Entscheidungsdatum
28.05.2020Norm
BEinstG §14Spruch
W173 2229485-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR als Vorsitzende und die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF sowie dem fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über den Vorlageantrag in Verbindung mit der Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Lange Gasse 53, 1080 Wien, gegen die Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 24.2.2020, betreffend Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten beschlossen:
A)
Die Beschwerdevorentscheidung vom 24.2.2020 und der Bescheid vom 3.1.2020 werden behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Mit am 29.8.2019 bei der belangten Behörde eingelangtem Antrag begehrte XXXX , geb. am XXXX , die Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gemäß BEinstG. Dem Antrag angeschlossen war ein Konvolut von medizinischen Unterlagen. Diese umfassten auch die Arztbriefe von Dr. XXXX , FÄ für Neurologie und Psychiatrie, vom 5.4.2017, vom 31.1.2017 und vom 30.11.2016 mit der Diagnose Depressio und Anpassungsstörung bzw. Insomnia. Die belangte Behörde holte ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, ein.
2. Im Gutachten des genannten Sachverständigen vom 8.11.2019, das auf einer persönlichen Untersuchung des BF beruhte, wurde Nachfolgendes auszugsweise ausgeführt:
".............................
Anamnese: Degenerative Abnützungen, Diabetes mellitus II, Depressio, Augenerkrankung.
Derzeitige Beschwerden:
Es besteht deutliche Sprachbarriere.
?Ich bin zuckerkrank und schwindlig. Ich habe auch Schulterschmerzen beidseits, Stress und Panik, Augenbeschwerden und Wirbelsäulenbeschwerden'.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Metformin, Sertralin, Atorvastatin, Gliclazid, Pantoprazol, ein Medikament von Liste unleserlich geschrieben.
Sozialanamnese: Fleischhauer.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
16.8.2019 Dein Auge: Visus cc rechts und links 0,8, Presbyopie, Astigmatismus, SiccaSyndrom.
17.8.2019, 16.1.2019, 11.12.2018 Radiologikum Penzing: deg. WS-Veränderungen (teilweise unleserlich), deg. Abnützungen Hände, Teilamputation der distalen Phalanx II links, Fersensporn bds., Tendopathie rechte Achillessehne.
30.11.2016 Dr. XXXX : Depressio, Anpassungsstörung.
31.7.2019 Dr. XXXX : deg. Abnützungen.
28.8.2019 Dr. XXXX : DM IIb.
Befundnachreichung:
22.10.2019 XXXX: Omalgie bds., deg. WS-Veränderungen, Omarthrose bds.
23.10.2019 Dr. XXXX : somatoforme Depressio, DM.
16.8.2019 Dr. XXXX : Visus cc re und li 1,0.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: Normal.
Ernährungszustand: Sehr gut.
Größe: 175,00 cm, Gewicht: 85,00 kg, Blutdruck: 135/75
Klinischer Status - Fachstatus:
KOPF, HALS:
Keine Stauungszeichen, keine Atemnot, keine Lippencyanose, Pupillen unauffällig, Lidschluss komplett, kein Nystagmus. Sprache normal, kein Stridor.
THORAX / LUNGE / HERZ:
Sonorer Klopfschall, Vesiculäratmen, normale Atemfrequenz. Reine, rhythmische Herztöne, normofrequent.
ABDOMEN:
Weich, kein Druckschmerz, Peristaltik auskultierbar.
WIRBELSÄULE:
Endlagige Funktionseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule. Erreicht im Sitzen und Stehen mit beiden Händen den Boden, um eine Befundmappe zu ergreifen.
EXTREMITÄTEN:
Kreuz / Nacken / Pinzetten / Spitzgriff beidseits regelrecht und vollständig durchführbar, zögerlicher, vollständiger Faustschluss beidseits, keine Muskelatrophien. Greiffunktion beidseits erhalten. Endlagige Einschränkung in linkem Schultergelenk.
Hüftgelenke frei beweglich, Kniegelenke beim selbstständigen Schuhe ausziehen beidseits
0-0-120°, Sprunggelenke frei beweglich. Stehen und Gehen im Untersuchungszimmer ohne
Hilfsmittel möglich. Zehen / Fersengang beidseits wegen Schmerzangabe nicht durchgeführt. Keine Ödeme, Fußpulse tastbar. Teilamputation dist. Phalanx linker Zeigefinger.
GROB NEUROLOGISCH:
Keine relevanten motorischen Defizite, keine Sensibilitätsstörungen angegeben, grobe Kraft seitengleich, gute und kräftige Vorfußhebung beidseits, kein Rigor, kein Tremor, Feinmotorik regelrecht.
Gesamtmobilität - Gangbild: Unauffällig, sicher, keine Hilfsmittel, Setzen/Erheben selbstständig möglich.
Status Psychicus:
Voll orientiert, Ductus kohärent, Antrieb etwas gesteigert, somatisiert, rezidivierende Schmerzäußerung, Grundstimmung ausgeglichen, sozial integriert.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Diabetes mellitus Mittlerer Rahmensatz, da unter oraler Dauermedikation weitgehend stabilisiert.
09.02.01
20
2
Degenerative Wirbelsäulenveränderungen Oberer Rahmensatz, da radiologische Veränderungen und endlagige funktionelle Einschränkung.
02.01.01
20
3
Degenerative Abnützungen an Gelenken der oberen und unteren Extremitäten Oberer Rahmensatz, da nachgewiesene röntgenlogische Veränderungen und endlagige Funktionseinschränkung.
02.02.01
20
4
Depressives Syndrom mit Anpassungsstörung und Somatisierungstendenzen 1 Stufe über unterem Rahmensatz, da Dauermedikation erforderlich, sozial integriert.
03.06.01.
20
5
Sicca-Syndrom Unterer Rahmensatz, da unter spezifischer Therapie weitgehend kompensiert.
11.01.01.
10
6
Presbyopie, Astigmatismus mit Sehleistung (korrigiert) rechts und links 1,0 Tabelle, Zeile 1, Kolonne 1.
11.02.01
0
Gesamtgrad der Behinderung 20 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Das führende Leiden 1 wird durch 2-6 mangels relevanter ungünstiger Leidensbeeinflussung nicht weiter erhöht.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: -
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: Erstgutachten.
Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung: ---
X Dauerzustand
Herr XXXX kann trotz seiner Funktionsbeeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem Integrativen Betrieb (allenfalls unter Zuhilfenahme von Unterstützungsstrukturen) einer Erwerbstätigkeit nachgehen: X ja
..........................."
2. Dem BF wurde mit Schreiben der belangten Behörde vom 12.11.2019 das eingeholte Gutachten zur Kenntnis gebracht und eine Stellungnahmefrist eingeräumt. Mit 19.11.2019 datiertem Schreiben übermittelte der BF diverse medizinische Befunde, darunter einen Arztbrief von Dr. XXXX , FÄ für Neurologie und Psychiatrie, vom 27.11.2019 mit den Diagnosen somatoforme Depression, DMII in Verbindung mit einer medikamentösen Therapie. In der Stellungnahme bezog sich der BF unter anderem auf sein depressives Syndrom, das nicht entsprechend eingestuft worden sei. Er leide unter massiven Schlafproblemen und Angstzuständen und sei seit vier Jahren in psychiatrischer Behandlung. Er sei sehr angeschlagen und könne sich kaum konzentrieren, sei antriebs- und kraftlos. Er habe auch vermehrt dunkle Gedanken.
3. im ergänzend eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 2.1.2020 wurde auf Basis der Akten Nachfolgendes ausgeführt: "...............
Befundnachreichung:
22.10.2019, 31.7.2019 Dr. XXXX : deg. Abnützungen am Stütz- und Bewegungsapparat.
16.8.2019 Dein Auge: Visus /Brille bds. 1,0.
27.11.2019, 23.10.2019 Dr. XXXX : somatoforme Depressio, Insomnie, DM.
23.10.2019 Dr. XXXX : Medikamentenliste.
20.11.2019 XXXX : Laborbefund.
Stellungnahme:
Im Rahmen der Begutachtung wurden neben Anamneseerhebung, Würdigung aller vorliegenden, medizinisch relevanten Befunde und eingehender klinischer Untersuchung auch ausreichend Zeit und Raum für die umfassend geschilderten, subjektiven Beschwerden der Partei gewährt. Zur Erhebung eines GdB nach geltenden Richtlinien wurden alle medizinisch relevanten Fakten, vor allem tatsächlich vorliegende, funktionelle
Einschränkungen, herangezogen. Die subjektiven Empfindungen der Partei werden zur Kenntnis genommen, sind jedoch aufgrund der aktuellen Untersuchung und der aufliegenden bzw. nachgereichten Befunde nicht dazu geeignet, das bereits vorhandene Begutachtungsergebnis zu entkräften. Der Diabetes mellitus erreicht unter oraler
Dauermedikation, ohne Insulinerfordernis und bei normalem Allgemein- und sehr gutem Ernährungszustand keinen höheren GdB. Relevante motorische Defizite lagen zum Untersuchungszeitpunkt nicht vor. Die Depression ist in Kongruenz zu vorliegenden Facharztbefunden sowie dem Untersuchungsergebnis vom 24.10.2019 ausreichend hoch bewertet. Einschätzungsrelevante funktionelle Einschränkungen finden sich unter den entsprechenden Positionsnummern, in Einklang mit geltenden Richtlinien. Insgesamt ergeben sich daher keine neuen Erkenntnisse, das bereits vorliegende Begutachtungsergebnis wird somit weiterhin aufrechterhalten.
