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40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AsylG 2005 §15 Abs1 Z1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des Ö F Y, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Jänner 2020, L504 2224694-1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der Volksgruppe der Kurden, stellte am 12. Juni 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe das Begräbnis eines Freundes besucht, der ein Mitglied der PKK gewesen sei und im Kampf gegen die türkischen Sicherheitskräfte getötet worden sei. Danach sei er von der türkischen Zivilpolizei befragt worden. In der Folge habe er aus Angst vor einer Verfolgung durch die türkischen Behörden seinen Herkunftsstaat verlassen. Kurden könnten in der Türkei allgemein keine gerechte Behandlung erwarten. Er sei auch zuvor bereits einmal für die prokurdische Partei HDP tätig gewesen, indem er bei Wahlen Stimmen ausgezählt habe, weshalb er als Sympathisant dieser Partei angesehen werden könnte.
2 Mit Bescheid vom 19. September 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Begründend führte das BFA - soweit hier wesentlich - aus, der Revisionswerber sei nach seinen eigenen Angaben nach der Befragung durch die türkische Zivilpolizei in Gefolge der Teilnahme an einem Begräbnis eines Mitgliedes der PKK nicht festgenommen worden und habe bis zu seiner Ausreise unbehelligt weiterleben können. Er sei nicht Mitglied der HDP gewesen und habe sich nicht politisch betätigt, sondern sich nach seinen Ausführungen nur einmal im Namen der HDP an einer Stimmenauszählung bei einer Wahl beteiligt. Es sei daher nicht anzunehmen, dass die türkischen Behörden ein besonderes Interesse an ihm hätten, zumal nach den Länderberichten nur exponierte kurdische Politiker bzw. Amtsträger nach dem im Jahr 2016 gescheiterten Putschversuch ins Visier türkischer Behörden geraten seien. Angehörige der Volksgruppe der Kurden seien - unter Berücksichtigung der näher getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat - in der Türkei keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt. Dem Revisionswerber drohe daher bei einer Rückkehr in der Türkei nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers - ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich in seiner Begründung den Feststellungen und den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA an. Den Entfall einer mündlichen Verhandlung gründete es darauf, dass der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt sei.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht habe zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Das BFA habe den Revisionswerber nämlich nicht ausreichend zu seinen Fluchtgründen befragt. Auch wäre vor dem Hintergrund des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers eine nähere Auseinandersetzung mit der Lage der Kurden in der Türkei bzw. den Repressionen, die kurdische Politiker ausgesetzt seien, erforderlich gewesen. Insoweit seien in der Beschwerde die Feststellungen des BFA bestritten worden. Daraus hätte sich ergeben, dass dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in die Türkei Verfolgung drohe.
10 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung „geklärt erscheint“ folgende Kriterien beachtlich:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 9.1.2020, Ra 2018/19/0501, mwN).
11 Mit ihrem Vorbringen, der Revisionswerber sei im Verfahren des BFA nicht ausreichend befragt worden, macht die Revision der Sache nach das Unterbleiben eines vollständigen und ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens geltend. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem Vorbringen des Asylwerbers zentrale Bedeutung zukommt. Das geht auch aus § 18 Abs. 1 AsylG 2005 deutlich hervor, wonach das BFA und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Diese Pflicht bedeutet aber nicht, ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0472, mwN).
12 Im vorliegenden Fall wurde der Revisionswerber vom BFA zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm nach dem Akteninhalt auch ausdrücklich Gelegenheit gegeben, weitere Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. Befürchtungen für den Fall der Rückkehr in die Türkei zu schildern. Die Revision vermag daher insoweit eine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens des BFA, die eine Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht ausgelöst hätte, nicht aufzuzeigen.
13 Es entspricht weiters der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Asylbehörden in der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen haben (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2019/19/0386, mwN). Bei den von Amts wegen zu treffenden Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern haben die Asylbehörde und das Verwaltungsgericht von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch zu machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen (vgl. etwa VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0143 mwN).
14 Auch eine Verletzung dieser Verpflichtungen vermag die Revision nicht darzulegen. Das BVwG stellte fest, dass türkische Staatsbürger nichttürkischer Volkszugehörigkeit alleine auf Grund ihrer Abstammung keinen - einer asylrelevanten Verfolgung entsprechenden - staatlichen Repressionen unterworfen seien. Personen, die im Verdacht stünden, die PKK zu unterstützen, müssten mit Strafverfolgung rechnen. Auch gegen einzelne exponierte Funktionäre und Mitglieder der HDP seien strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden. Die Revision legt nicht dar, dass der Revisionswerber zu einer dieser zuletzt genannten Personengruppen zählen würde, oder dass er aus sonstigen Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413, mwN, wonach eine Verfolgungsgefahr dann anzunehmen ist, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, während die bloß entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genügt). In der Beschwerde wurde diesen gleichlautend bereits vom BFA getroffenen Feststellungen - entgegen der Revision - nicht substantiiert entgegengetreten und kein weiteres Fluchtvorbringen erstattet, sodass auch unter diesem Aspekt keine Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung bestand. Auch dass die von BFA und Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichte zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr die erforderliche Aktualität gehabt hätten, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 16. Juni 2020
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190064.L00Im RIS seit
05.08.2020Zuletzt aktualisiert am
10.08.2020