Entscheidungsdatum
03.04.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W240 2198556-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.05.2018, Zahl 1101107310-160025207, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde werden hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.
IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 04.01.2016 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 07.01.2016 wurde er vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab dabei insbesondere an, er sei ledig, sei in XXXX in Afghanistan geboren. In Österreich lebe ein rund 30jähriger Cousin und ein rund 33jähriger Cousin lebe in einem EU-Staat. Zu seinem Fluchtgrund gab er an: "Ich habe in Afghanistan niemanden mehr. Meine Eltern wurden von den Taliban getötet. Mein Leben ist in Gefahr, da ich der ältestes der Familie bin." [sic]. Im Falle einer Rückkehr fürchte er den Tod durch die Taliban.
Am 27.04.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat und in Österreich sowie zu seinem Fluchtgrund einvernommen. Befragt nach der Provinz in Afghanistan, aus der er stamme, gab der Beschwerdeführer an, er wisse nur, dass seine Familie aus Kabul stamme, dies habe ihm auch sein Onkel väterlicherseits gesagt. Auf Vorhalt, dass er im Rahmen der Erstbefragung angegeben hatte, aus der Provinz XXXX zu stammen, gab der Beschwerdeführer an, seine Mitreisenden hätten ihm empfohlen anzugeben, dass er aus der Provinz XXXX stamme, daher habe er dies angegeben aus Angst vor einer Abschiebung. Als Wohnort gab der Beschwerdeführer nunmehr an, er habe in einem Bezirk Teherans vor der Ausreise gelebt. Er sei Tadschike und schiitischer Moslem.
2. Mit gegenständlichem Bescheid vom 03.05.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre.
Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts fand am 06.05.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer in Anwesenheit seiner ausgewiesenen Vertretung zu seinen Lebensumständen in Afghanistan und Österreich sowie zu seinem Fluchtvorbringen und der Möglichkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befragt wurde.
Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt nahm an der mündlichen Verhandlung nicht teil.
Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung tätigte der BF insbesondere folgende Angaben:
"(...)
R: Sie haben aber gerade die Frage bejaht, dass Sie im Rahmen vor dem BFA und bei der Erstbefragung korrekte Angaben getätigt haben. Was stimmt nun?
BF: Ich habe nicht gesagt, dass ich in XXXX auf die Welt gekommen bin. Meine Mutter kommt aus XXXX . Ich bin hierhergekommen und habe mitbekommen, dass es besser wäre, dass ich nicht sage, dass ich aus XXXX komme, weil ich kein Paschtu sprechen kann und dort alle Paschtu sprechen.
R: Wo haben Sie in Afghanistan gelebt seit Ihrer Geburt bis zur Ausreise? Geben Sie dies mit Zeitangaben an.
BF: Ich bin in Kabul auf die Welt gekommen. Ein Jahr habe ich dort gelebt und dann bin ich in den Iran gekommen.
R: Wie kam es zur Angabe im Rahmen der Erstbefragung, dass Sie in Afghanistan gelebt hätten, dort 10 Jahre die Schule besucht hätten und zur Änderung dieser Angaben im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA, dort behaupten Sie, nur in Afghanistan geboren zu sein und Ihr ganzes Leben im Iran verbracht zu haben. Was ist korrekt?
BF: Das habe ich damals so gesagt, weil ich Angst hatte vor der Abschiebung. Ich habe gehört, die aus dem Iran hier herkommen, würden abgeschoben werden.
R: Sie bleiben also bei der Aussage, dass Sie lediglich Ihr erstes Lebensjahr in Afghanistan gelebt haben?
BF: Ja.
R: Wo haben Sie wie lange im Iran gelebt?
BF: Ich habe bis zu meiner Ausreise in Teheran gelebt.
R: Mit wem lebten Sie in Afghanistan in welcher Unterkunft?
BF: Ich war mit meiner Familie in Kabul.
R: Mit wem lebten Sie im Iran bis zur Ausreise und in welcher Unterkunft?
BF: Im Iran habe ich zuerst mit meinem Onkel väterlicherseits gewohnt und die letzten paar Jahre alleine.
(...)"
Ergänzend zu dem bereits übermittelten Länderinformationsblatt wurde dem Beschwerdevorbringen entsprechend folgende Dokumente zur Kenntnis gebracht:
* LIB Afghanistan vom 29.06.2018 (letzte Kurzinformation vom 26.03.2019)
* UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018
4. Am 08.05.2019 langte eine Stellungnahme betreffend den Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde zusammengefasst insbesondere ausgeführt, dass die Länderberichte die Befürchtungen des Beschwerdeführers bestätigen würden. Auszugsweise wurden Länderberichte zu Afghanistan wiedergegeben. Es wurde auf die Sicherheitslage in Afghanistan hingewiesen und auf den Umstand, dass es nicht einfach sei, eine Unterkunft und eine Arbeitsstelle zu finden. Ein Überleben in Afghanistan könne nicht sichergestellt werden in Afghanistan, insbesondere sei die Lage von Personen noch mehr gefährdet, die erst nunmehr, ohne sichere Grundlage, in eine derartige Lage gebracht würden, sodass mit einer Rückschiebung Art. 2 bzw. Art. 3 EMRK verletzt werden würde. Der Beschwerdeführer habe in der Zeit, die er in Österreich verbracht habe, bereits große Integrationsbemühungen gezeigt. Er habe die deutsche Sprache erlernt und soziale Kontakte entwickelt. Außerdem sei er ebenso arbeitsfähig wie arbeitswillig.
5. Am 26.11.2019 übermittelte das BVwG im Rahmen eines Parteiengehörs das aktuelle Länderinformationsblatt zu Afghanistan, datiert mit 13.11.2019, und räumte eine Frist für eine Stellungnahme zu den Länderberichten ein sowie gewährte überdies die Möglichkeit, weitere Unterlagen zur aktuellen Situation betreffend den Beschwerdeführer innerhalb der eingeräumten Frist vorzulegen.
6. Innerhalb der eingeräumten Frist langte eine Stellungnahme betreffend den Beschwerdeführer von der ausgewiesenen Vertretung ein. Es wurde darin insbesondere ausgeführt, dass eine Verbesserung der allgemeinen Situation in Afghanistan nicht feststellbar sei. Aus den aktuellen Länderberichten sei die mangelnde Effizienz und Durchschlagkraft der Zentralbehörden ersichtlich, diesen sei nicht möglich, jemanden wie den Beschwerdeführer zu beschützen und sei für jemanden, der entwurzelt sei, keine Reintegration möglich, weshalb eine existenzbedrohende Notlage im Fall einer Abschiebung drohe. Es bestehe in Kabul keine innerstaatliche Fluchtalternative, vor allem nicht für den Beschwerdeführer, der zu Kabul keinen Bezug habe und dort auch keinen Rückhalt vorfinde. Der Beschwerdeführer sei entwurzelt und habe in der Zeit, die er bereits in Österreich verbracht habe, große Anstrengungen zu seiner Integration unternommen, die deutsche Sprache erlernt und soziale Kontakte entwickelt. Er sei arbeitsfähig und arbeitswillig. Es wurde ersucht, dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen bzw. allenfalls subsidiären Schutz zu gewähren oder eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für zulässig zu erklären.
7. Am 23.01.2020 übermittelte das BVwG im Rahmen eines Parteiengehörs die EASO Country Guidance: Afghanistan - Guidance note and common analysis, datiert mit Juni 2018 und Juni 2019, und räumte eine Frist für eine Stellungnahme zu den Länderberichten ein sowie gewährte überdies die Möglichkeit, weitere Unterlagen zur aktuellen Situation betreffend den Beschwerdeführer innerhalb der eingeräumten Frist vorzulegen.
8. Innerhalb der eingeräumten Frist langte eine Stellungnahme betreffend den Beschwerdeführer von der ausgewiesenen Vertretung ein. Es wurde darin insbesondere ausgeführt, dass von einer Verbesserung der allgemeinen Situation in Afghanistan keine Rede sein könne. Durch die übermittelten Länderberichte würden die katastrohpale Sicherheits- und Wirtschaftslage ebenso aufgezeigt, wie die mangelnde Effizienz und Durchschlagkraft der Zentralbehörden, jemanden wie den Beschwerdeführer zu beschützen, insbesondere jemanden, der so entwurzelt sei. Eine Rückkehr nach Kabul sei gegenwärtig nur mehr in Ausnahmefällen zulässig. Verwiesen wurde auf die Integrationsanstrengungen des Beschwerdeführers und wurden zur Untermauerung Integrationsunterlagen übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde des genannten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Stellungnahme, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, zu seinen persönlichen Umständen in Afghanistan und im Iran und zu seiner Ausreise:
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder, er führt den in Spruch angeführten Namen und ist am XXXX in Afghanistan geboren. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und schiitischer Muslim.
Die Mutter des BF stammte aus der Provinz XXXX , der BF ist in Kabul auf die Welt gekommen, wo er sein erstes Lebensjahr verbrachte, bevor er mit einem Onkel in den Iran ging, wo er bis zu seiner Ausreise nach Österreich lebte. Sein Onkel hatte als Hilfsarbeiter auf Baustellen den Lebensunterhalt im Iran bestritten, zu diesem Onkel besteht kein guter Kontakt, weil sich der BF mit diesem zerstritten hat. Sein Vater kam vor über zehn Jahren im Krieg ums Leben, seine Mutter verstarb ebenfalls vor Jahren. Der jüngere Bruder des BF lebt im Iran, eine 21jährige Schwester ist verheiratet und lebt im Iran, ihr Ehemann ist arbeitslos, weshalb die finanzielle Situation der Schwester ebenfalls nicht gut ist. Der BF hat im Iran die Abendschule besucht, er hat keine Berufsausbildung genossen, er hat im Iran auf Baustellen illegal Hilfstätigkeiten (jeweils ohne Fachausbildung) verrichtet. Der BF verneinte Kontakte und Beziehungen zu Personen in Afghanistan. Der Beschwerdeführer war nach seiner Ausreise als Einjähriger nie mehr in Afghanistan und bis zu seiner Ausreise nach Europa durchgehend im Iran aufhältig.
Der Beschwerdeführer verfügt über keine aufrechten familiären und sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan, insbesondere auch nicht in Herat oder Mazar-e Sharif.
Eine Unterstützung des Beschwerdeführers durch Angehörige im Iran ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht zu erwarten.
Der Beschwerdeführer verfügt über keine Vermögenswerte.
Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, er beherrscht laut eigenen Angaben jedoch die Sprache Farsi besser.
Der Beschwerdeführer ist im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Ein Cousin des BF ist in Österreich aufenthaltsberechtigt, diesen trifft der BF selten und erhält von diesem auch keine Unterstützung. Der BF bezieht in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung, geht in Österreich keiner Arbeit nach und er wohnt in einem Heim der Caritas. Er verfügt über einige Freunde in Österreich, mit denen er Sport treibt und seine Freizeit verbringt. Er verfügt über ein Deutsch-Sprachzertifikat im Niveau A2.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht die Gefahr physischer und/oder psychischer Gewalt wegen der behaupteten Probleme seines verstorbenen Vaters.
Dem Beschwerdeführer droht nicht alleine wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken oder zur schiitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig ist jeder Angehöriger der schiitischen Religion in Afghanistan alleine aufgrund dieses Merkmals zwangsläufig physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht alleine auf Grund der Tatsache, dass er den Großteil seines Lebens im Iran bzw. in weiterer Folge in Europa verbracht hat, konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig ist jeder Rückkehrer aus dem Iran bzw. aus Europa alleine aufgrund dieses Merkmals in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019:
Politische Lage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).
In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).
Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).
Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).
Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).
Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).
Politische Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).
Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).
Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).
Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).
Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).
Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019
AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (15.4.2019): Afghanistan: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/afghanistan-node/-/204718, Zugriff 7.6.2019
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AAN - Afghanistan Analysts Network (6.5.2018): Afghanistan's Paradoxical Political Party System: A new AAN report, https://www.afghanistan-analysts.org/publication/aan-papers/outside-inside-afghanistans-paradoxical-political-party-system-2001-16/, Zugriff 11.6.2019
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Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).
So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).
Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).
Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))
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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).
Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).
Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).
Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:
Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))
2016
2017
2018
2019
Jänner
2111
2203
2588
2118
Februar
2225
2062
2377
1809
März
2157
2533
2626
2168
April
2310
2441
2894
2326
Mai
2734
2508
2802
2394
Juni
2345
2245
2164
2386
Juli
2398
2804
2554
2794
August
2829
2850
2234
2443
September
2493
2548
2389
-
Oktober
2607
2725
2682
-
November
2348
2488
2086
-
Dezember
2281
2459
2097
-
insgesamt
28.838
29.866
29.493
18.438
Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))
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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):
Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)
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Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).
Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).
Zivile Opfer
Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).
Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).
Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))
Jahr
Tote
Verletzte
Insgesamt
2009
2.412
3.557
5.969
2010
2.794
4.368