Entscheidungsdatum
20.04.2020Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W170 2179970-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2017, Zl. 1132692002 - 161430887/BMI-BFA_SZB_RD, zu Recht und hat über den Wiedereinsetzungsantrag vom 11.12.2017 beschlossen:
I. A) Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019, stattgegeben und XXXX der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg.cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gemäß § 3 Abs. 4 leg.cit kommt XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre zu.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2020, nicht zulässig.
II. A) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand des XXXX vom 11.12.2017 wird gemäß §§ 28 Abs. 2 und 33 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2020, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (in Folge: Beschwerdeführer) stellte am 17.10.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen des Administrativverfahrens brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er habe Syrien des Krieges wegen verlassen, seine asylberechtigte Schwester lebe in Österreich. Er gab weiters an, dass er 2011 in Syrien eingebürgert worden sei.
Im Rahmen des Administrativverfahrens legte der Beschwerdeführer einen auf ihn lautenden, syrischen Identitätsausweis, die syrischen Personalausweise seiner Eltern sowie das Familienbuch vor.
3. Nach Durchführung des oben dargestellten Ermittlungsverfahrens wurde der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers mit im Spruch bezeichneten Bescheid vom 17.10.2017, erlassen am 25.10.2017, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Unter einem wurde diesem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die im Raum stehende Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr Gefahr laufen würde, zu einem Militärdienst einberufen zu werden und diesen in einem Einsatzbereich leisten zu müssen, in dem er zu Menschenrechtsverletzungen angehalten würde, indiziere die Gewährung subsidiären Schutzes, nicht jedoch Asyl.
4. Mit am 20.11.2017 zur Post gegebenem Schriftsatz wurde gegen Spruchpunkt I. des im Spruch bezeichneten Bescheides Beschwerde erhoben.
Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich durch seine Flucht einer Einberufung in den verpflichtenden Militärdienst entzogen und würde im Fall einer möglichen Rückkehr nach Syrien den Wehrdienst absolvieren müssen. Als 17-Jähriger sei er beinahe wehrpflichtig und würde ihm von Seiten der syrischen Regierung eine oppositionelle politische Gesinnung zumindest unterstellt.
5. Die Beschwerde wurde samt den bezugnehmenden Verwaltungsakten am 18.12.2017 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und der Gerichtsabteilung W150 zugewiesen. Nach einer erfolgten Abnahme wurde die Rechtssache am 18.10.2019 der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. XXXX ist ein zum Antragszeitpunkt minderjähriger, nunmehr volljähriger syrischer Staatsangehöriger, dessen Identität feststeht und der in Österreich unbescholten ist.
1.2. XXXX ist 2016 rechtswidrig aus Syrien ausgereist; er ist nicht im Besitz eines syrischen Reisepasses.
1.3. XXXX könnte nur über den Flughafen von Damaskus oder einen Grenz+übergang zum Libanon sicher und legal nach Syrien zurückkehren; diese sind in der Hand des syrischen Regimes.
1.4. XXXX hat bis dato in Syrien keinen Wehrdienst geleistet.
XXXX ist ein männlicher Syrier, der 20 Jahre alt und hinreichend gesund ist.
Es ist objektiv nachvollziehbar, dass XXXX im Falle seiner Rückkehr nach Syrien befürchtet, vom syrischen Regime dem Wehrdienst der syrischen Armee zugeführt zu werden.
Die Weigerung, den Wehrdienst der syrischen Armee anzutreten, würde zumindest mit einer mit Folter verbundener Gefängnisstrafe bestraft werden.
Der Wehrdienst der syrischen Armee wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Zwang verbunden, sich an Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen.
1.5. XXXX hat keine Asylausschluss- oder -endigungsgründe verwirklicht.
1.6. Da XXXX - wie bereits festgestellt - im Antragszeitpunkt minderjährig war, war sein gesetzlicher Vertreter das Land Salzburg als Kinder- und Jugendhilfeträger, vertreten durch den Bürgermeister der Stadt Salzburg, Jugendamt, das am 10.1.2017 dem Verein Menschen.leben eine allgemeine Vollmacht erteilte. Am 05.04.2017 wurde dem Kinder- und Jugendhilfeträger Land Salzburg, vertreten durch den Bürgermeister der Stadt Salzburg, Jugendamt, die Obsorge für XXXX übertragen. Die zuvor von diesem Träger dem oben genannten Verein übertragene Vollmacht war so formuliert, dass sie auch nach dem Obsorgebeschluss weitergelten sollte.
Mit E-Mail vom 20.02.2017 übermittelte eine Mitarbeiterin des Vereins Menschen.leben der belangten Behörde eine Namensliste von AsylwerberInnen - darunter XXXX - bezüglich deren Verfahren zwei namentlich genannten Personen vom Verein Vertretungs- und Zustellvollmacht erteilt wurden. Im Anhang dieser E-Mail befanden sich die Vollmachten, im gegenständlichen Fall relevant die " XXXX , p.A XXXX , 5020 Salzburg" (sowie auch XXXX unter derselben Adresse) erteilte "Vertretungs- und Zustellvollmacht betreffend die anhängigen Asylverfahren".
1.7. Zum Zeitpunkt der Bescheidausfertigung war demnach XXXX oder XXXX , beiden p.A.: XXXX , 5020 Salzburg, als zustellbevollmächtigten Vertreterinnen des XXXX zuzustellen.
Tatsächlich wurde der Bescheid vom 17.10.2017 am 20.10.2017 dem als Empfänger bezeichneten "Verein Menschen.leben, XXXX , 2500 Baden" zugestellt. Am 25.10.2017 kam der Bescheid im Original den oben genannten genannten Vertreterinnen des XXXX tatsächlich zu. Am 20.11.2017 (an diesem Tag zur Post gegeben) erhob XXXX als Vertreterin des XXXX Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweiswürdigung zu 1.1.:
Die Feststellungen zur Person der beschwerdeführenden Partei gründen sich im Wesentlichen auf den vorgelegten, unbedenklichen Identitätsausweis und den diesbezüglichen Angaben der beschwerdeführenden Partei vor dem Bundesamt, das diese Angaben seiner Entscheidung unwidersprochen unterstellt hat, insbesondere darauf, dass die beschwerdeführende Partei am XXXX geboren wurde und am 17.10.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.
Die Feststellung der Unbescholtenheit gründet sich auf eine eingeholte Strafregisterauskunft.
2.2. Beweiswürdigung zu 1.2.:
Die Feststellungen hinsichtlich der rechtwidrigen Ausreise und hinsichtlich des Fehlens eines syrischen Reisepasses gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei.
2.3. Beweiswürdigung zu 1.3.:
Die Feststellung, dass eine Rückkehr nach Syrien nur über den Flughafen von Damaskus bzw. einen Grenzübergang zum Libanon sicher und legal möglich ist, ergibt sich aus dem notorischen Wissen des Bundesverwaltungsgerichtes bzw. aus dem Umstand, dass die Behörde eine andere Möglichkeit nicht aufgezeigt hat.
2.4. Beweiswürdigung zu 1.4.:
Dass die beschwerdeführende Partei bis dato in Syrien keinen Wehrdienst geleistet hat, ergibt sich aus deren Angaben vor dem Bundesamt sowie ihrer zum Antragszeitpunkt gegebenen Minderjährigkeit; das Bundesamt hat weder die mangelnde Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Ausführungen festgestellt noch ergibt sich aus der Aktenlage ein Grund, an diesen Ausführungen zu zweifeln, vielmehr ist das Bundesamt selbst davon ausgegangen dass die beschwerdeführende Partei im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien Gefahr laufen würde, zu einem Militärdienst einberufen zu werden. Somit sind diese Ausführungen der Entscheidung zu unterstellen.
Hinsichtlich der Beweiswürdigung zu den (der Übersichtlichkeit halber) wiederholten Feststellungen zur Person der beschwerdeführenden Partei wird auf deren Aussagen, die vorgelegten Ausweise und die Beweiswürdigung zu 1.1. verwiesen. Die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei Syrier ist, ergibt sich aus ihren Angaben im Administrativverfahren, eingebürgert worden zu sein, sowie aus den vor dem Bundesamt vorgelegten, syrischen Personalausweisen ihrer Eltern. Auch hat die belangte Behörde die syrische Staatsangehörigkeit der beschwerdeführenden Partei festgestellt und ihrer Entscheidung unterstellt.
Hinsichtlich der objektiven Nachvollziehbarkeit der Furcht der beschwerdeführenden Partei im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien vom syrischen Regime dem Wehrdienst der syrischen Armee zugeführt zu werden, ist einleitend auf die Feststellung zu 1.3. zu verweisen, nach der eine sichere und legale Rückkehr nach Syrien nur über den Flughafen von Damaskus möglich ist, der in der Hand des Regimes ist.
Aus den diesbezüglich unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des Bundesamtes zum Wehrdienst bzw. zum Dienst als Reservist der syrischen Armee geht hervor, dass die syrische Armee einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen hat, das syrische Verteidigungsministerium begonnen hat, zusätzliche Wehrpflichtige - auch bei Kontrollen an Checkpoints - einzuziehen und Reservisten einzuberufen; letzteres insbesondere auf Grund der bestehenden Schwierigkeiten, Rekruten auszuheben. Eine Befreiung vom Wehrdienst selbst bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ist unwahrscheinlich, einen Wehrersatzdienst gibt es in Syrien nicht und wird eine Ablehnung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen nicht anerkannt.
Es ist daher davon auszugehen, dass ein reales Risiko besteht, dass das syrische Regime insbesondere männliche Syrier zwischen 18 und zumindest 40 Jahren, die über den Flughafen von Damaskus nach Syrien zurückkehren, dem Militärdienst zuführen wird, da es dieser Personen bereits habhaft ist und diese darüber hinaus - außerhalb des Familienverbandes und ohne Zugang zu anderer Art sozialer Unterstützung - dem syrischen Regime in der Phase der Einreiseformalitäten besonders ausgeliefert sind.
Dass die Weigerung, den Wehrdienst der syrischen Armee anzutreten, zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden würde, ergibt sich aus den diesbezüglich unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des Bundesamtes ebenso, wie der Umstand, dass der Wehrdienst der syrischen Armee mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Zwang verbunden wäre, sich an Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen (siehe diesbezüglich den Punkt "Wehrdienstverweigerung/Desertion" in den Länderfeststellungen); auch dies hat die belangte Behörde explizit ihrer Entscheidung unterstellt und lediglich rechtlich dahingehend beurteilt, dies indiziere die Gewährung subsidiären Schutzes und nicht Asyls.
2.5. Beweiswürdigung zu 1.5.:
Die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei keine Asylausschluss- oder
-endigungsgründe verwirklicht hat, gründet sich auf den Umstand, dass keine Hinweise auf das Vorliegen solcher Gründe zu erkennen waren.
2.6. Beweiswürdigung zu 1.6.:
Die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei vom das Land Salzburg als Kinder- und Jugendhilfeträger, vertreten durch den Bürgermeister der Stadt Salzburg, Jugendamt, gesetzlich vertreten wurde, ergab sich als Rechtsfolge des § 10 Abs. 3 BFA-VG, nachdem ihr Verfahren zugelassen wurde und sie dorthin zugewiesen wurde (dies ergibt sich aus der Aktenlage, AS 51). Die Feststellung, dass das Land Salzburg als Kinder- und Jugendhilfeträger, vertreten durch den Bürgermeister der Stadt Salzburg, Jugendamt, dem Verein Menschen.leben am 10.01.2017 eine allgemeine Vollmacht erteilte, ergibt sich aus dem Schreiben der Stadt Salzburg, Jugendamt, vom 10.01.2017, bei der belangten Behörde eingelangt am 12.01.2017 (AS 65), die Formulierung (dass die Vollmacht auch nach dem Obsorgebeschluss weitergelten soll) ergibt sich ebenso aus diesem Schreiben. Dass am 05.04.2017 dem Kinder- und Jugendhilfeträger Land Salzburg, vertreten durch den Bürgermeister der Stadt Salzburg, Jugendamt, die Obsorge für die beschwerdeführende Partei übertragen wurde, ergibt sich aus dem Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 05.04.2017, Zl. 4 PS 20/17 i - 10 (AS 125). Dass eine Mitarbeiterin des Vereins Menschen.leben dem Bundesamt eine Namensliste - darunter die beschwerdeführende Partei - und gegenständlich relevante Vollmachten übermittelte, ergibt sich aus dem E-Mail vom 20.02.2017 (AS 452). Die diesem E-Mail angehängten Vollmachten waren nicht in den ursprünglich vorgelegten Verwaltungsunterlagen enthalten, wurden jedoch am 16.04.2020 von der belangten Behörde auf Nachfrage dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Aus diesen Unterlagen ergibt sich auch der Inhalt der Vollmachten, die dem Bundesamt nachweislich am 20.02.2017 zugingen und eine ausdrückliche Vertretungs- und Zustellvollmacht an zwei näher genannte Personen mit einer von der Vereinsadresse abweichenden Adresse beinhalteten.
2.7. Beweiswürdigung zu 1.7.:
Dass XXXX oder XXXX , beiden p.A.: XXXX , 5020 Salzburg, der Bescheid als Vertreterinnen der beschwerdeführenden Partei zuzustellen gewesen wäre, ergibt sich daraus, dass der Verein ihnen die Zustellvollmacht betreffend die beschwerdeführende Partei erteilt hatte und dies der belangten Behörde auch bekannt war (vgl. 2.6). Dass der Bescheid am 20.10.2017 dem Verein an seiner Adresse in Baden zugestellt wurde, ergibt sich aus dem Rückschein (AS 328). Dass der Bescheid im Original XXXX und XXXX am 25.10.2017 tatsächlich zukam - und der Bescheid somit an diesem Datum erlassen wurde - ergibt sich aus der Stellungnahme, die von XXXX in Vertretung der beschwerdeführenden Partei am 11.12.2017 gemeinsam mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgegeben wurde (AS 436). Dem ist die belangte Behörde auch nicht - etwa in der Beschwerdevorlage - entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu I. A)
1. Gemäß § 10 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019 (in Folge: BFA-VG), ist gesetzlicher Vertreter für Verfahren vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht eines mündigen Minderjährigen, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, nach Zulassung des Verfahrens und nach Zuweisung an eine Betreuungsstelle eines Bundeslandes der örtlich zuständige Kinder- und Jugendhilfeträger jenes Bundeslandes, in dem der Minderjährige einer Betreuungsstelle zugewiesen wurde. Dies war im gegenständlichen Fall das Land Salzburg, vertreten durch den Bürgermeister der Stadt Salzburg, Jugendamt.
Gemäß § 9 Abs. 1 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 in der Fassung BGBl. I Nr. 16/2020 (in Folge: ZustG), können die Parteien, soweit in den Verfahrensvorschriften nicht anderes bestimmt ist, andere natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellungsvollmacht). Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat die Behörde, wenn ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt wurde, diesen als Empfänger zu bezeichnen, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Gemäß Abs. 4 leg. cit. gilt die Zustellung, so eine Partei mehrere Zustellungsbevollmächtigte hat, als bewirkt, sobald sie an einen von ihnen vorgenommen worden ist. Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ergibt sich jedoch, dass es sich hiebei um Fälle handelt, in denen von einem Vollmachtsgeber mehreren Vertretern Vollmachten erteilt wurden (vgl. zuletzt VwGH vom 26.02.2014, 2012/13/0051; 31.05.2012, 2011/23/0286; 16.11.2010, 2009/05/0011). Im gegenständlichen Fall wurde etwa sowohl XXXX als auch XXXX eine Zustellvollmacht vom Verein Menschen.leben für die beschwerdeführende Partei erteilt. Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ergibt sich weiters, dass eine Adressierung und Zustellung einer Erledigung an den Vollmachtgeber, obwohl eine aufrechte Zustellvollmacht besteht, die Wirkung hat, dass die Zustellung rechtsunwirksam ist (dieser Zustellmangel jedoch gemäß § 9 Abs. 3 ZustG geheilt werden kann, wenn das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist) (VwGH 23.10.2008, 2007/16/0032).
Im gegenständlichen Fall war demnach der Verein Menschen.leben, dem vom Land Salzburg eine Vollmacht betreffend die beschwerdeführende Partei erteilt wurde, nicht neben seinen Mitarbeiterinnen zustellbevollmächtigt, vielmehr war er Vollmachtgeber (an diese) und war er weder als Empfänger zu nennen, noch ihm zuzustellen. Bloß mit dem tatsächlichen Zukommen des Bescheides im Original an XXXX bzw. XXXX wurde eine Zustellung bewirkt und der Bescheid auch erlassen. Erst mit diesem Datum (lt. Wiedereinsetzungsantrag bzw. der dortigen Stellungnahme vom 11.12.2017 der 25.10.2017) begann die vierwöchige Rechtsmittelfrist und war die Beschwerde, die am 20.11.2017 zur Post gegeben wurde, rechtzeitig.
2. Gemäß § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019 (in Folge: AsylG), ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in Folge: GFK), droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG ist unter Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes zu verstehen. Dies ist im vorliegenden Fall zweifellos Syrien.
2. Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; ebenso droht entsprechende Verfolgung einer Person, die staatenlos ist und sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Es ist auszuführen, dass § 3 Abs. 1 AsylG auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK verweist. Danach ist entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199). Weiters setzt die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung nicht voraus, dass der Asylwerber vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung bereits erlitten haben müsste oder ihm zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre; eine derartige Befürchtung ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnisse im Heimatland des Asylwerbers dergestalt sind, dass die Angst vor der vorgebrachten, drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar ist (siehe VwGH 25.01.1996, 95/19/0008, wenn auch zum Asylgesetz 1991, BGBl. Nr. 8/1992 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 76/1997, jedoch unter Bezugnahme auf den Flüchtlingsbegriff der GFK).
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt ausdrücklich die Auffassung, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zur Mitwirkung an völkerrechtswidrigen Militäraktionen - etwa gegen die Zivilbevölkerung - auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen kann (siehe VwGH 25.3.2003, 2001/01/0009, zitiert nach Feßl/Holzschuster [Asylgesetz 2005, 117 ff]). Dies wird auch ausdrücklich im Art. 9 Abs. 2 lit e der Richtlinie 2011/95/EU als asylrelevante Verfolgung festgehalten. Daher ist eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der genannten Richtlinie fallen, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung.
Festgestellt wurde, dass es im Bürgerkrieg in Syrien zu durch staatliche Stellen zu verantwortende Menschenrechtsverletzungen kommt. Auch wurde festgestellt, dass die beschwerdeführende Partei als Grundwehrdiener der syrischen Armee wehrpflichtig ist und eine objektiv nachvollziehbare Befürchtung besteht, dass diese im Falle ihrer Rückkehr diesen Dienst antreten müsste. Schließlich wurde festgestellt, dass in Syrien auch Grundwehrdiener der syrischen Armee zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt und zur Mitwirkung an völkerrechtswidrigen Handlungen gezwungen werden, widrigenfalls ihnen jedenfalls eine Gefängnisstrafe droht.
3. Da die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül die sichere und legale Erreichbarkeit des ins Auge gefassten Gebietes erfordert (VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063) und eine sichere und legale Rückkehr der beschwerdeführenden Partei nach Syrien nur über den Flughafen von Damaskus möglich wäre, dieser aber in der Hand des Regimes ist und dieses der Verfolger der beschwerdeführenden Partei ist, kommt eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht; ebenso liegen keine Asylausschluss- oder -endigungsgründe vor.
Daher ist der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des im Spruch bezeichneten Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018 (in Folge: VwGVG), stattzugeben und der beschwerdeführenden Partei gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen; gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist weiters auszusprechen, dass der beschwerdeführenden Partei somit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG kommt der beschwerdeführenden Partei damit eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu.
4. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019,- der diesbezüglich § 24 Abs. 4 VwGVG vorgeht (VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017) - kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig und in ordnungsgemäßem Ermittlungsverfahren erhoben wurde, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes immer noch aktuell und vollständig ist und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilt.
Das ist hinsichtlich des entscheidungsrelevanten Sachverhalts hier der Fall, da dieser bereits von der Behörde ermittelt wurde; diese hat lediglich die sich aus dem ermittelten Sachverhalt ergebenden Rechtsfolgen übersehen und waren daher nur Rechtsfragen zu klären.
Zu II. A)
Gemäß § 33 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn diese Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet.
Im gegenständlichen Fall hat die beschwerdeführende Partei keine Frist versäumt - insbesondere da die Beschwerde rechtzeitig war - und somit dadurch auch keinen Rechtsnachteil erlitten, daher war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen.
Zu I. und II. B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2020, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2020 (in Folge: B-VG), zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die für die Lösung des Falles relevante Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter I. A) dargestellt und ist dieser gefolgt; es ist daher keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu erkennen.
Schlagworte
Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Desertion Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung Wehrdienstverweigerung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W170.2179970.1.00Im RIS seit
06.08.2020Zuletzt aktualisiert am
06.08.2020