TE Bvwg Beschluss 2020/2/11 W173 2225386-1

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Veröffentlicht am 11.02.2020
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Entscheidungsdatum

11.02.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W173 2225386-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR als Vorsitzende und die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF sowie dem fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von

XXXX , geb. am XXXX , vertreten durch Nemetschke Huber Koloseus RÄ GmbH, Rudolfsplatz 4, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 26.9.2019, betreffend Ausstellung eines Behindertenpasses beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid vom 26.9.2019 wird behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Herr XXXX , geb. am XXXX , (in der Folge BF) beantragte am 11.10.2017 die Ausstellung eines Behindertenpasses. Es wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten auf Basis einer persönlichen Untersuchung eingeholt. Im Gutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 18.4.2018, wurde Nachfolgendes ausgeführt:

".......................

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

GdB%

1

Chronische Polyarthritis Wahl dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da mäßiggradige funktionelle Einschränkungen objektivierbar bei rezidivierender Schmerzsymptomatik im Bewegungs- und Stützapparat mit Cervikalsyndrom und Hinweis auf Fibromyalgiesyndrom.

02.02.02.

30

2

Rezidivierende Depressio 1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da laufende medikamentöse Therapie mit fachärztlicher Betreuung, Fehlen stationärer Behandlungen an einer Fachabteilung.

03.06.01.

20

Gesamtgrad der Behinderung

30v.H.

 

 

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Leiden 2 wirkt mit dem führenden Leiden 1 nicht maßgeblich funktionell negativ zusammen und erhöht nicht weiter.

....................

X Dauerzustand

......................"

Mit Bescheid vom 24.5.2018 wurde der Antrag des BF auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen. Der BF erfülle mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30% nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses.

2. Am 15.11.2018 stellte der BF einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung. Dazu legte er medizinische Unterlagen vor. Diese umfassten auch einen Befund der FÄ für Neurologie und Psychiatrie, Dr. XXXX , mit der Diagnose Rez.Depressio und der medikamentösen Therapie mit Ixel 25mg. Es wurde von der belangten Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, auf Basis einer persönlichen Untersuchung eingeholt. Im Gutachten vom 13.12.2018 führte die Sachverständige auszugsweise Nachfolgendes aus:

"...........................

Anamnese:

Es gibt ein VGA von 24.4.2018 mit 30% (Polyarthritis 30, Depression 20).

Derzeitige Beschwerden:

Neu dokumentiertes Antragsleiden: Diabetes mellitus seit 2008

Ich habe Polyarthritis und andauernd Schmerzen in allen Gelenken, speziell morgens sind die Beschwerden sehr stark und ich bin sehr verspannt. Manchmal kann ich gar nicht aufstehen, wenn die Schmerzen zu groß sind. Ich habe aber auch seit vielen Jahren Diabetes und habe Befunde mitgebracht.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Ebetrexat 1/Wo, Simponi alle 4 Wo, Diamicron, Folsan, Ixel,Pantoloc, Novalgin Sozialanamnese:

Im Konservatorium ausgebildeter Bass Gitarrist derzeit AU, verheiratet und hat keine Kinder.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Labor 8/2018 BZ 247, Hba1c 9,7

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut

Ernährungszustand: adipös,

Größe: 178,00 cm, Gewicht: 130,00 kg, Blutdruck: 180/90

Klinischer Status - Fachstatus:

Caput/Collum: keine Lippenzyanose, keine Halsvenenstauung

Sensorium: Umgangssprache wird anstandslos verstanden

Haut und Schleimhäute: unauffällig

Hals: unauffällig, keine Einflussstauung

Thorax: symmetrisch, mäßig elastisch

Lunge: sonorer Klopfschall, Vesikuläratmung, keine Atemnebengeräusche, keine Dyspnoe beim Gang im Zimmer

Herz: reine Herzgeräusche, rhythmisch, normfrequent

Abdomen: unauffällig, im Thoraxniveau, rektal nicht untersucht

Neurologisch: grob neurologisch unauffällig

WIRBELSÄULE:

Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet.

HWS: Endlagige Bewegungseinschränkungen, KJA: 1 cm

BWS: Endlagige Bewegungseinschränkungen

LWS: Endlagige Bewegungseinschränkungen, Finger-Bodenabstand im Stehen: 40 cm

Obere Extremitäten:

Trophik und Tonus seitengleich normal, grobe Kraft bds nicht signifikant vermindert.

Schultergelenk rechts Seitliches Anheben: 140° Anheben nach vorne: 160°, Schultergelenk links, seitliches Anheben: 140° Anheben nach vorne: 160°

Nackengriff: bds möglich Schürzengriff: bds möglich

Hand- und Fingergelenke: passiv keine signifikanten Funktionseinschränkungen, mangelnde Mitarbeit

Der Pinzettengriff beidseits nicht vorgezeigt

Der Faustschluss beidseits nicht vorgezeigt

Untere Extremitäten:

grobe Kraft bds nicht signifikant vermindert.

Hüftgelenk rechts: Beugung: 120° Rotation: 40-0-40°

Hüftgelenk links: Beugung: 120° Rotation: 40-0-40°

Kniegelenk rechts: 0-0-140°

Kniegelenk links: 0-0-140°

Sprunggelenke: beidseits annähernd normale Beweglichkeit, Fußheben und -senken bds durchführbar, alle Funktionen ungestört.

Zehenstand und Fersenstand beidseitig möglich, Einbeinstand bds möglich, Fußpulse bds palpabel.

Keine Ödeme, keine postthrombotischen Veränderungen.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Kommt selbstständig gehend mit Halbschuhen ohne Hilfsmittel.

Das Gangbild ist hinkfrei in altersentsprechend normalem Tempo.

Status Psychicus:

Zeitlich, örtlich und zur Person orientiert. Wirkt in der Kommunikation unauffällig, die Stimmungslage ist gedrückt, Aufmerksamkeit und Konzentration scheinen nicht beeinträchtigt. Merkfähigkeit scheint unauffällig.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB%

1

Chronische Polyarthritis Wahl dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da mäßiggradige funktionelle Einschränkungen objektivierbar bei rezidivierender Schmerzsymptomatik im Bewegungs- und Stützapparat mit Cervikalsyndrom und Hinweis auf Fibromyalgiesyndrom.

02.02.02.

30

2

Rezidivierende Depressio 1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da laufende medikamentöse Therapie mit fachärztlicher Betreuung.

03.06.01

20

3

Diabetes mellitus Heranziehung dieser Position mit einer Stufe über dem unteren Rahmensatz, da unter oraler antidiabetischer Medikation befriedigende Stoffwechselsituation.

09.02.01.

20

Gesamtgrad der Behinderung

30v.H.

 

 

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das führende Leiden Position 1 wird von den anderen Leiden nicht erhöht, da kein ungünstiges Zusammenwirken vorliegt.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: xxx

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: Neues Antragsleiden ins aktuelle Gutachten aufgenommen (aktuelle Pos.3).

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung: xxxx

X Dauerzustand

.........................................."

Das Gutachten vom 13.12.2018 wurde dem Parteiengehör unterzogen. Der BF sah von einer Stellungnahme ab. Mit Bescheid vom 26.9.2019 wurde der Antrag des BF vom 15.11.2018 abgewiesen. Sein Grad der Behinderung betrage 30%. Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die belangte Behörde stützte sich auf das eingeholte Gutachten, das einen Begründungsbestandteil bilde und angeschlossen sei.

3.Mit Schriftsatz vom 12.11.2019 erhob der BF Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid vom 26.9.2019. Begründend wurde vorgebracht, dass der Gesamtgrad der Behinderung von insgesamt 70% nicht nachvollziehbar auf 30% reduziert worden sei. Die einzelnen Leiden seien nicht ihrem tatsächlichen Ausmaß entsprechend eingestuft worden. Dies gelte insbesondere für die rheumatologische Erkrankung, die mit der größten Belastung für den BF verbunden sei, und ihn bei der Berufsausübung infolge Fingersteifigkeit hochgradig beeinträchtige. Diese Einschränkung ziehe das reaktiv-depressive Syndrom nach sich. Dies sei vom beigezogenen Sachverständigen aus dem Bereich der Allgemeinmedizin völlig außer Acht gelassen worden. Es fehle an einer ausreichenden Auseinandersetzung. Der FA für Innere Medizin habe den BF als "multimorbid" eingestuft. Dies ergebe sich nicht aus dem medizinischen Sachverständigengutachten. Der diesbezügliche internistische Befund sei angeschlossen. Beantragt werde die Beiziehung von Sachverständigen aus dem Gebieten der inneren Medizin, der Rheumatologie sowie der Psychiatrie/Neurologie. Nicht nachvollziehbar sei, warum lediglich eine Sachverständiger aus dem Bereich der Allgemeinmedizin beigezogen worden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz, BGBl Nr. 283/1990 idgF (BBG), hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

1.Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.). § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur zur Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 28 VwGVG (vgl. VwGH vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) grundsätzlich von einem prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus. Eine meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes liegt jedenfalls gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG vor, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde. Davon ist auszugehen, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Die verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidung in der Sache selbst sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum beschränkt. Die in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG verankerte Zurückverweisungsentscheidung stelle eine solche Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte dar. Normative Zielsetzung ist, bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch zu machen. Davon ist auszugehen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde etwa schwierige Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wird das Treffen einer meritorischen Entscheidung verneint, hat das Verwaltungsgericht auch nachvollziehbar zu begründen, dass die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG nicht vorliegen.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die belangte Behörde stützte sich zwar zur Überprüfung auf das Gutachten des Allgemeinmediziners, Dr. XXXX , vom 13.12.2018, zur Beurteilung des Gesamtgardes der Behinderung. Bereits im Zusammenhang mit dem Antrag auf Neufestsetzung des BF vom 15.11.2018 in Verbindung mit der Gesundheitsschädigung des BF zur psychischen Erkrankung und dem dazu vorgelegten Befund vom 6.11.2017 seiner Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, in der als Diagnose eine red. Depressio mit medikamentöser Therapie aufschien, ergibt sich, dass es sich dabei um Leiden, handelt, das bei der Festsetzung des Gesamtgrades der Behinderung jedenfalls zu berücksichtigten ist. Es handelt sich dabei um einen Leidensschwerpunkt, der der medizinischen Fachrichtung der Psychiatrie zuordnen ist. Dies war der belangten Behörde bekannt.

Die belangte Behörde hat dessen ungeachtet zur Überprüfung ein Gutachten eines Allgemeinmediziners eingeholt. Dieses ist jedoch nicht ausreichend für die Beurteilung des psychischen Leidens des BF sowie der darauf aufbauenden Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung des BF nach dem BBG. Mangels Fachkenntnis des begutachtenden Allgemeinmediziners ist weder eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Befund, noch eine qualifizierte Beurteilung erfolgt. So ist eine schlüssige und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den vom BF vorgelegten Befunden dem vorliegenden Gutachten nicht im ausreichenden Maße zu entnehmen. Es wurde in dem der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverständigengutachten des Allgemeinmediziners vor allem auf die vom BF vorgelegte medizinische Unterlage nicht im Einzelnen eingegangen und keine definitive Aussage über deren Auswirkungen und Einfluss im Hinblick auf den Gesamtgrad der Behinderung zur psychischen Erkrankung des BF schlüssig getroffen.

Im gegenständlichen Fall wäre zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der vorliegenden Gesundheitsschädigungen des BF die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der Fachrichtung "Psychiatrie und Neurologie" erforderlich gewesen. Dies vor allem vor dem Hintergrund des zu beurteilenden Gesamtgrades der Behinderung des BF und den dazu vorgelegten Beweismitteln des BF.

Das der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegte, allgemein medizinische Sachverständigengutachten ist daher hinsichtlich der Beurteilung des Leidenszustandes des BF und somit bezüglich der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung nicht vollständig nachvollziehbar. Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen diesbezüglich der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.3.2001, 2000/11/0321).

Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern und ein Gutachten der Fachrichtung "Psychiatrie und Neurologie" einzuholen. Im gegenständlichen Fall wäre zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der vorliegenden Gesundheitsschädigung der BF jedenfalls als erster Schritt die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der genannten Fachrichtung erforderlich gewesen. Darauf aufbauend ist der Gesamtgrad der Behinderung des BF zu ermitteln.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Der vorliegende Sachverhalt erweist sich zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die beantragte Neufestsetzung des Grades der Behinderung als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich sind.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten der Fachrichtung "Psychiatrie und Neurologie" basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF, zur Beurteilung des psychischen Leidens des BF einzuholen und bei der Entscheidungsfindung zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung zu berücksichtigen haben. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der BF mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme unter Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

2.Zu Spruchpunkt B (Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgeführt, dass im verwaltungsbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W173.2225386.1.00

Im RIS seit

04.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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