TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/27 I414 2181212-1

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Veröffentlicht am 27.05.2020
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Entscheidungsdatum

27.05.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

I414 2181212-1/20.E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter und den Richter Dr. Harald NEUSCHMID sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Elisabeth RIEDER als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol vom 11.12.2017, Zl. OB: XXXX, betreffend den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorliegen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Herr XXXX (in der Folge als Beschwerdeführer bezeichnet), beantragte am 27.9.2017 die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass. Dem Antrag legte er einige ärztliche Bestätigungen, einen Therapieplan sowie einen Überweisungsschein wobei.

Vom Sozialministeriumservice (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) wurde Dr. L., ein Facharzt für Chirurgie, mit der Erstellung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragt. Nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers am 17.11.2017 hielt der Sachverständige in seinem Gutachten vom 23.11.2017 fest wie folgt:

"[...] Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

1

Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates, generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades Dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen bei Polymyalgia rheumatica, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität, Notwendigkeit einer über sechs Monate andauernden Therapie

2

Magen und Darm, Chronisch rezidivierende Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre Rez. Gastritiden

Gesamtgrad der Behinderung 50 v.H.

[...]"

Zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führte der Sachverständige aus:

"Die Wegstrecken sind nur während rheumatische Schübe eingeschränkt, dass Zurücklegen von kurzen Wegstrecken sowie der sichere Transport gewährleistet."

Mit Bescheid vom 11.12.2017 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass ab. Begründet wurde ausgeführt, dass das ärztliche Begutachtungsverfahren ergeben habe, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung nicht vorliegen würden.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht machte geltend, dass das Ein- und Aussteigen durch das Gedränge für ihn wegen seiner gesamten Erkrankungen schmerzhaft, gesundheitsschädigend und gefahrvoll sei. Es bestehe ein hohes Sturzrisiko, besonders beim Ein- und Aussteigen bei hoher Auslastung von Personen im Bus, ebenso beim Anfahren und Anhalten. Es bestehe deshalb eine hohe Gefahr einer Verletzung und einer Fraktur der Lendenwirbelsäule. Der Beschwerde wurde ein weiterer Untersuchungsbericht vom 19.12.2017 beigelegt.

Vom erkennenden Gericht wurde Dr. L. neuerlich mit der Erstellung eines ergänzenden Gutachtens beauftragt. Am 10.4.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein entsprechendes Ergänzungsgutachten ein und führte der Sachverständige darin aus wie folgt:

"[...] Der Beschwerdeführer ist am 17.11.2017 zur Untersuchung bei mir erschienen. Dabei hat er selbst angegeben, dass die Wegstrecke außerhalb seiner rheumatische Schübe nicht eingeschränkt sei, er kann somit kurze Wegstrecke aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ohne Unterbrechung zurücklegen. Auch wurden keine erforderlichen Behelfe zur Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel angegeben. Beim Beschwerdeführer bestehen erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit, die jedoch wiederum nur während der rheumatischen Schübe laut seinen Angaben auftreten. Daher kann von einer dauerhaften Mobilitätseinschränkung nicht ausgegangen werden. Erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten wie Beinverkürzung, Narbenzüge etc. liegen nicht vor, bei der körperlichen Untersuchung (17.11.2017) waren Zehen- und Hakengang möglich. Auch bestehen keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen. Eine entsprechende Besserung der Situation kann nach einem Krankheitsverlauf von zehn Jahren nicht erwartet werden. Bezüglich des Arztbriefes vom 19.12.2017 (Dr. J., Arzt für Allgemeinmedizin) werden Werte der Knochendichtemessung vom 18.12.2017 angegeben. Dabei wird zur Knochendichtemessung lediglich der T-Score angegeben. Nach diesem T-Score besteht eine höhergradige Osteoporose bzw. Osteopenie. Der T-Score bezieht sich jedoch auf den mittleren Normwert eines Knochengesunden-Kollektivs von 30-jährigen, somit wären große Bevölkerungsanteile mit steigendem Alter als frakturgefährdet anzusehen. Zur genaueren individuellen Beurteilung wird daher der Z-Wert verwendet, der das Ausmaß der Osteoporose von mittleren Normwert Gleichaltriger angibt. Dieser ist im vorliegenden Arztbrief nicht angeführt, sodass eine Frakturgefährdung vom Beschwerdeführer aus diesem Arztbrief nicht eindeutig hervorgeht. Eine erhöhte Sturz- bzw. Frakturgefahr per se kann beim Beschwerdeführer bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht nachvollzogen werden. [...]"

Der Beschwerdeführer reichte einen aktuellen Untersuchungsbericht seiner Hausärztin nach und blieb weiterhin die Frage nach den vorgebrachten Schüben unbeantwortet. Daher wurde der Facharzt für Chirurgie, Dr. L. mit der Erstellung eines abschließenden Gutachtens nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers beauftragt.

Dr. L. hielt in seinem Gutachten vom 09.09.2019 zusammengefasst fest, dass die Schübe nunmehr alle zwei bis drei Monate auftreten. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke ist nicht möglich, es besteht eine erhebliche Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten und ist das sichere Ein- und Aussteigen sowie Befördern nicht möglich.

Den Verfahrensparteien wurde das Ergebnis der Beweisaufnahme im Rahmen eines Parteiengehörs mit Schreiben vom 20.11.2019 zur Kenntnis gebracht. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme wurde nicht mehr Gebrauch gemacht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist am XXXX geboren und hat seinen Wohnsitz in Österreich. Der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt 50 %. Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines Behindertenpasses.

Der Beschwerdeführer leidet unter folgenden Funktionseinschränkungen:

1. Generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades (mit einem Grad der Behinderung von 50%)

2. chronisch rezidivierende Magen- unter Zwölffingerdarmgeschwüre (mit einem Grad der Behinderung von 10 %)

Dem Beschwerdeführer sind das Ein- und Aussteigen in/aus das/dem Transportmittel sowie das sichere Transport im Verkehrsmittel nicht möglich. Das Überwinden von Niveauunterschieden ist ihm ohne Hilfe nicht möglich. Weiters kann er auch keine kurze Wegstrecke (300-400 m) ohne Unterbrechung zurücklegen. Beim Beschwerdeführer bestehenden erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit.

Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist dem Beschwerdeführer nicht zumutbar.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu Wohnort und Alter des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und dem Auszug aus dem zentralen Melderegister und sind unstrittig.

Der Gesamtgrad der Behinderung von 50 % ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. L. vom 23.11.2017. Die Angaben zum Behindertenpass lassen sich aus dem Akt der belangten Behörde entnehmen.

Feststellungen zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ergeben sich aus den eingeholten Sachverständigengutachten, nämlich von Dr. L. vom 23.11.2017 nach persönlicher Untersuchung, aus dem vom erkennenden Gericht ergänzend eingeholten Gutachten vom 10.04.2018 und dem abschließenden Gutachten von Dr. L. vom 09.09.2019. Der Sachverständige stellte ausführlich, schlüssig und nachvollziehbar begründend fest, dass sich die körperlichen Funktionseinschränkungen im Laufe des Verfahrens verschlechtert haben und sich negativ auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausgewirkt haben.

Insbesondere wurde vom medizinischen Sachverständigen dargelegt, dass eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit besteht und die Funktionsstörungen nicht nur während der Schübe, die im Übrigen nunmehr in kürzeren Intervallen auftreten, bestehen.

Der Sachverständige hat den Beschwerdeführer mehrmals persönlich untersucht und konnte er somit die dargestellte Verschlechterung des Gesundheitszustandes nachvollziehen und zum abschließenden Ergebnis kommen. Der Sachverständige begründete seine Ergebnisse ausführlich und sind diese in Zusammenschau mit den vorherigen Gutachten logisch nachvollziehbar.

Dass der Beschwerdeführer ohne fremde Hilfe nicht ein- und aussteigen und Niveauunterschiede überwinden kann, ergibt sich schlüssig aus den festgestellten Schwellungen der Fingergrundgelenke, die auch außerhalb der Schübe vorliegen. Dadurch ist auch ein sicherer Transport im Verkehrsmittel nicht gewährleistet. Dr. L. kam aufgrund des Gangbildes, wonach Zehen- und Hakengang nicht mehr möglich sind, zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer eine kurze Wegstrecke von 300-400m nicht mehr ohne Unterbrechung oder fremde Hilfe zurücklegen kann. Auch diese Beurteilung ist unabhängig von den Krankheitsschüben.

Die Gutachten von Dr. L. stehen mit den allgemeinen Gesetzen der Logik in Einklang, sind schlüssig und vollständig und wurde ihnen nicht mehr (auf derselben fachlichen Ebene) entgegengetreten. Aus diesen Gründen legt der erkennende Senat diese Gutachten, insbesondere das abschließende vom September 2019 unter freier Beweiswürdigung seiner Entscheidung zugrunde.

Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:

Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße - und zu begründende - Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH). Gemäß Abs. 3 leg.cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde sowie aus den eingeholten Gutachten, die jeweils nach persönlicher Untersuchung erstattet wurden. Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zum abschließend eingeholten Sachverständigengutachten wurde nicht Gebrauch gemacht. Der Sachverhalt gilt für den erkennenden Senat somit als erwiesen und unbestritten. Dies lässt - gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt wurde - die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

§§ 6 und 7 Abs. 1 BVwGG lauten wie folgt:

"Einzelrichter

§ 6. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Senate

§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen."

§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:

"(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen."

Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.

Die §§ 1, 17, 28 Abs. 1 und 2 und 58 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG) lauten wie folgt:

"§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

§ 58. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 2014 in Kraft.

(2) Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt."

Zu A)

3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten wie folgt:

"ABSCHNITT VI

BEHINDERTENPASS

§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(2) Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu."

§ 1 Abs 4 Z 3 und Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 2016/263, lautet wie folgt:

"Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen."

3.2.1. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).

Nach den Ausführungen des Gutachters Dr. L. wirken sich die dauernden Gesundheitsschädigungen maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens, des Überwinden von Niveauunterschieden sowie auf das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke aus. Der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht dauernd gegeben. Insbesondere wird Augenmerk daraufgelegt, dass eine generelle Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vorliegt, auch wenn die ursächliche Erkrankung schubweise auftritt.

Das Ermittlungsverfahren hat des Weiteren ergeben, dass beim Beschwerdeführer eine erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vorliegt und ist schon aus diesem Grund die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gemäß § 1 Abs 4 Z 3 und Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen in den Behindertenpass einzutragen.

Insgesamt war daher festzustellen, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, der Beschwerde deshalb stattzugeben ist und die Zusatzeintragung in den Behindertenpass einzutragen ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Notwendigkeit zur Einholung ergänzender Sachverständigengutachten und zu den Voraussetzungen für die Zusatzeintragung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I414.2181212.1.00

Im RIS seit

06.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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