Entscheidungsdatum
05.06.2020Norm
BBG §40Spruch
W200 2229494-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Halbauer als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (SMS) vom 13.12.2019, Zl. 80265229200039 in Verbindung mit dem Vorlageantrag zur Beschwerdevorentscheidung vom 28.02.2020, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird die angefochtene Beschwerdevorentscheidung behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Die beschwerdeführende Partei stellte am 10.09.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses. Dem Antrag angeschlossen war ein Bescheid der PVA vom 28.11.2018 über die Anerkennung einer befristeten Berufsunfähigkeitspension sowie medizinischer - darunter auch psychiatrischer - Unterlagen.
Das vom Sozialministeriumservice eingeholte allgemeinmedizinische Gutachten vom 14.11.2019 ergab einen Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. und gestaltete sich wie folgt:
"Anamnese:
Antragsleiden: systemische Sklerose, M. Raynauld, Erschöpfungsdepression, Rückenschmerzen
Siehe auch Vorgutachten vom 06.06.2018 Systemische Sklerose, 30%
Derzeitige Beschwerden:
Ich war schon einmal vor einem Jahr da. Ich habe 30% an Behinderung bekommen. Ich finde das allerdings nicht gerechtfertigt, weil es sich meiner Meinung nach bei mir um zwei Leiden handelt. Das eine Leiden, das ich habe ist die Lungenfibrose und meine zweite Erkrankung ist der Morbus Raynauld. Beschwerden macht mir vor allem der Morbus Raynauld, vor allem in der kalten Zeit, wo meine Finger blau werden und ich auch ein ausgeprägtes Kältegefühl habe. Ich habe dann auch kein Gefühl in den Händen. Das Gleiche habe ich auch im Bereich der Füße. Ich habe auch Schlafschwierigkeiten und leide an einem Erschöpfungszustand.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Ebetrexat, Folsan, Oleovit, Ivadal (bei Bedarf), Cipralex, Foster, Mometason, Vimovo (bei Bedarf)
Sozialanamnese: verheiratet, keine Kinder, Beruf: BU-Pension
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Bestätigung der Psychotherapie vom 15.11.2018, seit 04.10.2018 in Behandlung
EV 18 vom 24.09.2018 Aufnahmegrund:
Ausgeprägte Raynaud-Symptomatik im Rahmen der systemischen Sklerose Schluckstörung (Schluckakt-Röntgen unauffällig)
Diagnosen - Nebendiagnosen, Allergien:
Inzipiente diffuse systemische Sklerose (pathologische Kapillarmikroskopie, inzipiente Lungenfibrose, Mikrostomie, Raynaud Syndrom, Puffy hands), Leichte depressive Verstimmung
Untersuchungsbefund: (...)
Klinischer Status - Fachstatus: (...)
Thorax. Symmetrisch, elastisch,
Cor: Rhythmisch, rein, normfrequent
Pulmo: Vesikuläratmung, keine Atemnebengeräusche, keine Dyspnoe Abdomen: Bauchdecke: weich, kein Druckschmerz, keine Resistenzen tastbar,
Hepar am Ribo, Lien nicht palp. Nierenlager: Frei.
Pulse: Allseits tastbar
Obere Extremität: Symmetrische Muskelverhältnisse. Nackengriff und Schürzengriff bds. uneingeschränkt durchführbar, grobe Kraft bds. nicht vermindert, Faustschluß und Spitzgriff bds. durchführbar. Die übrigen Gelenke altersentsprechend frei beweglich. Sensibilität wird unauffällig angegeben, Hände kühl
Untere Extremität: Zehenspitzen und Fersenstand sowie Einbeinstand bds. durchführbar, beide Beine von der Unterlage abhebbar, grobe Kraft bds. nicht vermindert, freie Beweglichkeit in Hüftgelenken und Kniegelenken, bandstabil, kein Erguss, symmetrische Muskelverhältnisse, Sensibilität wird unauffällig angegeben keine Varikositas, keine Ödeme bds., Hände kühl
Wirbelsäule: Kein Klopfschmerz, Finger-Bodenabstand im Stehen: 5 cm Rotation und Seitwärtsneigung in allen Ebenen frei beweglich
Status Psychicus: bewußtseinsklar, orientiert, kein kognitives-mnestisches Defizit,
Gedankenstuktur: geordnet, kohärent, keine Denkstörung, Konzentration ungestört, Antrieb unauffällig, Stimmungslage ausgeglichen, gut affizierbar, Affekte angepasst, keine produktive Symptomatik
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Systemische Sklerose oberer Rahmensatz, da Raynaud Syndrom sowie inzipiente Lungenfibrose. Mitberücksichtigt ist die leichte depressive Verstimmung
02.02.02
40
Gesamtgrad der Behinderung 40 v. H.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Von Seiten der Wirbelsäule konnten keine Funktionseinschränkungen festgestellt werden, daher wird kein GdB erreicht. (...)"
Mit Bescheid des Sozialministeriumservice vom 13.12.2019 wurde der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses mangels Vorliegen der Voraussetzungen abgewiesen.
Aufgrund der erhobenen Beschwerde, in welcher auch die depressive Erkrankung und chronische Insomnie der Beschwerdeführerin geltend gemacht wurde, und nach Vorlage einer ärztlichen rheumatologischen Empfehlung eines stationären Aufenthaltes für Februar/März 2020 holte das SMS erneut ein Gutachten der befassten Allgemeinmedizinerin basierend auf der Aktenlage ein, das abermals eine gleichlautende Einstufung ergab:
"Die Beschwerdeführerin leidet an einer systemischen Sklerose. Hiebei handelt es sich um eine seltene Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer fortschreitenden Verdickung des Bindegewebes und Veränderungen an den Blutgefäßen mit Durchblutungsstörungen kommt. Da Bindegewebe in der Haut und überall im Körper vorkommt, kann die Bindegewebsverhärtung prinzipiell in jedem Organ auftreten.
Zudem sind nahezu alle Organe gut mit Blutgefäßen versorgt, weshalb sich Veränderungen an den Blutgefäßen mit Veränderungen der einzelnen Organfunktionen bemerkbar machen.
Bei der Beschwerdeführerin liegt ein ausgeprägtes Raynaud-Syndrom (Durchblutungsstörung der Finger) vor. Die Feinmotorik der Hände ist dadurch stark eingeschränkt. Die Durchblutungsstörungen treten auch in den Füßen auf. Ferner bestehen Schluckstörungen.
Aufgrund der durch die Erkrankung ausgelöste Lungenfibrose kommt es zu Atembeschwerden.
Da die Beschwerdeführerin Immunsupressiva nehmen muss, ist sie sehr Infekt anfällig und auch laufend von - teilweise auch sehr starken - Infekten betroffen.
Die notwendige Medikation wirkt auch blutdrucksenkend. Da die Beschwerdeführerin von Natur aus einen niedrigen Blutdruck hat, führt die blutdrucksenkende Nebenwirkung der Medikation dazu, dass oft Schwindelattacken auftreten.
Ferner besteht eine depressive Erkrankung sowie eine chronische Insomnie. Die Beschwerdeführerin leidet an einer Antriebsverminderung, Konzentrationsstörungen, Angstzuständen und ist die Belastbarkeit deutlich vermindert. Es handelt sich hiebei keineswegs wie im Gutachten auf Seite 4 angeführt um eine "leichte" depressive Verstimmung.
Nachgereichte Befunde:
Dr.med. XXXX Fachärztin für Psychiatrie vom 17.12.2019
Chronische Insomnie, Rezid. depressive Störung
Medikamentenverordnung vom 14.01.2009
Siehe auch VGA vom 13.11.2019 Systemische Sklerose 40%
Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:
Ebetrexat 10mg Folsan 5mg Oleovit D3 Tropfen 40gtt. lx/Wo Ivadal Ftbl. bei Bedarf Cipralex 10mg Foster DA Mometason NT Vimovo 20/500mg bei Bedarf Spiriva Respimat Sultanol DA b. Bed. Anstrengung Salagen
(...)
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Systemische Sklerose oberer Rahmensatz,da Raynaud Syndrom, sowie inzipiente Lungenfibrose. Mitberücksichtigt ist die leichte depressive Verstimmung
02.02.02
40
Stellungnahme zum Beschwerdeschreiben
Prinzipiell ist es nicht erforderlich einen Arzt über das Beschwerdebild einer Systemischen Sklerose aufzuklären. Im Rahmen der Erkrankung kann die Erkrankung in jedem Organ auftreten, dies ist jedoch im Falle der Beschwerdeführerin nicht der Fall. Dokumentiert ist eine Raynaud-Symptomatik sowie eine beginnende Lungenfibrose. Bezüglich der angegebenen Schluckstörung ist ein unauffälliges Schluckakt-Röntgen vorliegend. Ein möglicher Befall weiterer Organsysteme bewirken keinen separaten Behinderungsgrad, da ausschließlich manifeste, behinderungsrelevante Gesundheitsschäden, und nicht erhöhte Risken hinsichtlich zukünftiger Krankheiten, beurteilungsrelevant sind. Eine immunsuppresive Therapie, welche ein maßgebliches dauerhaftes Absinken der Abwehrkraft und eine anhaltende Funktionseinschränkung, welche einen erheblichen Einfluss auf die Abwehrkräfte bei üblicher Exposition im öffentlich Raum hat, wird nicht durchgeführt. Den Befunden ist weder eine signifikant erhöhte Infektanfälligkeit zu entnehmen noch gibt es einen Hinweis auf Infektionen mit Problemkeimen.
Eine leichte depressive Verstimmung wurde Arztbrief des EV 18 vom 24.09.2018, dokumentiert.
Eine laufende Dokumentation bezüglich einer anhaltenden depressiven Störung sowie Insomnie ist nicht vorliegend.
Insgesamt ergeben sich daher keine neuen Aspekte hinsichtlich noch nicht adäquat berücksichtigte, relevanter Leidenszustände, sodass an der bereits vorhandenen Beurteilung festgehalten wird."
Nach einem weiteren Beschwerdeschreiben erging eine neuerliche Stellungnahme der befassten Ärztin:
"Die Schreiben beinhalten keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich noch nicht berücksichtigter, behinderungswirksamer Gesundheitsschuhen. Die bereits bekannten Leiden wurden entsprechend der derzeit geltenden Richtlinien nach der EVO eingestuft und berücksichtigt
Die Einholung eines rheumatologischen und psychiatrischen Sachverständigengutachtens ist nicht erforderlich."
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 28.02.2020 wurde die Beschwerde abgewiesen und festgehalten, dass mit einem Grad der Behinderung von 40% die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vorlägen.
Das BVwG holte in weiterer Folge das internistische Gutachten zum Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ein, das ergab, dass der Beschwerdeführerin leichte Tätigkeiten laut Leistungskalkül zumutbar seien.
Es wurde vom Facharzt für Innere Medizin jedoch die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens empfohlen.
In weiterer Folge ist dem Akt der PVA eine (aufgrund des internistischen Gutachtens) nicht nachvollziehbare chefärztliche Stellungnahme - ohne Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens - zu entnehmen, wonach bei der Beschwerdeführerin das Gesamtleistungskalkül für den ausgeübten Beruf vorübergehend mehr als sechs Monate nicht ausreicht, die Besserung des Gesundheitszustandes und die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit durch einen neuen Beruf ausgeschlossen sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt bei Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 zwölf Wochen. (§ 19 Abs. 1 BEinstG auszugsweise idF des BGBl. I Nr. 57/2015) § 19 Abs. 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 57/2015 tritt mit 1. Juli 2015 in Kraft. (§ 25 Abs. 19 BEinstG)
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.
Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus (vgl. u.a. 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016).
Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.
Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Das verwaltungsbehördliche Verfahren erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:
Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 3 BEinstG)
Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt. Die belangte Behörde hätte primär von sich aus bereits das Gutachten der PVA zur Berufsunfähigkeitspension einholen müssen, um den Sachverhalt korrekt feststellen zu können. Hätte sie dies getan, so wäre der belangten Behörde aufgefallen, dass vom begutachtenden Internisten die Anregung zur Einholung eines psychiatrischen Gutachtens, welcher aus nicht nachvollziehbaren Gründen vom Chefarzt der PVA und in weiterer Folge der PVA nicht gefolgt wurde (und darüber hinaus noch vom Gutachten abgewichen wurde), ergangen war, um über die Berufsunfähigkeit der Beschwerdeführerin korrekt entscheiden zu können.
Der gleichartige Sachverhalt liegt im gegenständlichen Verfahren nach dem BBG vor: Es bedarf eines psychiatrischen Gutachtens, um den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin korrekt einschätzen zu können.
Die belangte Behörde hat zur Überprüfung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin jedoch lediglich allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten eingeholt. Zwar besteht kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch sind im vorliegenden Fall die von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten zur Beurteilung des bei der Beschwerdeführerin vorliegenden psychologisch/psychiatrischen Beschwerdebildes nicht geeignet. Es liegen nunmehr konkrete Anhaltspunkte vor, dass zusätzlich zur erfolgten Einholung von Sachverständigengutachten der Fachrichtung Allgemeinmedizin auch die Einholung zumindest eines Gutachtens der Fachrichtung Psychiatrie unbedingt erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin (auch im Hinblick auf eine mögliche wechselseitige Leidensbeeinflussung der festgestellten Gesundheitsschädigungen) zu gewährleisten. Die alleinige Heranziehung einer Sachverständigen der Fachrichtung Allgemeinmedizin durch die belangte Behörde ist somit offensichtlich sachwidrig erfolgt.
Der Mangel wurde auch im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung nicht behoben.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte die Entscheidung über die Höhe des Gesamtgrades der Behinderung jedoch ohne hinreichende Ermittlungstätigkeiten bzw. hat das SMS bloß ansatzweise Ermittlungen getätigt, da unterlassen wurde, ein psychiatrisches Gutachten einzuholen.
Im weiteren Verfahren wird daher der Beschwerdeführer jedenfalls zu einer Untersuchung zu einer/einem Fachärztin/-arzt für Psychiatrie zu laden sein und auf Basis der Untersuchung ein Gutachten zu erstellen sein.
Auf Basis dieses Gutachtes wird eine Zusammenfassung der Gutachten zu erfolgen haben. Nach Gewährung des Parteiengehörs an die Beschwerdeführerin wird das SMS die Entscheidung zur Höhe des Gesamtgrades der Behinderung zu treffen haben.
Der Vollständigkeit halber wird zum wiederholten Male auf den falschen Spruch im angefochtenen Bescheid und auch der Beschwerdevorentscheidung hingewiesen:
Zum Spruchinhalt des angefochtenen Bescheides, dass der Teil des Spruches zu entfallen hat, wonach der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt, wir auf das das Erkenntnis des VwGH Ra 2018/11/0204-7, Rz 24 vom 13. Dezember 2018 betreffend die Einziehung eines Behindertenpasses verwiesen:
§ 43 Abs. 1 BBG ermächtigt die Behörde daher zwar zu einem amtswegigen Vorgehen, allerdings nach den bisherigen Ausführungen nur zu einem Ausspruch der Einziehung des Behindertenpasses. Ein Bescheid, in dem ausgesprochen wird, dass die Betreffende mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 % nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfülle, oder in dem festgestellt wird, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 % besteht, findet in § 43 Abs. 1 BBG keine Deckung.
Analog dazu wird darauf hingewiesen, dass weder die §§ 40 und 41 noch § 45 BBG die Voraussetzungen für die von der belangen Behörde gewählte Formulierung "Mit einem Grad der Behinderung von 40% erfüllen Sie nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses." bzw. "Mit einem Grad der Behinderung vom 40% liegen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vor." bieten.
Auch die Formulierung "Ihr Antrag ist daher abzuweisen." ist insofern falsch als sie eine Handlungsanweisung bzw. eine Forderung an einen Dritten beinhaltet, den Antrag abzuweisen.
Diesem Erkenntnis folgend ist ungeachtet der Behebung und Zurückverweisung festzuhalten, dass der Spruch des jeweiligen Bescheides vom 13.12.2019 sowie vom 28.02.2020 im BBG keine Deckung findet.
Zu Spruchpunkt B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W200.2229494.1.00Im RIS seit
06.08.2020Zuletzt aktualisiert am
06.08.2020