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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Keine Gesetzwidrigkeit von Fahrverbotsverordnungen und einer Halte- und ParkverbotsV in Wien wegen Unterlassung der Anhörung von gesetzlichen Interessenvertretungen; keine eine Anhörung der Rechtsanwalts- bzw Ingenieurkammer erfordernde spezifische Interessenbetroffenheit von Rechtsanwälten und Architekten mit Berufssitz innerhalb des Geltungsbereiches der VerordnungenSpruch
Die Z1 der Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 27. November 1991, Z A10/1-2177/12-1991, mit der für bestimmte, in sich geschlossene Gebiete eine Kurzparkzone in der Grazer Innenstadt errichtet wurde, kundgemacht durch Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen am 27.11.1991, aufgehoben durch Verordnung vom 16. September 1992, Z A10/1-1781/19-1992, war nicht gesetzwidrig.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 27. November 1991, Z A10/1-2177/12-1991, kundgemacht am 27. November 1991 durch Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen, wurden für bestimmte Gebiete der Grazer Innenstadt flächendeckende Kurzparkzonen verordnet (im folgenden: Kurzparkzonenverordnung). Diese ist durch Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 16. September 1992, Z A10/1-1781/19-1992, ausdrücklich aufgehoben worden.
2. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine zu B643/95 protokollierte Beschwerde anhängig, mit der ein Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark bekämpft wird, mit dem der Beschwerdeführer wegen Übertretung des §2 Steiermärkisches Parkgebührengesetz 1979, LGBl. 21/1979 idgF iVm. §§2 und 4 der Grazer Parkgebührenverordnung 1979 bestraft wurde, weil er seinen PKW in dem durch die Z1 der Kurzparkzonenverordnung umschriebenen Gebiet ohne gültigen Parkschein abgestellt hat.
Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 25. September 1995 gemäß Art139 Abs1 B-VG beschlossen, die Gesetzmäßigkeit der Z1 der Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 27. November 1991, Z A10/1-2177/12-1991, von Amts wegen zu prüfen:
Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Prüfungsbeschluß vorläufig davon aus, daß die Notare, die innerhalb des Geltungsbereiches der Kurzparkzone ihren Sitz haben, durch die Verordnung in ihren Interessen berührt wurden. Er nahm vorläufig an, daß es der für die Erlassung der straßenpolizeilichen Verordnung zuständigen Behörde verwehrt ist, nur deswegen die Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretung einer Berufsgruppe zu unterlassen, weil sie hinsichtlich ihrer Interessenlage einer anderen Berufsgruppe ähnlich ist.
Da die verordnungserlassende Behörde die Notariatskammer vor Erlassung der Kurzparkzonenverordnung nicht angehört hat, bezweifelte der Verfassungsgerichtshof, daß die Verordnung in einer der Bestimmung des §94 f StVO 1960 entsprechenden Verfahren erlassen wurde.
3. Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz verteidigt in seiner Äußerung die Gesetzmäßigkeit der Kurzparkzonenverordnung.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung über die bei ihm zu B643/95 anhängigen - zulässigen - Beschwerde die Z1 der Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 27. November 1991 betreffend eine Kurzparkzone in der Grazer Innenstadt anzuwenden. Der Beschwerdeführer wurde nämlich mit dem angefochtenen Bescheid wegen Übertretung des §2 Steiermärkisches Parkgebührengesetz 1979 in Verbindung mit den §§2 und 4 der Grazer Parkgebührenverordnung 1979 bestraft, weil er seinen PKW in der durch die Z1 der Kurzparkzonenverordnung umschriebenen Gebiet ohne gültigen Parkschein abgestellt hat.
2. Gemäß §94 f Abs1 StVO 1960 hat die zuständige Behörde (außer bei Gefahr im Verzuge) vor Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung, "wenn Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe berührt werden, die gesetzliche Interessenvertretung dieser Berufsgruppe" anzuhören.
a. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu ganz allgemein in seinem Erkenntnis vom 3. März 1995, V24/93, ausgeführt, daß nur Umstände, welche die Interessen von Mitgliedern einer Berufsgruppe "in spezifischer Weise" durch eine straßenpolizeiliche Verordnung berührt erscheinen lassen, die Anhörungspflicht gemäß §94 f Abs1 StVO 1960 begründen. Insoweit Mitglieder einer Berufsgruppe hingegen "ebenso wie alle anderen Verkehrsteilnehmer" durch eine straßenpolizeiliche Verordnung betroffen sind, wird nicht bewirkt, daß die Mitglieder der Berufsgruppe "im Sinne des §94 f Abs1 lita Z3 StVO 1960 spezifisch 'berührt werden' ".
Der Verfassungsgerichtshof begründete seine Auffassung wie folgt:
"Wollte man das Gesetz anders auslegen, wäre schlechthin jedwede verkehrsbeschränkende Verordnung gemäß §43 StVO 1960 erst nach vorhergehender Anhörung aller gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen zu erlassen, weil jede Verkehrsbeschränkung auch beliebige Angehörige gesetzlicher beruflicher Vertretungen (wie etwa auch Ärzte und Rechtsanwälte) betreffen kann, wenn diese als Kraftfahrer die verordneten Verkehrsbeschränkungen zu beachten haben. Hätte der Gesetzgeber eine derart weitreichende Beteiligung gesetzlicher Interessenvertretungen am Verfahren zur Erlassung verkehrsbeschränkender Verordnungen gewünscht, so hätte er dies durch Verzicht auf die Einschränkung zum Ausdruck gebracht, daß Voraussetzung des Anhörungsrechtes gesetzlicher Interessenvertretungen ist, daß Interessen von Mitgliedern der betreffenden Berufsgruppe 'berührt werden'."
Im Sinne des zitierten Erkenntnisses kann sohin
"lediglich eine spezifische Interessenbetroffenheit ... jene
Anhörungspflicht gemäß §94 f Abs1 StVO 1960 begründen, deren
Verletzung die ohne Anhörung erlassene, verkehrsbeschränkende
Verordnung ... gesetzwidrig macht".
Eine derartige "spezifische Interessenbetroffenheit" hat der Verfassungsgerichtshof (zur seinerzeitigen, beinahe gleichlautenden Vorschrift des §43 Abs8 StVO 1960) angenommen, "wenn durch die Verkehrsbeschränkung die Ausübung des betreffenden Gewerbes (hier Steinbruchgewerbe) erschwert oder gar unterbunden wird" (VfSlg. 5784/1968). In VfSlg. 11920/1988 führte der Verfassungsgerichtshof weiter aus, daß die Erlassung eines Nachtfahrverbotes auf bestimmten Straßen der Innenstadt
"angesichts der Erfordernisse der Führung von - üblicherweise auch nachts geöffneten - Gastgewerbebetrieben und angesichts dessen, daß auch die Besucherfrequenz von Gastgewerbebetrieben in nicht unwesentlichem Umfang von der Zufahrtsmöglichkeit zu dem Gastgewerbebetrieb abhängt, Mitglieder dieses Berufsstandes im Sinne einer Erschwerung der Berufsausübung spezifisch 'berühren' mußte".
b. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 29. Februar 1996, V176/95 ua., unter Berufung auf seine Vorjudikatur festgestellt, daß eine spezifische Interessenbetroffenheit der Berufsgruppe der Rechtsanwälte bei Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung nur dann vorliegt,
"wenn eine straßenpolizeiliche Verordnung für einen Ort (, - wie etwa für Verkehrsflächen vor einem Gerichtsgebäude - ,) erlassen wird, der von "Rechtsanwälte(n) im allgemeinen - und nicht etwa nur (von dem) ... einen oder anderen Angehörigen dieses Berufsstandes -" (so ausdrücklich VfSlg. 9818/1983) aus beruflichen Gründen besonders häufig aufgesucht wird. Der Berufssitz eines oder auch mehrerer Rechtsanwälte ist hingegen kein Ort, an dem die Erlassung einer straßenpolizeilichen Verordnung eine spezifische Betroffenheit der Rechtsanwälte als Berufsstand begründet. Rechtsanwälte sind (ebenso wie Architekten ...) insofern von straßenpolizeilichen Verordnungen im Einzugsbereich ihres jeweiligen Berufssitzes nicht anders betroffen als die gesamte Bevölkerung, insbesondere Wohnbevölkerung, im Bereich des von der Verordnung erfaßten Gebietes."
Das gleiche ist für die Interessenbetroffenheit der Berufsgruppe der Notare bei der Erlassung straßenpolizeilicher Verordnungen anzunehmen. Der Umstand, daß einzelne Notare ihren Berufssitz im Bereich der eingangs angeführten straßenpolizeilichen Verordnung haben, begründet sohin keine spezifische Interessenbetroffenheit der Mitglieder dieser Berufsgruppe, welche kraft §94 f Abs1 StVO 1960 die Behörde verpflichtet hätte, vor Erlassung jener Verordnung die Notariatskammer anzuhören.
3. Da die im Beschluß vom 25. September 1995 zu B643/95 vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Bedenken nicht zutreffen, war auszusprechen, daß die Z1 der näher bezeichneten Verordnung des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz betreffend eine Kurzparkzone nicht gesetzwidrig war.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG vom Verfassungsgerichtshof ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Straßenpolizei, Fahrverbot, Halte(Park-)verbot, Verordnungserlassung, Anhörungsrecht (bei Verordnungserlassung), KurzparkzoneEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:V165.1995Dokumentnummer
JFT_10039694_95V00165_00