TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/17 W158 2146701-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.02.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

17.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W158 2146701-3/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein ZEIGE - Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, Ottakringer Straße 54/4/TOP-2, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz, der mittels Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.09.2017 zu W256 2146701-1/14E vollinhaltlich abgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel wurde ihm nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft des Erkenntnisses bestimmt. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung einer gegen das Erkenntnis erhobenen Beschwerde ab, der Verwaltungsgerichtshof wies die außerordentliche Revision zurück.

I.2. Nachdem über den BF die Schubhaft verhängt wurde, stellte er am XXXX einen erneuten Antrag auf internationalen Schutz und wurde dazu am selben Tag niederschriftlich erstbefragt. Nach seinen neuen Fluchtgründen befragt, gab er an, er habe sich vor drei Monaten entschieden, zum Christentum zu konvertieren und werde am 24.03.2019 getauft.

I.3. Am XXXX wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen und zu seiner Konversion befragt. Im Zuge der Einvernahme wurde mittels mündlich verkündeten Bescheid der faktische Abschiebeschutz aufgehoben.

I.4. Mit Beschluss vom 25.03.2019 zu W253 2146701-2/5E wurde der dagegen erhobenen Beschwerde stattgegeben und der Bescheid ersatzlos behoben.

I.5. Am XXXX gab der im Spruch genannte Vertreter seine Bevollmächtigung bekannt und führte aus, die Taufe des BF, der von ganzen Herzen und mit Begeisterung Christ sei, stehe kurz bevor. Zudem wurden Berichte zur Situation von Konvertiten und Apostaten in Afghanistan vorgelegt. Am XXXX wurde vom Vertreter eine Vereinbarung über gemeinnützige Arbeiten des BF und eine Bestätigung eines Pastoralassistenten vorgelegt.

I.6. Am XXXX wurde der BF von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Der BF wurde dabei u.a. zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Zu seiner Konversion befragt, gab der BF an, er sei bereits 2015 erstmals mit dem Christentum in Berührung gekommen. Auch 2016 und 2017 habe er Kirchen und Gottesdienste besucht. Am 24.12.2018 sei er schließlich konvertiert, nachdem er im Koran gelesen habe, dass man Ungläubige töten solle, während das in der Bibel nicht erwähnt werde.

I.7. Am XXXX übermittelte der Vertreter eine weitere Stellungnahme.

I.8. Mit Bescheid vom XXXX , dem Vertreter am XXXX durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der BF den christlichen Glauben verinnerlicht habe, der Status eines Asylberechtigten habe ihm daher nicht gewährt werden können. Auch liege keine Situation vor, die die Gewährung subsidiären Schutzes rechtfertigen würde, da ihm eine Rückkehr nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif möglich und zumutbar wäre. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen würde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.9. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.10. Am XXXX erhob der BF durch seinen Vertreter Beschwerde in vollem Umfang wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragte, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dem BF die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ihm zumindest den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu die Angelegenheit zur Sanierung der Verfahrensmängel an das BFA zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen.

Nach Wiedergabe des Verfahrensgangs wurde dazu begründend insbesondere ausgeführt, dass die Konversion des BF entgegen der Ansicht des BFA glaubhaft sei und ihm daher Asyl gewährt werden müsse. Zudem stehe die Sicherheits- und Versorgungslage in ganz Afghanistan einer Rückkehr des BF entgegen, wie sich an mehreren - auszugsweise zitierten - Berichten zeige.

I.11. Am XXXX langte die gegenständliche Beschwerde samt dem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.12. Am XXXX langte eine Stellungnahme des BF zu den zuvor übermittelten Länderinformationen ein. Gleichzeitig legte er eine Taufurkunde und eine Bestätigung des Austritts aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich vor.

I.13. Am XXXX wurde die zeugenschaftliche Einvernahme eines Pastoralassistenten beantragt.

I.14. Am XXXX führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und sein Rechtsvertreter teilnahmen. Das BFA blieb der Verhandlung entschuldigt, der geladene Zeuge unentschuldigt fern. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinem Gesundheitszustand, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt.

