TE Bvwg Beschluss 2020/5/28 W173 2228475-1

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Veröffentlicht am 28.05.2020
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Entscheidungsdatum

28.05.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W173 2228475-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR als Vorsitzende und die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF sowie dem fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von

XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 27.12.2019, betreffend Ausstellung eines Behindertenpasses beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid vom 27.12.2019 wird behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Frau XXXX , geb. am XXXX , (in der Folge BF) beantragte am 11.9.2019 die Ausstellung eines Behindertenpasses. In den von ihr vorgelegten medizinischen Unterlagen schien im vorläufigen Entlassungsbericht zu ihrem Kur- und Rehabilitationsaufenthalt vom 28.8.2019 im XXXX das Medikament Trittico auf und wurde unter dem Punkt "Psychologisches" eine weiterführende psychologische Unterstützung empfohlen. Es wurde von der belangten Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Orthopädie auf Basis einer persönlichen Untersuchung eingeholt. Im Gutachten von Dr. XXXX , FA für Orthopädie, vom 26.11.2019, wurde Nachfolgendes ausgeführt:

".......................

Anamnese:

04/2019 Deckplatteneinbruch LWK III bei Osteoporose,

Derzeitige Beschwerden: Ich habe Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in die Hüften und beide Beine bis zu den Zehen. Der linke Daumenballen tut weh und die linke Schulter.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: Medikamente: Aclasta, Hydal, Trittico, Pariet, Kalziduran

Laufende Therapie: Physiotherapie, Hilfsmittel: keine, Sozialanamnese: Angestellte im Haushalt

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

04/2019 Knochendichtebefund beschreibt Osteoporose

04/2019 MR-LWS beschreibt rezenten Deckplatteneinbruch LWK III und Degeneration

08/2019 Reha-Bericht Althofen nach Deckplatteneinbruch LWK III

08/2019 Röntgenbefund Becken beschreibt Incipiente Coxarthrose beidseits.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: altersentsprechend, Ernährungszustand: normal, Größe: 169,00 cm, Gewicht: 71,00 kg, Blutdruck:

Klinischer Status - Fachstatus:

Caput/Collum: unauffällig, Thorax: symmetrisch, elastisch

Adomen: klinisch unauffällig, kein Druckschmerz

Obere Extremitäten:

Der Schultergürtel steht horizontal. Symmetrische Muskelverhältnisse. Durchblutung und Sensibilität sind ungestört. Benützungszeichen sind seitengleich.

Druckschmerz am linken Daumensattelgelenk. Die Beweglichkeit am Daumen ist frei. Weiters diffus Druckschmerz an den Schultern.

Übrige Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Beweglichkeit:

Schultern, Ellbogen, Vorderarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger sind seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar, der Faustschluss ist komplett. Nacken- und Kreuzgriff sind uneingeschränkt durchführbar

Untere Extremitäten:

Der Barfußgang ist in 3 Gangarten durchführbar, Einbeinstand ist möglich, die tiefe Hocke ist nicht eingeschränkt. Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse.

Beinlänge ist gleich. Durchblutung und Sensibilität sind ungestört. Die

Fußsohlenbeschwielung ist seitengleich ausgebildet, das Fußgewölbe ist erhalten.

Die endlagige Hüftbeugung ist im Kreuz schmerzhaft.

Übrige Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Beweglichkeit: Hüften, Knie, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.

Wirbelsäule: Der rechte Beckenkamm steht gering höher. Zarte Ausgleichsrotationsskoliose an der Lendenwirbelsäule. Regelrechte Krümmungsverhältnisse. Mäßig Hartspann, Druck- und Klopfschmerz lumbal. Lasègue beidseits negativ.

Beweglichkeit: Halswirbelsäule: allseits frei.

Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule: FBA 30, Seitwärtsneigen und Rotation jeweils endlagig eingeschränkt.

