Entscheidungsdatum
02.05.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W226 2188245-1/11E
W226 2188249-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX (BF1), geb. XXXX und 2.) XXXX (BF2), geb. XXXX , beide StA: Ukraine, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.01.2018, Zlen. 1.) 1031892404-140005393 und 2.) 1031892306-140005415, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.11.2018 zu Recht erkannt:
A) I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I., II. und III. der angefochtenen Bescheide werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 57 AsylG als unbegründet abgewiesen.
II. Im Übrigen wird den Beschwerden stattgegeben und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt. Gemäß §§ 54 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm 55 Abs. 1 AsylG wird 1.) XXXX und 2.) XXXX jeweils der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1 Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2). Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen (im Folgenden: BF) ist untrennbar miteinander verknüpft bzw. beziehen sich die BF auf dieselben Verfolgungsgründe, weshalb die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens aller BF abzuhandeln war.
Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine, gehören der russischen Volksgruppe an und bekennen sich zum christlich-orthodoxen Glauben.
1.2. Die BF reisten im September 2014 in das Bundesgebiet ein und stellten am 25.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.3. Am selben Tag fand eine Erstbefragung der BF1 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.
Die BF1 gab zum Grund für das Verlassen des Herkunftslandes an, dass sie sich von ihrem Mann scheiden lassen habe wollen und sie Ende August 2014 bereits die Papiere dafür vorbereitet gehabt habe. Ihr Mann sei gegen die Scheidung gewesen. Ihre Tochter habe sie damals zur Schwiegermutter gegeben. Ihr Mann habe sie dann von Ende August bis zu ihrer Flucht zu Hause eingesperrt und geschlagen. Am 22.09.2014 habe sie das Haus verlassen, ihre Tochter genommen und sei nach XXXX gefahren. Ihr Mann sei ein Widerstandskämpfer (russischer Separatist) und kämpfe gegen das ukrainische Militär. Dies seien all ihre Fluchtgründe. Ihre Tochter habe keine eigenen Fluchtgründe.
Weiters gab die BF1 an, in Usbekistan geboren zu sein. Sie sei seit XXXX standesamtlich verheiratet. Ihre Muttersprache sei Russisch, sie spreche auch gut Ukrainisch und schlecht Deutsch. Sie habe von XXXX bis XXXX die Grundschule in XXXX und von XXXX bis XXXX die Pädagogische Universität in XXXX besucht. Sie sei Mittelschullehrerin (Biologie und Geographie) und habe auch zuletzt als Lehrerin gearbeitet. Sie sei als Waisenkind aufgewachsen und habe ihre Eltern nie kennengelernt. Sie habe keine Geschwister. Ihr Ehemann lebe in XXXX . Sie habe sich von ihm getrennt und wolle sich scheiden lassen. Sie habe auch in XXXX gelebt.
1.4. Aufgrund einer Krankmeldung der BF1 (grippaler Infekt) musste die Einvernahme der BF1 am 31.03.2016 verschoben werden.
1.5 Am 11.05.2016 wurde die BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), niederschriftlich einvernommen.
Die BF1 gab an, psychisch und physisch in der Lage zu sein, die Einvernahme durchzuführen. Sie nehme keine Medikamente und sei nicht in ärztlicher Behandlung.
Zu ihrem Leben in der Ukraine gab sie ergänzend an, seit XXXX geschieden zu sein. Die Scheidungsurkunden habe sie nicht bekommen können, weil sie ihr ihr Mann abgenommen habe. Familiäre Bindungen in der Heimat habe sie nicht. Ihr Reisepass sei ihr von ihrem Exmann abgenommen worden. Sie habe Freunde XXXX , diese hätten auch den Fahrer für die Reise nach Österreich bezahlt.
Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass sie vor ihrem Mann (einem Alkoholiker) geflüchtet sei. Er sei Polizist (Kriminalbeamter). Ihr Hauptproblem sei die Gewalt in der Familie gewesen. Er habe auch die Tochter geschlagen. Jedes Mal, wenn ihr Mann sie verprügelt habe, sei sie ins Spital (Stadtkrankenhaus XXXX ) gefahren und habe ihre Verletzungen fotografieren lassen, um ihren Mann anzuzeigen. Sie sei mehrmals bei der Polizeistation XXXX gewesen. Der Vorgesetzte ihres Mannes (ein Unteroffizier) habe gemeint, sie müssen die Streitereien zu Hause selber schlichten. Ihr Mann habe in der Polizeistation in XXXX gearbeitet. Als ihr Ehemann erfahren habe, dass sie sich von ihm scheiden lassen wolle, habe er noch mehr Gewalt ausgeübt. Er habe ein Messer genommen, gegen ihren Hals gerichtet und sie mit dem Umbringen bedroht. Als die Scheidungspapiere zugestellt worden seien (etwa am 15.09.2014), habe er sie eine Woche im Keller gesperrt. Die Tochter sei in dieser Zeit bei der Schwiegermutter gewesen. Sie habe nicht essen und schlafen können und habe nur mehr 43kg gewogen. Auch ihre Tochter habe nicht schlafen können und in der Nacht geweint. Wenn sie zurückkehre, dann werde ihr Mann sie umbringen. Sie habe nicht in die Westukraine flüchten können, da sie Russin sei und dort nicht aufgenommen und akzeptiert werde. Sie habe den Gatten mehrmals angezeigt, aber es sei nie zu einer Gerichtsverhandlung gekommen, weil er Verbindungen gehabt habe. Er habe die entsprechenden Personen zum Essen eingeladen, deswegen sei es nie zu einem Verfahren gekommen. Sie habe schon 2013 daran gedacht auszureisen und Beruhigungsmittel genommen. Am 22.09.2014 sei die Schwiegermutter in ihr Haus gekommen und habe nach ihnen gesehen. Diese habe nicht gewusst, dass die BF1 im Keller gewesen sei und habe sie befreit, da sie die lauten Schreie gehört habe. Die Krankenhausbefunde habe sie beim Gericht für die Scheidung eingereicht und habe sie nicht mitnehmen können. An eine übergeordnete Polizei oder Staatsanwaltschaft habe sie sich nicht gewandt, da sie Angst gehabt habe, dass ihr Mann noch gewalttätiger werde.
Zu ihren persönlichen Verhältnissen in Österreich gab sie an, selbstständige Puppenrestauratorin zu sein und auch Schmuck herzustellen. Die BF2 würde in Österreich seit September 2015 in die Schule gehen (Privatschule). Eine Freundin helfe ihr bei der Bezahlung der Schulkosten. Sie lebe mit der Tochter und einer Freundin zusammen, welcher die Wohnung gehöre. Sie habe ein paar Freunde (auch Russen) mit denen sie sich treffe. In ihrer Freizeit organisiere sie Partys, bastle Schmuck, restauriere Puppen und stricke. Zudem besuche sie Kurse in einem Frauenverein (Selbstverteidigung, Gesundheitsveranstaltungen). Sie habe in Österreich einen großen Bekanntenkreis und mache Urlaube in Österreich.
Im Zuge der Einvernahme legten die BF folgende Unterlagen vor:
- Deutschbesuchsbestätigungen der BF1 für die Kurse A1 und A2.
- Konvolut an Kontoauszügen der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft der Jahre 2015 und 2016, betreffend die BF1.
- E-Cards der BF.
- Jahreskarte XXXX der BF1 und Jugendticket der BF2.
1.6. In weiterer Folge wurde ein Prüfungszertifikat "ÖSD Zertifikat A2" für die BF1 vorgelegt, wonach diese die Prüfung am 12.05.2016 bestanden habe.
1.7. Aufgrund von gynäkologische Beschwerden der BF1 konnte die Einvernahme am 18.04.2017 nicht stattfinden.
1.8. Weiters konnte die anberaumte Einvernahme vom 25.10.2017 nicht stattfinden und wurde von der Rechtsvertretung mitgeteilt, dass die BF1 bis auf Weiteres verhandlungsunfähig sei. Es wurde ein fachpsychiatrischer Befund eines Facharztes für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie, datiert mit 20.10.2017 beigelegt. Darin wurde ausgeführt, dass die BF1 seit Mitte August 2017 in nervenärztlicher Behandlung stehe. Psychiatrische Medikation: "Saroten ret. 50mg, Truxal 50mg", Psychiatrische Diagnosen: "Posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10 F43.1), Depressive Episode rezidivierend mit somatischem Symptomen (ICD 10 F33.11)." Zudem wurde festgehalten, dass die BF1 derzeit nicht verhandlungsfähig sei.
