Entscheidungsdatum
18.04.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W226 2201711-1/11E
W226 2201708-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX (BF1), geb. XXXX und 2.) XXXX (BF2), geb. XXXX , beide StA: Ukraine, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.06.2018, Zlen. 1.) 1028478309/14870498 und 2.) 1028478407/14870510, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.11.2018 zu Recht erkannt:
A) I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I., II. und III. der angefochtenen Bescheide werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 57 AsylG als unbegründet abgewiesen.
II. Im Übrigen wird den Beschwerden stattgegeben und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt. Gemäß §§ 54 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm 55 Abs. 1 AsylG wird 1.) XXXX und 2.) XXXX jeweils der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1 Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist die Mutter der bei der Einreise minderjährigen, mittlerweile volljährigen Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2). Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen (im Folgenden: BF) ist untrennbar miteinander verknüpft bzw. beziehen sich die BF auf dieselben Verfolgungsgründe, weshalb die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens aller BF abzuhandeln war.
Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine, gehören der ukrainischen Volksgruppe an und bekennen sich zum christlich-orthodoxen Glauben.
1.2. Die BF reisten im August 2014 mittels Flugzeug in das Bundesgebiet ein und stellten am 11.08.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.3. Am 13.08.2014 fand eine Erstbefragung der BF1 und BF2 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.
Die BF1 gab zum Grund für das Verlassen des Herkunftslandes an, dass sie gemeinsam mit einem Verwandten ( XXXX ) Zeugin gewesen sei, als Personen in Militäruniformen einen Mann umgebracht hätten. Dies sei zwischen XXXX und XXXX gewesen. Diese Männer hätten über ihr Autokennzeichen ihre Adresse ausgeforscht und seien dann zu ihrer Adresse gekommen, sie sei aber nicht mehr dort gewesen. Sie hätten sich bei einem Mann, welcher das Haus und die Parkplätze überwache, nach ihr erkundigt. Dann seien sie wieder weggefahren. Sie seien noch einige Male zu ihrem Haus gekommen. Der Verwandte sei am XXXX umgebracht worden. Ob es diese Männer gewesen seien, könne sie nicht sagen. Aus diesen Gründen habe dann ihr Mann sie und die Tochter aus der Ukraine weggeschickt. Sie wolle für sich und ihre Tochter um Asyl ansuchen. Zu den Rückkehrbefürchtungen befragt, gab sie an, dass bei ihnen derzeit die Leute verschwinden würden und sie Angst habe, ebenfalls entführt oder getötet zu werden.
Weiters gab die BF1 an, sie sei standesamtlich verheiratet. Sie habe die Volks- und Mittelschule sowie eine Ausbildung an einem Institut in XXXX besucht. Zuletzt sei sie Besitzerin einer Fahrschule gewesen. Ihre Muttersprache sei Russisch, sie spreche auch gut Ukrainisch und schlechtes Englisch. Ihre Eltern würden in XXXX (Bezirk Charkov) und ihr Bruder in XXXX leben. Ihr Ehemann befinde sich auch irgendwo in der Ukraine. Ein Cousin lebe mit seiner Familie seit sieben Jahren in XXXX . Sie sei in XXXX (Donezk) geboren und habe auch dort gelebt.
Im Zuge der Erstbefragung gab die BF2 zum Grunde für das Verlassen des Herkunftsstaates an, dass es gefährlich sei in ihrem Land zu leben, da Krieg herrsche. Warum sie ihre Heimat verlassen haben müssen, wisse sie nicht. Ihre Eltern hätten das beschlossen. Sie wolle hier in Österreich um Asyl ansuchen. Bei einer Rückkehr werde sie dort kein sicheres Leben mehr führen können, da Krieg herrsche. Sie könne auch keine Ausbildung machen, da schon viele Schulen zerbombt seien. Sie habe Angst um ihr Leben und das Leben ihrer Eltern.
Weiters gab die BF2 an, in XXXX geboren zu sein und zuletzt dort gelebt zu haben. Ihre Muttersprache sei Russisch, sie spreche auch Ukrainisch und mittelmäßig Deutsch und Englisch. Sie habe die Grundschule in XXXX , bis 2009 die Mittelschule in Kiew und bis 2014 die Mittelschule in XXXX besucht. Ihr Vater würde sich in der Ukraine aufhalten. Ihre Mutter und sie hätten beschlossen nach Österreich zu fahren, damit sie hier ihre Ausbildung weitermachen könne.
Der ukrainischen Reisepässe der BF, die Flugtickets und der ukrainische Kinderausweis der BF2 wurden sichergestellt.
In weiterer Folge langten folgende Unterlagen bei der Behörde ein:
- Bestätigung, wonach die BF2 im Schuljahr 2014/15 die fünfte Klasse eines Gymnasiums besucht habe.
- Ukrainischer Führerschein, Heiratsurkunde und Geburtsurkunde der BF1 samt beglaubigter Übersetzungen.
- Konvolut an Fotos von zerbombten Häusern, getöteten Menschen, zerstörten Auto, Panzern und Militär.
- Beglaubigte Übersetzung eines Schriftstücks (Anzeige bzw. Auszug aus dem Strafverfahren, wonach die Leiche von XXXX entdeckt worden sei; AS 179 im Akt der BF2).
- Schulbesuchsbestätigung eines Gymnasiums für die BF2 betreffend das Schuljahr 2014/15.
- Beglaubigte Übersetzung eines ukrainischen Gerichtsbeschlusses, wonach die Ehe der BF1 ab XXXX rechtswirksam aufgelöst sei (AS 221 und 223 im Akt der BF2).
- Beglaubigte Übersetzung eines "öffentlichen Aktes über die Eigentumsrechte auf einem Grundstück" in XXXX (Gebiet Donezk) samt Plan der Grundstücksgrenzen die BF1 betreffend (AS 229 und 231 im Akt der BF2).
- Beglaubigte Übersetzung eines Schreibens eines Leiters der gerichtsmedizinischen Expertise, wonach der Tod des XXXX in Folge einer Schussverletzung des Brustkorbs mit Beschädigung des linken Lungenflügels und unterer Extremitäten eingetreten sei (AS 241 im Akt der BF2).
1.4. Weiters wurde eine Stellungnahme der BF (datiert mit 29.06.2016) vorlegte, worin im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass die BF1 im Jahr 2003 eine Fahrschule eröffnet, erfolgreich geführt und habe dadurch den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter bestreiten habe können. Anfang Juni 2014 sei die BF1 mit ihrem Cousin mit dem Auto auf dem Nachhauseweg von der benachbarten Stadt gewesen und habe einen Zwischenstopp gemacht, um diesem ein neues Familiengrundstück zu zeigen. Auf halben Weg Richtung Grundstück hätten die beiden durch das dicke Gebüsch ca. 6-7 Personen im Militäruniform auf dem Grundstück diskutieren gesehen. Danach hätten sie Schüsse gehört und hätten drei Menschen zu Boden fallen sehen. Sie seien schnell zurück zum Auto und nach Hause gefahren. Im Rückspiegel hätten sie erkennen können, dass eine uniformierte und mit Maschinengewehr bewaffnete Person aus dem Wald gekommen sei und dem Auto hinterhergesehen habe. Die BF1 habe dem Ehemann davon berichtet und sie hätten vereinbart, niemandem etwas davon zu erzählen. Am nächsten Tag habe der Ehemann einen Anruf von einem Bekannten in der Autozulassungs- und Führerscheinbehörde bekommen, welcher mitgeteilt habe, dass bewaffnete Menschen gekommen seien und sich für die Inhaberdaten des Autos der BF1 interessiert hätten. Die BF1 habe eine sehr einprägsame Kennzeichennummer ( XXXX ) gehabt. Am selben Tag habe der Ehemann den Verkauf des Autos an einen Zwischenhändler im benachbarten Gebiet arrangiert. Am nächsten Morgen hätten die BF gemeinsam mit der Schwiegermutter die Stadt Donezk verlassen und seien zur Krim gefahren um sich in Sicherheit zu bringen. Ein paar Tage später habe die BF1 beschlossen, nach Donezk zurückzukehren, um sich dort um die zurückgelassenen Autos der Fahrschule zu kümmern. In ihrer Wohnung habe ihr der Wachmann des Hauses eine Benachrichtigung gegeben, wonach sie am 16.06.2014 ins Amtsgebäude kommen solle. Die BF1 habe dann beschlossen zur Krim zurückzukehren. Am 16.06.2014 habe dann der erste Mörserbeschuss der Stadt Donezk stattgefunden und hätten sich die meisten Opfer in der Nähe des Amtsgebäudes befunden. In den darauffolgenden Tagen habe die BF1 erfahren, dass der Verwandte am XXXX ermordet worden sei. Kurz vor seiner Ermordung habe er sie angerufen und ihr mitgeteilt, dass sich unbekannte Menschen nach dem aktuellen Aufenthaltsort der BF1 und ihrer Familie erkundigt hätten und habe er sich besorgt gezeigt. Die BF1 habe in ständiger Angst gelebt ebenfalls getötet zu werden und habe sich deshalb dazu entschlossen ihr Heimatland zu verlasen. Abschließend wurde auf die prekäre politische Lage in der Ukraine (insbesondere in Donezk) hingewiesen.
1.5. Am 23.06.2017 wurden die Einvernahmen der BF aufgrund von Konzentrationsschwierigkeiten der BF1 auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
1.6. Am 15.03.2018 wurden die BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), niederschriftlich einvernommen.
Die BF1 gab an, psychisch und physisch in der Lage zu sein, die Einvernahme durchzuführen.
Zu ihrem Fluchtgrund gab sie wie in der Stellungnahme an, dass sie gemeinsam mit ihrem Cousin ihr Grundstück besichtigen habe wollen, sie dort Schüsse gehört hätten und drei (oder vier) Leute zu Boden fallen gesehen habe. Sie seien dann zum Auto gelaufen und weggefahren. Ihr Cousin habe gemerkt, dass einer der Männer sie wegfahren gesehen habe. Ihr Auto (ein Peugeot XXXX mit der Kennzeichennummer XXXX ) sei leicht zu merken und hätten nur wenige Leute in der Stadt ein solches Auto gehabt. Sie habe den Vorfall ihrem Mann erzählt. Am nächsten Tag habe jemand von der Zulassungsbehörde angerufen und erzählt, dass sich jemand wegen dem Auto erkundigt habe. Ihr Mann habe das Auto dann verkauft. Die BF1 sei dann mit ihrer Tochter auf die Krim geflüchtet und sei dort zwei Monate aufhältig gewesen. In dieser Zeit habe sie erfahren, dass ihr Cousin umgebracht worden sei. Der Täter sei nicht gefunden worden. Dann seien sie weggefahren. Ihr Cousin habe sie zwei Tage vor seinem Tod angerufen und gesagt, es sei gut, dass sie weggefahren sei. Auf der Krim, nach dem Tod des Cousins, sei sie in die Stadt gefahren um ein Auto von ihrer Fahrschule zu holen. Der Mann von der Security habe ihr ein Schreiben von der Justiz gegeben. Sie solle hingehen und Unterlagen vorbeibringen. Sie habe dies nicht getan und sei zurückgefahren. Genau zu der Zeit, als sie den Termin bei er Justiz gehabt hätte, habe es dort eine Schießerei gegeben. Ergänzend gab sie noch an, dass der Schulfreund ihres Cousins zu dieser Zeit verschwunden sei. Die ukrainische Armee habe ihn festgenommen, seine Leiche habe man später im Fluss gefunden. Man habe nachgewiesen, dass er gefoltert worden sei.
Das Schreiben der Justiz habe sie nicht. Persönlich sei sie nicht bedroht worden, aber ihr Mann habe gesagt, dass sich jemand für sie interessiert habe.
Ihre Tochter habe keine eigenen Fluchtgründe.
Zu ihrem Leben in der Ukraine gab sie ergänzend an, elf Jahre die Grund- und Mittelschule besucht zu haben und diese mit Matura abgeschlossen zu haben. Danach habe sie fünf Jahre die Uni besucht und ein BWL-Studium mit Diplom abgeschlossen. Zwei Jahre vor ihrer Ausreise habe sie gearbeitet und ein eigenes Unternehmen (Fahrschule für Frauen) gehabt. Ihr Einkommen habe für ein gutes Leben gereicht. In XXXX habe sie eine Eigentumswohnung gehabt und dort mit ihrem Exmann und der Tochter gelebt. Zu ihrem Exmann habe sie keinen Kontakt mehr. Ihre Eltern seien beide in Pension, krank und sie habe regelmäßigen Kontakt zu diesen. Sonst habe sie noch viele Onkeln und Tanten in der Ukraine. Ihre Verwandten würden keine Probleme in der Ukraine haben. Es habe auch keine Vorfälle gegeben. Ihr Exmann habe auch Politiker ( XXXX , den XXXX bis 2014 und Sohn XXXX ) beraten und habe Verbindungen zur Politik gehabt. Die ganze XXXX -Familie sei dann geflüchtet. Ihr Exmann habe sich dann von der Tätigkeit distanziert. Sie bzw. Verwandte seien nicht politisch aktiv gewesen. Bei der Ausreise habe es übliche Kontrollen am Flughafen gegeben, aber sie hätten keine Probleme gehabt.
Zu ihren persönlichen Verhältnissen in Österreich gab sie an, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten in einer Wohnung zu leben. Sie wolle ihn heiraten und eine Familie gründen. Vielleicht wolle sie eine Fahrschule gründen.
Die BF2 gab in ihrer Einvernahme an, gesund zu sein, keine Medikamente zu nehmen und keine Beschwerden zu haben.
Zu ihrem Leben in der Ukraine gab sie an, dort neuen Jahre die Schule besucht zu haben. Ihr Großeltern sowie Tanten und Onkeln würden noch in der Ukraine leben. Zu ihrem Vater habe sie keinen Kontakt mehr. Bei der Ausreise habe es keine Probleme gegeben.
Zu ihrem Fluchtgrund befragt, gab sie an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben. Sie beziehe sich auf die Gründe ihrer Mutter. Befragt, was sie über die Fluchtgründe der Mutter wisse, führte sie aus, dass diese Angst habe. In der Stadt habe es Soldaten gegeben. Ihre Mutter habe Angst um ihre Zukunft und ihre Ausbildung gehabt. Befragt, ob ihr die Mutter keine konkreten Vorfälle erzählt habe, gab sie an, dass es schon viele Jahre her sei. Vorfälle und Schießereien habe es in der Stadt immer gegeben. Vorfälle in der Familie bzw. Entführungen habe es nicht gegeben. Mit einem weiten Verwandten der Mutter sei etwas passiert. Sie wisse aber nichts darüber. Auch den Namen wisse sie nicht. Ihre Mutter habe ihr nichts darüber erzählen wollen.
Zu ihren persönlichen Verhältnissen in Österreich gab sie an mit ihrer Mutter und deren Lebensgefährten in einem gemeinsamen Haushalt zu leben. Sie gehe in die Schule und spreche schon sehr gut Deutsch. Sie wolle hier ihre Ausbildung machen und arbeiten. Sie interessiere sich für Kunst. Sie habe bei der Caritas ehrenamtlich gearbeitet.
Im Zuge der Einvernahme legten die BF folgende Unterlagen vor:
- Europäischer Führerschein der BF1.
- Buchungsbestätigung eines Deutschkurses B2 (Teil 3+4 von 4).
- Kursbesuchsbestätigung Deutsch B2 für die BF1.
- Buchungsbestätigung Deutschkurs B2 für die BF2.
- "Empfehlungsschreiben und Bürgschaft" Prof. Dr. XXXX (Brigadier im Ruhestand).
- Beglaubigte Übersetzung eines ukrainischen Diploms der BF1, wonach sie im Jahr 2003 die Wirtschafts- und geisteswissenschaftliche Hochschule in XXXX (Studienrichtung Organisationsmanagement) absolviert habe und die Qualifikation eines Managers und Ökonomen erworben habe.
- Beglaubigte Übersetzung des Anhangs zum ukrainischen Diplom über die Hochschulbildung der BF1 (Studienrichtung: Management, Studiendauer 4 Jahre, Bakkalaureus-Diplom).
- Beglaubigte Übersetzung eines ukrainischen Zeugnisses samt Beilage zum Zeugnis der BF1 über die abgeschlossene allgemeine Mittelschulbildung.
- Zertifikat, wonach beide BF die ÖSD Prüfung Deutsch B1 mit "sehr gut" am 21.06.2017 bestanden habe.
- Ukrainische Geburtsurkunde der BF2.
- Beglaubigte Übersetzung einer Beilage zum Zeugnis über die abgeschlossene allgemeine Mittelschulbildung ( XXXX Gymnasium) betreffend die BF2.
- Beglaubigte Übersetzung (Zeugnis über die allgemeine Basis-Mittelschulbildung), wonach die BF2 im Jahr 2014 das XXXX ukrainische Gymnasium abgeschlossen habe.
- Schulbesuchsbestätigung eines österreichischen Gymnasiums, Schuljahr 2014/15, wonach die BF2 die neunte Schulstufe besucht habe.
- Bestätigung, datiert mit 24.06.2016, wonach die BF2 in einem Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik im Rahmen des Vormittagsunterrichts unterstützend mitgeholfen habe.
- Kursbesuchsbestätigung, datiert mit 26.04.2017, wonach die BF2 einen Deutsch-Abendkurs (Mittelstufe B1.3) besucht habe.
- Schulbesuchsbestätigung, wonach die BF2 im Schuljahr 2015/16 ein öffentliches Gymnasium (Klasse 6a) besucht habe.
- Schulnachricht einer HTL für XXXX (Ausbildungsschwerpunkt: XXXX ) für das Schuljahr 2017/18 (9. Schulstufe).
- Bestätigung eines Gymnasiums, wonach die BF2 im Schuljahr 2014/15 die fünfte Klasse besucht habe.
- Formular Freiwilliges Engagement der BF2, datiert mit 03.05.2017.
- Diplom, wonach die BF2 die ÖSD-Prüfung "A2 Grundstufe Deutsch 2" am 19.02.2015 bestanden habe.
- Kursbesuchsbestätigung, wonach die BF2 einen deutschen Sprachlehrgang (Berlitz Level 4) besucht habe.
1.7. Am 05.04.2018 langte eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen in der Ukraine ein (verfasst von Prof. Dr. XXXX ). Es wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Bearbeitungsgrundlagen mangelhaft und das LIB unbrauchbar seien. Es würden Mängel an Sicherheit, Recht und Ordnung in den Bereichen der Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie in anderen Gebieten der Ukraine mit russischen Minderheiten bestehen. Von einer allgemeinen Sicherheit könne keine Rede sein. Der Stellungnahme wurden zwei von Prof. Dr. XXXX verfasste Berichte beigelegt.
1.8. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden des BFA vom 13.06.2018 wurden jeweils unter Spruchteil I. die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. diese Anträge auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Ukraine abgewiesen. Unter Spruchteil III. wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). In Spruchteil VI. gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
Die Identität der BF stehe fest. Sie seien ukrainische Staatsangehörige und würden aus dem Gebiet Donezk stammen. Die BF würden der ukrainischen Volksgruppe angehören und sich zum christlich-orthodoxen Glauben bekennen. Die BF1 sei geschieden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF begründete Furcht vor Verfolgung iSd GFK in der Ukraine zu gegenwärtigen hätten oder eine derartige Verfolgung zu befürchten hätten. Eine asylrelevante Verfolgung hätten sie nicht glaubhaft machen können. Die Ausführungen der BF1 seien inhaltsleer gewesen und habe sie bloß allgemeine Angaben gemacht. Es sei glaubhaft, dass es zur damaligen Zeit vermehrt zu kriegerischen Auseinandersetzungen (vor allem in der Ostukraine) gekommen sei. Dass die BF2 Zeugin eines Mordes geworden sei, sei nicht glaubhaft. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb die BF1 bei einem derartigen Vorfall nicht die Polizei oder eine Menschenrechtsorganisation verständigt habe. In der Ukraine bestehe ein funktionierendes Rechtssystem. Die BF2 habe keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht, sondern sich auf die Probleme der BF1 berufen.
Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass die Ukraine ein sicherer Herkunftsstaat sei und ein Bruder der BF1 in Kiew lebe. Die BF seien gesund. Die BF1 sei arbeitswillig und -fähig, habe eine jahrelange Schul- und Universitätsausbildung und beherrsche Russisch und Ukrainisch. Ebenso beherrsche die BF2 die Russische und Ukrainische Sprache und sei in der Ukraine aufgewachsen. Auch weitere Verwandte würden in der Ukraine leben. Es gäbe keine Gründe, die gegen eine Rückkehr in die Ukraine sprechen würden.
Hinsichtlich Spruchpunkt III. kam die belangte Behörde zu Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Ausreise der BF gegenüber den persönlichen Interessen überwiegen würden und nicht von einer umfassenden Integration ausgegangen werden könne. Die BF1 würde sich zwar in einer Beziehung befinden, jedoch sei diese aus einem unsicheren Aufenthalt entstanden.
1.9. Gegen diese Bescheide haben die BF fristgerecht vollumfängliche Beschwerden erhoben. Es wurde anfangs das Fluchtvorbringen der BF1 wiederholt und zusätzlich ausgeführt, dass die BF1 gemeinsam mit ihrem Cousin Männer in "Camouflagekleidung" gesehen habe. Den BF würde im Falle der Rückkehr Verfolgung durch die Mörder ihres Cousins drohen. Die Ukraine sei nicht gewillt und in der Lage, die BF vor Verfolgung zu schützen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass staatliche Organe in den Vorfall verwickelt seien. Eine IFA komme nicht in Frage. Die Länderberichte seien unvollständig und teilweise veraltet. Es hätten Länderberichte zum Vorbringen der BF eingeholt werden müssen. Die Sicherheitslage in der Ukraine habe sich verschlechtert und sei der Waffenstillstand brüchig. Aus Berichten gehe hervor, dass die Bewegungsfreiheit in Donezk und Lugansk erheblich eingeschränkt sei und die Situation in der Ostukraine nach wie vor prekär sei. Es würde Folter, Misshandlungen und Inhaftierungen geben. Auch drohe aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage jedenfalls eine Verletzung der Rechte nach Art. 3 und 3 EMRK. Auch sei die Beweiswürdigung der Behörde mangelhaft bzw. unschlüssig. Es sei schwierig gewesen vom Exmann der BF1 Informationen zu bekommen. Zudem habe die BF1 ein nachvollziehbares und detailreiches Fluchtvorbringen mit konkreten Zeit- und Ortsangaben dargetan und unzählige Beweismittel in Vorlage gebracht. Die Beweismittel seien von der Behörde auch nicht in Zweifel gezogen worden. Die BF1 sei bei der Einvernahme emotional sehr mitgenommen gewesen. Sie habe sich deshalb nicht an die Polizei bzw. Menschenrechtsorganisationen gewandt, da kriegsartige Zustände geherrscht hätten. Auch habe man nicht gewusst, wer die Kontrolle in einem Gebiet habe. Den BF hätte Asyl, ansonsten subsidiärer Schutz gewährt werden müssen. Auch hätte keine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfen, da die BF in Österreich ein aufrechtes Familienleben führen würden.
Der Beschwerde wurde ein Jahreszeugnis der BF2 (Schuljahr 2017/18 einer HTL für Texilindustrie und Datenverarbeitung) beigelegt.
1.10. Die BF wurden im Zuge einer Beschwerdeverhandlung vom 08.11.2018 durch das erkennende Gericht nochmals ergänzend zu ihren Verwandten und den Lebensumständen in der Ukraine, dem Vorfall auf dem Grundstück der BF1, dem Cousin der BF1 sowie zur ihrem Leben in Österreich befragt. Zudem wurde mit den BF das aktuelle LIB der Staatendokumentation sowie zahlreiche Berichte zur Situation in der Region XXXX im Juni 2014 erörtert.
1.11. Am 17.12.2018 wurden (schwer leserliche) Unterlagen in Vorlage gebracht.
- Befund Schilddrüse eines Universitätsklinikums die BF2 betreffend, wonach diese an "Morbus Basedow" leide und das Medikament "Prothiucil" einnehme.
- Routine-Laborbefund der BF2.
- Ärztlicher Befundbericht vom 06.12.2018, wonach bei der BF2 die Diagnose "Autismus" erstellt worden sei. Procedere: Neuropsychologische Testung, Ko mit Befund.
- Terminbestätigung eines Standesamtes für die Eheschließung der BF1 am XXXX .
- Unleserliches Schreiben, wobei es sich laut der Rechtsberatung der BF um eine Terminbestätigung betreffend die Operation des Hallux der BF1 am XXXX handeln soll.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:
Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der BF, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen der BF vor dem BFA, die Beschwerden vom 18.07.2018, die Stellungnahmen, durch Einsicht in die vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, durch Einholung von Auszügen aus ZMR, GVS, IZR und Strafregister und schließlich durch Berücksichtigung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat und zahlreiche in der Verhandlung erörterten Berichte zur Situation in der Region XXXX im Juni 2014.
1. Feststellungen:
Feststellungen zu den BF:
Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine, gehören der ukrainischen Volksgruppe an und bekennen sich zum christlich-orthodoxen Glauben. Die Identität der BF steht fest. Die BF reisten im August 2014 mittels Flugzeug ins Bundesgebiet ein und stellten am 11.08.2014 Anträge auf internationalen Schutz.
Die BF stammen aus XXXX (Republik Donezk) in der Ostukraine. Die BF haben mit dem Exmann der BF1 (Vater von BF2) auch etwa fünf Jahre lang in XXXX gelebt. Vor ihrer Ausreise nach Europa waren die BF auf der Krim aufhältig.
Die BF1 hat sich im Jahr 2015 von ihrem Exmann (Vater der BF2) scheiden lassen. Dieser ist nach wie vor in der Ukraine ( XXXX ) aufhältig.
Die BF konnte nicht glaubwürdig dartun, dass ihnen in der Ukraine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität gedroht hat oder ihnen aktuell droht.
Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.
Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.
Die BF waren in der Ukraine in der Lage, sich ihren Lebensunterhalt - zuletzt durch die berufliche Tätigkeit der BF1 als Inhaberin einer Fahrschule - zu sichern. In der Ukraine halten sich zudem Verwandte der BF (unter anderem Großmutter väterlicherseits der BF2, Eltern der BF1 sowie Onkeln und Tanten der BF1) auf.
Die BF leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Ukraine (Kiew) besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung.
Die unbescholten BF halten sich seit etwa vier Jahren und acht Monaten im Bundesgebiet auf. Beide haben mehrere Deutschkurse (bis Niveau B1) absolviert und sprechen bereits sehr gut Deutsch. Die BF1 ist mit einem österreichischen Staatsbürger (mit deutscher Abstammung) verlobt, der geplante standesamtliche Hochzeitstermin ist der XXXX . Die BF leben mit dem Verlobten der BF1 seit mittlerweile über zwei Jahren in einem gemeinsamen Haushalt (Wohnung) in XXXX . Die BF2 hat in Österreich ein Gymnasium besucht, derzeit besucht sie die zweite Klasse einer HTL für XXXX (Ausbildungsschwerpunkt XXXX ). Die BF2 interessiert sich für Kunst, zeichnet gerne und erbringt gute schulische Leistungen. Zudem hat die BF2 gemeinnützige Arbeiten bei der Caritas verrichtet. Die BF beziehen zwar derzeit (wieder) Leistungen aus der Grundversorgung, zeigten sich aber während ihres Aufenthaltes in Österreich um eine umfassende Integration bemüht. Sie haben auch bereits soziale Kontakte in Österreich geknüpft, welche sich für einen Aufenthalt der BF in Österreich einsetzen. In ihrer Freizeit gehen die BF gerne wandern und besichtigen Österreich. Sie sind unbescholten.
Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF:
1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)
Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).
Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).
Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).
Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).
Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. ? an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).
Quellen:
- DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko, http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017
- DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017
- DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer, http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017
- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück, https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017
- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017
- UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017
2. Politische Lage
Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):
Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)
142
Volksfront (Narodny Front)
81
Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)
43
Selbsthilfe (Samopomitsch)
26
Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)
20
Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)
20
Gruppe Wolja Narodu
19
Gruppe Widrodshennja
24
Fraktionslose Abgeordnete
48
(AA 2.2017a)
Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).
Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).
Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017
- DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU, http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017
3. Sicherheitslage
Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).
Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).
Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).
Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon 9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).
Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017
3.1. Halbinsel Krim
Die Halbinsel Krim wurde 2014 von der Russischen Föderation besetzt. Das "Referendum" über den Anschluss an Russland, welches auf der Krim durchgeführt wurde, wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen für ungültig erklärt. Die Resolution 71/205 der Generalversammlung der UN bezeichnet die Russische Föderation als Okkupationsmacht auf der Krim. Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der Machthaber zu beobachten: Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erreicht wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlossene Anstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt. Weiters bestehen Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit anderer politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische "Anti-Terror"-Gesetze zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Individuen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend investigativ und juristisch verfolgt. Besonders die ethnische Gruppe der Krimtataren, aber auch Ukrainer anderer ethnischer oder religiöser Gruppen, sind von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Der Mejlis, die krimtatarische gewählte Versammlung zur Repräsentation der Krimtataren, wurde am 18. April 2016 durch die lokalen Behörden suspendiert und am 26. April vom Russischen Obersten Gerichtshof als "extremistisch" eingestuft und verboten. Menschenrechtsorganisationen sowie Journalisten haben keinen uneingeschränkten Zugang zur Krim. Bestimmte Webseiten werden blockiert und unabhängige Medien mussten auf das ukrainische Festland übersiedeln. Die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt. Am 7. März 2016 wurden in Simferopol alle öffentlichen Versammlungen verboten, die nicht von den Machthabern organisiert wurden (ÖB 4.2017).
Auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Auf der Krim werden seit der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland im März 2014 staatliche Aufgaben von russischen Behörden ausgeübt. Die Einwohner wurden pauschal eingebürgert, es wurde begonnen, sie mit russischen Inlandspässen, seit September 2014 auch mit russischen Reisepässen, auszustatten. Einwohner der Krim, die ihr Widerspruchsrecht nutzten haben damit u. a. den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung verloren. Die Minderheit der Krimtataren unterliegt erheblichen Restriktionen. Besorgniserregend sind weiterhin Meldungen, wonach exponierte Vertreter der tatarischen Minderheit verschwinden, nicht mehr auf die Krim reisen dürfen bzw. vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Außerdem werden tatarische Vereine in ihrer Handlungsfähigkeit beschnitten und unter Druck gesetzt, teilweise auch kriminalisiert oder zur Auflösung gezwungen. Die gewählte Versammlung der Krimtataren, das Selbstverwaltungsorgan Medschlis, wird von den de-facto-Behörden als terroristische Vereinigung eingestuft, seine Mitglieder werden verfolgt. Versuche, die tatarische Minderheit in eine den de-facto-Behörden willfährige Parallelstruktur einzubinden, blieben bisher ohne nennenswerten Erfolg. Medien stehen unter Druck, eine offene Zivilgesellschaft gibt es nicht mehr. Dem unabhängigen Fernsehsender der Tataren ATR wurde die Lizenz entzogen; er hat seinen Sitz nach Kiew verlegt. Seine Sendungen können auf der Krim nur noch im Internet und dort sehr eingeschränkt verfolgt werden. Auch jüngste Berichte von UNHCR sowie Amnesty International listen eine Reihe von Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf der Krim auf, die von einer Einschränkung des Versammlungsrechts über willkürliche Verhaftungen bis hin zu Entführungen, Folter und Ermordung reicht. Versuche der Vereinten Nationen, der OSZE oder des Europarats eine kontinuierliche Beobachtung der Menschenrechtssituation auf der Krim vorzunehmen, sind bisher gescheitert (AA 7.2.2017).
Auf der Halbinsel Krim sind Dissidenten das Ziel systematischen Missbrauchs und der Verfolgung durch die russischen Behörden. Es gibt Berichte über Fälle von Verschwindenlassen. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise auf die Krim verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung (USDOS 3.3.2017a).
Im Feber 2014 besetzten russische Truppen die Halbinsel Krim militärisch. Im März wurde die Krim nach einem Scheinreferendum schließlich annektiert und zum Teil der Russischen Föderation erklärt. Die Vereinten Nationen verurteilten diesen Schritt und riefen Staaten und internationale Organisation auf, dies nicht anzuerkennen. Auf der Krim gilt seither de facto russisches Recht, es wurde eine russische Regierung installiert. Die russischen Sicherheitsbehörden konsolidieren ihre Kontrolle der Halbinsel weiterhin und beschränken die Menschenrechte durch unverhältnismäßige Anwendung repressiver russischer Gesetze. Abweichende und Meinungen und Opposition zur Annexion der Krim werden von den russischen Behörden durch Einschüchterung unterdrückt. Dazu gehören Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlung, politische Prozesse, wiederholte grundlose Vorladungen durch die Sicherheitsbehörden, gegenstandslose Festnahmen, usw. Bestimmte Gruppen, vor allem ethnische Ukrainer und Krimtataren werden systematisch diskriminiert und ihre Menschenrechte eingeschränkt. Der Selbstverwaltungskörper der krimtatarischen Minderheit, der demokratisch gewählte Mejlis, wurde als extremistische Organisation verboten. Personen, welche die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft verweigern, werden beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Arbeitsmarkt diskriminiert. Es gibt auch Eingriffe in die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, speziell durch Behinderung bei der Pflege des kulturellen Erbes und durch Einschränkung des Zugangs zu Unterricht in ukrainischer und krimtatarischer Sprache. Die Medienfreiheit auf der Krim wird ebenfalls eingeschränkt, unabhängige Medien gibt es nicht mehr. Die wenigen verbleibenden unabhängigen bzw. kritischen Journalisten wurden eingesperrt und wegen Extremismus angeklagt. Es kommt zu politischer Einmischung in gerichtliche Verfahren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Diskriminierung ethnischer und sexueller Minderheiten. Tausende Personen flüchteten als Binnenvertriebene in die Ukraine. Bei den russischen Behörden auf der Krim herrscht betreffend Menschenrechtsverletzungen ein Klima der Straflosigkeit. Fälle von Entführung oder Tötung von Einwohnern der Krim in den Jahren 2014 und 2015 werden nicht angemessen untersucht (USDOS 3.3.2017b).
Die Rechte der Bevölkerung der Krim, besonders der Krimtataren, werden weitgehend verletzt. Der krimtatarische Mejlis wurde verboten und krimtatarische Führungspersönlichkeiten dürfen die Krim nicht betreten oder sind inhaftiert (FH 29.3.2017).
Auf der Krim setzten die de-facto-Behörden ihre Maßnahmen zur Unterdrückung jeglicher pro-ukrainischer Opposition fort, wobei sie zunehmend auf russische Gesetze zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus zurückgriffen und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Dutzende Personen anstrengten, die als illoyal betrachtet wurden. In keinem der Fälle von Verschwindenlassen, die sich im Anschluss an die russische Besetzung ereignet hatten, gab es gründliche Ermittlungen. Die russischen Behörden hielten Parlamentswahlen auf der Krim ab, die international nicht anerkannt wurden. Die bereits stark eingeschränkten Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurden 2016 noch weiter beschnitten. Die Websites einiger unabhängiger Medienkanäle, die in den Jahren zuvor gezwungen waren, ihren Sitz auf das ukrainische Festland zu verlegen, wurden von den De-facto-Behörden auf der Krim gesperrt. Am 7. März 2016 verbot der Bürgermeister von Simferopol, der Hauptstadt der Krim, alle öffentlichen Versammlungen, die nicht von den Behörden organisiert wurden. Ethnische Krimtataren waren von dem Bestreben der De-facto-Behörden zur Beseitigung jeglicher pro-ukrainischer Opposition nach wie vor besonders stark betroffen. Am 18. April wurde der Medschlis, eine von der krimtatarischen Volksversammlung Kurultai gewählte Vertretung, aufgelöst und am 26. April von einem Gericht als "extremistisch" verboten. Das Verbot wurde am 29. September vom Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation bestätigt (AI 22.2.2017).
Russland setzt Kritiker der Krim-Okkupation weiterhin politischer Strafverfolgung aus und schränkt die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit weiter ein. Krimtataren werden unter dem Vorwand der Extremismusbekämpfung verfolgt (HRW 12.1.2017).
Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).
Seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim häufen sich Berichte über den Versuch der systematischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit unter dem Vorwand sicherheitspolitischer Erwägungen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Aktivitäten der Krimtataren aus. Exemplarisch sei auf das Argument verwiesen, wonach Parkflächen während der Schulferien für Kinderaktivitäten freizuhalten und dementsprechend öffentliche kulturelle Veranstaltungen der Krimtataren aus Anlass des Tags der Flagge der Krimtataren in Simferopol am 26. Juni 2014 zu untersagen seien (ÖB 4.2017).
Quellen:
- AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 1.6.2017
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017b): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine (Crimea), https://www.ecoi.net/local_link/337269/480036_de.html, Zugriff 1.6.2017
3.2. Ostukraine
Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).
In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).
Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuber