
Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichen, Sachverhalt aus.
1.1. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland. Sie ist Inhaberin eines Behindertenpasses.
1.2. Zur beantragten Zusatzeintragung:
Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
1.2.1. Art der Funktionseinschränkungen:
- Abnützung der Wirbelsäule, Knochenschwund (Osteoporose)
- Somatoforme Störung, chronisches Schmerzsyndrom
- Chronische Reizung des Magens, Appetitstörung, Verdauungsstörung
- Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
- Abnützung des rechten Schultergelenks und des Schlüsselbein/Brustbeingelenkes
1.2.2. Ausmaß der Funktionseinschränkungen:
Allgemeinzustand:
Antragstellerin kommt selbständig gehend mit rechtsseitigem Schonhinken ohne Begleitung in die Ordination, trägt festes Schuhwerk.
Beim Be- und Entkleiden Schonhaltung im Bereich der rechten oberen Extremität mit Ausweichbewegung, letztlich selbständig möglich. Be- und Entkleiden untere Körperhälfte ohne wesentliche Einschränkung, Zehenspitzen werden erreicht mit der linken Hand. Kommunikationsvermögen altersentsprechend, klagsam.
Ernährungszustand: untergewichtig
Größe: 164,00 cm Gewicht: 52,00 kg
Klinischer Status - Fachstatus:
Caput/Collum: Sehvermögen regelrecht/ausreichend korrigiert- Fingerzählen auf 3 m bds möglich
Hörvermögen/Sprachverständnis: regelrecht
Obere Extremitäten:
Schulter rechts: Schultertiefstand etwa 2-3cm im Vergleich zur Gegenseite, Hypertrophie der Trapeziusmuskulatur beidseits, rechts ausgeprägter als links, Druckschmerz am AC- Gelenk sowie am Sternoclaviculargelenk, massiv aufgetriebenes Sternoclaviculargelenk rechts mit diskreter Rötung und Schwellung, Abduktion 70°, Rotation 80-0-10°, schmerzhaft eingeschränkt, passive Beweglichkeit etwa Abduktion bis 80° möglich, Elevation wird defakto nicht erreicht
Schulter links: Abduktion/Elevation 100-120°, Rotation 90-0-20°, diskrete Druckdolenz über dem AC-Gelenk links, ansonsten reizlose Verhältnisse, keine gröberen Impingementzeichen Funktionsgriffe: Kopf/Nackengriff rechts bis Kinnregion, schmerzbedingt eingeschränkt, links frei
Schürzengriff rechts bis Glutealregion, links S1 Faustschluss: bds. komplett- Greiffunktion erhalten allgemeine Kraft: KG: 5/5
Sensibilitätsstörung im Bereich der rechten Hand via streckseitig, genaue Lokalisation kann nicht angegeben werden
Pinzettengriff 1.-5. Strahl beidseits durchführbar
Herz: rein, rhythmisch, kein Strömungsgeräusch, normofrequent Pulmo: VA bds., kreislaufkompensiert
Abdomen: weich, keine Druckdolenz, regelrechte Darmperistaltik Untere Extremitäten:
Hüfte rechts: F 90°, Schmerzgegenwehr bei ISG-Schmerz, Lasegue bei 10° positiv dargeboten, Rotation 10-0-20°, schmerzbedingt eingeschränkt Hüfte links: F 100°, Rotation 30-0-20°
Knie bds: freie Beweglichkeit, bandstabil, kein Erguss
Allgemeine Kraft: KG: 5/5
Wirbelsäule:
HWS: Rotation 10-0-10°, hochgradig eingeschränkt, Seitwärtsneigung 5-0-5°, KJA 3/4 Querfinger (vorsichtige Exploratio), Narbe von ventraler Verplattung rechts cervical BWS: Abflachung oberer BWS-Bereich, ausgeprägter Klopf- und Druckschmerz gesamte BWS paravertebral, Dornfortsätze soweit beurteilbar frei
LWS: Klopf- und Druckschmerz paravertebral sowie über den Dornfortsätzen, Streck¬Schonhaltung
Funktion: FBA Griff bis auf Kniehöhe möglich
Periphere Sensibilität:
Rechte obere Extremität: fraglich eingeschränkte Sensibilität im Bereich der Finger streckseitig und Unterarm streckseitig
Untere Extremitäten: kein fassbares sensomotorisches Defizit
Harn: kontinent Stuhl: kontinent
Gesamtmobilität - Gangbild:
Gangbild: Schonhinken rechts bei ISG-Blockade, diskret eingeschränkte Abrollbewegung,
selbständig ausreichend sicher möglich, ohne Hilfsmittel
Transfer: selbständig
Fersenstand: beidseits durchführbar
Zehenstand: beidseits durchführbar
Einbeinstand; rechts unsicher ohne Abstützen möglich, links frei
Status Psychicus:
Orientierung: zeitlich, örtlich, personell, situativ regelrecht Gedankenductus: kohärent Antrieb: reduziert
Stimmungslage: depressiv, verstärkt negativ affizierbar, eingeschränkte positive Affizierbarkeit-restlich vorhanden, kein Hinweis für produktive Symptomatik oder Suizidalgedanken
1.2.3. Zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionseinschränkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die Beschwerdeführerin kann sich im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen, eine kurze Wegstrecke (ca. 300-400 m) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, gegebenenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe, ohne Unterbrechung zurücklegen bzw. wird durch die Verwendung allenfalls erforderlicher Behelfe die Benützung des öffentlichen Transportmittels nicht in hohem Maße erschwert. Die dauernden Gesundheitsschädigungen wirken sich nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens aus. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht erheblich eingeschränkt.
Die festgestellten Funktionseinschränkungen wirken sich nicht in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel aus.
Laut Sachverständigengutachten liegt eine maßgebliche Einschränkung des rechten Schultergelenkes vor. Allerdings ist das linke Schultergelenk frei beweglich und kann daher zur Unterstützung und zum Anhalten eingesetzt werden. Gesamt betrachtet liegen folglich zwar Einschränkungen der oberen Extremitäten am rechten Schultergelenk vor, diese lassen sich jedoch durch das funktionsfähige linke Schultergelenk kompensieren.
Es liegen weder Einschränkungen der unteren Extremitäten noch der körperlichen Leistungsfähigkeit vor. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit der Beschwerdeführerin sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich festzuhalten sind ausreichend. Das Festhalten beim Ein- und Aussteigen ist einwandfrei möglich, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar.
Bei der Beschwerdeführerin liegen auch keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder der Sinnesfunktionen vor, es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.
2. Beweiswürdigung:
Aufgrund der vorliegenden Beweismittel und des Aktes der belangten Behörde ist das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).
Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (...)".
Zu 1.1.) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Zu 1.2.) Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen gründen sich auf die durch die belangte Behörde eingeholten Sachverständigengutachten, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 04.06.2019 sowie 20.01.2020, die ärztliche Stellungnahme vom 26.09.2019 sowie auf die vorgelegten medizinischen Beweismittel.
Die eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten sind schlüssig, nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wurde zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausführlich Stellung genommen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen der persönlichen Untersuchungen der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befunden, entsprechen unter Berücksichtigung des erstatteten Vorbringens und der vorgelegten Beweismittel den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Die vorgelegten Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen, der befasste Sachverständige hat sich eingehend damit auseinandergesetzt und fasst deren Inhalt nachvollziehbar wie folgt zusammen:
- Vorgutachten 19.03.2013: Gesamtgrad der Behinderung 50 v. 100
- MRT LWS, 27.07.2017: Osteochondrose L3/L4 aktiviert, multisegmentale geringgradige Osteochondrosen, Discusprotrusionen, am ausgeprägtesten in Höhe L2/L3 sowie L3/L4, Intervertebralarthrosen, multisegmental, gering bis mittelgradig eingeengte Neuroforamina
- LWS, Beckenübersicht, 05.12.2017: deformierende Spondylisis, Spondylarthrose, Bandscheibenschädigungen wie beschrieben, Coxarthrose
- MRT HWS, 28.03.2018: Osteochondrosen C3 bis C6 deutlich ausgeprägt, Uncovertbral/Intervertebralarthrosen, knöcherne Foraminaeingung C3/C4 rechts, höhergradig, links mäßiggradig, C4/C5 links höhergradig, rechts mäißiggradig und C5/C6 beidseits höhergradig, keine Einengung des Spinalkanals ohne Nachweis einer absoluten Vertebrostenose, keine Myelopathie, reguläres postoperatives Bild im Segment C6/C7, Blockwirbel, keine Einengung der Neuroforamina oder Spinalkanal in diesem Bereich
- Entlassungsbrief 3. Med. KH XXXX , 24.03.2018: Verdacht auf Sternoclavicularluxation
- NLG-Befund, 17.07.2018: grenzwertige motorische Leitgeschwindigkeit am Nervus medianus, ansonsten unauffällige Parameter
- Psychiatrischer Konsiliarbefund, 18.07.2018: rezidivierend depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig, chronisches Schmerzsyndrom, regelmäßige Kontrollen an der Schmerzambulanz, zusätzlich stützende psychiatrische Gespräche werden terminisiert
- Ambulanzbericht Schmerzambulanz KH XXXX , 03.08.2018: Lumbalgie, Cervicalsyndrom und Cephalea, Rückenschmerzen in den linken Oberschenkel ausstrahlend MRT-Untersuchung altersentsprechend, wiederkehrende Nacken- und Kopfschmerzen, sprechen gut auf Triptane an, Physiotherapie
- Knochenstoffwechseldiagnostik, 17.07.2019: schenkelhalsbetonte Osteoporose unter laufender Therapie mit Prolia 2 mal jährlich, ansteigende Knochendichte im Schenkelhalsbereich sowie stabile Verhältnisse im Bereich der oberen LWS, Vitamin D- Spiegel unter entsprechender Substitution gut aufgesättigt, Beibehalten der bisherigen antiresorptiven Therapie
- Gastroskopie, 02.07.2019: reguläre Gastroskopie, keine weitere Therapiemaßnahme notwendig
- Sachverständigengutachten SMS, 04.06.2019: Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde befunden
- Beiliegende Stellungnahme zur Einwendung: keine wesentliche Änderung MRT Schulter rechts, 18.11.2019: im AC-Gelenk geringe Arthrose, geringe Tendinopathie der Supraspinatussehne, Arthrose des rechten Sternoclaviculargelenkes mit beträchtlichen ossifitären Anbauten und geringem Erguss im Gelenk, Knochenmarksödeme im Bereich des Schlüsselbeins, geringe Partialruptur der Supraspinatussehne und Subscapularissehne MRT Sternoclaviculargelenke beidseits: rechte Seite mittelmäßige Arthrose, Kapselödem, Knochenmarksödem an der Clavicel, Bild einer aktivierten Arthrose
Im Sachverständigengutachten des Allgemeinmediziners vom 20.01.2020 wird überzeugend dargestellt, dass keine Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, welche die Mobilität erheblich und dauerhaft einschränken. Der Allgemeinmediziner begründet seine Beurteilung schlüssig damit, dass festgestellt wurde, dass bei der Beschwerdeführerin weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit bestehen. Der Sachverständige beschreibt, dass es der Beschwerdeführerin bei ausreichender, selbständiger Mobilität ohne die Verwendung eines Hilfsmittels möglich ist, eine Wegstrecke von 300 bis 400 Metern zu bestreiten. Diesbezüglich wird von der Beschwerdeführerin selbst berichtet, außerhalb des Wohnbereiches bis zu 2km gehen zu können und, dass es ihr möglich ist, Barrieren im Ausmaß von Stufensteigen bis zu einem Stockwerk zu überwinden gegebenenfalls unter Verwendung eines Handlaufes. Daher ist der Beschwerdeführerin der Anmarschweg ausreichend sicher selbständig zumutbar.
Weiters nimmt der Gutachtensersteller ausführlich zu den gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten Stellung. Im Vergleich zum Vorgutachten ist das Leiden "Abnützung des rechten Schultergelenks und des Schlüsselbein/Brustbeingelenkes" neu aufgetreten. Es konnte im Bereich der rechten oberen Extremität eine zusätzliche Funktionseinschränkung objektiviert werden, im Bereich der linken oberen Extremität ist jedoch eine ausreichende Restfunktion vorhanden. Der Allgemeinmediziner beschreibt dazu schlüssig und nachvollziehbar, dass aus diesem Leiden keine wesentliche maßgebliche zusätzliche Mobilitätseinschränkung resultiert. Die restlichen Leiden werden im Vergleich zu dem vorherigen Gutachten im Wesentlichen unverändert eingeschätzt.
Der medizinische Sachverständige führt weiters unmissverständlich aus, dass bei maßgeblicher Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenkes und freier Beweglichkeit des linken Schultergelenkes die Möglichkeit, die linke obere Extremität als Unterstützung einzusetzen, ausreichend gegeben ist. Daher ist aus gutachterlicher Sicht das Aufsuchen eines Sitzplatzes in einem fahrenden, öffentlichen Verkehrsmittel ebenso wie das Stehen in einem öffentlichen Verkehrsmittel insofern ausreichend sicher möglich, als die linke obere Extremität unterstützend zum Abstützen und Anhalten eingesetzt werden kann.
Insgesamt betrachtet ist daher die ausreichend sichere selbständige Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
Somit steht aus gutachterlicher Sicht fest, dass die Beschwerdeführerin eine kurze Wegstrecke von etwa 300-400 Metern zu Fuß, ohne Unterbrechung, ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung, ohne große Schmerzen und ohne fremde Hilfe zurücklegen kann.
Die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin wurde somit umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt.
Die eingeholten Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen. Die erstinstanzlichen allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten werden daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.
Das Beschwerdevorbringen war sohin nicht geeignet die gutachterliche Beurteilung, wonach eine ausreichende Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates und genügende körperliche Belastbarkeit gegeben sind, zu entkräften.
Zur Erörterung der Rechtsfrage, ob der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II. 3.1.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Mai 1990 über die Beratung, Betreuung und besondere Hilfe für behinderte Menschen (Bundesbehindertengesetz - BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idgF, hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 42 Abs. 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
Gemäß § 43 Abs. 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen im Falle des Eintretens von Änderungen durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen (§ 43 Abs. 1 BBG).
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
In den Erläuterungen zur oben genannten Verordnung wird auszugsweise Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 (auszugsweise):
Abs. 2 unterscheidet zwei Arten von Eintragungen; solche, die die Art der Behinderung des Passinhabers/der Passinhaberin betreffen und jene, die Feststellungen über Erfordernisse des Menschen mit Behinderung im täglichen Leben treffen, etwa die behinderungsbedingte Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensations-möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128 und die dort angeführte Vorjudikatur sowie VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242 und 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH vom 14.05.2009,
Zl. 2007/11/0080).
Betreffend das Kalkül "kurze Wegstrecke" wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht. (vgl. u.a. Ro 2014/11/0013 vom 27.05.2014)
Die Beschwerdeführerin kann sich im öffentlichen Raum selbstständig fortbewegen, eine kurze Wegstrecke aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, auch unter Verwendung der zweckmäßigsten Behelfe, ohne Unterbrechung zurücklegen bzw. wird durch die Verwendung des erforderlichen Behelfes die Benützung des öffentlichen Transportmittels nicht in hohem Maße erschwert. Die dauernden Gesundheitsschädigungen wirken sich nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens aus. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht erheblich eingeschränkt.
Bei der Beschwerdeführerin liegen zwar Einschränkungen der oberen Extremitäten am rechten Schultergelenk vor, allerdings können diese durch die freie Beweglichkeit des linken Schultergelenks abgefedert werden. Die linke obere Extremität kann daher zum Abstützen und Anhalten eingesetzt werden kann.
Bei der Beschwerdeführerin liegen weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vor bzw. konnten keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder von Sinnesfunktionen festgestellt werden, es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden. Somit sind das Erreichen, ein gesichertes Ein- und Aussteigen und ein gesicherter Transport im öffentlichen Verkehrsmittel möglich.
Unter Verweis auf die zuvor wiedergegebenen Ausführungen in den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen sowie der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, ist der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt ist das Beschwerdevorbringen nicht geeignet darzutun, dass die gutachterliche Beurteilung, wonach eine ausreichende Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates und genügende körperliche Belastbarkeit gegeben sind bzw. sich die dauernden Gesundheitsschädigungen nicht maßgebend negativ auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken, nicht dem tatsächlichen Leidensausmaß der Beschwerdeführerin entspräche.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragungen "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen für den beantragten Zusatzvermerk sind die Art, das Ausmaß und die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Zur Klärung des Sachverhaltes wurden erstinstanzlich von der belangten Behörde zwei allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten sowie eine ärztliche Stellungnahme eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, hat sich das Bundesverwaltungsgericht der Ansicht der belangten Behörde, dass diese als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig zu erachten sind, angeschlossen.
Die Beschwerdeführerin hat von den Sachverständigengutachten vollinhaltlich Kenntnis erlangt. Die erhobenen Einwendungen waren allerdings - wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt - nicht geeignet die sachverständigen Feststellungen und Beurteilungen zu entkräften bzw. relevante Bedenken an den gutachterlichen Feststellungen hervorzurufen. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet die eingeholten Sachverständigengutachten als schlüssig und frei von Widersprüchen. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird ausgeführt, dass damit präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden sollen. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt. Es war sohin keine - von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abweichende - Neuregelung beabsichtigt. Vielmehr wird in den Erläuterungen ausdrücklich festgehalten, dass im Hinblick auf die ab 01.01.2014 eingerichtete zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Einheitlichkeit der Vollziehung der im Behindertenpass möglichen Eintragungen sicherzustellen, die Voraussetzungen, die die Vornahme von Eintragungen im Behindertenpass rechtfertigen, in einer Verordnung geregelt werden sollen. Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W141.2228594.1.00Im RIS seit
06.08.2020Zuletzt aktualisiert am
06.08.2020