............................."
4. Mit Bescheid vom 3.1.2020 wurde der Antrag des BF vom 29.8.2019 zur Zuerkennung der Begünstigteneigenschaft gemäß BEinstG abgewiesen. In der Begründung stützte sich die belangte Behörde auf die eingeholten ärztlichen Gutachten. Danach betrage der Grad der Behinderung 20%. Die eingeholten Sachverständigengutachten würden einen Bestandteil der Begründung bilden. Dem BF sei Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Sein Vorbringen habe am Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nichts geändert und sei nicht geeignet gewesen, vom Ermittlungsergebnis abzuweichen.
5. Mit Schreiben vom 11.2.2020 erhob der BF Beschwerde gegen den Bescheid vom 3.1.2020. Der angefochtene Bescheid leide an Rechtswidrigkeit. Der BF habe eine Omalgie beidseits, eine Cervikobrachialgie, eine Uncovertebralgelenksarthrose C5/C6 mit der Tangierung Myelons, eine Omarthrose beidseits und Arthrose in den Händen beidseits. Die unter den Nummern 2 und 3 geführten Leiden seien höher einzustufen als mit einem Grad der Behinderung von 20%. Es sei dazu ein Sachverständiger aus dem Bereich der Orthopäde beizuziehen. Im Hinblick auf das Depressionsleiden in Verbindung mit einer Insomnie sowie Angstzuständen, Konzentrationsstörungen sowie Antriebs- und Kraftlosigkeit sei ein Gutachter aus dem Bereich der Neurologie/Psychiatrie erforderlich. Ebenso sei das Diabetesleiden den BF nicht hinreichend eingestuft worden, wofür ein Gutachter aus dem Bereich der Inneren Medizin erforderlich sei. Es werde darüber hinaus die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Bei den Leiden des BF würde eine wechselseitige negative Beeinflussung vorliegen.
6. Die belangte Behörde holte ein ergänzendes medizinisches Gutachten vom bereits beauftragten Sachverständigen aus dem Bereich der Allgemeinmedizin, Dr. XXXX , ein. Dieser führte im Gutachten vom 23.2.2020 ergänzend auf Basis der Akten aus:
".............................
Erneute Befundnachreichung: 22.1.2020 Dr. XXXX : deg. Abnützungen am Stütz- und Bewegungsapparat.
3.2.2020 Dr. XXXX : somatoforme Depressio, Insomnie, DM II.
Stellungnahme zu den erneuten Einwendungen: zum Untersuchungszeitpunkt wurden alle behinderungsrelevanten Leiden nach geltenden Richtlinien korrekt eingestuft. Erhebliche Dysbalancen bei der Diabetes- Erkrankung, (wie z.B. häufige Blutzuckerentgleisungen nach oben oder unten, erhebliche Stoffwechsel- und Elektrolytentgleisungen, etc.), sind nicht befundbelegt, ein Insulingebrauch lag zum Untersuchungszeitpunkt nicht vor. Die im Rahmen der nun erneut eingebrachten Stellungnahme angegebenen, umfassendst dargestellten, subjektiven Empfindungen der Partei, werden zwar zur Kenntnis genommen, sind jedoch nicht in Kongruenz zu bringen zu den zum Untersuchungszeitpunkt objektivierten funktionellen Einschränkungen, welche maßgeblich für eine Einstufung sind. Die nun erneut nachgereichten Befunde belegen einerseits degenerative Abnützungen am Stütz- und Bewegungsapparat, welche bereits bei der Begutachtung nach geltenden Richtlinien und tatsächlich vorhandenen Funktionseinbußen korrekt eingestuft wurden, andererseits ein depressives Syndrom mit Anpassungsstörung und Somatisierungstendenzen, welches zum Zeitpunkt der Untersuchung unter spezifischem Therapieregime weitgehend stabilisiert war. Zusammenfassend und nach erneuter, gründlicher Prüfung der Sachlage, sind die erneut vorgebrachten Argumente aufgrund der aktuellen Untersuchung und der aufliegenden bzw. nachgereichten Befunde nicht dazu geeignet, das bereits vorhandene Begutachtungsergebnis zu entkräften. Insgesamt ergeben sich daher keine neuen Erkenntnisse, hinsichtlich noch nicht adäquat eingestufter, behinderungsrelevanter Gesundheitsschäden, es wird daher das bereits vorliegende Begutachtensergebnis auch weiterhin aufrechterhalten.
........................"
7. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 24.2.2020 wies die belangte Behörde die Beschwerde des BF ab. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Begünstigteneigenschaft würden nicht vorliegen. In der Begründung bezog sich die belangte Behörde auf das angeschlossene, zuletzt eingeholte ergänzende Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 23.2.2020, welches einen Gesamtgrad der Behinderung von 20% beim BF aufrecht halte. Die Überprüfung der Einwendungen des BF hätten zu keinem abweichenden Ergebnis geführt.
8. Zur Beschwerdevorentscheidung vom 24.2.2020 stellte der BF einen Vorlageantrag an das Bundesverwaltungsgericht. Es wurde auf die Ausführungen in der vorhergehenden Beschwerde mit der Forderung der Beiziehung der Sachverständigen aus den genannten Bereichen verwiesen.
9. Der Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 11.3.2020 zur Entscheidung vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 19b Abs. 1 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG), BGBl. Nr. 22/1970 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des § 14 Abs. 2 durch den Senat. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.). § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.
Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur zur Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 28 VwGVG (vgl. VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) grundsätzlich von einem prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus. Eine meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes liegt jedenfalls gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG vor, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde. Davon ist auszugehen, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Die verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidung in der Sache selbst sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum beschränkt. Die in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG verankerte Zurückverweisungsentscheidung stelle eine solche Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte dar. Normative Zielsetzung ist, bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch zu machen. Davon ist auszugehen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wird das Treffen einer meritorischen Entscheidung verneint, hat das Verwaltungsgericht auch nachvollziehbar zu begründen, dass die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG nicht vorliegen.
Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Die Beschwerdevorentscheidung sowie der angefochtene Bescheid erweisen sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus nachfolgenden Gründen als mangelhaft:
Bereits mit dem Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten vom 29.8.2019 wurden vom BF medizinische Beweismittel vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass der BF eindeutig von Leiden der medizinischen Fachrichtung der Neurologie und Psychiatrie (Depression, Anpassungsstörung bzw. Insomnia) betroffen ist. Dies war der belangten Behörde bekannt.
Die belangte Behörde hat dessen ungeachtet zur Überprüfung ein Gutachten eines Allgemeinmediziners eingeholt. Dieses ist jedoch nicht ausreichend zur Beurteilung der beantragten Feststellung der Begünstigteneigenschaft nach dem BEinstG. Mangels Fachkenntnis des begutachtenden Allgemeinmediziners ist weder eine ausreichende Auseinandersetzung mit den vorgelegten Befunden und medizinischen Unterlagen, noch eine qualifizierte Beurteilung erfolgt. So ist eine schlüssige und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den vom BF vorgelegten Befunden im vorliegenden Gutachten nicht im ausreichenden Maße zu entnehmen. Es wurde in dem der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverständigengutachten des Allgemeinmediziners vor allem auf die vom BF vorgelegten medizinischen Unterlage nicht im Einzelnen konkret eingegangen und keine definitive Aussage über deren Auswirkungen und Einfluss auf den Grad der Behinderung des BF zu seinen Leiden getroffen. Beispielsweise wurde im der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverständigengutachten auf die vom BF vorgelegte medizinische Unterlage insbesondere im Hinblick auf die psychischen Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Beurteilung des Grades der Behinderung in keiner Weise hinreichend eingegangen.
Im gegenständlichen Fall wäre zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der vorliegenden Gesundheitsschädigungen des BF jedenfalls die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Neurologie und Psychiatrie erforderlich gewesen, dies vor allem vor dem Hintergrund der vom BF vorgelegten Beweismitteln, die dieser Fachrichtung eindeutig zuzuordnen sind.
Das der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegte, allgemein medizinische Sachverständigengutachten ist daher hinsichtlich der Beurteilung des Leidenszustandes des BF und somit bezüglich der Beurteilung des Gesamtleidenszustandes nicht nachvollziehbar.
Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.3.2001, 1000/11/0321).
Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern und ein Gutachten der Fachrichtung Psychiatrie und Neurologie einzuholen. Im gegenständlichen Fall wäre zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der vorliegenden Gesundheitsschädigung des BF jedenfalls als erster Schritt die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der genannten Fachrichtung erforderlich gewesen.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Der vorliegende Sachverhalt erweist sich zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die beantragte Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der Begünstigten Behinderten als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich sind.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sich mit dem vom BF vorgelegten Befunden auseinandersetzen müssen und diesen nach einer weiteren Einholung eines medizinischen Gutachtens zur Beurteilung des Grades der Behinderung bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird dem BF außerdem mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme unter Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Zu Spruchpunkt B (Revision):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgeführt, dass im verwaltungsbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W173.2229485.1.00Im RIS seit
06.08.2020Zuletzt aktualisiert am
06.08.2020