TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/6 W103 2196145-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2019
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Entscheidungsdatum

06.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §55

Spruch

W103 2196145-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt in XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, Zl. 1106054307/160268054, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46 und 55 FPG 2005, jeweils idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin der Ukraine, stellte infolge Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 15.02.2016 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem sie am 19.02.2016 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurde. Dabei gab sie im Wesentlichen zu Protokoll, der Volkgruppe der Ukrainer sowie dem orthodoxen Christentum anzugehören und ausgebildete Ärztin zu sein. Ihr Ehemann und eine volljährige Tochter hielten sich in der Russischen Föderation auf, eine weitere volljährige Tochter lebe in Österreich. Sie habe von einer in Österreich lebenden russischen Familie ein Angebot erhalten, sich um die Betreuung deren kranken Kindes zu kümmern. Diese Familie hätte ihre Reise nach Österreich organisiert. Zu ihrem Fluchtgrund führte die Beschwerdeführerin an, sie habe ursprünglich für diese russische Familie arbeiten wollen, um Geld zu verdienen. Es habe dann aber Probleme mit der Familie gegeben, da sie die Beschwerdeführerin als Sklavin gehalten hätten. Sie sei im Keller eingesperrt worden und habe nach vier Monaten fliehen können. Daraufhin hätte diese russische Familie die Familie der Beschwerdeführerin bedroht. Im Falle einer Rückkehr hätte sie Angst vor dieser russischen Familie, zumal diese wüsste, wo sie wohne. Sie habe außerdem Angst, dass sie als Ärztin im Krieg in einem Lazarett eingesetzt werden würde.

Sichergestellt wurden der im September 2011 abgelaufene ukrainische Reisepass sowie der ukrainische Personalausweis der Beschwerdeführerin.

Nach Zulassung ihres Verfahrens wurde die Beschwerdeführerin am 13.03.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die ukrainsiche Sprache sowie ihres rechtsfreundlichen Vertreters niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte sie auf entsprechende Befragung hin zusammenfassend vor, sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen; sie leide seit dem 28. Lebensjahr unter sehr hohem Blutdruck und nehme diesbezügliche Medikamente ein, darüber hinaus sei sie gesund. In der Ukraine habe sie Grund- und Mittelschule sowie eine Universität absolviert und 23 Jahre lang als Ärztin in der Rettung gearbeitet. Im Heimatland habe sie keine Angehörigen mehr. In Österreich lebe sie von staatlicher Unterstützung, würde jedoch gerne in der Pflege arbeiten. Ihr Heimatland habe sie im Jahr 2001 verlassen, um die Ausbildung ihrer Tochter finanzieren zu können. Damals habe sie ein Angebot von einer privaten Familie erhalten, als Pflegerin für ihr Kind zu arbeiten. Sie sei im Jahr 2001 nach Österreich gekommen und habe sich dann vier Monate lang bei dieser Familie aufgehalten. Nach Ablauf ihres Visums sei sie von jener Familie nicht weggelassen worden und habe auch nie eine Bezahlung erhalten. Als das Kind in der Schule gewesen wäre und die Frau zur Arbeit gegangen wäre, sei die Beschwerdeführerin in den Keller gesperrt worden. Anfang Februar 2002 habe sie flüchten können. In Österreich befänden sich ihre Tochter und ihr Enkelkind, mit denen sie zusammenwohne. Die Tochter halte sich seit sechs oder sieben Jahren in Österreich auf und habe ebenfalls die weiße Karte. Ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis bestünde nicht.

Zu den Gründen ihrer Asylantragstellung führte die Beschwerdeführerin aus, sie sei Ärztin und in der Ukraine herrsche gerade Krieg. Sie habe gehört, dass alle Ärzte angerufen würden. Das Gesetz besage, dass diejenigen, die sich weigern würden, zur Verantwortung gezogen würden. Ihre Tochter habe zudem politische Gründe für ihre Flucht nach Österreich aufgewiesen, die Wohnung, in der sie gelebt hätten, sei ihnen weggenommen worden. Weitere Fluchtgründe habe sie nicht. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen erklärte die Beschwerdeführerin, ihr ukrainischer Reisepass sei bereits seit 14 Jahren abgelaufen. Die Polizei werde sie nach ihrem Verbleib fragen; dies bedeute eine Strafe für sie. Zudem habe sie Angst, als Ärztin einberufen zu werden. Auf die Frage, ob sie einen Einberufungsbefehl erhalten hätte, meinte die Beschwerdeführerin, zu glauben, dass sie einberufen worden wäre, sie sei jedoch nicht zu Hause gewesen. Es könne sein, dass sie gesucht werde. Einen Einberufungsbefehl habe sie nicht erhalten, bei Ausbruch des Krieges sei sie bereits in Österreich gewesen. Der Beschwerdeführerin wurden im Anschluss die Länderberichte zur Thematik von Wehrdienst in der Ukraine vorgehalten, wozu sie angab, dass medizinische Kräfte mitgenommen werden würden. Auf Befragung durch die anwesende gewillkürte Vertreterin schilderte die Beschwerdeführerin die Umstände ihrer Flucht aus dem Haus ihrer Abreitgeberin im Jahr 2002. Diese hätte infolge der Flucht die Tochter und den Ehemann der Beschwerdeführerin in der Ukraine angerufen und diesen gedroht. Dieser Vorfall habe sich im Februar 2002 ereignet, seither hätte es keine weiteren Vorfälle und keinen Kontakt mehr zu der Arbeitgeberin gegeben. Sie nehme an, dass die Drohungen deshalb aufgehört hätten, da sie im Gegenzug für die Rückgabe ihrer Dokumente nicht zur Polizei gegangen wäre. Sie denke, dass die Arbeitgeberin ihr gegenüber, auch nach einer Rückkehr in die Ukraine, gefährlich werden könnte, da sie eine einflussreiche Frau wäre.

Hinsichtlich ihrer Freizeitgestaltung in Österreich antwortete die Beschwerdeführerin auf Deutsch, viele Freunde in Österreich zu haben, Museen und verschiedene Plätze in Österreich besucht zu haben. Sie habe Interesse an der österreichischen Kultur, höre Radio und lese Zeitung. Die gewillkürte Vertreterin beantragte in der Folge die Einvernahme der Tochter der Beschwerdeführerin als Zeugin.

Die Beschwerdeführerin legte Unterstützungsschreiben aus ihrem privaten Umfeld, Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen sowie ihren Kulturpass vor.

Im Rahmen einer durch ihren gewillkürten Vertreter eingebrachten schriftlichen Stellungnahme vom 15.03.2018 wurde zusammengefasst ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe vor ihrer Ausreise als Notärztin gearbeitet und habe als solche zusätzlich zu ihrem Medizinstudium eine militärische Grundausbildung absolviert, in der sie unter anderem den Umgang mit Waffen gelernt hätte. Im Jahr 2001 sei ihr das Angebot gemacht worden, in Österreich als private Pflegerin für das kranke Kind einer russisch-stämmigen Frau zu arbeiten; die Beschwerdeführerin sei im Herbst 2001 auf Grundlage eines Touristenvisums legal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Die Beschwerdeführerin habe bis heute kein Gehalt für ihre Tätigkeit erhalten, zudem sei es ihr nicht erlaubt gewesen, das Haus alleine zu verlassen. Wenn sie sich alleine in der Wohnung befunden hätte, sei sie in einen kleinen Raum im Keller eingesperrt worden. Nach etwa vier Monaten Gefangenschaft und Zwangsarbeit sei der Beschwerdeführerin unter näher dargestellten Umständen die Flucht gelungen. In weiterer Folge habe die ehemalige Abreitgeberin mehrfach die Familie der Beschwerdeführerin in der Ukraine kontaktiert und gedroht, kriminelle Personen mit einem Angriff auf diese zu beauftragen. Ihr sei es, gegen Zusage, sich nicht an die Polizei zu wenden, und unter Verzicht auf ihr Gehalt schließlich gelungen, ihren Reisepass wiederzuerlangen. Aus heutiger Sicht bereue es die Beschwerdeführerin, sich nach Erhalt ihres Reisepasses nicht an die österreichische Polizei gewandt zu haben bzw. in die Ukraine zurückgekehrt zu sein. So habe sie sich zunächst mit der Unterstützung mehrerer in Österreich lebender russischsprachiger Personen im Bundesgebiet installiert. Ab dem Jahr 2009 sei die Tochter der Beschwerdeführerin aufgrund der politischen Tätigkeit ihres ehemaligen Lebensgefährten sowie ihrer eigenen öffentlich bekundeten politischen Einstellung in der Ukraine verfolgt worden und sei daher zur Flucht nach Österreich gezwungen gewesen, wo sie einen Asylantrag gestellt hätte. Auch die Beschwerdeführerin habe ab diesem Zeitpunkt Übergriffe aufgrund der Verwandtschaft zu ihrer Tochter befürchtet. Zusätzlich sei in Folge der Proteste ab November 2013 in der Ukraine ein Krieg ausgebrochen, die Beschwerdeführerin befürchte nun, aufgrund ihrer militärischen Ausbildung als Ärztin zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Ob ein entsprechender Einberufungsbefehl bereits erlassen worden wäre, sei der Beschwerdeführerin wegen der langen Ortsabwesenheit nicht bekannt. Sie wolle jedoch festhalten, dass sie der Einberufung keine Folge leisten wolle, da sie einerseits befürchte, selbst zum Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen zu werden, andererseits möchte sie die von der ukrainischen Armee begangenen Menschenrechtsverletzungen nicht durch ihren eigenen aktiven Dienst unterstützen. Im Falle einer Weigerung habe sie jedoch strafrechtliche Folgen zu befürchten. Als Frau mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen, konkret einem abgeschlossenen Medizinstudium und einem abgeleisteten Grundwehrdienst, müsse vor dem Hintergrund der durch das BFA ausgehändigten Länderberichte auch die Beschwerdeführerin befürchten, als Militärärztin zum aktiven Dienst einbezogen zu werden bzw. bereits einberufen worden zu sein. Auch die Möglichkeit einer Strafverfolgung im Fall der Rückkehr in die Ukraine werde im LIB ausdrücklich angeführt. Die im Länderinformationsblatt ersichtliche Information, wonach Frauen lediglich im Alter von 20 bis 50 Jahren Wehrdienst ableisten müssten, stütze sich auf eine nicht öffentlich abrufbare Quelle und könne daher hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes nicht nachgeprüft werden. Zudem werde ergänzend auf einen aktuellen Bericht von Human Rights Watch verwiesen, aus welchem sich ergebe, dass beide Konfliktparteien im Krieg in der Ostukraine regelmäßig Menschenrechtsverletzungen begehen sowie internationales Völkerrecht verletzen würden. Sowohl die Befürchtung der Beschwerdeführerin im Fall des Einzugs zur Armee Opfer des Konflikts zu werden, als auch die Befürchtung, sich durch den aktiven Dienst gezwungenermaßen an Menschenrechtsverletzungen beteiligen zu müssen, seien vor dem Hintergrund dieser Informationen durchaus berechtigt. Aus einem weiters angeführten Bericht ergebe sich, dass laut ukrainischem Meldegesetz für die Meldung einer Unterkunft zwingend unter anderem Unterlagen dazu vorgelegt werden müssten, ob der Wehrdienst abgeleistet bzw. einer Einberufung Folge geleistet worden wäre. Ohne offizielle Registrierung bestünde kein Zugang zu medizinsicher Versorgung und staatlicher Sozialhilfe. Aus weites angeführten Nachrichtenberichten ergebe sich, dass die ukrainische Armee bereits in einem früheren Stadium des Krieges große Probleme gehabt, ausreichend Personen für den Militärdienst zu rekrutieren. Daher liege die Vermutung nahe, dass zunehmend auch Frauen bzw. ältere Personen, welche über eine militärische Grundausbildung verfügen, zum aktiven Dienst einberufen würden. Beantragt werde, die Staatendokumentation bzw. einen Ländersachverständigen mit der Beantwortung der Frage zu beauftragen, in wie fern Frauen bzw. Ärztinnen mit militärischer Grundausbildung zum Wehrdienst einbezogen würden. Aufgrund der dargelegten Umstände sei der Beschwerdeführerin der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen. Die Genannte habe infolge der Freiheitsberaubung durch ihre ehemalige Arbeitgeberin ein massives Trauma erlitten und lebe bis heute in Furcht vor Übergriffen. Grundsätzlich plane sie jedoch, in Zukunft eine Strafanzeige gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin zu erstatten, sofern ihre Sicherheit sowie jene ihrer Familie ausreichend gewährleistet werde.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 13.04.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte die Staatsbürgerschaft, Identität, Volksgruppenzugehörigkeit sowie Religion der Beschwerdeführerin fest und legte ihrer Entscheidung ausführliche Feststellungen zur aktuellen Situation in deren Herkunftsstaat zu Grunde. Die Beschwerdeführerin sei im Jahr 2001 unter Verwendung eines Visums C in das Bundesgebiet eingereist. Seit Ablauf jenes Visums am 02.11.2001 bis zum Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung am 19.02.2016 sei die Beschwerdeführerin illegal in Österreich aufhältig gewesen bzw. es stünde nicht fest, wo sie sich in diesem Zeitraum aufgehalten hätte. Das Vorliegen einer schweren psychischen oder physischen Erkrankung könne nicht festgestellt werden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin in der Ukraine asylrelevanter Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt gewesen sei oder eine solche zukünftig zu erwarten hätte. Die Beschwerdeführerin, welche in der Ukraine laut ihren Angaben über keine familiären Anknüpfungspunkte mehr verfüge, sei arbeitsfähig, die elementare Grundversorgung in ihrem Herkunftsland sei gewährleistet. Es habe unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden können, dass ihr im Herkunftsstaat die Lebensgrundlage gänzlich entzogen gewesen wäre oder sie in eine existenzbedrohende Notlage gedrängt werden würde.

Im Bundesgebiet lebe die Beschwerdeführerin in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer volljährigen Tochter, deren Antrag auf internationalen Schutz durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ebenfalls abgewiesen worden wäre. Die Beziehung zu ihrer Tochter ginge nicht über das übliche Maß hinaus und es lägen keine gegenseitigen Abhängigkeiten vor. Außergewöhnliche Umstände, beispielsweise eine außergewöhnlich tiefe Verwurzelung in Österreich, seien im Verfahren nicht hervorgekommen.

Beweiswürdigend traf die belangte Behörde insbesondere die folgenden Erwägungen:

"(...) Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Person:

...

Die Feststellungen bezüglich Ihres illegalen bzw. unbekannten Aufenthalts und Ihres Familienstandes ergeben sich aufgrund Ihrer und der Angaben Ihrer Tochter (...). Dabei ist anzumerken, dass sich Ihre Angaben, nämlich durchgehend seit dem Jahr 2001 in Österreich aufhältig und weiters verheiratet zu sein, mit den Angaben Ihrer Tochter widersprechen.

Befragt zu ihren Familienverhältnissen gab Ihre Tochter nämlich am 11.03.2013 zu Protokoll:

LA: Wo befinden sich Ihre Verwandten?

AW: Meine Mutter ist seit 15 Jahren in den USA. Mein Vater lebt seit etwa 11/12 Jahren in Russland. Meine Eltern sind geschieden. Ich habe eine jüngere Schwester. Sie lebt in XXXX , Russland.

Befragt wo ich aufgewachsen bin, gebe ich an in der Ukraine.

Befragt, mit wem ich aufgewachsen bin, gebe ich an, dass meine Tante auf uns schaute, als meine Eltern sich scheiden ließen. Diese Tante ist bereits verstorben. Ich habe ziemlich früh geheiratet.

Es hat den Anschein, dass Sie der Behörde diese Tatsachen bewusst verschwiegen haben.

Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

...

Eine Gefährdung aufgrund Ihrer ethnischen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit, Ihrer politischen Überzeugung oder Ihrer Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe konnten Sie nicht glaubhaft machen. Aus Ihrem ganzen Vorbringen ergibt sich nicht der geringste Anhaltspunkt auf das Vorliegen einer Gefährdung Ihrer Person durch den ukrainischen Staat bzw. einer Gefährdung, vor der Sie zu schützen der ukrainische Staat nicht fähig oder willens wäre.

Sie behaupteten lediglich, ohne überprüfbare Beweismittel vorzulegen, dass Sie im Jahr 2001 unter Verwendung eines Visums in Österreich eingereist seien, um für eine russische Familie zu arbeiten. Sie hätten dann Probleme gehabt, seien eingesperrt worden und hätten nach vier Monaten fliehen können. Ihre Familie in der Ukraine sei daraufhin von dieser russischen Familie bedroht worden, woraufhin Sie jetzt Angst hätten, in die Ukraine zurückzukehren. Ebenso hätten Sie Angst, aufgrund Ihrer medizinischen Ausbildung im Krieg in einem Lazarett eingesetzt zu werden.

Die Voraussetzung wohlbegründeter Furcht wird in der Regel nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (VwGH 17.3.2009, 2007/19/0459; VwGH 19.10.2000, 98/20/0430).

Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf die vergangenen Ereignisse (vgl VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; VwGH 16.2.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; AsylGH 8.9.2008, D12 241703-2/2008).

Siehe auch Art. 4 Abs. 4 StatusRL, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

In Ihrem Fall ist darauf hinzuweisen, dass Sie bereits im Jahr 2001 in Österreich eingereist sind und erst im Jahr 2016 den gegenständlichen Asylantrag stellten. Bei der Einvernahme am 13.03.2018 zu der konkret von Ihrer Vertreterin gestellten Frage (S.6): "Wie hat die ehemalige Arbeitgeberin Natascha reagiert, nachdem Sie geflüchtet sind?" gaben Sie an, dass im Februar 2002 der letzte Kontakt zu Ihrer angeblichen "Verfolgerin" bestanden hat.

Aufgrund dieser Tatsache liegt keine aktuelle Verfolgungsgefahr vor, sondern vielmehr erwähnten Sie Gründe, die weit in der Vergangenheit liegen. Es liegen in Ihrem konkreten Fall keine stichhaltigen Gründe einer nochmaligen aktuellen Bedrohung vor.

Zu Ihren Angaben, bei einer Rückkehr in die Ukraine die Befürchtung zu haben, aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung in den Krieg einberufen zu werden, wird Folgendes festgehalten:

Die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes rechtfertigt für sich allein grundsätzlich nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling. Der VwGH geht von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung nur in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Flüchtlingskonvention angeführten Gründen erfolgt, in denen der Asylwerber damit rechnen müsste, dass er hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, dass dem Asylwerber eine im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (VwGH 11.10.2000, 2000/01/0326).

Die Flucht wegen Einberufung zum Militärdienst könnte nur dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen gewesen wäre (VwGH 8.3.1999, 98/01/0371).

Anders als bei jemandem, der sich einer allgemeinen Wehrpflicht seines Heimatstaates durch Desertion entzieht, findet eine Zwangsrekrutierung durch eine die Staatsgewalt nicht (mehr oder noch nicht) tragende Bürgerkriegspartei ihre rechtliche Deckung nicht in dem grundsätzlichen Recht eines souveränen Staates, seine Angehörigen zur Militärdienstleistung zu verpflichten und einzuziehen. Daher ist bei einer "Desertion" aus der Zwangsrekrutierung durch eine solche Gruppe auch nicht jener Maßstab anzulegen, der für die Verweigerung der Ableistung des staatlichen Militärdienstes und etwaigen daraus drohenden Strafen heranzuziehen ist (vgl. dazu VwGH 19.9.1996, 95/19/0077; VwGH 25.1.2001, 98/20/0549).

Zwangsrekrutierungen, die nicht an andere Kriterien als Alter und Geschlecht geknüpft sind, kommen ohne Hinzutreten weiterer konkreter Umstände im Sinne der GFK keine Asylrelevanz zu (VwGH 21.9.2000, 99/20/0373; VwGH 25.1.2001, 98/20/0549).

Das BFA kommt daher zu dem Schluss, dass aus Ihren Behauptungen weder ein Asylstatus noch subsidiäre Schutzberechtigung herzuleiten ist, noch ist jenes Vorbringen dazu geeignet, eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft zu machen.

Abschließend ist zu erklären, dass Sie sich mit dem Verlassen der Ukraine dazu entschlossen hatten, die äußerste aller Möglichkeiten zu wählen, um Ihren vermeintlichen Problemen zu entgehen. Viel eher hat es den Anschein, dass Sie die Ukraine verlassen haben, in der Hoffnung bessere wirtschaftliche Bedingungen in anderen Ländern vorzufinden. (...)"

3. Mit Eingabe vom 17.05.2018 wurde durch den gewillkürten Vertreter der Beschwerdeführerin fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben, in welcher der dargestellte Bescheid vollumfänglich angefochten wurde. Begründend wurde infolge nochmaliger Darstellung des Vorbringens zusammengefasst ausgeführt, die Behörde habe ihre amtswegigen Ermittlungspflichten insofern verletzt, als sie die Beschwerdeführerin nicht zum gesamten entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalt befragt hätte und ihrer Entscheidung keine hinreichend aktuellen und auf das konkrete Fluchtvorbringen abgestimmten Länderberichte zur Situation in der Ukraine zugrunde gelegt hätte. Eine Einschätzung dazu, ob der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr eine Einberufung zur Armee drohe bzw. ob aufgrund ihrer langen Abwesenheit bereits ein Einberufungsbefehl erlassen worden sei, wäre demnach nicht möglich. Aus einem Artikel einer englischsprachigen Online-Zeitung aus Juni 2016 ergebe sich, dass es in der ukrainischen Armee 17.000 Soldatinnen gebe sowie 33.000 Frauen, die als Beamtinnen und Angestellte für die Armee arbeiten würden. Mehr als 1.500 Frauen hätten Aufgaben im Gebiet der Antiterror-Operation erfüllt. Die ergänzend beigebrachten Länderberichte würden das Vorbringen der Beschwerdeführerin stützen. Weiters habe die Behörde insofern einen wesentlichen Verfahrensfehler begangen, als die Tochter der Beschwerdeführerin als Zeugin für die gegen die Familie der Beschwerdeführerin gerichtete Drohung der ehemaligen Arbeitgeberin der Beschwerdeführerin sowie für das zwischen der Beschwerdeführerin, ihrer Tochter und ihrer Enkelin bestehende Familienleben zur Verfügung gestanden hätte. Auch dem zweiten Beweisantrag der Beschwerdeführerin bezüglich eines Ländersachverständigen-Gutachtens zur Ukraine sei, ebenfalls ohne diesbezügliche Erklärung, nicht entsprochen worden. Desweiteren sei auch dem Antrag des rechtsfreundlichen Vertreters, den nicht öffentlich zugänglichen Fact Finding Mission Report Ukraine, auf welchen die Behörde die Feststellung stütze, dass Frauen lediglich im Alter von 20 bis 50 Jahren zum Wehrdienst verpflichtet wären, vollständig vorzulegen, nicht entsprochen worden. Entgegen den beweiswürdigenden Ausführungen der Behörde sei die Beschwerdeführerin seit dem Jahr 2001 durchgehend in Österreich aufhältig gewesen. Die Tochter habe mit ihrer unrichtigen Angabe in deren Asylverfahren im Jahr 2013 ihre Mutter vor verwaltungsstrafrechtlichen Konsequenzen bzw. einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme schützen wollen, zumal sich die Beschwerdeführerin damals bekanntlich illegal in Österreich aufgehalten hätte. Zusätzlich habe die Tochter damals unter einer psychisch sehr schlechten Verfassung im Sinne von starken Depressionen gelitten. Sowohl die Beschwerdeführerin als auch ihre Tochter würden bedauern, dass dieser Umstand nicht früher offengelegt worden wäre, doch sei anzumerken, dass die Behörde es unterlassen hätte, der Beschwerdeführerin einen diesbezüglichen Vorhalt zu machen respektive die damals im Gebäude anwesende Tochter als Zeugin zu befragen. Zusätzlich sei festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin der Behörde ihren Reisepass vorgelegt hätte, welchem keine Sichtvermerke bezüglich einer Einreise in die USA zu entnehmen wären; dass der Pass nicht als ungültig markiert worden wäre, indiziere, dass der Beschwerdeführerin zwischenzeitlich auch kein anderer Reisepass ausgestellt worden wäre. Aus einem beiliegend übermittelten Mietvertrag ergebe sich, dass die Beschwerdeführerin ab Ende Juni 2012 über einen unbefristeten Mietvertrag im Bundesgebiet verfügt hätte, weiters beigelegten Schreiben von BIPA und Merkur aus dem Zeitraum 2011/2012 lasse sich entnehmen, dass sie zu diesem Zeitpunkt im Bundesgebiet aufhältig gewesen wäre. Soweit die belangte Behörde eine aktuelle Verfolgungsgefahr unter dem Hinweis verneint hätte, dass die Beschwerdeführerin zuletzt im Jahr 2002 Kontakt zu ihrer ehemaligen Arbeitgeberin gehabt hätte, lasse sie unberücksichtigt, dass die Tatsache eines in der Vergangenheit gelegenen letzten persönlichen Kontaktes keinen unmittelbaren Zusammenhang zur in der Gegenwart liegenden Gefährdung aufweisen müsse. So habe die Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde ausgeführt, dass ihre in der Ukraine verbliebene Familie mehrfach von der ehemaligen Arbeitgeberin bedroht worden wäre; diese Drohungen hätten nach dem letzten Kontakt der Beschwerdeführerin zur Abreitgeberin stattgefunden und erst aufgehört, als die Familie der Beschwerdeführerin ebenfalls die Ukraine verlassen hätte. Die ehemalige Arbeitgeberin verfüge nach Einschätzung der Beschwerdeführerin über ausgezeichnete Kontakte in der Ukraine und habe großes Interesse daran, sich an der Beschwerdeführerin zu rächen sowie sicherzustellen, dass diese sie nicht strafrechtlich zur Verantwortung ziehen könne. Als Frau mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen, konkret einem abgeschlossenen Medizinstudium sowie einem abgeleisteten Grundwehrdienst, müsse die Beschwerdeführerin vor dem Hintergrund der durch das BFA ausgehändigten Länderberichte befürchten, zum aktiven Dienst einbezogen zu werden. Auch die Möglichkeit einer Strafverfolgung im Fall einer Rückkehr, sofern gegen die Beschwerdeführerin zuvor bereits ein nicht befolgter Einberufungsbefehl erlassen worden wäre, werde im Länderinformationsblatt ausdrücklich angeführt. Keine Auseinandersetzung sei schließlich mit den zahlreich vorgelegten Integrationsnachweisen vorgenommen geworden; die in Österreich aufhältige Enkelin, mit welcher die Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt lebe, werde überhaupt nicht berücksichtigt. Die Beschwerdeführerin würde einem Einberufungsbefehl keine Folge leisten, da sie nicht nur Angst um ihre eigene Sicherheit hätte, sondern den Krieg in der Ostukraine und die darin von der ukrainischen Armee begangenen Menschenrechtsverletzungen ablehne und daher nicht unterstützen möchte. Darin manifestiere sich die politische Gesinnung der Beschwerdeführerin, wodurch ein Zusammenhang zu einem Konventionsgrund vorliege. Es liege demnach eine asylrelevante Verfolgung vor, da das ukrainische Gesetz keine Möglichkeit einräume, einen Wehrdienst aus Gewissengründen zu verweigern bzw. einen Ersatzdienst abzuleisten. Für den Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht davon ausginge, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Alters und ihrer gesundheitlichen Situation aktuell nicht zum Wehrdienst verpflichtet sein würde, sei darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Ausreise im Jahr 2001 lediglich 40 Jahre und zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns 53 Jahre alt gewesen wäre. In Übereinstimmung mit den Länderfeststellungen der belangten Behörde sei eine zu diesem Zeitpunkt erfolgte Einberufung durchaus wahrscheinlich. Zusätzlich befürchte die Beschwerdeführerin Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie (bezüglich der Verfolgung ihrer Tochter) sowie aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von privater Verfolgung einer einflussreichen Person Betroffenen. Alternativ werde der Beschwerdeführerin subsidiärer Schutz zuzuerkennen sein, zumal die Länderberichte eine mangelhafte medizinische Versorgung sowie äußerst prekäre Existenzbedingungen gerade für auf staatliche Unterstützung angewiesene ältere und kränkere Menschen darlegen würden. Die Beschwerdeführerin leide an Bluthochdruck, weshalb sie regelmäßig medizinische Behandlung benötige; zusätzlich bestünde der Verdacht, dass die Beschwerdeführerin an Brustkrebs erkrankt wäre. Ohne Unterstützung von Familienmitgliedern sei die Beschwerdeführerin nicht mehr in der Lage, ihren Alltag zu bewerkstelligen und ihr Existenzminimum zu sichern. Durch eine Abschiebung der Beschwerdeführerin würde zudem Art. 8 EMRK verletzt werden; diese halte sich seit mehr als 17 Jahren durchgehend im Bundesgebiet auf, davon etwa zweieinhalb Jahre legal als Asylwerberin. In dieser Zeit habe sie sich vorbildlich integriert, zuletzt habe sie eine Deutschprüfung auf dem Niveau B1 abgelegt. Sie spreche jedoch deutlich besser Deutsch, sodass die Kontaktaufnahme mit der ausgewiesenen Vertretung ausschließlich in deutscher Sprache stattgefunden hätte. Die Beschwerdeführerin lebe mit ihrer Tochter und Enkelin in einem gemeinsamen Haushalt und führe mit diesen ein intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK. Die Tochter der Beschwerdeführerin sei aufgrund der traumatischen Ereignisse in der Ukraine immer wieder in psychisch schlechter Verfassung und daher - nicht nur, aber auch, bei der Erziehung ihrer Tochter - auf die tägliche Unterstützung ihrer Mutter angewiesen. Die Behörde hätte auch prüfen müssen, in wie fern sich die Trennung der Beschwerdeführerin von ihrer Enkelin auf deren Kindeswohl auswirke. Die Beschwerdeführerin habe zudem einen großen Freundeskreis in Österreich und nehme an verschiedenen kulturellen Aktivitäten teil. Sie sei strafgerichtlich unbescholten, würde aufgrund ihres abgeschlossenen Medizinstudiums rasch eine Arbeitsstelle (etwa als Pflegerin) finden und habe bereits während des laufenden Asylverfahrens immer wieder als Selbständige einen Verkaufsstand auf dem Flohmarkt betrieben. Weiters wurde beantragt, der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, sowie einen Ländersachverständigen zu beauftragen und eine mündliche Verhandlung abzuhalten.

Beiliegend übermittelt wurden ein Mammographie-Befundbericht vom 21.03.2018, eine MR-Zuweisung, ein im Juni 2012 von der Beschwerdeführerin als Mieterin abgeschlossener Mietvertrag sowie an diese Anschrift im Zeitraum 2012 übermittelte Schreiben, ein psychiatrischer Befund betreffend die Tochter der Beschwerdeführerin sowie eine Bestätigung über die Teilnahme an einer B1-Prüfung durch die Beschwerdeführerin.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 23.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf Grundlage des Verwaltungsakts der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Ukraine wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Ukraine, sie gehört der ukrainischen Volksgruppe sowie dem orthodoxen Glauben an. Ihre Identität steht fest. Die Beschwerdeführerin reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in das österreichische Bundesgebiet ein, stellte am 15.02.2016 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz und hält sich seit diesem Zeitpunkt ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Nicht festgestellt werden kann, dass sich die Beschwerdeführerin bereits seit dem Jahr 2001 durchgehend im Bundesgebiet befindet. Die Beschwerdeführerin stammt aus einer Stadt im Westen der Ukraine, wo sie ihren unbelegten Angaben zufolge die Schule sowie ein Medizinstudium absolviert und im Anschluss als Rettungs-Ärztin gearbeitet hat, wodurch sie eigenständig für ihren Lebensunterhalt aufgekommen ist. Ihr (Ex-)Ehemann und ihre jüngere Tochter halten sich ihren Angaben zufolge in der Russischen Föderation auf, ihre ältere Tochter und ihre Enkelin befinden sich - ebenfalls als Asylwerberinnen, deren Verfahren im Stadium der Beschwerde anhängig sind (W189 1437565-1 und W189 2199841-1) - im Bundesgebiet.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin in der Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung der Beschwerdeführerin in der Ukraine festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Die Beschwerdeführerin leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Die Beschwerdeführerin gab an, an Bluthochdruck zu leiden und diesbezüglich Medikamente einzunehmen. Befunde, welchen sich eine Diagnose einer konkret vorliegenden Erkrankung entnehmen lässt, hat sie nicht in Vorlage gebracht.

Die unbescholtene Beschwerdeführerin verfügt in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Sie lebt im Bundesgebiet gemeinsam mit ihrer im Jahr 2012 eingereisten Tochter sowie ihrer im Jahr 2017 eingereisten Enkelin, deren Verfahren auf internationalen Schutz derzeit im Stadium der Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig sind. Sie ist zum Entscheidungszeitpunkt nicht selbsterhaltungsfähig und bestreitet ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Die Beschwerdeführerin verfügt über grundlegende Deutschkenntnisse, betreibt gelegentlich einen Stand auf einem Flohmarkt, hat einen Bekanntenkreis im Bundesgebiet und ist kulturell interessiert. Eine tiefgreifende Verwurzelung der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet konnte nicht erkannt werden. Eine die Beschwerdeführerin betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in deren gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur medizinischen Versorgungssituation und zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

- AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

- DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU, http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

2. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon 9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

- AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

- AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

...

2.1. Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur "offizielle Kirchen" dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

- AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017

- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 1.6.2017

- FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html, Zugriff 22.6.2017

- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017

- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).

Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).

Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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