TE Bvwg Beschluss 2020/6/5 W200 2230329-1

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Veröffentlicht am 05.06.2020
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Entscheidungsdatum

05.06.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W200 2230329-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Mag. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Halbauer als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (SMS) vom 02.03.2020, Zl. 38849757200038 (Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses) beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheide gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Vorverfahren:

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses wurde letztmalig mit Bescheid vom 30.05.2018 abgewiesen. Der Gesamtgrad der Behinderung betrug laut allgemeinmedizinischem Gutachten 30 %, beim führenden Leiden handelte es sich um eine rezidivierende depressive Störung mit psychotischer Symptomatik und Panikstörung (Pos. Nr. 03.06.01, 30%).

Gegenständliches Verfahren:

Am 06.11.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

Dem Antrag angeschlossen waren unter anderem ein psychiatrischer Befundbericht vom 11.03.2019 (Anhaltende wahnhafte Störung, rezidivierende depressive Störung, dzt. mittelgradige Episode, Immunhyperthyreose Typ M. Basedow) sowie sonstige medizinische Unterlagen.

In weiterer Folge holte das Sozialministeriumservice ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin nach erfolgter Untersuchung ein, das - folgende Einstufung ergab:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Rezidivierende depressive Störung mit psychotischer Symptomatik und Panikstörung Heranziehung dieser Position mit 2 Stufen über dem unteren Rahmensatz, da chronifiziert mit regelmäßig erfolgter medikamentöser und Psycho-Therapie

03.06.01

30

2

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen Heranziehung dieser Position mit dem oberen Rahmensatz, da Zustand nach Bandscheibenprolaps L4-5 mit wiederkehrenden Lumboischialgien mit geringer Funktionsstörung und ohne manifeste radikuläre Ausfälle

02.01.01

20

3

Gering bis mittelgradige Innenohrstörung beidseits bei Gefäßschlingen im Bereich des Meatus acusticus Tabelle Kolonne 2 Zeile 3

12.02.01

20

4

Schuppenflechte Heranziehung dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da milde Ausprägung

01.01.02

20

5

Arterieller Bluthochdruck Fixer Richtsatz

05.01.01

10

6

Immunhyperthyreose Heranziehung dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da durch Schilddrüsenmedikation kompensiert

09.01.01

10

7

Tinnitus beidseits Heranziehung dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da nur intermittierend auftretend

12.02.02

10

Gesamtgrad der Behinderung 40 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das führende Leiden unter lf. Nr. 1) wird durch die Gesundheitsschädigung unter lf. Nr. 2) um eine Stufe erhöht, da wechselseitige negative Leidensbeeinflussung besteht. Die übrigen Leiden erhöhen nicht, da kein maßgebliches ungünstiges funktionelles Zusammenwirken besteht.

(...)"

In einer weiteren Stellungnahme blieb die Allgemeinmedizinern bei ihrer Einschätzung.

In weiterer Folge wurde der Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 02.03.2020 abgewiesen, wogegen Beschwerde erhoben wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben (vgl etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

Der Umstand, dass gegebenenfalls (punktuelle) ergänzende Einvernahmen durchzuführen wären, rechtfertigt nicht die Zurückverweisung; vielmehr wären diese Einvernahmen, sollten sie wirklich erforderlich sein, vom Verwaltungsgericht - zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - durchzuführen. (Ra 2015/08/0178 vom 27.01.2016)

In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN). (Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016)

Wie im Verfahrensgang ausgeführt, hat der Beschwerdeführer - auch bereits Vorverfahren - unter Zugrundelegung von psychiatrischen Arztberichten psychiatrische Erkrankungen geltend gemacht. Die befassten allgemeinmedizinischen Gutachter stuften diese mit einem Grad der Behinderung von 30 % unter Pos. Nr. 03.06.01 ein (Rezidivierende depressive Störung mit psychotischer Symptomatik und Panikstörung).

Dem im gegenständlichen Verfahren vorgelegten fachärztlichen Befundbericht vom 11.03.2019 ist jedoch zusätzlich eine anhaltende wahnhafte Störung F 22.0 zu entnehmen.

Dieser Befundbericht wurde im Gutachten zwar zitiert, jedoch ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, wieso die Allgemeinmedizinerin vom Ergebnis des psychiatrischen Befundberichts abgewichen ist.

Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des VwGH vom 6. Mai 2020, Ra 2018/11/0219-5 zu verweisen, in dem dieser in einem ähnlich gelagerten Fall ausführt:

"Wie die Revision zu Recht rügt, fehlt eine Auseinandersetzung mit dem Befundbericht Dris. M sowohl im Gutachten des Amtssachverständigen als auch im angefochtenen Erkenntnis. Im Gutachten wird lediglich die im Befundbericht angegebene Diagnose zitiert, jedoch nicht weiter darauf Bezug genommen. Vielmehr wird, anders als in dieser - mehrere Funktionsbeeinträchtigungen umfassenden - Diagnose lediglich von "Wirbelsäulenschmerzen" ausgegangen und eine dementsprechende Einstufung vorgenommen.

Der Ansicht des Verwaltungsgerichts, das gegenständliche Gutachten stehe nicht im Widerspruch zum vorgelegten Befundbericht, welcher vom Gutachter "berücksichtigt, gewürdigt" worden sei und in das Gutachten Eingang gefunden habe, ist daher nicht zu folgen."

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte die Entscheidung über die Höhe des Gesamtgrades der Behinderung jedoch - abgesehen vom Nichteingehen auf den vorgelegten fachärztlichen Befundbericht - darüber hinaus ohne hinreichende Ermittlungstätigkeiten bzw. hat das SMS bloß ansatzweise Ermittlungen getätigt, da unterlassen wurde, ein psychiatrisches Gutachten zum führenden Leiden einzuholen.

Im weiteren Verfahren wird daher der Beschwerdeführer jedenfalls zu einer Untersuchung zu einer/einem Fachärztin/-arzt für Psychiatrie zu laden sein.

In diesem Gutachten wird insbesondere auf auf die im vorgelegten fachärztlichen Befundbericht vom 11.03.2019 beschriebene anhaltende wahnhafte Störung F 22.0 einzugehen sein, insbesondere ob diese vorliegt oder nicht, und im Fall deren Nichtvorliegens, dies zu begründen.

Auf Basis dieses Gutachtes wird eine Zusammenfassung der Gutachten zu erfolgen haben. Nach Gewährung des Parteiengehörs an den Beschwerdeführer wird das SMS die Entscheidung zur Höhe des Gesamtgrades der Behinderung zu treffen haben.

Der Vollständigkeit halber wird zum wiederholten Male auf den falschen Spruch im angefochtenen Erkenntnis hingewiesen:

Zum Spruchinhalt des angefochtenen Bescheides, dass der Teil des Spruches zu entfallen hat, wonach der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt, wir auf das das Erkenntnis des VwGH Ra 2018/11/0204-7, Rz 24 vom 13. Dezember 2018 betreffend die Einziehung eines Behindertenpasses verwiesen:

§ 43 Abs. 1 BBG ermächtigt die Behörde daher zwar zu einem amtswegigen Vorgehen, allerdings nach den bisherigen Ausführungen nur zu einem Ausspruch der Einziehung des Behindertenpasses. Ein Bescheid, in dem ausgesprochen wird, dass die Betreffende mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 % nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfülle, oder in dem festgestellt wird, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 % besteht, findet in § 43 Abs. 1 BBG keine Deckung.

Analog dazu wird darauf hingewiesen, dass weder die §§ 40 und 41 noch § 45 BBG die Voraussetzungen für die von der belangen Behörde gewählte Formulierung "Mit einem Grad der Behinderung von 30% erfüllen Sie nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses." bieten.

Auch die Formulierung "Ihr Antrag ist daher abzuweisen." ist insofern falsch als sie eine Handlungsanweisung bzw. eine Forderung an einen Dritten beinhaltet, den Antrag abzuweisen.

Diesem Erkenntnis folgend ist ungeachtet der Behebung und Zurückverweisung festzuhalten, dass der Spruch des Bescheides vom 02.03.2020 im BBG keine Deckung findet.

Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W200.2230329.1.00

Im RIS seit

06.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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