I.15. Am XXXX langte eine Stellungnahme des BF ein, der eine Stellungnahme des geladenen Zeugen beigelegt war.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle und die vom BF vorgelegten Unterlagen;

- Befragung des BF im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX ;

- Einsicht in die in das Verfahren eingeführte Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat;

- Einsicht in das Strafregister, das Melderegister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Sachverhaltsfeststellungen:

II.1.1. Zum BF und seiner Situation im Falle einer Rückkehr:

Der BF besitzt die afghanische Staatsangehörigkeit, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Seine Eltern stammen aus der Provinz Maidan Wardak. Der BF selbst ist im Iran in Qom geboren worden. Dort hat er seine ersten 10 Lebensjahre verbracht. Danach ist er gemeinsam mit seinen Eltern, seinem Bruder und seiner Schwester für ungefähr drei Jahre nach Kasachstan gezogen, wo sein Vater an Krebs verstorben ist. Nach diesen drei Jahren wurden seine Familie und er nach Kabul abgeschoben, woraufhin sein Großvater umgehend einen Schlepper organisiert und (teilweise mit eigenem, teilweise mit geborgtem Geld) bezahlt hat, der die Familie am Flughafen abgefangen, in ein Schlepperquartier und eineinhalb Monate später wieder zurück nach Qom gebracht hat. Die restlichen zweieinhalb bis drei Jahre bis zu seiner Flucht hat der BF in Qom gemeinsam mit seiner Mutter und seinen beiden Geschwistern in einer Mietwohnung verbracht.

Der BF spricht die Sprachen Farsi, Dari, Russisch und Kasachisch. Er ist von seinem siebenten bis zu seinem zehnten Lebensjahr im Iran in die Schule gegangen, und kann lesen und schreiben. Während dieser Schulzeit hat er seinen Vater, der in einer Konditorei gearbeitet hat, unterstützt. Die letzten zweieinhalb bis drei Jahre vor seiner Ausreise nach Europa hat der BF im Iran in Qom als Schuster in einer Fabrik gearbeitet.

Die Mutter des BF lebt nach wie vor gemeinsam mit der Schwester und dem Bruder des BF im Iran. Der BF hat Kontakt zu seiner Schwester via WhatsApp.

Daneben leben im Iran noch eine Tante väterlicherseits, eine Tante mütterlicherseits und sein Großvater. Cousins des BF leben in Finnland und Frankreich. Der BF hat keinen Onkel mütterlicherseits, der in Afghanistan lebt.

Der BF stellte am XXXX erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass seine Familie bedroht werde, da seine Mutter seinen Vater geheiratet habe, obwohl sie bereits jemand anderem versprochen gewesen sei. Seine Familie sei deswegen auch im Iran bedroht worden. Dieser Antrag wurde vom Bundesverwaltungsgericht, das infolge einer Säumnisbeschwerde zuständig wurde, mit Erkenntnis vom 20.09.2017 in Bezug auf den Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel wurde ihm nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden 14 Tage ab Rechtskraft des Erkenntnisses festgelegt.

Das Erkenntnis wurde am XXXX im elektronischen Verfügungsbereich seines damaligen Rechtsvertreters hinterlegt. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof nach zwischenzeitiger Gewährung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 09.10.2018, E 3427/2017-16 abgelehnt. Der Verwaltungsgerichtshof hat eine gegen das Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision mit Beschluss vom 06.12.2018, Ra 2017/01/0379-6 zurückgewiesen.

Der BF verblieb trotzdem im Bundesgebiet und wurde am XXXX infolge eines Festnahmeauftrags des BFA festgenommen. Am gleichen Tag wurde mittels Mandatsbescheid die Schubhaft über ihn verhängt. Am 25.03.2019 wurde der BF infolge des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom selben Tag zu W253 2146701-2/5E entlassen.

