TE Vwgh Beschluss 2020/7/16 Ra 2020/18/0240

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Veröffentlicht am 16.07.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des S H T in H, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 2019, W104 2208490-1/17E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans und stellte am 3. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, als Hilfsarbeiter für die Regierung gearbeitet zu haben und deshalb von den Taliban bedroht worden zu sein. Zudem sei ihm von diesen unterstellt worden, er habe mitgeholfen, dass eine Gruppe der Taliban von der Polizei getötet worden sei.

2        Mit Bescheid vom 4. September 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Das BFA legte eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen gerichtete Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision wurde vom Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

4        Begründend führte das BVwG zusammengefasst, und soweit für das Revisionsverfahren relevant, aus, es sei aufgrund seiner unterschiedlichen Angaben zum behaupteten Übergriff, zum Aufenthaltsort seiner Familie sowie wegen der inkonsistenten zeitlichen Angaben des Revisionswerbers und seiner detailarmen Schilderungen nicht glaubhaft, dass er je persönlich von den Taliban bedroht oder verdächtigt worden sei, infolge eines Verrats direkt verantwortlich für den Tod einiger Taliban gewesen zu sein. Die Beschreibungen des Revisionswerbers zu seiner Arbeit in seinem Herkunftsdorf in der Provinz Herat erachtete das BVwG zwar als glaubhaft, nahm jedoch an, dass der Revisionswerber einer allfälligen Verfolgung wegen seiner Arbeit für die Distriktsverwaltung durch die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat-Stadt entgehen könne. Diese Städte würden unter der Kontrolle der Regierung stehen und beim Revisionswerber handle es sich nicht um eine derart exponierte („high profile“) Person, an deren Verfolgung die Taliban ein erhöhtes Interesse hätten. Die Rückkehrentscheidung begründete das BVwG damit, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würden, wobei es dieser Beurteilung die eigenen Angaben des Revisionswerbers im Verfahren zugrunde legte.

5        Mit Beschluss vom 24. Februar 2020, E 4737/2019-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und wies den unter einem gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ab. Mit Beschluss vom 11. April 2020, E 4737/2019-9, trat er die Beschwerde über nachträglich gestellten Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6        Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Erkenntnis des BVwG weise vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Begründungs- und Ermittlungsmängel auf. Insbesondere habe das BVwG keine aktuellen Länderfeststellungen getroffen, um die Rückkehrmöglichkeit für den Revisionswerber abschließend beurteilen zu können. Eine innerstaatliche Fluchtalternative komme für den Revisionswerber nicht in Frage, weil er sich einem Zugriff der Taliban auch in den afghanischen Großstädten nicht entziehen könne. Zudem würden die Ausführungen im Rahmen der Rückkehrentscheidung keinen direkten Bezug zum Revisionswerber und damit keinen Begründungswert aufweisen.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Soweit in der Revision auf Ereignisse und Länderberichte nach dem Entscheidungszeitpunkt der angefochtenen Entscheidung verwiesen wird, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen hat (vgl. etwa VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0005, mwN).

12       Insoweit in der Revision Begründungsmängel im Zusammenhang mit der Beurteilung der Sicherheitslage im Herkunftsort des Revisionswerbers geltend gemacht werden, wird damit schon deshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt, weil das BVwG ohnehin keine Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Herkunftsort angenommen hat, sondern diesen auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat-Stadt verwies.

13       Soweit der Revisionswerber diese angenommene innerstaatliche Fluchtalternative bestreitet und dazu vorbringt, die Länderfeststellungen seien nicht hinreichend aktuell, um die Rückkehrmöglichkeit für den Revisionswerber abschließend beurteilen zu können, macht er einen Verfahrensmangel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 22.4.2020, Ra 2020/18/0098, mwN).

14       Wenn die Revision in diesem Zusammenhang auf die EASO Country Guidance Notes vom Juni 2019 und andere Berichte verweist und dazu ausführt, dass diese ein durchwegs anderes Bild der derzeitigen Situation in Mazar-e Sharif abgeben würden, ist ihr entgegenzuhalten, dass sich diesen Berichten entgegen dem Revisionsvorbringen keine, den Länderfeststellungen des BVwG widersprechenden Informationen entnehmen lassen.

15       Mit dem Vorbringen, wonach die Taliban laut aktuellem Länderberichtsmaterial über ein Netzwerk an Spitzeln und Nachrichtendiensten in ganz Afghanistan verfügen würden, weshalb es ihnen möglich wäre, den Revisionswerber auch in den afghanischen Großstädten zu finden, entfernt sich die Revision vom festgestellten Sachverhalt, wonach nicht glaubhaft sei, dass die Taliban überhaupt ein Interesse daran hätten, den Revisionswerber in Mazar-e Sharif oder Herat-Stadt aufzuspüren und zu verfolgen, zumal es sich beim Revisionswerber um keine exponierte („high profile“) Person handle (vgl. VwGH 18.2.2020, Ra 2020/18/0032, mwN). Diese Erwägungen werden in der Revision jedoch gar nicht bestritten.

16       Sofern sich die Revision schließlich gegen die Rückkehrentscheidung wendet und dazu „der Vollständigkeit halber“ festhält, dass die Ausführungen des BVwG keinen direkten Bezug zum Revisionswerber und damit keinen eigenen Begründungswert aufweisen würden, legt sie nicht dar, welche konkreten Umstände vom BVwG im Rahmen der durchgeführten Interessenabwägung nicht ausreichend berücksichtigt worden wären. Dem Vorbringen, wonach die Feststellungen des BVwG zum Leben des Revisionswerbers nicht nachvollziehbar seien, kann bereits deshalb nicht gefolgt werden, weil diese Feststellungen den Angaben des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung entsprechen.

17       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 18.5.2020, Ra 2020/18/0136, mwN). Mit dem pauschalen Vorbringen in der Revision wird eine derartige Unvertretbarkeit der Interessenabwägung nicht aufgezeigt und ist eine solche auch nicht ersichtlich. Daran ändert auch nichts, dass das BVwG in der Beweiswürdigung irrtümlich auf eine nicht bestehende Verurteilung des Revisionswerbers Bezug nimmt, da das BVwG bei der Interessenabwägung ohnehin richtigerweise von der Unbescholtenheit des Revisionswerbers ausging.

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 16. Juli 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180240.L00

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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