1.9. Am 23.10.2017 stellte das BFA eine Anfrage an die Staatendokumentation. Aus der Anfragebeantwortung vom 06.12.2017 geht hervor, dass eine ambulante und stationäre Behandlung der genannten Krankheitsbilder durch einen Psychiater bzw. Psychologen sowie eine entsprechende psychotherapeutische Betreuung verfügbar seien. Die Medikamente (Saroten 50 mg und Truxal 50mg) seien ebenfalls verfügbar. Betreffend die finanzielle Situation (Arbeitsplatz und Wohnsituation) für alleinerziehende gebildete Frauen der russischen Volksgruppe wurde ausgeführt, dass das größte Problem der Binnenvertriebenen in der Ukraine darin bestehe, Arbeit und Unterkunft zu finden. Im Westen der Ukraine sei die Situation besser und der Beschäftigungsanteil wesentlich höher als im Osten. Je weiter Migranten aus Donezk und Lugansk wegziehen, desto wahrscheinlicher sei es, dass sie Arbeit finden, oft auch in jenen Berufen, die vor dem Umzug ausgeübt hätten. In den Großstädten sei die Bezahlung besser als in ländlichen Gebieten. In den von der Regierung kontrollierten Gebieten genießen Binnenvertriebene Freizügigkeit, können Geburten registrieren lassen und erhalten Zugang zu angemessenem Wohnraum. Weiters genießen sie Maßnahmen zur langfristigen Integration und die Möglichkeit an Kommunalwahlen teilzunehmen. Im Wesentlichen seien Binnenvertriebene mit ihrem Zugang zu sozialen Diensten zufrieden. Weniger als ein Fünftel würde sich beklagen, dass sie aufgrund ihres Status als Binnenvertriebene diskriminiert gefühlt hätten, dies meist in Zusammenhang mit der Suche nach Wohnung und Arbeit. Auch wurden Fälle von aggressivem Verhalten und Vorurteilen gegenüber den IDPs oder deren Kindern in Kindergärten, Schulen oder Universitäten berichtet.
1.10. In weiterer Folge wurde der BF1 das Ergebnis der Beweisaufnahme mitgeteilt und wurde dazu eine Stellungnahme eingereicht. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei unrichtig, dass es effektive staatliche Schutzvorkehrungen gegen Gewalt an Frauen gäbe. Schutzbefehle seien völlig wirkungslos und Verstöße dagegen würden nicht sanktioniert werden. Studienergebnisse würden zeigen, dass die Fälle von Gewalt gegen Frauen nicht angemessen geprüft bzw. von der Justiz nicht registriert werden würden. Es würden keine Gerichtsurteile gefällt werden. Häusliche Gewalt bleibe ungestraft. Die BF1 würde von ihrem ehemaligen Ehemann unter Ausnützung polizeilicher Kontakte schnell gefunden, misshandelt und im schlimmsten Fall sogar getötet werden. Sie könne keinen ausreichenden Schutz von der Polizei oder Justiz erwarten. Unrichtig seien die Länderfeststellungen auch betreffend der Behandelbarkeit von Krankheiten der BF1. Kliniken, Ärzte und Psychologen würden sehr hohe Honorare fordern und wären die Medikamente nur gegen unverhältnismäßig hohe Kosten erhältlich. Da sich die BF1 bei einer Rückkehr in der Ukraine (vor ihrem Ehemann) versteckt halten müsse, könne sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und sich die Behandlung nicht leisten. Psychiatrische, psychologische und medikamentöse Posttraumatherapie seien für Normalverdiener gerade nicht verfügbar. Derartige Behandlungen, wie die BF1 sie brauche, seien nicht verfügbar und gebe es zu wenig Behandlungseinrichtungen. Die Erhebungsergebnisse seien somit unvollständig und ergänzungsbedürftig. Eine tatsächliche Finanzierbarkeit sei nicht erhoben worden. Auch eine Überbelastung der Kliniken sei nicht erhoben worden. Die BF1 würde keinesfalls die Mittel zur Beschaffung der benötigten Behandlung erlangen. Die BF1 würde bei einer Rückkehr keine Unterstützung von Verwandten bekommen, da sie niemanden mehr habe. Auch von staatlicher Seite würde sie keine ausreichende Unterstützung erhalten. Der BF1 würde somit in der Ukraine eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen.
Der Stellungnahme wurde ein Bericht "Die ukrainische Strafjustiz duldet Gewalt gegen Frauen" vom 06.04.2017 beigefügt.
1.11. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden des BFA vom 12.01.2018 wurden jeweils unter Spruchteil I. die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. diese Anträge auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Ukraine abgewiesen. Unter Spruchteil III. wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). In Spruchteil VI. gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
Die Identität der BF stehe nicht fest. Sie seien ukrainische Staatsangehörige, würden der russischen Volksgruppe angehören und sich zum christlich-orthodoxen Glauben bekennen. Die BF1 sei geschieden. Die von der BF1 angeführten Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes seien nicht glaubhaft. Es habe nicht festgestellt werden können, dass sie in der Ukraine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK ausgesetzt gewesen sei bzw. zukünftig zu befürchten hätte.
So habe die BF1 in der Erstbefragung angegeben, sie habe sich im August 2014 von ihrem Ehemann scheiden lassen wollen, während sie in der niederschriftlichen Einvernahme angegeben habe, sie sei am XXXX geschieden worden. Ebenso habe sie ausgeführt illegal gereist zu sein und ihr der Ehemann den Reisepass abgenommen habe, während sie in der Erstbefragung noch angegeben habe, keinen eigenen Reisepass besessen zu haben. Abgesehen davon sei ihr Vorbringen selbst bei Wahrunterstellung nicht asylrelevant, da häusliche Gewalt keine Verfolgung im Sinne der GFK darstelle. Die Verfassung schreibe Gleichberechtigung von Männern und Frauen ausdrücklich vor und gäbe es keine rechtlichen Benachteiligungen. Häusliche Gewalt sei verboten. Es gäbe Verwarnungen und staatliche Schutzzentren. Die BF1 hätte sich an die Behörden wenden können. Ihre Angabe, wonach die Polizei nicht tätig geworden sei, sie nicht nachvollziehbar. Sie hätte sich an eine übergeordnete Behörde wenden können, um ihren mutmaßlichen Problemen zu entgehen. Weiters hätte sie eine IFA in Anspruch nehmen können. Es sei ihr nicht gelungen eine Verfolgung aus Gründen der GFK auf dem ganzen Staatsgebiet der Ukraine glaubhaft zu machen. Auch aus ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit habe sich keine Gefahr einer systematischen, landesweiten, staatlich geduldeten asylrelevanten Verfolgung ergeben.
Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass die BF1 Russisch, Ukrainisch und Deutsch spreche. Sie habe in der Ukraine studiert und verfüge über Berufserfahrung. Sie sei arbeitsfähig und leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Sie laboriere seit Mitte August 2017 an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie depressiven Episoden. Diesbezüglich sei auf die Anfragebeantwortung zu verweisen und sei auch nach den Länderfeststellungen die medizinische Versorgung der Regel nach kostenlos und flächendeckend. Es stehe eine IFA zur Verfügung und sei es der BF1 zuzumuten im Falle der Rückkehr durch Arbeitsaufnahme selbst für das Auskommen zu sorgen. Die BF1 verfüge auch über Freunde und Bekannte, welche sie unterstützen könnten. Auch würden die BF Unterstützung von NGOs in Anspruch nehmen können.
Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung kam die belangte Behörde zu Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Ausreise der BF gegenüber den persönlichen Interessen überwiegen würden und nicht von einer umfassenden Integration ausgegangen werden könne.
1.12. Gegen diese Bescheide haben die BF fristgerecht vollumfängliche Beschwerden erhoben. Es wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Behörde die Stellungnahme der BF nicht berücksichtigt habe und sie nicht ergänzend mündlich einvernommen worden seien. Die Länderfeststellung seien im Punkt "Gewalt gegen Frauen" unrichtig. Schutzbefehle seien völlig wirkungslos und würden Verstöße dagegen nicht sanktioniert werden. Wie in der Stellungnahme wurde auf den Artikel verwiesen und angegeben, dass Fälle von Gewalt gegen Frauen nicht angemessen überprüft bzw. von der Strafjustiz nicht einmal registriert werden würden. Auch würde es keine Gerichtsurteile geben. Der Exmann der BF1 würde diese aufgrund seiner polizeilichen Kontakte leicht auffinden. Dieser hätte als Kriminalbeamter und bei guter Vernetzung mit anderen Polizeibeamten im Falle einer Rückkehr der BF1 in die Ukraine keinerlei Sanktion durch staatliche Organe zu befürchten, wenn er die BF1 misshandle oder ihr mit dem Umbringen drohe. Auch sei nicht richtig, dass die Krankheit der BF1 in der Ukraine behandelbar sei. Es werde übersehen, dass in der Ukraine sehr hohe Honorare gefordert werden würden und die benötigten Medikamente nur gegen unverhältnismäßig hohe Kosten- wenn überhaupt - erhältlich seien. Die BF1 könne sich diese Kosten keinesfalls leisten, da sie sich vor ihrem Exmann verstecken müsste und keinem Erwerb nachgehen könne. Eine Posttraumatherapie sei für Normalverdiener in der Ukraine gerade nicht verfügbar und gebe es auch zu wenig Behandlungseinrichtungen. Sie könne ihren ehemaligen Beruf keinesfalls wieder ausüben, selbst in XXXX oder der Westukraine müsse sie sich vor ihrem Exmann und dessen Gehilfen, dem "langen Arm" des ukrainischen Polizeiapparates verstecken. Es würden begründete Bedenken gegen die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen zum Gewaltschutz für Frauen in der Ukraine bestehen und habe die belangte Behörde nicht hinreichend begründet, warum sie diesem Beweismittel weniger Glaubwürdigkeit beimesse als den Länderfeststellungen. Die Behörde hätte einen Sachverständigen einsetzen müssen. Hätte sie sich mit den Beweisergebnissen hinreichend auseinandergesetzt, wäre sie zum Ergebnis gekommen, dass kein ausreichender faktischer Schutz gegen die Gewaltanwendung des Exmannes der BF1 bestehe. Den BF hätte somit Asyl, zumindest aber subsidiärer Schutz gewährt werden müssen. Die BF1 habe in der Ukraine niemanden mehr und würde von staatlicher Seite keine Unterstützung erhalten. Faktisch könne sie keine medizinische Behandlung erhalten und fehle auch die faktische Möglichkeit effektiven staatlichen Schutz gegen den Exmann zu erhalten. Den BF müsste aber zumindest ein Aufenthaltstitel zuerkannt werden. Die BF würden über einen großen Freundeskreis in Österreich verfügen, dies sei den Empfehlungsschreiben zu entnehmen. Die BF1 sei derzeit selbstständig tätig, habe aber eine Position bei ihrer Freundin in einem Unternehmen in Aussicht.
Der Beschwerde wurde ein Empfehlungsschreiben einer Managing Direktorin für die BF1 beigelegt, wonach ihr eine Position in einem Unternehmen jederzeit angeboten werde würde. Zudem wurde ein weiteres Empfehlungsschreiben für die BF beigelegt.
1.13. Am 28.02.2018 wurden folgende Unterlagen in Vorlage gebracht:
- ZMR-Bestätigungen betreffend die geänderte Wohnadresse der BF.
- Drei Empfehlungsschreiben von Lehrern der BF2.
- Empfehlungsschreiben für die BF1
1.14. Die BF1 wurde im Zuge einer Beschwerdeverhandlung vom 15.11.2018 durch das erkennende Gericht nochmals ergänzend zu ihren Lebensumständen in der Ukraine, den Gewalttätigkeiten ihres Exmannes in der Ukraine sowie zur ihrem Leben in Österreich befragt. Zudem wurde mit der BF1 das aktuelle LIB der Staatendokumentation erörtert.
In der Verhandlung wurden folgende Unterlagen vorgelegt:
- Fachpsychiatrischer Befund, datiert mit 05.11.2018, wonach die BF1 beginnend mit August 2017 in regelmäßiger nervenärztlicher Behandlung gestanden sei. Psychiatrische Medikation derzeit: Saroten 25mg, Truxal 15 mg. Psychiatrische Diagnosen: Posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10 F43.1), depressive Episode rezidivierend mit somatischem Symptomen (ICD 10 F 33.11).
- Vorvertrag, datiert mit 05.11.2018, betreffend die Anstellung der BF1 als Reinigungskraft bei einer Firma in Linz (Bruttostundenlohn EUR 8,68,-, für 38,5 Wochenstunden).
- Vorvertrag betreffend eine Anstellung für die BF1 (Monatslohn EUR 420,-, für 14,5 Wochenstunden).
- Jahreszeugnis einer privaten neuen Mittelschule betreffend die BF2 für das Schuljahr 2017/18 (7. Schulstufe).
- Konvolut an Kontoauszügen der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft der Jahre 2017 und 2018, betreffend die BF1.
- Urkunde der BF2, wonach diese an einem Rechtschreibtraining teilgenommen habe.
- Lebenslauf der BF2.
- Schülerinnen-Begleitpass- Berufspraktische Tage, wonach die BF2 von einer Zahnärztin betreut worden sei und die Voraussetzungen für den Lehrberuf einer zahnärztlichen Assistentin erfülle.
- Wohnrechtsvereinbarung, wonach die BF unbefristet und unentgeltlich in einer Wohnung in Wien leben dürfen.
- Auszeichnung für die BF2, wonach diese das Schuljahr 2017/2018 einer privaten neuen Mittelschule mit großem persönlichem Einsatz und einer starken Leistungssteigerung erfolgreich abgeschlossen habe.
- Schreiben des Lebensgefährten der BF1.
- Konvolut an Fotos betreffend die Handarbeiten der BF1 (Schmuck und Puppen).
- Fotobuch der BF1 und ihrem Lebensgefährten.
1.15. Am 07.12.2018 langte eine Stellungnahme der BF ein. Es wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Falle der BF eine IFA nicht zumutbar sei. Behandlungen seien in der Ukraine oft selbst zu bezahlen und sei die BF1 nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Sie verfüge auch über keine Ersparnisse. Zudem befinde sich die BF1 in einer engmaschigen Behandlung bei einem Primarius in Österreich, welche bei einer Abschiebung nicht fortgeführt werden könne. Auch würde sie bei einer Rückkehr von ihrem Exmann gefunden werden und könne sie erneut Opfer von Gewalt werden. Auch wäre die BF1 bei einer Rückkehr der Gefahr einer Re-Traumatisierung ausgesetzt. Die BF2 spreche kaum Ukrainisch und habe sich hervorragend in das Schulleben in Österreich integriert. Sie spreche sehr gut Deutsch. Sie sei XXXX Jahre alt und habe die letzten vier Jahre und somit eine sehr prägende Zeit ihres Lebens in Österreich verbracht. Es sei fragwürdig, ob es ihr gelinge in diesem Alter sich nochmals in einem komplett neuen Umfeld anzupassen. Auch führe die BF1 in Österreich eine Lebensbeziehung und plane sie, einen gemeinsamen Haushalt zu gründen bzw. eine Ehe zu schließen. Die BF würden daher über ein sehr ausgeprägtes Familienleben in Österreich verfügen. Die BF1 ist in Österreich selbstständig tätig, habe in Österreich niemals Sozialleistungen bezogen und könne im Falle der Gewährung eines Aufenthaltstitels sofort ein Angestelltenverhältnis beginnen. Den BF sei damit jedenfalls eine Aufenthaltsberechtigung plus zu erteilen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:
Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der BF, beinhaltend die niederschriftliche Einvernahme der BF1 vor dem BFA, die Beschwerden vom 13.02.2018, die Stellungnahmen, durch Einsicht in die vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, durch Einholung von Auszügen aus ZMR, GVS, IZR und Strafregister und schließlich durch Berücksichtigung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat.
1. Feststellungen:
Feststellungen zu den BF:
Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine, gehören der russischen Volksgruppe an und bekennen sich zum christlich-orthodoxen Glauben. Die Identität der BF steht nicht fest. Die BF reisten im September 2014 illegal ins Bundesgebiet ein und stellten am 25.09.2014 Anträge auf internationalen Schutz.
Die BF1 wurde in Usbekistan geboren und ist in einem Waisenhaus aufgewachsen. Die BF haben gemeinsam mit dem (Ex-)Mann (Vater von BF2) in der Ukraine (Republik XXXX ) in der Ostukraine gelebt. Vor ihrer Ausreise nach Europa waren die BF in XXXX bei einer Freundin der BF1 aufhältig.
Es konnte nicht festgestellt werden, ob die BF1 von ihrem Mann in der Ukraine geschieden ist.
Es kann nicht festgestellt werden, dass den BF aktuell im gesamten Staatsgebiet der Ukraine eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht. Den BF steht in der Ukraine eine innerstaatliche Schutz- bzw. Fluchtalternative offen.
Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.
Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.
Die BF waren in der Ukraine in der Lage sich ihren Lebensunterhalt - zuletzt durch die berufliche Tätigkeit der BF1 als Lehrerin - zu sichern.
Die BF leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Ukraine ( XXXX ) besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung.
Die unbescholten BF halten sich seit etwa vier Jahren und sieben Monaten im Bundesgebiet auf. Sie leben in einem gemeinsamen Haushalt (Privatwohnung) in Wien und beziehen seit ihrer Einreise nach Österreich (bis auf wenige Monate) keine Leistungen aus der Grundversorgung. Die BF1 hat bereits Deutschkurse absolviert und die Prüfung A2 erfolgreich abgeschlossen. Die BF2 geht seit dem Jahr 2015 in Österreich in die Schule. Derzeit besucht sie die 8. Schulstufe einer privaten neuen Mittelschule und erbringt gute schulische Leistungen. Die BF1 ist in Österreich seit dem Jahr 2015 selbstständig tätig. Sie restauriert Porzellanpuppen und stellt Schmuck her. Die BF1 ist seit nunmehr fast einem Jahr mit einem in XXXX lebenden, österreichischen Staatsbürger liiert, welchen sie auch heiraten möchte. Sobald die BF2 die Pflichtschule beendet hat, wollen die BF zum Lebensgeführten der BF1 nach XXXX übersiedeln. Die BF1 konnte einen Vorvertrag für einen Job als Reinigungskraft bei einer Firma in XXXX vorlegen. Die BF haben auch bereits weitere soziale Kontakte in Österreich geknüpft, welche sich für einen Aufenthalt der BF in Österreich einsetzen. In ihrer Freizeit unternehmen die BF gemeinsam mit dem Lebensgefährten der BF1 Ausflüge und besichtigen Österreich. Sie sind unbescholten.
Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF:
1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)
Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).
Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).
Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).
Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).
Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. ? an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).
Quellen:
- DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko, http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017
- DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017
- DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer, http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017
- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück, https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017
- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017
- UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017
2. Politische Lage
Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):
Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)
142
Volksfront (Narodny Front)
81
Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)
43
Selbsthilfe (Samopomitsch)
26
Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)
20
Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)
20
Gruppe Wolja Narodu
19
Gruppe Widrodshennja
24
Fraktionslose Abgeordnete
48
(AA 2.2017a)
Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).
Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).
Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017
- DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU, http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017
3. Sicherheitslage
Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).
Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).
Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).
Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon 9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).
Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017
3.1. Halbinsel Krim
Die Halbinsel Krim wurde 2014 von der Russischen Föderation besetzt. Das "Referendum" über den Anschluss an Russland, welches auf der Krim durchgeführt wurde, wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen für ungültig erklärt. Die Resolution 71/205 der Generalversammlung der UN bezeichnet die Russische Föderation als Okkupationsmacht auf der Krim. Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der Machthaber zu beobachten: Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erreicht wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlossene Anstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt. Weiters bestehen Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit anderer politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische "Anti-Terror"-Gesetze zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Individuen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend investigativ und juristisch verfolgt. Besonders die ethnische Gruppe der Krimtataren, aber auch Ukrainer anderer ethnischer oder religiöser Gruppen, sind von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Der Mejlis, die krimtatarische gewählte Versammlung zur Repräsentation der Krimtataren, wurde am 18. April 2016 durch die lokalen Behörden suspendiert und am 26. April vom Russischen Obersten Gerichtshof als "extremistisch" eingestuft und verboten. Menschenrechtsorganisationen sowie Journalisten haben keinen uneingeschränkten Zugang zur Krim. Bestimmte Webseiten werden blockiert und unabhängige Medien mussten auf das ukrainische Festland übersiedeln. Die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt. Am 7. März 2016 wurden in Simferopol alle öffentlichen Versammlungen verboten, die nicht von den Machthabern organisiert wurden (ÖB 4.2017).
Auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Auf der Krim werden seit der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland im März 2014 staatliche Aufgaben von russischen Behörden ausgeübt. Die Einwohner wurden pauschal eingebürgert, es wurde begonnen, sie mit russischen Inlandspässen, seit September 2014 auch mit russischen Reisepässen, auszustatten. Einwohner der Krim, die ihr Widerspruchsrecht nutzten haben damit u. a. den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung verloren. Die Minderheit der Krimtataren unterliegt erheblichen Restriktionen. Besorgniserregend sind weiterhin Meldungen, wonach exponierte Vertreter der tatarischen Minderheit verschwinden, nicht mehr auf die Krim reisen dürfen bzw. vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Außerdem werden tatarische Vereine in ihrer Handlungsfähigkeit beschnitten und unter Druck gesetzt, teilweise auch kriminalisiert oder zur Auflösung gezwungen. Die gewählte Versammlung der Krimtataren, das Selbstverwaltungsorgan Medschlis, wird von den de-facto-Behörden als terroristische Vereinigung eingestuft, seine Mitglieder werden verfolgt. Versuche, die tatarische Minderheit in eine den de-facto-Behörden willfährige Parallelstruktur einzubinden, blieben bisher ohne nennenswerten Erfolg. Medien stehen unter Druck, eine offene Zivilgesellschaft gibt es nicht mehr. Dem unabhängigen Fernsehsender der Tataren ATR wurde die Lizenz entzogen; er hat seinen Sitz nach Kiew verlegt. Seine Sendungen können auf der Krim nur noch im Internet und dort sehr eingeschränkt verfolgt werden. Auch jüngste Berichte von UNHCR sowie Amnesty International listen eine Reihe von Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf der Krim auf, die von einer Einschränkung des Versammlungsrechts über willkürliche Verhaftungen bis hin zu Entführungen, Folter und Ermordung reicht. Versuche der Vereinten Nationen, der OSZE oder des Europarats eine kontinuierliche Beobachtung der Menschenrechtssituation auf der Krim vorzunehmen, sind bisher gescheitert (AA 7.2.2017).
Auf der Halbinsel Krim sind Dissidenten das Ziel systematischen Missbrauchs und der Verfolgung durch die russischen Behörden. Es gibt Berichte über Fälle von Verschwindenlassen. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise auf die Krim verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung (USDOS 3.3.2017a).
Im Feber 2014 besetzten russische Truppen die Halbinsel Krim militärisch. Im März wurde die Krim nach einem Scheinreferendum schließlich annektiert und zum Teil der Russischen Föderation erklärt. Die Vereinten Nationen verurteilten diesen Schritt und riefen Staaten und internationale Organisation auf, dies nicht anzuerkennen. Auf der Krim gilt seither de facto russisches Recht, es wurde eine russische Regierung installiert. Die russischen Sicherheitsbehörden konsolidieren ihre Kontrolle der Halbinsel weiterhin und beschränken die Menschenrechte durch unverhältnismäßige Anwendung repressiver russischer Gesetze. Abweichende und Meinungen und Opposition zur Annexion der Krim werden von den russischen Behörden durch Einschüchterung unterdrückt. Dazu gehören Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlung, politische Prozesse, wiederholte grundlose Vorladungen durch die Sicherheitsbehörden, gegenstandslose Festnahmen, usw. Bestimmte Gruppen, vor allem ethnische Ukrainer und Krimtataren werden systematisch diskriminiert und ihre Menschenrechte eingeschränkt. Der Selbstverwaltungskörper der krimtatarischen Minderheit, der demokratisch gewählte Mejlis, wurde als extremistische Organisation verboten. Personen, welche die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft verweigern, werden beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Arbeitsmarkt diskriminiert. Es gibt auch Eingriffe in die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, speziell durch Behinderung bei der Pflege des kulturellen Erbes und durch Einschränkung des Zugangs zu Unterricht in ukrainischer und krimtatarischer Sprache. Die Medienfreiheit auf der Krim wird ebenfalls eingeschränkt, unabhängige Medien gibt es nicht mehr. Die wenigen verbleibenden unabhängigen bzw. kritischen Journalisten wurden eingesperrt und wegen Extremismus angeklagt. Es kommt zu politischer Einmischung in gerichtliche Verfahren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Diskriminierung ethnischer und sexueller Minderheiten. Tausende Personen flüchteten als Binnenvertriebene in die Ukraine. Bei den russischen Behörden auf der Krim herrscht betreffend Menschenrechtsverletzungen ein Klima der Straflosigkeit. Fälle von Entführung oder Tötung von Einwohnern der Krim in den Jahren 2014 und 2015 werden nicht angemessen untersucht (USDOS 3.3.2017b).
Die Rechte der Bevölkerung der Krim, besonders der Krimtataren, werden weitgehend verletzt. Der krimtatarische Mejlis wurde verboten und krimtatarische Führungspersönlichkeiten dürfen die Krim nicht betreten oder sind inhaftiert (FH 29.3.2017).
Auf der Krim setzten die de-facto-Behörden ihre Maßnahmen zur Unterdrückung jeglicher pro-ukrainischer Opposition fort, wobei sie zunehmend auf russische Gesetze zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus zurückgriffen und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Dutzende Personen anstrengten, die als illoyal betrachtet wurden. In keinem der Fälle von Verschwindenlassen, die sich im Anschluss an die russische Besetzung ereignet hatten, gab es gründliche Ermittlungen. Die russischen Behörden hielten Parlamentswahlen auf der Krim ab, die international nicht anerkannt wurden. Die bereits stark eingeschränkten Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurden 2016 noch weiter beschnitten. Die Websites einiger unabhängiger Medienkanäle, die in den Jahren zuvor gezwungen waren, ihren Sitz auf das ukrainische Festland zu verlegen, wurden von den De-facto-Behörden auf der Krim gesperrt. Am 7. März 2016 verbot der Bürgermeister von Simferopol, der Hauptstadt der Krim, alle öffentlichen Versammlungen, die nicht von den Behörden organisiert wurden. Ethnische Krimtataren waren von dem Bestreben der De-facto-Behörden zur Beseitigung jeglicher pro-ukrainischer Opposition nach wie vor besonders stark betroffen. Am 18. April wurde der Medschlis, eine von der krimtatarischen Volksversammlung Kurultai gewählte Vertretung, aufgelöst und am 26. April von einem Gericht als "extremistisch" verboten. Das Verbot wurde am 29. September vom Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation bestätigt (AI 22.2.2017).
Russland setzt Kritiker der Krim-Okkupation weiterhin politischer Strafverfolgung aus und schränkt die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit weiter ein. Krimtataren werden unter dem Vorwand der Extremismusbekämpfung verfolgt (HRW 12.1.2017).
Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).
Seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim häufen sich Berichte über den Versuch der systematischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit unter dem Vorwand sicherheitspolitischer Erwägungen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Aktivitäten der Krimtataren aus. Exemplarisch sei auf das Argument verwiesen, wonach Parkflächen während der Schulferien für Kinderaktivitäten freizuhalten und dementsprechend öffentliche kulturelle Veranstaltungen der Krimtataren aus Anlass des Tags der Flagge der Krimtataren in Simferopol am 26. Juni 2014 zu untersagen seien (ÖB 4.2017).
Quellen:
- AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 1.6.2017
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017b): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine (Crimea), https://www.ecoi.net/local_link/337269/480036_de.html, Zugriff 1.6.2017
3.2. Ostukraine
Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).
In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).
Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).
In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagi