Entscheidungsdatum
06.05.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W212 2206667-1/4E
W212 2206668-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Ukraine, vertreten durch RA Mag. Andreas Lepschi, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2018, Zl.en 1.) 1081850906/151214737, 2.) 1081851010/151214800, zu Recht:
A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG sowie § 55a Abs. 4 FPG als unbegründet abgewiesen.
B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind verheiratet und Staatsbürger der Ukraine. Sie reisten mittels von der österreichischen Botschaft in Kiew ausgestellter Visa am 25.08.2015 in das Bundesgebiet ein, wo sie am 28.08.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.
Im Rahmen der Erstbefragung am 28.08.2015 gab der BF1 an, dass er zur ukrainischen Armee einrücken müsse. Ihm sei Mitte August 2015 mitgeteilt worden, dass er ins Gefängnis müsse, falls er nicht einrücke. Daher habe er sich entschlossen, mit seiner Frau die Ukraine zu verlassen.
Die BF2 gab in ihrer Erstbefragung an, dass sie einen Bruder in Österreich habe, und bestätigte die Angaben ihres Mannes zu seinen Fluchtgründen.
I.2. In der Einvernahme vor dem BFA am 16.07.2018 gab die BF1 an, dass er der Volksgruppe der Tartaren angehöre und als Moslem geboren, aber nicht gläubig sei. Er habe in der Ukraine ein Studium der Betriebswirtschaft abgeschlossen und als selbstständiger Friseur gearbeitet.
Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass er im Frühling 2015 einen Schuss und die Alarmanlage seines Autos im Hof gehört habe. Mitglieder der Militäreinheit DNEPR 1 hätten gerade Kalaschnikows ausgeladen und in eine Nebenstiege gebracht. Dabei sei ein Gewehr heruntergefallen, ein Schuss habe sich gelöst und die Tür seines Autos beschädigt. Er sei hinunter gegangen um den Schaden zu erheben und die Polizei anzurufen. Die Soldaten hätten aggressiv reagiert und ihm befohlen nicht die Polizei zu rufen. Ein Soldat habe ihn mit seinem Gewehr geschlagen. Er sei beschimpft und bedroht worden. Er sei daraufhin ins Haus zurückgekehrt und habe bei seinem Nachbarn XXXX geläutet, der Abgeordneter und Leiter des Militärs sei. Dieser habe auch geschimpft und ihm gesagt, dass er keine Behörden in die Sache hineinziehen sollte. Nach einem Gespräch mit seinem Schwiegervater habe sich der BF1 entschieden, doch Anzeige zu erstatten. Auf dem Weg dorthin habe er jedoch Soldaten gesehen und sei umgekehrt. Einige Tage später habe er den Abgeordneten wieder getroffen, der ihm gedroht habe. Er habe ihm gesagt, dass er keine Ahnung vom Leben habe und einmal für das Militär kämpfen solle. Er sei dann mit seiner Frau zu den Schwiegereltern gezogen. Zwei oder drei Wochen später habe er in seinem Friseursalon einen Einberufungsbefehl überreicht bekommen. Diesen habe er ignoriert, da er untauglich sei. Etwa einen Monat später habe er einen zweiten Einberufungsbefehl erhalten. Die Personen vom Militär hätten ihn mitgenommen und in ihr Dienstauto gebracht. Draußen sei ihm gesagt worden, dass er die Einberufung für 500,- ? hinauszögern könne. Er habe das Geld bezahlt. Einen Monat später seien sie erneut gekommen und hätten ihm einen letzten Einberufungsbefehl gegeben. Er habe erneut Geld bezahlt und sei freigelassen worden. Er habe daraufhin mit seiner Frau entschieden das Land zu verlassen.
Die BF2 gab in ihrer Einvernahme an, in der Ukraine sechs Jahre eine technische Hochschule besucht und als Friseurin gearbeitet zu haben. Sie selbst habe keine eigenen Fluchtgründe.
Der BF1 legte im Verfahren folgende Unterlagen vor:
- Drei Einberufungsbefehle von 05.08.2015,09.06.2015 und 07.07.2015
- Einladungsschreiben der Polizei vom 20.02.2016 als Zeuge
- Einladungsschreiben der Polizei vom 05.05.2016 als Verdächtiger
- Bestätigung des Militärkommissariats von 2004
- Ukrainische Heiratsurkunde in Original und Übersetzung
- Ärztlicher Befund vom 03.08.2017, Diagnose: Magenmukosa mit chronischer Entzündung, Heliobacter schwach positiv, Grundanteile einer Ulzeration
- Diverse Zeitungsartikel zu XXXX
- Arbeitsunfähigkeitsmeldung von 26.06.2018 bis 02.07.2018
- Fotos des Innenhofs und Wohnhauses
- Ukrainischer Eigentumsnachweis für Wohnung in Kopie
- Ukrainische Registrierung als Einzelunternehmer
- Briefe von den Eltern, Schwiegereltern, Mitarbeitern du einem Mieter des BF1
- Deutschkurszertifikat B2 (BF1, BF2)
- Kursbesuchsbestätigung Englisch A1 und A2 (BF1, BF2)
- Englischzertifikat A2 (BF1, BF2))
- Mitgliedsausweis des Samariterbundes
- Brief des Leiters des Samariterbundes und Bestätigung für ehrenamtliche Tätigkeit (BF1, BF2)
- Fortbildungskurs beim Samariterbund (BF1, BF2)
- diverse Empfehlungsschreiben
- Schreiben zum Beitritt des BF1 zur ÖVP Wien
I.3. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2018 wurden unter die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 3 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 8 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betragte die Frist für die frewillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
Dem Bescheid wurden die entsprechenden Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu Grunde gelegt. Aufgrund der vagen und widersprüchlichen Angaben des BF1 komme dem Fluchtvorbringen keine Glaubwürdigkeit zu. Da die BF arbeitsfähig und gesund seien, gehe die Behörde davon aus, dass ihnen auch keine Gefahren drohten, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Spruchpunkt I., dass der von den BF vorgebrachte Sachverhalt nicht glaubhaft sei, womit keine Grundlage für eine Subsumierung unter § 3 AsylG 2005 habe festgestellt werden können. Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass bei den BF keine individuellen Umstände vorlägen, die dafür sprechen würden, dass sie bei einer Rückkehr in die Ukraine in eine derart extreme Notlage geraten würden, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde. Unter Spruchpunkt III. wurde mit näherer Begründung darauf verwiesen, dass im Verfahren keine Ansatzpunkte hervorgetreten seien, die die Vermutung einer besonderen Integration der BF in Österreich rechtfertigen würden. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen würden somit keine Hinweise gefunden werden, welche den Schluss zuließen, dass durch die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens eingegriffen werden würde.
I.4. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht am 26.09.2018 Beschwerde erhoben. Begründend wurde vorgebracht, dass die Begründung der belangten Behörde nicht nachvollziehbar sei. Gegen den Abgeordneten XXXX bestünden zahlreiche Korruptionsvorwürfe, es sei daher plausibel, dass die Auseinandersetzung mit dem BF1 auf die geschilderte Weise eskaliert sei. Es bestehe auch ein zeitlicher Zusammenhang mit der Einberufung des BF1. Aktuellen Berichten des UK Home Office sei zu entnehmen, dass für den Entzug vom Wehrdienst Gefängnisstrafen zwischen zwei und fünf Jahren vorgesehen seien. Derzeit würden 26 800 Personen wegen dieses Delikts verfolgt. Die Behörde habe sich darüber hinaus nicht mit der illegalen Ausreise des BF1 befasst. Es werde die Beiziehung eines länderkundlichen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass Rekrutierungen wie vom BF1 mit Ladungen zu Musterung beginnen und bei Zuwiderhandeln in ein Strafverfahren münden würden, beantragt. Die Ableistung des Wehrdiensts in der Ukraine stelle unter den dargelegten Umständen eine unmenschliche Behandlung iSd Art. 3 EMRK dar. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass die BF nahezu perfekt Deutsch sprächen. Beide seine ehrenamtlich tätig und sehr gut integriert. Der BF1 studiere zusätzlich an der Universität Wien. Die BF2 laboriere an einer schweren Psoroasis, die im Bundesgebeit erstmals nach dem Stand der Medizin behandelt werden könne. Die Rückkehrentscheidung sei daher unverhältnismäßig.
Der Beschwerde lagen folgende Unterlagen bei:
- Bestätigung über die ehrenamtliche Tätigkeit des BF1 beim Samariterbund
- Befundbericht der BF2 vom Februar 2017
- Zeitungsartikel vom Dezember 2015
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine, der BF1 gehört der Volksgruppe der Tartaren, die BF2 der Armenier an. Sie stammen aus XXXX . Die Muttersprache des BF1 ist Ukrainisch, die der BF2 Armenisch, beide sprechen auch Russisch. Ihre Identität steht infolge der vorgelegten unbedenklichen Dokumente fest.
Die BF stellten am 28.08.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz, wobei sie zuvor legal mittels gültiger ukrainischer Reisepässe in das Bundesgebiet eingereist sind. Den BF waren von der Österreichischen Botschaft in Kiew Visa ausgestellt worden.
1.2. Der BF1 und die BF2 haben in der Ukraine studiert und waren selbstständig als Friseure tätig. Die Eltern des BF1 und der BF2 sowie ein Bruder der BF2 leben in der Ukraine.
1.3. Die BF halten sich seit der Einreise am 25.08.2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Beide sprechen Deutsch auf dem Niveau B2 und sind ehrenamtlich tätig. Sie gingen bisher keiner Erwerbstätigkeit nach.
1.4. Der BF1 leidet an einer chronischen Entzündung der Magenschleimhaut mit Grundanteilen einer Ulzeration (Geschwürbildung). Aktuell besteht kein Behandlungsbedarf. Die BF2 leidet an Psoriasis, die mittels einer Injektion alle vier Wochen behandelt wird.
Die BF leiden aktuell an keinen schwerwiegenden, lebensbedrohlichen oder behandlungsbedürftigen Erkrankungen, die ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
1.5. Den BF droht in der Ukraine weder in der Vergangenheit noch aktuell eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität.
1.6. Die BF sind im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.
Die BF würden im Falle ihrer Rückkehr in ihrem Herkunftsstaat nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten.
1.7. Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF
Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)
Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).
Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).
Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).
Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).
Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. ? an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).
Quellen:
- DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko, http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017
- DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017
- DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer, http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017
- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück, https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017
- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017
- UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017
Politische Lage
Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):
Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)
142
Volksfront (Narodny Front)
81
Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)
43
Selbsthilfe (Samopomitsch)
26
Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)
20
Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)
20
Gruppe Wolja Narodu
19
Gruppe Widrodshennja
24
Fraktionslose Abgeordnete
48
(AA 2.2017a)
Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).
Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).
Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017
- DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU, http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017
Sicherheitslage
Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).
Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).
Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).
Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon 9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).
Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017
Rechtsschutz/Justizwesen
Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).
Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).
Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über (BFA/OFPRA 5.2017).
Die andere große Baustelle des Justizsystems ist die Reform des Büros des Generalstaatsanwalts, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Große Hoffnungen in diese Richtung werden in den im Mai 2016 ernannten neuen Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko gesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. FH 29.3.2017).
Mit 1. Oktober 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren gegen Richter eingeleitet. Richter beschweren sich weiterhin über eine schwache Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Einige Richter berichten über Druckausübung durch hohe Politiker. Andere Faktoren behindern das Recht auf ein faires Verfahren, wie langwierige Gerichtsverfahren, vor allem in Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung und mangelnde Umsetzung von Gerichtsurteilen. Diese liegt bei nur 40% (USDOS 3.3.2017a).
Der unter der Präsidentschaft Janukowitschs zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (ÖB 4.2017).
Laut offizieller Statistik des EGMR befindet sich die Ukraine auf Platz 1 in Bezug auf die Anzahl an anhängigen Fällen in Strassburg (18.155, Stand 1.1.2017). 65% der anhängigen Fälle betreffen die nicht-Umsetzung von nationalen Urteilen. Wiederkehrende Vorwürfe des EGMR gegen die Ukraine kreisen auch um die überlange Dauer von Zivilprozessen und strafrechtlichen Voruntersuchungen ohne Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel ergreifen zu können; Verstöße gegen Art. 5 der EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit); Unmenschliche Behandlung in Haft bzw. unzulängliche Untersuchung von derartig vorgebrachten Beschwerden; Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen (ÖB 4.2017).
Quellen:
- BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 6.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017
Sicherheitsbehörden
Die Sicherheitsbehörden unterstehen effektiver ziviler Kontrolle. Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht Beamte strafzuverfolgen oder zu bestrafen, die Verfehlungen begangen haben. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln aber die Maßnahmen angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer verdächtig war/ist "pro-separatistisch" eingestellt zu sein. Straflosigkeit ist somit weiterhin ein Problem. Gelegentlich kam es zu Anklagen, oft aber blieb es bei Untersuchungen. Der Menschenrechtsombudsmann hat die rechtliche Möglichkeit, Ermittlungen innerhalb der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsverletzungen zu initiieren. Die Sicherheitsbehörden verhindern generell gesellschaftliche Gewalt oder reagieren darauf. In einigen Fällen kam es aber auch zu Fällen überschießender Gewaltanwendung gegen Demonstranten oder es wurde versäumt Personen vor Drangsale oder Gewalt zu schützen (USDOS 3.3.2017a).
Die Sicherheitsbehörden haben ihre sowjetische Tradition überwiegend noch nicht abgestreift. Reformen werden von Teilen des Staatsapparats abgelehnt. Staatsanwaltschaft und Sicherheitsdienst (SBU) waren jahrzehntelang Instrumente der Repression; im Bereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gibt es weiterhin überlappende Kompetenzen. Die 2015 mit großem Vertrauensvorschuss neu geschaffene und allseits für ihre Integrität gelobte Nationalpolizei muss sich auseinandersetzen mit einer das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und der Auseinandersetzung im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, einige wenige Personen in der Konfliktregion (Ostukraine) unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).
Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen Geheimdienst SBU als auch durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Bezüglich der Polizeigewalt gegen Maidan-Demonstranten im Jahre 2014 wurden vier Berkut-Beamte wegen der Tötung von drei Demonstranten und Verletzung 35 weiterer angeklagt (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).
Da die alte ukrainische Polizei, die sogenannte Militsiya, seit Ende der Sowjetunion mit einem sehr schlechten Ruf als zutiefst korrupt zu kämpfen hatte und sie nach den Ereignissen des sogenannten Euromaidan zu sehr mit - zum Teil tödliche r- Gewalt gegen Demonstranten gleichgesetzt wurde, reagierte die neue Regierung in der post-Janukowitsch-Ära sehr schnell und präsentierte bereits Ende 2014 eine Strategie zur Einführung einer neuen Polizeieinheit, welche korruptionsfrei, weniger militaristisch und serviceorientierter sein sollte. Die relevante Gesetzgebung konnte schließlich im November 2015 in Kraft treten. Die neue Nationalpolizei nahm ihre Tätigkeit aber bereits Anfang Juli 2015 auf, als die ersten 2.000 neuen Beamten nach nur drei Monaten Ausbildung ihren Eid ablegten. Diese kurze Ausbildungszeit erklärt sich auch aus der Notwendigkeit heraus, die neuen Beamten rasch auf die Straße zu bekommen, wo sie wohlgemerkt ohne Anleitung durch erfahrene (Militsiya-)Beamte Dienst taten, sozusagen als Verkörperung des Wandels. Die etwa 12.000 Nationalpolizisten tun derzeit Dienst in den Großstädten, inklusive Odessa, Kharkiv, Kiew und Lemberg, sowie in 32 Oblast-Hauptstädten im ganzen Land, inklusive der ukrainisch kontrollierten Teile der Ostukraine. Es ist geplant, dass sie danach schrittweise auf den Autobahnen und im ganzen Land tätig werden sollen. Geplant und durchgeführt wurde die Polizeireform v.a. von georgischen Experten, die bereits in ihrer Heimat einschlägige und international beachtete Erfahrungen gesammelt hatten. Um die Trennung vom alten System zu verdeutlichen, wurde die Militsiya angewiesen nicht mehr auf den Straßen präsent zu sein. Dort patrouilliert nur noch die Nationalpolizei. In den Revieren jedoch wird Innendiensttätigkeit weiterhin von der Militsiya verrichtet, deren Ende praktisch besiegelt ist. Die Kooperation zwischen den beiden Wachkörpern ist folglich eher problembeladen. Die neuen Polizisten verrichten praktisch ausschließlich Patrouillentätigkeiit. Wenn sie jemanden festnehmen wird die weitere Ermittlungsarbeit - auch mangels Erfahrung der Nationalpolizisten - weiter von der Militsiya gemacht, bevor es zu einer Anklage kommen kann. Die Reform der Kriminalpolizei und weiterer Einheiten, mit ihren etwa 150.000 Beamten in der gesamten Ukraine, steht erst bevor und wird als der wahre Belastungstest für die Polizeireform gesehen. Mit dem Eintritt der ersten neuen Nationalpolizisten in den Kriminaldienst wird frühestens nach drei Jahren gerechnet. Bewerber für die Nationalpolizei müssen sich eingehender Fitness- und Persönlichkeitstest unterziehen. Angehörige der Militsiya können in den neuen Wachkörper wechseln, müssen aber die Vorgaben erfüllen und sich den Eignungstest unterziehen. Ende 2015 hatten sich 18.044 Milizionäre diesem Prozess gestellt und 62% davon haben die ersten zwei (von drei) Testrunden überstanden (General Skills Test, Professional Skills Test und kommissionelles Interview). An diesem Auswahlprozess sind Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt und die EU beobachtet diesen. Nationalpolizisten werden im Vergleich zur Militsiya sehr gut bezahlt, was Korruption vorbeugen soll. In den ersten zwei Monaten wurden 28 der neuen Beamten entlassen, zwei davon wegen Korruptionsvorwürfen. Trotz dem Mangel an Erfahrung der neuen Polizisten, der immer wieder kritisiert wurde, werden die ersten Monate in denen die neue Nationalpolizei Dienst tat, als Erfolg betrachtet. Im Vergleich zur Militsiya wurden die neuen Beamten öfter gerufen, reagierten aber trotzdem schneller. Die Zahl der Notrufe vervierfachte sich binnen kurzer Zeit, was als Beweis des Vertrauens der Bürger in die Polizei gewertet wird. 85% der Kiewer Bevölkerung halten die Polizei für glaubwürdig, aber nur 5% sagen dasselbe über die Militsiya. In anderen Großstädten sind die Werte ähnlich. Der Anstieg der Kriminalität (+20% in Kiew im Jahre 2015 gegenüber dem Jahr davor) wird von Kritikern in Zusammenhang mit der neuen Polizei gebracht. Jedoch werden auch der Konflikt im Osten des Landes, die allgemein schlechte ökonomische Lage, sowie die Anwesenheit zahlreicher Personen aus der Ostukraine, die aufgrund des Konflikts ihren Lebensmittelpunkt nach Kiew verlagert haben (IDPs und andere) als relevante Faktoren genannt. Auch angeführt wird, dass der Anstieg der Kriminalität eher damit zu tun haben könnte, dass in der Nationalpolizei die Statistiken nicht mehr frisiert und die neuen Polizisten aufgrund höheren Bürgervertrauens schlicht öfter zur Hilfe gerufen werden. Der Wandel der Polizei geht auch einher mit einem Wandel des Innenministeriums, das nach den Worten des Innenministers von einem "Milizministerium" zu einem zivilen Innenministerium europäischer Prägung wurde. Der Rücktritt von Vize-Innenministerin Ekaterina Zguladze-Glucksmann und von Polizeichefin Khatia Dekanoidze, zwei der zahlreichen georgischen Experten, die zur Durchsetzung von Reformen engagiert worden waren, im November 2016, gab bei einigen Beobachtern Anlass zur Sorge über die Zukunft der ukrainischen Polizeireform. Dekanoidze beklagte bei ihrem Abgang, dass, trotzdem es ihr gelungen sei die Grundlagen für einen Polizeikörper westlichen Zuschnitts zu legen, man ihr nicht genug Kompetenzen für eine noch radikalere Reform in die Hand gegeben hätte (BFA/OFPRA 5.2017).
Das sichtbarste Ergebnis der Polizeireform der Ukraine, die am 2. Juli 2015 beschlossen wurde, ist sicherlich die (Neu-)Gründung der Nationalen Polizei, die im selben Monat noch in drei ausgewählten Regionen und insgesamt 32 Städten (darunter auch Kiew, Lemberg, Kharkiv, Kramatorsk, Slaviansk und Mariupol) ihre Tätigkeit aufnahm. Als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, das anhand von europäischen Standards mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft aufgebaut wurde, stellt die neue Nationale Polizei jedenfalls einen wesentlichen Schritt vorwärts dar. Mit 7. November 2015 ersetzte die neue Nationale Polizei der Ukraine offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte Militsiya. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Struktur aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen "Re-Attestierungs-Prozess" samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritäts-Prüfungen durchlaufen. Mit 20 Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses. Im Zuge dessen wurden 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft. Allgemein wird der vorläufig große Erfolg dieser Reform oft als Aushängeschild der allgemeinen Reformvorhaben gesehen. Nach dem Rücktritt der ehemaligen georgischen Innenministerin Khatia Dekanoidze wurde, im Zuge eines offenen und transparenten Verfahrens, Serhii Knyazev als neuer Leiter der Nationalen Polizei ausgewählt und am 8. Februar 2017 ernannt. Eine gewisse Verlangsamung der Reformen im Polizeibereich ist zu bemerken (ÖB 4.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 6.6.2017
- BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine
- FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html, Zugriff 22.6.2017
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 6.6.2017
Korruption
Korruption ist in der Ukraine endemisch. Dies findet sich nicht zuletzt im Corruption Perception Index von Transparency International reflektiert, der die Ukraine im Jahr 2016 auf Platz 131 von 176 untersuchten Ländern einstuft. Im Jahr 2007 rangierte die Ukraine im selben Ranking noch auf Platz 118 von 179 untersuchten Ländern. Vor allem seit dem Sturz des Janukowitsch-Regimes zeigt der Trend aber wieder in eine positive Richtung. Die endemische Korruption war einer, wenn nicht der Grund für den Sturz des alten Regimes und vereint weiterhin große Teile der Bevölkerung und vor allem auch der Zivilgesellschaft hinter einem gemeinsamen Ziel. Am 14. Mai 2013 verabschiedete das ukrainische Parlament ein neues Antikorruptionsgesetz, nicht zuletzt aufgrund einer im Aktionsplan