TE OGH 2020/6/5 4Ob55/20x

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Veröffentlicht am 05.06.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die
Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin P***** S*****, vertreten durch Dr. Anton Frank und andere Rechtsanwälte in Wels, gegen den Beklagten P***** S*****, vertreten durch Dr. Bernhard Aschauer, Rechtsanwalt in Linz, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 5. Februar 2020, GZ 21 R 188/19z-36, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 28. Mai 2019, GZ 6 C 16/18p-32, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Ausspruch über das Verschulden und der Kostenentscheidung dahin abgeändert, dass die Entscheidung insgesamt zu lauten hat:

„Die zwischen den Streitteilen am 6. 5. 2000 vor dem Standesamt Gmunden zu Ehebuchnummer 46/2000 geschlossene Ehe wird aus gleichteiligem Verschulden der Parteien mit der Wirkung geschieden, dass sie mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils aufgelöst ist.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 156 EUR (Barauslagen) bestimmten Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 643 EUR (Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Im Übrigen werden die Kosten gegeneinander aufgehoben.“

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind seit rund 20 Jahren verheiratet. Der Ehe entstammen zwei volljährige Kinder. Die Klägerin ist Zahnarztassistentin, der Beklagte Betriebsfeuerwehrmann; er hält auch Kurse und unterrichtet an diversen Bildungseinrichtungen, teilweise auch an Wochenenden. Im Jahr 2014 erwarben die Parteien eine (Zweit-)Wohnung in Linz und im Jahr 2016 eine solche in Wien. Sowohl im Jahr 2016 als auch im Oktober 2017 hatte der Beklagte eine Partner-App namens Tinder bzw Lovoo auf seinem Handy installiert. Am 20. 10. 2017 sah die Klägerin, dass der Beklagte Lovoo auf seinem Handy installiert hatte und installierte noch am selben Abend diese Partner-App auf ihrem Handy, um den Beklagten zu kontrollieren. In der Folge kommunizierte sie über diese App mit anderen Männern. Den Beklagten fand sie in dieser App nur noch als „grau hinterlegt“ (nicht mehr aktiv). Die Klägerin lernte Anfang Dezember 2017 einen Mann über Lovoo kennen. Mit diesem telefonierte sie in der Folge auch und sie schrieben einander per WhatsApp. Im Februar traf die Klägerin diesen Mann das erste Mal persönlich und verreiste im Mai 2018, zu Pfingsten, gemeinsam mit ihm in Begleitung ihrer Tochter und seines Sohnes nach Jesolo. Dabei kam es auch zum ersten sexuellen Kontakt zwischen der Klägerin und diesem Mann. Weihnachten 2018 verbrachte er auch bei ihr zu Hause. Der letzte Geschlechtsverkehr zwischen den Parteien fand im Zeitraum Oktober 2017 – Anfang Dezember 2017 statt. Die Parteien machten im Jahr 2017 Ausflüge und Kurzurlaube, insbesondere fuhren sie mehrmals nach Wien, in die gemeinsame Wohnung, in der die Tochter lebt. Der letzte gemeinsame Urlaub fand in Schladming von 8.–11. 10. 2017 statt. Sie planten noch einen weiteren Urlaub für Jänner 2018, der aber nicht mehr gemeinsam angetreten wurde. Dass der Beklagte gegenüber der Klägerin während aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft tätlich geworden ist, kann nicht festgestellt werden. Der Beklagte war beruflich stark engagiert. Er hatte nur alle sechs Wochen am Wochenende frei. Die Klägerin äußerte gegenüber dem Beklagten (insbesondere nach dem Auszug der Kinder im Jahr 2016), dass sie möchte, dass er mehr zu Hause ist. Sie wusste oftmals nicht über die konkreten Dienstzeiten bzw Kurszeiten des Beklagten Bescheid. Auch hatte der Beklagte, insbesondere im Jahr 2016, sein Handy zeitweise auf Flugmodus eingestellt, sodass er für die Klägerin nicht erreichbar war. Seit der Anschaffung der Wohnung in Linz im Jahr 2014 hat der Beklagte die überwiegende Zeit unter der Woche in der Wohnung in Linz verbracht und ist nur manchmal unter der Woche nach Hause gefahren. Die Klägerin verbrachte nur ein bis vier Tage pro Monat in der Wohnung in Linz. Auch hat der Beklagte am Wochenende oft Kurse gehalten oder er hatte Schicht. Der Beklagte hat beruflich viel mit Frauen zu tun, weil er auch Kurse für Tagesmütter gegeben hat. Im Sommer/Herbst 2017 waren die Parteien gemeinsam auf der Donauinsel, wobei der Beklagte neben der Klägerin mit einer Frau Nachrichten austauschte, über Nachfrage der Klägerin, ob sie die Nachrichten lesen könne, verneinte der Beklagte dies unter Verweis auf seine Privatsphäre. Teilweise drückte der Beklagte Anrufe weg, wobei die Klägerin Frauennamen am Display sah. Die Klägerin war eifersüchtig. Ob sie den Beklagten übermäßig kontrollierte, konnte nicht festgestellt werden. Ab und zu lag der Dienstplan zu Hause herum. Der Beklagte schickte der Klägerin fallweise ein Foto des Dienstplans, insbesondere im Zusammenhang mit der Freizeitplanung. Der Beklagte ließ die Klägerin über seine Arbeitszeiten häufig im Unklaren. Die Klägerin schickte dem Beklagten am 23. und 25. 10. 2017 per WhatsApp Smileys mit Kussmund, am 3. 11. 2017 wünschte sie ihm für seinen Test alles Gute und schickte ihm wieder ein Kuss-Smiley, anschließend gratulierte sie ihm ebenfalls mit Kuss-Smiley zum bestandenen Test. Am 3. 11. 2017 schrieb sie ihm, dass sie ihn liebe und setzte einen Herz-Smiley dazu. Auch am 5. 11. 2017 schickte sie ihm ein Kuss-Smiley. Zum Geburtstag der Klägerin am 9. 11. 2017 gratulierte ihr der Beklagte sehr liebevoll und die Klägerin bedankte sich mit Herz- und Kuss-Smileys. Von Ende November bis Anfang Dezember 2017 sandte die Klägerin dem Beklagten nahezu täglich Nachrichten wie Guten-Morgen- oder Gute-Nacht-Grüße samt Kuss-Smileys. Die Klägerin und der Beklagte beabsichtigten, das Wochenende um den 8. 12. 2017 gemeinsam in Wien bei der Tochter zu verbringen. Vereinbart war, dass die Klägerin den Beklagten in der Wohnung in Linz (Leonding) abholt. Die Klägerin fuhr allerdings alleine nach Wien und holte den Beklagten nicht ab. Sie teilte ihm am 8. 12. 2017 telefonisch mit, dass sie sich scheiden lassen möchte. Die Ehe der Parteien ist für die Klägerin subjektiv seit dem Zeitpunkt, als sie am 20. 10. 2017 die Partner-App auf dem Handy des Beklagten gesehen hat, unheilbar zerrüttet. Die Klägerin forderte den Beklagten im Dezember 2017 auf, nicht mehr in der gemeinsamen Ehewohnung zu übernachten. Der Beklagte schlief im Dezember 2017 nur noch zweimal in der Ehewohnung. Der Beklagte erfuhr von der außerehelichen Beziehung der Klägerin im Juli 2018. Seitdem ist für ihn subjektiv die Ehe vorbei. Die häusliche Gemeinschaft der Parteien wurde Mitte Dezember 2017 aufgehoben. Der Beklagte äußerte der Klägerin gegenüber im Jahr 2017 bei einer Auseinandersetzung am 27. 10. 2017 in Wien seinen Scheidungswunsch. Im Rahmen dieses Streits äußerte der Beklagte, dass er sich von der Klägerin scheiden lassen wolle und es ihn nicht mehr interessiere. Die Tochter war während der Auseinandersetzung anwesend und hat diese gefilmt. Eine bedrohliche Situation war nicht erkennbar. Auch machte die Klägerin keinen eingeschüchterten Eindruck. In der Zeit von Jänner 2018 bis Mai 2018 hat der Beklagte beinahe täglich
– teilweise auch mehrmals – mit einer anderen Frau telefoniert, wobei die Telefonate zwischen wenigen Minuten und einer dreiviertel Stunde andauerten. Auch hat der Beklagte mit dieser Frau im genannten Zeitraum beinahe täglich eine Vielzahl von SMS ausgetauscht. Der Beklagte und diese Frau kennen einander seit einigen Jahren, seitdem der Beklagte für Tagesmütter einen Kurs veranstaltet hat, an dem sie teilnahm. Diese Kurse werden vom Beklagten nach wie vor in regelmäßigen Abständen abgehalten. Dass der Beklagte mit dieser Frau eine außereheliche Beziehung unterhält bzw unterhalten hat, kann nicht festgestellt werden.

Die Klägerin begehrte mit der am 6. 6. 2018 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Der Beklagte gehe notorisch fremd und unterhalte zu diversen Frauen seit langer Zeit ehewidrige Beziehungen. Er habe sich bei Partnerschaftsbörsen bzw Partner-Apps angemeldet und vernachlässige die Klägerin.

Der Beklagte bestritt und beantragte den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin. Die Ehe sei bis Anfang Dezember 2017 harmonisch verlaufen. Die Klägerin unterhalte eine ehewidrige Beziehung zu einem anderen Mann.

Das Erstgericht schied die Ehe – unter Zugrundelegung des eingangs zusammenfassend wiedergegebenen Sachverhalts – aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Beide Parteien hätten einen Beitrag zur Zerrüttung der Ehe geleistet, der ihnen auch vorzuwerfen sei. Der Klägerin sei vorzuwerfen, dass sie nach Installation der Partner-App anderen Männern geschrieben habe und auch mit einem von ihnen – vor der unheilbaren Zerrüttung ihrer Ehe – in Kontakt getreten sei. Dadurch habe sie die eheliche Treuepflicht verletzt. Der Umstand, dass sie die Partner-App installiert habe, sei ihr als Reaktionshandlung auf das Verhalten des Beklagten nicht anzulasten. Dem Beklagten sei vorzuwerfen, dass er am 20. 10. 2017 (und auch bereits früher) eine Partner-App auf seinem Handy installiert hatte, wodurch er ebenfalls die eheliche Treuepflicht verletzt habe. Auch habe er die Klägerin über seine konkreten Arbeits- und Kurszeiten nur fallweise informiert und die überwiegende Zeit unter der Woche in der Linzer Wohnung verbracht, was ihm auch als Eheverfehlung vorzuwerfen sei, zumal ihn die Klägerin gebeten habe, mehr Zeit in der Ehewohnung zu verbringen. Dass die Klägerin dem Beklagten seine Eheverfehlungen verziehen habe, ergebe sich nicht.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Dem Beklagten sei eine schwere Eheverfehlung nach § 49 EheG anzulasten, die zur Zerrüttung der Ehe geführt habe. Der Einwand, die Klägerin habe ihm seine Eheverfehlungen verziehen, finde in den Feststellungen keine Anhaltspunkte und sei überdies irrelevant, weil auch verziehene Eheverfehlungen in die Verschuldensabwägung einbezogen werden könnten. Unzutreffend sei auch, dass die objektive Zerrüttung der Ehe erst im Juni/Juli 2018 eingetreten sei, nachdem der Beklagte Kenntnis davon erlangt habe, dass die Klägerin eine ehebrecherische Beziehung zu einem anderen Mann unterhalte. Die unheilbare Zerrüttung sei vielmehr schon im Dezember 2017 eingetreten, als die häusliche Gemeinschaft aufgehoben worden sei. Die spätere intime Beziehung der Klägerin zu einem anderen Mann spiele daher bei der Verschuldensabwägung keine Rolle. Den Zerrüttungsprozess habe der Beklagte eingeleitet und den wesentlichsten Beitrag dazu geleistet, indem er jahrelang die Interessen und Wünsche der Klägerin ignoriert habe, mehr Zeit bei ihr zu verbringen. Stattdessen habe er sie über seine Arbeitszeiten weitgehend im Ungewissen gelassen und insbesondere unter der Woche ein Leben nur für die eigenen Interessen geführt. Er sei es auch gewesen, der durch Installierung von Partner-Apps als erster Interesse für einen ehewidrigen Umgang mit dem anderen Geschlecht gezeigt und die Klägerin überhaupt erst auf den Gedanken gebracht habe, ebenfalls über eine solche App mit anderen Männern zu kommunizieren. Bei dieser Sachlage sei der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe nicht zu beanstanden.

Der Beklagte macht in seiner außerordentlichen Revision im Wesentlichen geltend, seine Schuld an der unheilbaren Zerrüttung der Ehe wiege nicht erheblich schwerer als jene der Klägerin. Allfällige Eheverfehlungen seinerseits bis Anfang Dezember 2017 habe ihm die Klägerin verziehen. Der Beklagte beantragt daher den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin, in eventu des gleichteiligen Verschuldens der Streitteile; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.

1.1. Bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen (RS0057303; RS0056171). Dabei soll nicht nur der Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten beurteilt werden, sondern auch wieweit sie einander bedingten und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten. Es ist insbesondere das Gewicht der Eheverfehlungen, ihre Reihenfolge und der Beitrag zur Ehezerrüttung zu beachten (RS0057223 [T2]; vgl auch RS0057464).

1.2. Weil das überwiegende Verschulden, insbesondere bei den Scheidungsfolgen, dem alleinigen Verschulden gleichgestellt wird, ist ein strenger Maßstab anzulegen (RS0057821 [T8]). Ein überwiegendes Verschulden eines der Ehegatten ist daher nur dann auszusprechen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich und evident hervortritt und das mindere Verschulden fast völlig in den Hintergrund tritt (RS0057325 [T4]; RS0057821 [T7]; RS0057487 [T1]; RS0057858 [T10]).

1.3. Besondere Bedeutung misst die Rechtsprechung der ersten Eheverfehlung zu, wenn diese die erste Ursache für die weiteren war (RS0057367; RS0056597; RS0057361; RS0057416; RS0057202; RS0057241).

2.1. Im vorliegenden Fall stehen einander vor allem die wechselseitigen Partner-App-Aktivitäten der Streitteile gegenüber. Diesbezüglich hat zwar der Beklagte die ersten Schritte gesetzt, jedoch sind keine näheren Kommunikationen zwischen ihm und allfälligen Partnerinnen festgestellt. Konkrete Kontakte des Beklagten zu anderen Frauen wurden jedoch nicht festgestellt. Die Klägerin stand mit einem Mann in Kontakt, zu dem sich in der Folge auch eine intime Beziehung entwickelte. Letzteres fällt aber nicht ins Gewicht, weil die Beklagte die Kontakte zu diesem Mann erst nach der unheilbaren Zerrüttung der Ehe (Anfang Dezember 2017) intensiviert hat. Die Vorwerfbarkeit der jeweiligen Eheverfehlungen hält sich damit etwa die Waage, und es liegt kein fast völlig in den Hintergrund tretendes Minderverschulden der Klägerin vor.

2.2. Auch die übrigen Vorwürfe gegenüber dem Beklagten wiegen nicht so schwer, dass sie bei der Verschuldensabwägung mit einem maßgeblichen Übergewicht im Verhältnis zu jenen, die die Klägerin treffen, zu bemessen wären. So kann zwar eine übermäßige Zuwendung zum Beruf und ein damit verbundenes häufiges Alleinlassen des Ehegatten grundsätzlich eine schwere Eheverfehlung sein (RS0056053 [T5, T11]; RS0123640), allerdings müssen Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG die objektive Eignung und die subjektive Wirkung haben, einen bedeutenden Beitrag zur Zerrüttung der Ehe zu leisten (RS0056470 [T2]). Ein derartiger Beitrag ist dem festgestellten Sachverhalt im Zusammenhang mit dem beruflichen Engagement des Beklagten bzw seinen Ortsabwesenheiten nicht zu entnehmen. Die Streitteile verkehrten miteinander bis zum Zerrüttungszeitpunkt Anfang Dezember 2017 liebevoll, auch geschlechtlich, planten gemeinsame Urlaube, und der Beklagte übermittelte der Klägerin Fotos aus seinem Dienstplan zwecks gemeinsamer Freizeitgestaltung.

2.3. Ein überwiegendes Verschulden einer Seite ist nach der ständigen Judikatur nur dann auszusprechen, wenn es erheblich schwerer wiegt als das des anderen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt und das Verhalten der anderen Seite dagegen eher zu vernachlässigen ist. Weder das Verhalten der Klägerin noch jenes des Beklagten tritt aber in diesem Sinn völlig in den Hintergrund. Beiden Parteien sind im Zusammenhang mit der elektronischen Partnersuche (und hinsichtlich der Klägerin auch -findung) schwere Eheverfehlungen anzulasten, denen etwa gleiches Gewicht zukommt. Auch die Berücksichtigung der übrigen festgestellten Verhaltensweisen (Ortsabwesenheiten des Beklagten) führt zu keinem anderen Ergebnis, sodass insgesamt beide Parteien etwa im gleichen Ausmaß zur Zerrüttung der Ehe beigetragen haben. In Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen ist daher das gleichteilige Verschulden der Parteien auszusprechen.

3.1. Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 43 Abs 1 ZPO. Im Fall eines gleichteiligen Verschuldens hat Kostenaufhebung einzutreten. Gemäß § 43 Abs 1 Satz 3 ZPO hat die Klägerin Anspruch auf Ersatz der halben Pauschalgebühr.

3.2. Ausgehend vom endgültigen Prozessergebnis und einem gleichteiligen Erfolg beider Parteien im Rechtsmittelverfahren hat der Beklagte Anspruch auf Ersatz der halben Pauschalgebühr des Berufungs- und Revisionsverfahrens (§§ 50 Abs 1, 43 Abs 1 letzter Satz ZPO; 7 Ob 21/19t).

Textnummer

E128760

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00055.20X.0605.000

Im RIS seit

06.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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