Entscheidungsdatum
18.06.2020Norm
ASVG §67 Abs10Spruch
L511 2167134-1/8E
Im namen der Republik!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a JICHA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. KETTL, gegen den Bescheid der Salzburger Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse) vom 19.06.2017, Zahl: XXXX , zu Recht:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid vom 19.06.2017 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Österreichische Gesundheitskasse zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Verfahrensinhalt
1. Verfahren vor der Gebietskrankenkasse [SGKK]
1.1. Mit Schreiben vom 12.04.2017 teilte die SGKK dem Beschwerdeführer mit, dass auf dem Beitragskonto der XXXX [im Folgenden: R GmbH] nach Aufhebung des Konkursverfahrens, der Bezahlung der Quote und der Zahlung aus dem Insolvenzentgelt-Fonds ein Rückstand in Höhe von insgesamt EUR 190.531,60 offen aufscheine, wovon im Wege der Ausfallshaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG der Rückstand aus den Beiträgen Februar 2009 bis Februar 2010, April 2010 und Juli 2010 bis Jänner 2012 in der Höhe von EUR 169.960,12 zuzüglich der Verzugszinsen geltend gemacht werde. Dem Schreiben war ein Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG vom selben Tag beigelegt (Aktenzahl der vorgelegten Aktenteile [AZ] I, II).
Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, den Rückstand bis spätestens 12.05.2017 zu begleichen oder innerhalb dieser Frist alle Tatsachen vorzubringen, die gegen seine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG sprächen.
1.2. Im weiteren Ermittlungsverfahren übermittelte die SGKK dem Beschwerdeführer am 10.05.2017 den Prüfbericht vom 23.05.2013 für den Zeitraum 01.01.2009 bis 31.12.2011, mit dem ein Nachrechnungsbetrag in Höhe von EUR 43.488,76 zuzüglich Zinsen in Höhe von EUR 5.390,30, insgesamt EUR 48.879,06, festgestellt wurde und das rechtskräftige Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 25.11.2016, GZ L501 2005546-1/16E, mit dem die Beschwerde des Masseverwalters im Konkursverfahren über das Vermögen der R GmbH im Konkurs [im Folgenden: Masseverwalter] gegen die Beitragsvorschreibung vom 24.01.2012 (Nachverrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen) in Höhe von EUR 129.868,63 sowie Verzugszinsen in Höhe von EUR 70.347,31, sohin einen Gesamtbetrag von EUR 200.215,94, abgewiesen worden war (AZ III). Am 30.05.2017 wurde dem Beschwerdeführer der Versicherungspflichtbescheid vom 15.01.2013, GZ XXXX , der Beitragspflichtbescheid vom 24.03.2014, GZ XXXX , sowie die beim Bundesfinanzgericht (BFG) in Anwesenheit des Masseverwalters der GmbH aufgenommene Niederschrift vom 20.03.2015 übermittelt (AZ V).
Mit weiterem Mail vom 31.05.2017 teilte die SGKK dem Beschwerdeführer nach persönlichem Erscheinen des Vertreters des Beschwerdeführers bei der SGKK mit, dass nach Ansicht der SGKK die pauschalen Nachverrechnungen 2004 bis 2010 grundsätzlich unstrittig seien. Hinsichtlich der Nachverrechnung 2008 wurde ergänzend ausgeführt, dass vier (namentlich genannte) Personen von den Nachverrechnungen nicht betroffen seien und darüber hinaus über den Prüfzeitraum 2004 bis 2008 bereits rechtskräftig entschieden worden sei. Für die Nachverrechnung 2011 wurde darauf verwiesen, dass die strittigen Subunternehmer bei der GPLA nicht enthalten gewesen seien (AZ VI).
1.3. Mit Haftungsbescheid vom 19.06.2017, Zahl: XXXX , verpflichtete die SGKK den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG als ehemaligen Geschäftsführer der R GmbH, zur Zahlung eines Rückstandes von EUR 169.960,12 innerhalb von 14 Tagen bei sonstiger Exekution. Zusätzlich sei der Beschwerdeführer verpflichtet, ab 05.04.2017 bis zur Einzahlung Verzugszinsen in der Höhe von derzeit 3,38% p.a. von EUR 91.922,51 zu entrichten (AZ VIII).
Die Summe setze sich laut beigelegtem Rückstandsausweis vom 19.06.2017 aus "Beiträgen GPLA Rest" und "Beiträgen GPLA" für die Monate 02/2009 bis 01/2012 (wobei einzelne Monate ausgenommen waren) sowie Verzugszinsen und Beitragszuschlägen zusammen.
Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, der Beschwerdeführer sei von 03.12.1994 bis 10.04.2012 Geschäftsführer der R GmbH gewesen. Die im Rückstandsausweis dargestellten Beträge seien bei der Primärschuldnerin uneinbringlich. Der Beschwerdeführer habe trotz Aufforderung vom 12.04.2017 keine Gründe vorgebracht, welche ihn ohne sein Verschulden daran gehindert hätten, die ihm obliegenden Verpflichtungen (Erfüllung der Meldepflicht und Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge) zu erfüllen und auch keine Gründe oder Beweisanbote für die Gleichbehandlung der Sozialversicherung beigebracht, weshalb von seinem Verschulden auszugehen und die persönliche Haftung auszusprechen gewesen sei.
1.4. Mit Schreiben vom 19.07.2017 erhob der Beschwerdeführer gegen den am 21.06.2017 zugestellten Bescheid fristgerecht Beschwerde [Bsw] (AZ IX, X).
Der Beschwerdeführer führte im Wesentlichen zusammengefasst aus, ihm sei kein Verschulden anzulasten und es sei zu keiner Gläubiger-Ungleichbehandlung gekommen. Die Vorschreibungen würden zu Unrecht auf zwei GPLA-Prüfungen basieren, die unterstellen würden, dass diverse Subunternehmer keine gewesen seien bzw. gewährte Darlehen voll beitragspflichtig seien. Auch stütze sich der Bescheid zu Unrecht auf das Erkenntnis des BVwG vom 25.11.2016, GZ L501 2005546-7/16E, da sich dieses auf eine unrichtige Zeugenaussage stütze und der Beschwerdeführer dazu nicht gehört worden sei. Vom Masseverwalter sei - um das Verfahren schnellstmöglich abzuschließen -ein Vergleich ausgehandelt worden, der Beschwerdeführer sei aber nicht bereit, die (aus sozialen Gründen) gewährten Darlehen als sozialversicherungspflichtig anzuerkennen.
2. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 07.08.2017 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt vor (Ordnungszahl des hg Gerichtsaktes [im Folgenden:] OZ 1 [=AZ I-XI]).
Im beiliegenden Vorlagebericht wurde ergänzend auf die im Akt einliegende Beilage XI verwiesen, welche das Rechtsmittel, welches beim Verfahren betreffend die Prüfergebnisse der GPLA eingebracht worden war, beinhalte.
2.1. Das BVwG nahm Einsicht in den Konkursverfahrensakt XXXX (OZ 2-3) und führte eine Abfrage beim Firmenbuch betreffend die R GmbH durch (OZ 6).
II. ad A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. entscheidungswesentliche Feststellungen
1.1. Der Beschwerdeführer vertrat die R GmbH von 03.12.1994 bis 10.04.2012 selbständig als Geschäftsführer. Mit Beschluss des HG Wien vom 18.03.2014, XXXX , wurde der Konkurs über die R GmbH eröffnet und die Gesellschaft infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst. Mit Beschluss vom 01.03.2017 wurde der Konkurs nach Schlussverteilung aufgehoben und die Firma am 07.07.2017 gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit amtswegig gelöscht.
1.2. Der offene Rückstand bei der R GmbH betrug laut Haftungsbrief (AZ I) EUR 190.531,60.
1.3. Laut Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG vom 19.06.2017 setzt sich der Haftungsbetrag wie folgt zusammen (AZ I, VIII):
Beiträge GPLA Rest und GPLA 02/2009-01/2012
EUR 91.922,51
Verzugszinsen (§59 Abs. 1 ASVG) bis 31.05.2011
EUR 5.390,30
Beitragszuschläge gem. §113 ASVG
EUR 72.647,31
Summe
EUR 169.960,12
1.4. Die SGKK führte im Verfahren aus, die zugrundeliegenden Meldepflichtverletzungen würden daraus resultieren, dass der Beschwerdeführer die Abrechnung der Dienstnehmer im Zeitraum Februar 2009 bis Jänner 2012 nicht ordnungsgemäß abgerechnet und die entsprechenden Beiträge nicht abgeführt habe. Basis für die geforderten Beiträge seien der Prüfbericht vom 23.05.2013 für den Zeitraum 01.01.2009 bis 31.12.2011 und das Erkenntnis des BVwG vom 25.11.2016, L501 2005546-7/16E (AZ III).
1.5. Der Prüfbericht vom 23.05.2013 (AZ III) weist einen Betrag iHv EUR 43.488,76 sowie Verzugszinsen iHv EUR 5.390,30 auf. Die Beträge wurden mit Bescheid vom 24.03.2014 dem Masseverwalter der R GmbH vorgeschrieben (AZ VB).
1.6. Mit Erkenntnis des BVwG vom 25.11.2016, L501 2005546-7/16E, wurde die Beschwerde des Masseverwalters der R GmbH gegen den Bescheid der SGKK vom 15.01.2013 abgewiesen, mit dem die SGKK die GmbH verpflichtet hatte, die mit Beitragsvorschreibung vom 24.01.2012 nachverrechneten, im Prüfbericht vom 26.01.2012 festgestellten Sozialversicherungsbeiträge iHv EUR 129.868,63 sowie Verzugszinsen iHv EUR 70.347,31, sohin einen Gesamtbetrag von EUR 200.215,94, zu entrichten. Die nachverrechneten Beiträge betrafen den Prüfzeitraum 2004 bis 2008.
1.7. In der Beschwerdevorlage vom 07.08.2017 wird erstmalig seitens der SGKK erwähnt, dass es sich beim Beitrag 01/2012 um die Meldepflichtverletzungen für die Zeiträume 2004 bis 2008 handle (OZ 1).
1.8. Im Konkursverfahren XXXX wurden von der SGKK EUR 274.910,22 und EUR 7.153,18 angemeldet, wovon sie im Zuge der Schlussverteilung EUR 14.969,85 und EUR 389,52 erhielt (OZ 3).
2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
2.1. Die Beweisaufnahme, aus der sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt, erfolgte durch Einsicht in die im Folgenden gelisteten von den Verfahrensparteien vorgelegten oder vom BVwG erhobenen Dokumenten und Unterlagen
im Verfahrensakt der GKK:
* Rückstandsausweis vom 19.06.2017 (VIII)
* Prüfungsunterlagen vom 23.05.2013 (AZ III und V)
* Bescheid der SGKK vom 19.06.2017 (VIII)
* Erkenntnisse des BVwG vom 25.11.2016, GZ L501 2005546-1/19E und L501 2005546-7/16E (AZ IX)
im hg. Gerichtsakt:
* Einsicht in den Konkursverfahrensakt XXXX (OZ 2-3)
* Firmenbuchauszug der GmbH (OZ 6)
2.2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich unmittelbar ohne weitere Interpretation aus den jeweils zitierten Aktenteilen, wobei weder der Beschwerdeführer noch die ÖGK diesen entgegengetreten sind.
3. Entfall der mündlichen Verhandlung
3.1. Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).
3.2. Aufgrund der Behebung des angefochtenen Bescheides kann eine Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.
4. Rechtliche Beurteilung
4.1.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Einzelrichterin ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 414 Abs. 1 und Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz [ASVG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die die GKK im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).
4.1.2. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig.
4.2. Zurückverweisung des Verfahrens gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG
4.2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2). Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes [VwGH] zu § 28 VwGVG verlangt es das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127; 29.04.2015, Ra 2015/20/0038; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 RS29).
4.2.2. Die Vertreterhaftung ist jeweils zeitraumbezogen nach der im Beobachtungszeitraum geltenden Rechtslage zu beurteilen (VwGH 19.12.2012, 2011/08/0107). Im gegenständlichen Fall reichen die von der SGKK geltend gemachten ausständigen Beiträge bis Februar 2009 zurück, und resultieren somit aus Zeiträumen sowohl vor, als auch nach in Kraft treten der Novelle BGBl I 2010/62 (SRÄG 2010) mit 01.08.2010.
Bis zum SRÄG 2010, mit dem auch § 58 Abs. 5 ASVG (neu) eingeführt wurde (RV 785 BlgNR XXIV GP S4) enthielt das ASVG keine dem § 80 BAO entsprechende Bestimmung der Definition der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten, für deren schuldhafte Verletzung Vertreter von juristischen Personen zu haften hatten. Der VwGH hatte daher in einem verstärkten Senat festgehalten, dass die Pflichten von Vertretern eines Dienstgebers aus dem Gesetz nur insoweit ableitbar waren, als sie in (Verwaltungs-)Strafbestimmungen ihren Ausdruck gefunden hatten, nämlich die in § 111 ASVG normierte Verpflichtung zur Erstattung der vorgeschriebenen Meldungen an den Versicherungsträger und die in § 114 ASVG normierte Verpflichtung zur Abfuhr der von den Dienstnehmern einbehaltenen Beiträgen (VwGH VS 12.12.2000, 98/08/01919). Haftungsbegründend waren bis zum SRÄG 2010 daher nur Beitragsausfälle, die auf schuldhafte Meldepflichtverletzungen und die Nichtabfuhr tatsächlich einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zurückzuführen waren. Keine Haftung bestand hingegen für "normale Beitragsschulden", sowie für Beitragszuschläge und Verzugszinsen (vgl. VwGH 27.07.2001, 2001/08/0061).
Für Zeiträume ab dem 01.08.2010 ist die mit dem SRÄG 2010 neu eingeführte Bestimmung des § 58 Abs. 5 ASVG maßgeblich, welche neben den in § 67 Abs. 10 ASVG auferlegten Pflichten nunmehr (ausdrücklich) auch eine allgemeine, die Vertreter treffende Pflicht, aus den von ihnen verwalteten Mitteln für die Abfuhr der Beiträge zu sorgen, vorsieht. Damit tritt ab diesem Zeitpunkt eine Haftung wegen Ungleichbehandlung zu der vom VwGH bisher schon ausgemachten Haftung für nicht abgeführte DN-Beiträge und für Meldeverstöße (gleichrangig) hinzu (Sonntag, ASVG (2013) § 67 Rz 77a).
4.2.3. Die Haftung des Vertreters gemäß § 67 Abs. 10 ASVG setzt für Beitragsschulden vor dem SRÄG 2010 voraus, dass dieser tatsächlich eine schuldhafte Pflichtverletzung begangen hat. Ist diese aber nicht kausal für die Uneinbringlichkeit - beispielsweise wenn die Beiträge auch bei ordnungsgemäßer Meldung nicht hätten einbringlich gemacht werden können (vgl. VwGH 17.11.2004, 2002/08/0212) - ist auch eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ausgeschlossen. Ob eine derartige Pflichtverletzung vorliegt, hat die belangte Behörde im Sinne des § 39 Abs. 2 AVG von Amts wegen zu prüfen (vgl. VwGH 14.04.2010, 2010/08/0001). Für Sachverhalte vor dem SRÄG 2010 ist daher zunächst von der Behörde festzustellen, welche Umstände zu welchem Zeitpunkt iSd §§ 33 ff ASVG hätten gemeldet werden müssen und dass diese Meldungen unterblieben sind bzw. dass es zu einer Nichtabführung von Dienstnehmerbeiträgen gekommen ist. Erst wenn dies feststeht, liegt es beim Meldepflichtigen darzutun, dass ihn aus bestimmten Gründen kein Verschulden an der Pflichtverletzung trifft (vgl. dazu explizit VwGH 22.02.2012, 2010/08/0190 mwN).
4.2.4. Die SGKK hat jedoch weder in ihrer Entscheidung, Angaben gemacht, noch lassen sich dem vorgelegten Verfahrensakt Hinweise darauf entnehmen ob, wodurch und in welchem jeweiligen Ausmaß die Haftung des Beschwerdeführers durch welche Pflichtwidrigkeit begründet wurde. Aus den von der SGKK übermittelten Unterlagen ergibt sich ergänzend, dass auch Verzugszinsen und Beitragszuschläge im Haftungsbetrag, enthalten sind, welche vor dem SRÄG 2010 aber zu keiner Haftung geführt haben (vgl. VwGH 27.07.2001, 2001/08/0061).
4.2.5. Hinzu kommt, dass sich der Haftungsbetrag nicht schlüssig aus dem vorliegenden Akt ergibt. So ergeben etwa die beiden vorliegenden Prüfungsberichte gemeinsam einen offenen Betrag von EUR 249.095,00. Dieser beinhaltet Verzugszinsen iHv 75.737,61, jedoch nicht den Beitragszuschlag iHv EUR 72.647,31. Es vermag daher weder nachvollzogen werden, wie es
zum offenen Betrag von EUR 190.531,60 bei der GmbH kommt, noch woher etwa die Beitragszuschläge im Haftungsbetrag herstammen. Auch im Abgleich mit dem Konkursverfahren ergibt sich keine Nachvollziehbarkeit, da dort im Jahr 2014 in Summe EUR 282.063,40 geltend gemacht wurden, von denen nach Schlussverteilung im Februar 2017 noch EUR 259.940,37 offen waren. Woher und von wann die Beitragszuschläge stammen lässt sich dem Akt ebenfalls nicht entnehmen.
4.2.6. Es handelt sich gegenständlich somit nicht um vorhandene Ermittlungsergebnisse, welche einer allfälligen Ergänzung durch das BVwG bedürften (vgl. VwGH 19.12.2018, Ra2018/01/0368), sondern es wäre verfahrensgegenständlich das gesamte erforderliche Ermittlungsverfahren der belangten Behörde auf das BVwG übertragen.
4.2.7. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 06.07.2016, Ra2015/01/0123 mwN).
Dies ist wie ausgeführt gegenständlich der Fall. Die Aufhebung des Bescheides der belangten Behörde und die Zurückverweisung der Angelegenheit an dieselbe steht daher im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127), weshalb gegenständlich das dem BVwG gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an die ÖGK zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen ist.
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision
Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf die umfangreiche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGVG und bewegt sich im vom VwGH eng gesetzten Rahmen der Zulässigkeit einer Zurückverweisung. Etwa jüngst zur Zulässigkeit einer zurückverweisenden Entscheidung bei Fehlen jeglicher Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde VwGH 30.03.2017, Ra 2014/08/0050; 09.03.2016, Ra 2015/08/0025 und VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127 sowie grundlegend VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063.
Der Entfall der mündlichen Verhandlung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
Schlagworte
Beitragszuschlag Ermittlungspflicht Haftung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung PflichtverletzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L511.2167134.1.00Im RIS seit
06.08.2020Zuletzt aktualisiert am
06.08.2020