zur Liberalisierung des Visaregimes für die Ukraine vorgesehen Vorgabe. Das Gesetz fordert u.a. verstärkte Berichtspflichten für (Neben-)Einkünfte und Aufwendungen von öffentlich Bediensteten und von Bediensteten staatlicher Betriebe sowie ihrer Familien. Das Gesetz sieht außerdem den Schutz von Personen vor, die Korruption anzeigen. Als positiver Schritt wird die Verabschiedung eines neuen Gesetzes "Über öffentliche Auftragsvergaben" am 10. April 2014 gewertet. Insbesondere die neuen Publizitätskriterien sollen den Vergabeprozess transparenter und damit kontrollierbarer machen. Vor dem Hintergrund der am 26 .Oktober 2014 abgehaltenen vorzeitigen Parlamentswahlen wurde am 14. Oktober 2014 ein neues umfassendes Reformpaket zur Bekämpfung der Korruption vorgelegt, durch das neue Institutionen geschaffen bzw. neue Verfahren zur Korruptionsverhütung und -bekämpfung eingeführt wurden. So wurde die Schaffung des Nationalen Anti-Korruptions-Büros (NABU) beschlossen und am 16. April 2015 eröffnet. Hauptziel des NABU ist es, v.a. Korruption auf höchster (politischer) Ebene zu bekämpfen. Besetzt wurde das Büro infolge eines strikten und offenen Auswahlverfahrens. Die Ausstattung des Büros mit vollwertigen Ermittlungsbefugnissen ist jedoch weiterhin ausständig und innenpolitisch sehr umstritten. Ende 2015 wurde ebenfalls eine gesonderte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft geschaffen, die alle Korruptions-Fälle von der Generalstaatsanwaltschaft übernehmen soll. Als drittes neues Element wurde auch die Nationale Behörde für die Korruptionsprävention (NAPC) ins Leben gerufen. Politisch oft heikle Korruptionsfälle sollen dadurch auf neue, unabhängige Strukturen ausgelagert werden. Vom Leiter des NABU, Artem Sytnyk, sowie zahlreichen im Bereich der Korruptionsbekämpfung tätigen NGOs, als auch von der EU und anderen internationalen Partnern, wird ebenfalls die Schaffung eigener Anti-Korruptionsgerichte gefordert, womit von Ermittlung über Anklage bis hin zum Urteil die Kette bei der Korruptionsbekämpfung durch neue, in der Theorie unabhängigere Institutionen geschlossen wäre. Die Schaffung eines solchen Antikorruptionsgerichtes ist grundsätzlich in der in Kraft getretenen Justizreform vorgesehen, die Vorstellung von Gesetzesentwürfen hierzu verläuft jedoch nur schleppend. Seitens des Präsidenten wird teils öffentlich an der Notwendigkeit zusätzlicher "Parallelstrukturen" gezweifelt. Es kommt auch immer wieder, zuletzt im Herbst 2016 sehr öffentlich, zu Auseinandersetzung zwischen den traditionellen und den neu-geschaffenen Institutionen im Bereich Korruptionsbekämpfung, vor allem auch deshalb, da trotz der Gründung der neuen Institutionen die alten weiterhin viele ihrer Kompetenzen behalten haben. Ein großer Erfolg war nach mehrfacher Verschiebung und mit anfänglichen technischen Schwierigkeiten die Einführung eines umfassenden, der gesamten Öffentlichkeit zugänglichen elektronischen Vermögenserklärungssystems. Mit Stichtag 31. Oktober 2016 mussten alle Politiker und hohen Beamten der Ukraine verpflichtend ihre Vermögenserklärung online abgeben. Es wurden über 100.000 elektronische Vermögenserklärungen registriert. Das System gilt als Schlüsselelement im Kampf gegen die Korruption im Lande und wurde in erster Linie auf massiven internationalen Druck hin eingeführt. Die Veröffentlichung des enormen Reichtums vieler Politiker - die Gesamtsumme der deklarierten Bargeldbestände der 413 Parlamentsabgeordneten beläuft sich auf über ?430 Mio. - löste aber auch breite Empörung innerhalb der Bevölkerung aus. Weiterhin problematisch bleibt, dass die mit der Überprüfung der Erklärung beauftragten Behörden nicht in der Lage sind, die enorme Menge an Daten zu verarbeiten. Die bisher eingeleiteten Untersuchungen seitens des NAPC, die mittlerweile teilweise auch schon wieder eingestellt wurden, schienen weiters den Fokus auf regierungskritische Oppositionspolitiker zu legen, anstatt systematisch mit einer Überprüfung der Erklärungen zu beginnen. In den letzten Wochen äußerte vor allem der Premierminister der Ukraine öffentlich und starke Kritik an der Leitung des NAPC (ÖB 4.2017).
Trotz Anstrengungen der Regierung zu ihrer Bekämpfung, sind Korruption und die Straflosigkeit in diesem Zusammenhang weiterhin ein Problem auf allen Ebenen der Exekutive, Legislative und Judikative und in der Gesellschaft. Entsprechende Gesetze werden nicht effektiv umgesetzt. 2016 traten einige hohe Amtsträger zurück, die mit dem Auftrag eingesetzt worden waren, die Korruption zu bekämpfen. Es gibt zwei Antikorruptionsbehörden, die National Agency for Prevention of Corruption (NAPC) und das National Anticorruption Bureau of Ukraine (NABU). Das NAPC ist verantwortlich für die Entwicklung der nationalen Antikorruptionspolitik, Beobachtung der Einhaltung der Gesetzgebung und die Überprüfung der Einkommensdeklarationen hoher Beamter. Es ist seit Mai 2015 tätig. Im August 2016 wurde ein e-declaration-System geschaffen, bei dem Beamte ihre Vermögensverhältnisse offenlegen müssen. Bis November hatten 120.000 hohe Beamte davon Gebrauch gemacht. Die Ergebnisse sind öffentlich zugänglich. Verdachtsfälle werden zur Ermittlung an NABU weitergeleitet. Das NABU ist die Hauptermittlungsbehörde in Korruptionsfällen betreffend hohe Amtsträger (u.a. Präsident, Minister, Abgeordnete, Gouverneure, etc.). Es ist nur zuständig für Delikte, die nach seiner Gründung 2015 begangen wurden. 25.000 offene Altfälle liegen noch bei der Generalstaatsanwaltschaft. Unterstützt von der ebenfalls neu gegründeten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft, wurden jedenfalls bis 1. Oktober 2016 243 Korruptionsverfahren eröffnet. 31 Fälle betreffend 70 Personen, darunter Richter, Staatsanwälte und Beamte, kamen zur Anklage. Viele der Vergehen waren aber eher geringfügig. Als hochrangiger Fall ist die Anklage des Parlamentsabgeordneten Oleksandr Onyshchenko zu nennen, dessen Immunität dafür eigens aufgehoben wurde. Onyshchenko ist aber weiterhin flüchtig. Zwischen Juli 2015 und Juli 2016 wurden in der Ukraine 952 Personen wegen Korruption verurteilt. Davon wurden 312 mit Bußgeldern belegt (70% der Bußgelder blieben unter UAH 20.000), 336 Personen erhielten Bewährungsstrafen und 137 Verurteilungen wurden wieder aufgehoben. 128 Personen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, wogegen in 95 Fällen noch Rechtsmittel anhängig sind. Nur drei dieser 952 Personen waren Beamte in nennenswerter Position. Generalstaatsanwaltschaft und Justiz stehen in der öffentlichen Kritik, weil so wenig hochrangige Korruptionsfälle verfolgt werden. Es gibt Berichte, dass die Generalstaatsanwaltschaft NABU absichtlich behindert. Im August 2016 gab es gar einen Zugriff von Organen der Generalstaatsanwaltschaft auf das NABU-Hauptquartier in Kiew wegen angeblicher illegaler Abhöraktionen des NABU gegen die Generalstaatsanwaltschaft. Später gab es in dem Zusammenhang noch eine widerrechtliche Festnahme von NABU-Beamten. Der Fall wurde später untersucht und drei Mitglieder des Büros des Generalstaatsanwalts suspendiert. Das Lustrationsgesetz von 2014 zur Entfernung von politisch belasteten Mitarbeitern aus dem ukrainischen Staatsdienst ist gemäß Justizministerium zu 99% umgesetzt. Etwa 70.000 Beamte und Amtsträger waren auf der Lustrationsliste. Die Überprüfungen führten zur Entlassung von etwa 1.000 Beamten. Laut parlamentarischem Antikorruptionskomitee wurden 80% der Amtsträger der Ära Janukowitsch von ihren Posten entfernt. Die rigorose Anwendung des Gesetzes wurde aber vermieden. Im SBU wurden etwa nur 50 Beamte der Lustration unterzogen, in der Justiz nur 40 Richter (acht von ihnen bekämpften das Ergebnis und wurden wieder eingesetzt) (USDOS 3.3.2017a).
Auch die Finanzierung der politischen Parteien, die Energietarife und das Management der öffentlichen Unternehmen wurden in Angriff genommen. Mit den Antikorruptionsmaßnahmen des Jahres 2016 wurde eine gute Basis gelegt, aber weitere Verbesserungen sind nur mit ausreichendem Willen der politischen Führung möglich (FH 29.3.2017).
Quellen:
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 20.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 19.6.2017
Ombudsmann
Der Parlamentarische Menschenrechtskommissar (Ombudsmann) der Ukraine, Valeriya Lutkovska, fungiert gleichzeitig als Nationaler Präventivmechanismus (NPM) des Optionalen Protokolls des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Der Ombudsmann arbeitet beim Monitoring von Haftbedingungen regelmäßig mit NGOs zusammen. Beobachter bewerten sie als effektive Förderin der Menschenrechte. Der Ombudsmann arbeitet als Partner mit führenden Menschenrechtsgruppen zusammen und engagiert sich für die Rechte von Krimtataren, IDPs, Romas, Behinderten, LGBTI-Personen und Häftlingen. Der Ombudsmann kann Untersuchungen von Verfehlungen der Sicherheitsbehörden initiieren (USDOS 3.3.2017a; vgl. ÖB 4.2017).
Quellen:
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 20.6.2017
Wehrdienst und Rekrutierungen
Am 1.5.2014 wurde die zuvor beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen (AA 7.2.2017).
Die Wehrpflichtigen in der Ukraine werden folgendermaßen unterteilt:
* Stellungspflichtige (Pre-conscripts)
* Wehrpflichtige (Conscripts)
* aktive Soldaten
* zum Wehrdienst verpflichtete Personen (persons liable for military service) - sie haben bereits den Grundwehrdienst geleitet und können nötigenfalls wieder temporär mobilisiert werden
* Reservisten - zum Wehrdienst verpflichtete Personen, die freiwillig regelmäßige Waffenübungen absolvieren.
(BFA/OFPRA 5.2017)
Die Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes besteht für physisch taugliche Männer im Alter zwischen 18 und 27 Jahren. Der Grundwehrdienst dauert grundsätzlich eineinhalb Jahre, jedoch für Akademiker nur 12 Monate. Binnenvertriebene (IDPs) sind ebenso wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage). Das System der Wehrpflicht in der Ukraine funktioniert und ist gerecht, aber nur eine kleine Zahl der Wehrpflichtigen wird auf einmal einberufen (16.000 bis 20.000), denn viele Wehrpflichtige sind aus verschiedenen Gründen untauglich (gesundheitliche oder familiäre Gründe, Verurteilungen, usw.). Der Wehrdienst kann aus bestimmten familiären, beruflichen oder Gründen der Bildung verschoben werden (BFA/OFPRA 5.2017). Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Mobilisierung/Einberufung keine Rolle. Klagen von Vertretern der ungarischen und rumänischen Minderheit, diese Gruppen würden überproportional zum Wehrdienst herangezogen, sind mittlerweile entkräftet und werden nicht mehr wiederholt (AA 7.2.2017).
Wehrpflichtige wurden bis Mitte November 2016 ausschließlich auf freiwilliger Basis und nach der sechsmonatigen Grundausbildung im ATO-Gebiet (Teil der Ostukraine, in denen es zu Kämpfen mit den Separatisten kommt) eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr (AA 7.2.2017). Wehrpflichtige dienen hauptsächlich in der Einsatzunterstützung in rückwärtigen Diensten oder Depots, die aber auch innerhalb der ATO-Zone liegen können. Ihr Kampfeinsatz in der ATO-Zone wäre jedoch gesetzeswidrig. Viele Wehrpflichtige dienen in Marine und Luftwaffe, nur wenige hingegen in Nationalgarde (bewacht z.B. öffentliche Gebäude) und Armee (BFA/OFPRA 5.2017).
An den Wehrpflichtigen ergeht ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats postalisch oder durch persönliche Zustellung (BFA/OFPRA 5.2017).
Im Dezember 2014 wurde vom ukrainischen Verteidigungsministerium verlautbart, dass die Streitkräfte von 130.000 auf einen Personalstand von 250.000 aufgestockt werden sollen. Um dies zu erreichen wurde der Sold für Zeitsoldaten attraktiviert. Ende 2014 lag er bei UAH 3.453 und wurde 2016 nochmals auf UAH 7.000 angehoben (BFA/OFPRA 5.2017). Zum Vergleich: der ukrainische Durchschnittslohn lag im Jänner 2017 bei 6.008 Hrywnja (ca. 206 ?) (ÖB 4.2017). Diese Verträge sind derart beliebt (2016 bis September 53.000 Verpflichtungen), dass 2014-2016 40-60% der ukrainischen Soldaten Zeitsoldaten waren, 50% Mobilisierte und 10% Grundwehrdiener. Wehrdiener werden, ebenso wie kampferfahrene Mobilisierte ermutigt, sich als Zeitsoldaten weiter zu verpflichten. 2015 waren 4,4% derer, die Zeitverträge abschlossen Grundwehrdiener, 24,2% waren Mobilisierte und 71,4% waren Zivilisten. Gemäß Gesetz können sich Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren und Frauen zwischen 20 und 50 Jahren verpflichten (BFA/OFPRA 5.2017).
Es gibt Berichte über Schikane im Militär. Es gab 2016 deswegen einen Selbstmord, der von der Polizei mittlerweile als Tötungsdelikt verfolgt wird (USDOS 3.3.2017a).
Frauen mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen und körperlicher Eignung (und geeigneter familiärer Situation) gelten ebenso als zum Wehrdienst verpflichtete Personen. Im Kriegsfalle, können sie einberufen werden. In Friedenszeiten können sie freiwillig aktiven oder Reservedienst leisten (BFA/OFPRA 5.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 13.6.2017
- BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine