Entscheidungsdatum
14.05.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
G303 2216719-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, vom 10.11.2017, OB: XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß §§ 1 Abs. 2, 42 Abs. 1 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) idgF sowie § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vorliegen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) brachte am 08.08.2017 über die Zentrale Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Verlängerung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) sowie auf Verlängerung des Behindertenausweises ein. Dieser Antrag gilt entsprechend dem Antragsformular der belangten Behörde auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass. Dem Antrag waren ein sozialpsychiatrischer Bericht des XXXX vom 03.08.2017 sowie eine Kopie des Behindertenpasses und des Parkausweises angeschlossen.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurden ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 26.10.2017, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der BF am 28.09.2017, und ein fachärztliches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Facharzt für Psychiatrie, vom 25.10.2017, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der BF am 19.10.2017, eingeholt.
2.1. In einer medizinischen Gesamtbeurteilung vom 31.10.2017 wurden unter Berücksichtigung der oben angeführten Sachverständigengutachten, von Dr. XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, zusammengefasst folgende Funktionseinschränkungen festgehalten:
- Depressive Störung
- Degenerative Wirbelsäulenveränderungen
- Neurodermitis
- Sehstörungen
- Allergisches Asthma bronchiale
- Allergische Bindehautentzündung und Rhinitis
- Entferntes Nierenzellkarzinom links
Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Zusatzeintragung wurde zusammengefasst ausgeführt, dass sich von psychiatrischer Seite keine eindeutigen Hinweise auf das Vorliegen einer Panikstörung bzw. einer agoraphobischen Erkrankung oder einer posttraumatischen Belastungsstörung zeigen würden. Es bestehe ein ausreichendes Tagesaktivitätsniveau und kein vollständiger sozialer Rückzug. Es würden auch keine Hinweise auf das Vorliegen einer isolierten sozialen Phobie vorliegen. Ein psychiatrisch-stationärer Aufenthalt sei bis dato nicht in Anspruch genommen worden. Weiters bestünden keine wesentlichen Einschränkungen in der Mobilität. Die BF sei in der Lage eine Wegstrecke von 400 m ohne Unterbrechungen und ohne Hilfsmitteln zurückzulegen. Ein Höhenunterschied von 20 cm könne die BF ohne jegliche Probleme meistern. Bei der BF würden keine arteriellen Verschlusskrankheiten, keine Herzinsuffizienz, keine Lungengerüsterkrankungen, kein COPD IV und auch keine anhaltendende Erkrankung des Immunsystems bestehen, welche die körperliche Belastbarkeit erheblich einschränken würden. Die Hüfte und die beiden Kniegelenke würden keine Funktionseinschränkungen zeigen. Die BF sei nicht als dauernd schwer behindert anzusehen. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werde daher für zumutbar erklärt.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 10.11.2017 wurde der Antrag vom 08.08.2017 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen. Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens. Diese wurden dem angefochtenen Bescheid als Beilage angeschlossen und zum Bestandteil der Begründung des Bescheides erklärt. Zudem wurde angemerkt, dass kein neuer Parkausweis ausgestellt werden könne, da laut den aktuellen ärztlichen Sachverständigengutachten die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln nunmehr zumutbar sei.
In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen. Des Weiteren wurden die maßgeblichen Kriterien, welche entsprechend der VwGH-Judikatur für die gegenständliche Zusatzeintragung relevant sind, angeführt.
4. Gegen den oben genannten Bescheid brachte die BF mit Schreiben vom 04.12.2017 fristgerecht Beschwerde ein. Es wurde beantragt, die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung in den bereits bestehenden unbefristeten Behindertenpass, unter Berücksichtigung der neu hinzugekommenen medizinischen Befunde, zu überprüfen.
Begründend wurde zusammengefasst vorgebracht, dass die BF am 04.08.2017 einen Antrag auf Verlängerung ihres Parkausweises mit der Nr. XXXX gestellt habe, da der Parkausweis laut Schreiben vom 03.02.2015 nur auf drei Jahre befristet ausgestellt worden sei.
Die BF legte weitere medizinische Befunde vor und listete in der Beschwerde alle bereits vorgelegten medizinischen Beweismittel auf.
In Bezug auf die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln" wurde zusammengefasst festgehalten, dass die BF auf eine große Anzahl von verschiedenen Substanzen allergisch sei, die unterschiedlichste allergische Reaktionen bei der BF hervorrufen würden, welche hochgradig ihr Immunsystem schwächen würden. Bei der BF sei ein allergisches Asthma bronchiale sowie ein geringfügiges Lungenemphysem diagnostiziert worden. Bei der Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln könnten verschiedene Parfümnoten, Rasierwässer und diverse Tierallergene einen Asthmaanfall und eine damit verbundene Panikattacke auslösen.
Die Ausführungen im Gutachten des Sachverständigen Dr. XXXX vom 19.10.2017, wonach die BF tagsüber unterwegs sei und sich mit Freunden und Bekannten gelegentlich auch in öffentlichen Plätzen wie Kaffehäusern treffe, seien nicht korrekt. Die BF müsse alle Situationen, in denen sie mit Allergenen (Pollen, Duftstoffallergenen und Tieren) in Kontakt komme, sowie enge Räume wie Aufzüge und Menschenansammlungen meiden, da diese Panikattacken verbunden mit Luftnot und Platzangst hervorrufen würden. Die BF leide seit ihrer Kindheit an Asthma bronchiale und habe sich bereits 1989 wegen Depressionen und Panikattacken in stationärer Behandlung im Landessonderkrankenhaus XXXX befunden.
5. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 29.03.2019 vorgelegt.
6. Mit E-Mail vom 01.07.2019 übermittelte die BF einen sozialpsychiatrischen Bericht vom 12.06.2019 sowie einen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 27.06.2019.
7. Mit weiterem E-Mail vom 14.12.2019 brachte die BF Therapiepläne von Dr. XXXX vom XXXX GmbH vom 11.12.2019 sowie vom 24.10.2019 in Vorlage.
8. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des erkennenden Gerichts ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt.
8.1. Im medizinischen Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 29.01.2020, wird basierend auf der persönlichen Untersuchung der BF am 17.12.2019, zur beantragten Zusatzeintragung folgendes festgehalten:
Aufgrund der aktuellen Untersuchung und der Vorbefunde würden sich bei der BF folgende Diagnosen stellen lassen:
- Panikstörung mit Agoraphobie ICD10 F41.0
- Depressive Störung ICD10 F32.9
Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei der BF nicht zumutbar. Im Vergleich zum letzten psychiatrischen Gutachten von Dr. XXXX vom 19.10.2017 sei es vor allem zu einer Verschlechterung der Angsterkrankung im Sinne einer Panikstörung und einer Agoraphobie gekommen. Die BF erhalte eine multimodale medikamentöse Therapie und stehe in einer regelmäßigen psychiatrischen Behandlung. Die BF sei nicht in der Lage trotz konsequenter und adäquater Therapie ihre Ängste zu überwinden, es habe auch während der Wartezeit in der Ordination des Sachverständigen eine Angstattacke beobachtet werden können.
9. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 27.02.2020 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern.
9.1. Die Verfahrensparteien erstatteten dazu keine Stellungnahme beziehungsweise Äußerung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF ist am XXXX geboren und ist im Besitz eines Behindertenpasses.
Die BF leidet an folgenden behinderungsrelevanten Gesundheitsschädigungen:
- Depressive Störung, Panikstörung mit Agoraphobie
- Degenerative Wirbelsäulenveränderungen
- Neurodermitis
- Sehstörungen
- Allergisches Asthma bronchiale
- Allergische Bindehautentzündung und Rhinitis
- Entferntes Nierenzellkarzinom links
Im Vordergrund des Leidenszustandes steht die depressive Störung und Panikstörung mit Agoraphobie.
Auf Grund der Angsterkrankung im Sinne einer Panikstörung und einer Agoraphobie ist es der BF nicht möglich sich in engen Räumen bzw. unter mehreren Menschen aufzuhalten.
Die BF erhält eine multimodale medikamentöse Therapie und steht in einer regelmäßigen psychiatrischen Behandlung seit mindestens einem Jahr. Trotz dieser konsequenten und adäquaten Therapie ist die BF nicht in der Lage ihre Ängste zu überwinden.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang, die Feststellungen zum Geburtsdatum und zum Besitz des Behindertenpasses ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.
Im seitens des erkennenden Gerichts eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 29.01.2020, welches auf einer persönlichen Untersuchung der BF basiert, wurde auf die psychischen Leiden der BF und deren Auswirkungen auf die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ausführlich, schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Die getroffenen Feststellungen diesbezüglich gründen sich darauf.
Insbesondere wurde ausgeführt, dass die BF an einer Angsterkrankung im Sinne einer Panikstörung und einer Agoraphobie leidet und sich diese Erkrankung im Vergleich zur letzten psychiatrischen Begutachtung verschlechtert hat. Zudem wurden die Feststellungen betreffend die durchgeführten Therapien anhand dieses vorliegenden Gutachtens getroffen.
Auch die vorgelegten medizinischen Beweismittel decken sich mit den gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. XXXX, insbesondere ergibt sich daraus, dass die BF nicht in der Lage ist, sich in engen Räumen bzw. unter mehreren Menschen aufzuhalten.
Zudem konnte die BF anhand zahlreicher Befunde nachweisen, dass sie seit mindestens einem Jahr in psychiatrischer Behandlung steht.
Der Inhalt dieses ärztlichen Sachverständigengutachtens wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichts im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. Die Parteien erstatteten keinerlei Stellungnahme dazu. Es blieb somit im gegenständlichen Verfahren unbestritten und wird der Entscheidung des erkennenden Gerichtes in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.
Die weiters vorliegenden Gesundheitsschädigungen der BF ergeben sich aus den im Verfahrensgang unter Pkt. I.2. angeführten Sachverständigengutachten, welche seitens der belangten Behörde eingeholt wurden, und diesbezüglich unbestritten blieben.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung [idgF]) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990 idgF) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen.
Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die ärztliche Begutachtung von Dr. XXXX basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung der BF. Der Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens wurde zudem von den Verfahrensparteien im Rahmen ihres schriftlichen Parteiengehörs nicht beeinsprucht.
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren der BF geklärt erscheint und auch unstrittig ist, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen, da auch von den Verfahrensparteien keine mündliche Verhandlung beantragt wurde.
Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.
3.2. Zu Spruchteil A):
Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der am 01. Jänner 2014 in Kraft getretenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
§ 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
Unter erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen sind entsprechend der Erläuterungen zur oben angeführten Verordnung die Krankheitsbilder der Klaustrophobie, der Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr zu verstehen; sowie hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten; schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen sowie nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden, welches eine Begleitperson erforderlich macht.
Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).
Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078).
Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:
Wie oben unter Punkt II.2 ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte, als nachvollziehbar und widerspruchsfrei gewertete Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 29.01.2020 zugrunde gelegt.
Die bei der BF festgestellte Angsterkrankung im Sinne einer Panikstörung und einer Agoraphobie ist als erhebliche Einschränkung der psychischen Funktionen im Sinne des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen zu qualifizieren. Durch die Inanspruchnahme einer konsequenten und adäquaten Therapie wurde das therapeutische Angebot ausreichend ausgeschöpft, insbesondere konnte die BF nachweisen, dass sie seit Jahren aufgrund dieser Erkrankung in Behandlung steht. Der BF ist daher die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar.
Da die BF zudem Inhaberin eines Behindertenpasses ist, liegen die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass jedenfalls vor.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.
Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2216719.1.00Im RIS seit
06.08.2020Zuletzt aktualisiert am
06.08.2020