Gesamtmobilität - Gangbild: Kommt in knöchelhohen Konfektionsschuhen ohne Gehhilfen zur Untersuchung, das Gangbild ist symmetrisch, hinkfrei, sicher. Das Aus- und Ankleiden wird überwiegend im Stehen durchgeführt.

Status Psychicus: wach, Sprache unauffällig

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB%

1

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit osteoporotischen Wirbeleinbrüchen Unterer Rahmensatz dieser Position, da mäßige Beweglichkeitseinschränkung, ohne neurologisches Defizit, aber Belastungsminderung

02.01.02.

30

Gesamtgrad der Behinderung

30v.H.

 

 

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: --

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: --

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: --

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung: -

X Dauerzustand

.........................................."

2.Das Gutachten vom 26.11.2019 wurde dem Parteiengehör unterzogen. Die BF sah von einer Stellungnahme ab. Mit Bescheid vom 27.12.2019 wurde der Antrag der BF vom 11.9.2019 abgewiesen. Ihr Grad der Behinderung betrage 30%. Die BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die belangte Behörde stützte sich auf das eingeholte Gutachten, das einen Begründungsbestandteil bilde und angeschlossen sei.

3.Mit E-Mail-Mitteilung vom 8.1.2020 brachte die BF eine Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid vom 27.12.2019 ein. Die BF führte begründend aus, ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr ausführen zu können. Sie könne nichts mehr tun. Osteoporosebedingt habe sie sehr starke Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in die Hüfte, Beine bis in die Zehen. Sie leide auch unter starken Schulterschmerzen. Die Daumenballen würden extrem schmerzen. Selbst mit Medikamenten sei es ihr kaum möglich, den Alltag zu bewältigen. Seit April 2019 nehme sie die höchst mögliche Dosierung des Medikaments Hydal. Sie habe Angst, ihre Arbeit zu verlieren, da sie nicht mehr ihrer Tätigkeit nachgehen könne. Sie ersuche, zu einem anderen Sachverständigen als Dr. XXXX geschickt zu werden, mit dem sie große Probleme gehabt habe, da er sie nicht habe zu Wort kommen lassen. Vielmehr habe ihm ihr Vorbringen nicht interessiert. Sie ersuche um eine nochmalige Begutachtung. Sie leide an einer starken Depression. Sie könne mit ihrer Einschränkung nicht mehr weiterleben.

4. Mit Schreiben vom 9.1.2020 wurde die BF von der belangten Behörde aufgefordert, Befunde für ihr Krankheitsbild "Depression" binnen 2 Wochen vorzulegen, zumal andernfalls ihre Beschwerde weitergeleitete werden müsse. Zudem wurde die BF darauf hingewiesen, einen eigenständigen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten zu stellen, zumal nur über diesen Weg ein erhöhter Kündigungsschutz erlangt werden könne. In der Folge übermittelte die BF einen Befund von Dr. XXXX , FA für Neurologie und Psychiatrie, vom 18.2.2020. In diesem schien u.a. die Diagnose Depressio auf. Darin wurde auch ausgeführt, dass die BF reaktiv depressiv sei und schlecht schlafe, sodass die weitere Einnahme von Trittico empfohlen werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz, BGBl Nr. 283/1990 idgF (BBG), hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

1.Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.). § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur zur Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 28 VwGVG (vgl. VwGH vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) grundsätzlich von einem prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus. Eine meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes liegt jedenfalls gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG vor, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde. Davon ist auszugehen, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Die verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidung in der Sache selbst sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum beschränkt. Die in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG verankerte Zurückverweisungsentscheidung stelle eine solche Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte dar. Normative Zielsetzung ist, bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch zu machen. Davon ist auszugehen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde etwa schwierige Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wird das Treffen einer meritorischen Entscheidung verneint, hat das Verwaltungsgericht auch nachvollziehbar zu begründen, dass die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG nicht vorliegen.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die belangte Behörde stützte sich zwar zur Überprüfung auf das Gutachten des FA für Orthopädie, Dr. XXXX , vom 26.11.2019 im Hinblick auf die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung. Bereits in den von der BF vorgelegten Unterlagen im Rahmen der Antragstellung schien unter den von der BF genommenen Medikamenten unter anderem "Trittico" auf und wurde auf die weiterführende psychologische Unterstützung der BF hingewiesen. Unter diesen gegebenen Umständen wäre eine psychische Erkrankung der BF zu hinterfragen gewesen, zumal die BF auch eine medikamentöse Therapie mit dem Psychopharmaka-Medikament "Trittico" in Anspruch nahm. Es handelt bei einem psychischen Leiden um ein solches, das bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung jedenfalls zu berücksichtigten ist. Bei einer psychischen Erkrankung handelt es sich um einen Leidensschwerpunkt, der der medizinischen Fachrichtung der Psychiatrie zuordnen ist. Dies muss auch der belangten Behörde bekannt sein.

Die belangte Behörde hat dessen ungeachtet zur Überprüfung der Leiden der BF nur ein Gutachten eines Facharztes für Orthopädie eingeholt. Dieses ist jedoch nicht ausreichend für die Beurteilung eines psychischen Leidens der BF sowie der darauf aufbauenden Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung der BF nach dem BBG. Mangels Fachkenntnis des begutachtenden Facharztes für Orthopädie ist weder eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Befund noch eine qualifizierte Beurteilung erfolgt. Er ist auch nicht - wie sich aus dem Beschwerdevorbringen ergibt - auf ein Vorbringen der BF eingegangen. Es ist auch keine schlüssige und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem psychischen Leiden der BF dem vorliegenden Gutachten zu entnehmen bzw. erfolgte nicht einmal einsatzweise. Es wurde in dem der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverständigengutachten des FA für Orthopädie nur auf die orthopädischen Leiden der BF in den vorgelegten medizinischen Unterlagen eingegangen. Es wurden darin überhaupt keine Aussage zu einem psychischen Leiden in Verbindung mit deren Auswirkungen, Einfluss und Zusammenwirken mit dem orthopädischen Leiden sowie Auswirkung auf den Gesamtgrad der Behinderung der BF getroffen.

Im gegenständlichen Fall wäre zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der vorliegenden Gesundheitsschädigungen der BF noch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der Fachrichtung "Psychiatrie und Neurologie" erforderlich gewesen. Dies vor allem vor dem Hintergrund des zu beurteilenden Gesamtgrades der Behinderung der BF und den dazu vorliegenden Beweismitteln der BF.

Das der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegte orthopädische Sachverständigengutachten ist daher hinsichtlich der Beurteilung des Leidenszustandes der BF und somit bezüglich der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung nicht vollständig nachvollziehbar. Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen zur psychischen Erkrankung der BF vermissen lässt, bzw. aus welchen Gründen diesbezüglich der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.3.2001, 2000/11/0321).

Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern und ein Gutachten der Fachrichtung "Psychiatrie und Neurologie" einzuholen. Im gegenständlichen Fall wäre zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der vorliegenden Gesundheitsschädigung der BF jedenfalls als erster Schritt die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der genannten Fachrichtung erforderlich gewesen. Darauf aufbauend ist der Gesamtgrad der Behinderung der BF zu ermitteln.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Der vorliegende Sachverhalt erweist sich zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Feststellung des Grades der Behinderung zur beantragten Ausstellung eines Behindertenpasses als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich sind.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten der Fachrichtung "Psychiatrie und Neurologie" basierend auf der persönlichen Untersuchung der BF, zur Beurteilung des psychischen Leidens der BF einzuholen und bei der Entscheidungsfindung zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung zu berücksichtigen haben. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die BF mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme unter Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

2.Zu Spruchpunkt B (Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgeführt, dass im verwaltungsbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W173.2228475.1.00

Im RIS seit

06.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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