Der BF besucht seit Jänner 2019 regelmäßig die Freie Christengemeinde XXXX . Nach Besuch eines achtstündigen Kurses wurde er am 20.10.2019 dort getauft. Als Taufnamen wählte der BF Benjamin. Am 22.11.2019 hat er gegenüber dem Magistrat den Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich erklärt. Er putzt zweimal im Monat für die Kirchengemeinschaft. Sonntags arbeitet er gelegentlich in der Küche. Der BF übt keine Missionarstätigkeiten aus und spricht mit Fremden nicht über seinen Glauben. Es kann nicht festgestellt werden, dass der christliche Glaube wesentlicher Bestandteil der Identität des BF geworden ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen würde. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF sein derzeitiges Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nach außen zur Schau tragen würde. Es kann nicht festgestellt werden, dass die afghanischen Behörden und/oder das persönliche Umfeld des BF in Afghanistan von dessen Glaubenswechsel und christlichem Engagement bei einer Rückkehr nach Afghanistan Kenntnis erlangen würden. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Interesses für den christlichen Glauben psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

Der BF ist mit den kulturellen und religiösen Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut. Er könnte sich bei einer Rückkehr in Bamyan, Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif ansiedeln. Durch seine Berufserfahrung wird es ihm möglich sein, eine Arbeit zu finden, mit der er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Der BF könnte bei einer Rückkehr von seiner im Iran lebenden Familie finanziell unterstützt werden. Zudem stehen ihm Unterstützungsmöglichkeiten offen, die zumindest anfangs seine Versorgung sicherstellen. Dadurch sind seine grundlegende Versorgung (Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und Lebensgrundlagen gesichert. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Bamyan, Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif einer realen Gefahr des Todes oder der Folter beziehungsweise der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt wäre oder die bloße Anwesenheit in Bamyan, Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif ihn wegen der dortigen Lage einer integritäts- oder lebensbedrohlichen Situation aussetzen würde. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Bamyan, Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht im Stände wäre, für ein ausreichendes Auskommen zur Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen. Er lauft nicht Gefahr, in eine auswegslose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF hat mehrere Deutschkurse besucht und das Modul A2 erfolgreich absolviert. Zudem engagierte sich der BF in den Vereinen KAMA, und Luft*raum sowie bei der Volkshilfe ehrenamtlich, unter anderem indem er Konditorei Workshops organisierte und leitete. Am XXXX und am XXXX hat er insgesamt zehn Stunden beim Bauhof seiner Wohngemeinde gearbeitet und dafür ? 50,00 erhalten. Der BF hat eine Arbeitszusage eines Steinmetzbetriebes.

In Österreich lebt ein Cousin des BF, der nicht mit diesem, sondern gemeinsam mit seiner Familie lebt. Zwischen dem BF und diesen Familienmitgliedern besteht kein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er ist strafrechtlich unbescholten und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

II.1.2. Zur Situation in Afghanistan:

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019

* AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (15.4.2019): Afghanistan: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/afghanistan-node/-/204718, Zugriff 7.6.2019

* AAN - Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan's 2018 Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga, https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/, Zugriff 7.6.2019

* AAN - Afghanistan Analysts Network (6.5.2018): Afghanistan's Paradoxical Political Party System: A new AAN report, https://www.afghanistan-analysts.org/publication/aan-papers/outside-inside-afghanistans-paradoxical-political-party-system-2001-16/, Zugriff 11.6.2019

* AAN - Afghanistan Analysts Network (13.2.2015): The President's CEO Decree: Managing rather thean executive powers (now with full translation of the document), https://www.afghanistan-analysts.org/the-presidents-ceo-decree-managing-rather-then-executive-powers/, Zugriff 7.6.2019

* AM - Asia Maior (2015): Afghanistan 2015: the national unity government at work: reforms, war, and the search for stability, https://www.asiamaior.org/the-journal/asia-maior-vol-xxvi-2015/afghanistan-2015-the-national-unity-government-at-work-reforms-war-and-the-search-for-stability.html, Zugriff 7.6.2019

* BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Bundesrepublik Deutschland, Gruppe 62 - Informationszentrum Asyl und Migration (6.5.2019): Briefing Notes 06. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010670/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_06.05.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 17.7.2019

* BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (7.2016): Dossier der Staatendokumentation, AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/AFGH_Stammes_und%20Clanstruktur_Onlineversion_2016_07.pdf, Zugriff 7.6.2019

* BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (3.2014): Afghanistan; 2014 and beyond, http://www.bfa.gv.at/files/broschueren/AFGH_Monographie_2014_03.pdf, Zugriff 7.6.2019

* Casolino, Ugo Timoteo (2011): "Post-war constitutions" in Afghanistan ed Iraq, Ricerca elaborata e discussa nell'ambito del Dottorato di ricerca in Sistema Giuridico Romanistico - Unificazione del Diritto - Università degli studi di Tor Vergata - Roma, Facoltà di Giurisprudenza, http://eprints.bice.rm.cnr.it/3858/1/TESI-TIM_Definitiva.x.SOLAR._2011.pdf, Zugriff 7.6.2019

* CIA - Central Intelligence Agency (24.5.2019): The World Factbook - Afghanistan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html, Zugriff 7.6.2019

* CNA - Channel News Asia (19.1.2019): Former Afghan warlord Hekmatyar enters presidential race, https://www.channelnewsasia.com/news/world/former-afghan-warlord-hekmatyar-enters-presidential-race-11143860, Zugriff 12.6.2019

* CR - Conciliation Ressources (2018): Incremental Peace in Afghanistan - Chronology of major political events in contemporary Afghanistan, https://www.c-r.org/downloads/33_Chronology_Incremental-Peace-in-Afghanistan-144-147.pdf, Zugriff 18.6.2019

* CSO - Central Statistics Organization (2019): Afghanistan Population Estimates for the year 1398 (2019-20), http://cso.gov.af/Content/files/%D8%B1%DB%8C%D8%A7%D8%B3%D8%AA%20%D8%AF%DB%8C%D9%85%D9%88%DA%AF%D8%B1%D8%A7%D9%81%DB%8C/population/%D8%A8%D8%B1%20%D8%A2%D9%88%D8%B1%D8%AF%20%D9%86%D9%81%D9%88%D8%B3%20%D9%86%D9%87%D8%A7%DB%8C%DB%8C%20%20%D8%B3%D8%A7%D9%84%2098.pdf, Zugriff 7.6.2019

* DOA - Daily Outlook Afghanistan (17.3.2019): Challenges of Political Parties in Afghanistan, http://www.outlookafghanistan.net/topics.php?post_id=23136, Zugriff 11.6.2019

* DP - Presse, die (28.1.2019): Afghanistan vor dramatischer Wende, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5570225/Afghanistan-vor-dramatischer-Wende, Zugriff 18.6.2019

* DP - Presse, die (16.6.2018): Afghanistan verlängert Waffenstillstand mit den Taliban, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5448194/Afghanistan-verlaengert-Waffenstillstand-mit-den-Taliban, Zugriff 12.6.2019

* DW - Deutsche Welle (30.9.2014): Understanding Afghanistan's Chief Executive Officer, http://www.dw.com/en/understanding-afghanistans-chief-executive-officer/a-17965187, Zugriff 7.6.2019

* DZ - Die Zeit (8.9.2019): Donald Trump bricht Friedensgespräche mit den Taliban ab, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/afghanistan-taliban-donald-trump-friedensgespraeche-ausgesetzt, Zugriff 10.9.2019

* DZ - Die Zeit (23.8.2019): USA-Taliban-Gespräche in Katar wieder aufgenommen, https://www.zeit.de/news/2019-08/23/usa-taliban-gespraeche-in-katar-wieder-aufgenommen, Zugriff 23.8.2019

* DZ - Die Zeit (21.4.2019): https://www.zeit.de/news/2019-08/23/usa-taliban-gespraeche-in-katar-wieder-aufgenommen, Zugriff 23.8.2019

* EC - Economist, the (18.5.2019): Why Afghanistan's government is losing the war with the Taliban, https://www.economist.com/asia/2019/05/18/why-afghanistans-government-is-losing-the-war-with-the-taliban, Zugriff 19.6.2019

* FA - Frankfurter Allgemeine (23.8.2019): USA-Taliban-Gespräche in Katar wieder aufgenommen, https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/usa-taliban-gespraeche-in-katar-wieder-aufgenommen-16347359.html, Zugriff 23.8.2019

* HE - Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?, https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-4422023.html, Zugriff 18.6.2019

* MS - Messaggero, il (28.1.2019): Afghanistan, fonti Difesa: "Entro un anno via truppe italiane". Moavero: "Apprendo ora". Lega: "Nessuna decisione", https://www.ilfattoquotidiano.it/2019/01/28/afghanistan-entro-un-anno-ritiro-del-contingente-italiano-moavero-lo-apprendo-ora-trenta-non-ne-ha-parlato-con-me/4930395/, Zugriff 18.6.2019

* MPI - Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 7.6.2019

* NYT - The New York Times (7.3.2019): U.S. Peace Talks With Taliban Trip Over a Big Question: What Is Terrorism?, https://www.nytimes.com/2019/03/07/world/asia/taliban-peace-talks-afghanistan.html, Zugriff 18.6.2019

* NYT - The New York Times (28.1.2019): U.S. and Taliban Agree in Principle to Peace Framework, Envoy Says, https://www.nytimes.com/2019/01/28/world/asia/taliban-peace-deal-afghanistan.html, Zugriff 18.6.2019

* NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.8.2019): USA und Taliban beenden ihre Gesprächsrunde in Doha, https://www.nzz.ch/international/usa-und-taliban-beendigen-ihre-gespraechsrunde-in-doha-ld.1501247, Zugriff 23.8.2019

* NZZ - Neue Zürcher Zeitung (27.1.2019): Amerika und die Taliban kommen sich näher, https://www.nzz.ch/international/amerika-und-die-taliban-kommen-sich-naeher-ld.1454965, Zugriff 12.6.2019

* REU - Reuters (18.3.2019): U.S. freezes out top Afghan official in peace talks feud: sources, https://www.reuters.com/article/us-usa-afghanistan/us-freezes-out-top-afghan-official-in-peace-talks-feud-sources-idUSKCN1QZ2OU, Zugriff 18.6.2019

* RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (20.10.2019): Afghan Presidential Election Results Announcement Delayed, https://www.rferl.org/a/afghanistan-presidential-election-results-delayed/30225843.html, Zugriff 27.10.2019

* RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (29.5.2019): Afghanistan Postpones Two Local Elections, https://www.rferl.org/a/afghanistan-postpones-two-local-elections/29970772.html, Zugriff 7.6.2019

* RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.12.2018): Afghan Commission Invalidates All Kabul Votes In October Parliamentary Election, https://www.rferl.org/a/afghan-commission-invalidates-all-kabul-votes-in-october-parliamentary-election/29640679.html, Zugriff 7.6.2019

* TN - Tolonews (31.5.2019): Taliban Wants An ?Inclusive Post-Peace Govt', https://www.tolonews.com/afghanistan/taliban-wants-inclusive-post-peace-govt, Zugriff 18.6.2019

* TN - Tolonews (19.5.2019): IEC Finalizes Presidential Elections Timeline, https://www.tolonews.com/elections-2019/iec-finalizes-presidential-elections-timeline, Zugriff 7.6.2019

* TN - Tolonews (12.12.2018): IEC Resumes Recounting Of Kabul Votes Under New Method, https://www.tolonews.com/index.php/elections-2018/iec-resumes-recounting-kabul-votes-under-new-method, Zugriff 7.6.2019

* USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2004129.html, Zugriff 7.6.2019

* USDOS - United States Department of State (29.5.2018): International Religious Freedom Report for 2017 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436774.html, Zugriff 11.6.2019

* USIP - United States Institute of Peace (11.2013): Special Report 338: 2014 Presidential and Provincial Council Elections in Afghanistan, https://www.usip.org/sites/default/files/SR338-2014%20Presidential%20and%20Provincial%20Council%20Elections%20in%20Afghanistan.pdf, Zugriff 19.6.2019

* WP - The Washington Post (18.3.2019): Afghan government, shut out of U.S.-Taliban peace talks, running short on options, https://www.washingtonpost.com/world/afghan-government-shut-out-of-us-taliban-peace-talks-running-short-on-options/2019/03/18/92cd6128-497d-11e9-8cfc-2c5d0999c21e_story.html?noredirect=on&utm_term=.ffa121b12dbc, Zugriff 18.6.2019

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe g

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten