Entscheidungsdatum
15.04.2020Norm
BBG §40Spruch
W265 2228423-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von Reinhard XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 09.12.2019, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 31.01.2020, betreffend den Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Grad der Behinderung beträgt 30 v.H.
Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen nicht mehr vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer war Inhaber eines Behindertenpasses. Mit allgemeinmedizinischem Sachverständigengutachten von 18.08.2016 wurde das Leiden "Zustand nach operativ stabilisiertem Beckenbruch, proximalem Oberschenkelbruch links (Gammanagel), Speichenbruch links und einer zentralen beidseitgen Lungenembolie nach Sturz von einer Leiter" mit einem Grad der Behinderung von 70 v.H. festgestellt. Nach Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung wurde mit Sachverständigengutachten vom 28.04.2017 aufgrund des Leidens "Aufbrauchzeichen im Bewegungs- und Stützapparat, Zustand nach Beckenbrüchen (dorsale Verplattung), nach sub- und pertrochantärer oberschenkelfraktur links (lnager Gammanagel) und nach distalem Radiusbruch (vergplattung), Zustand nach zentraler Lungenembolie beidseits" ein Grad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt; im Vergleich zum Vorgutachten sei eine maßgebliche Verbesserung eingetreten.
Am 06.09.2019 stellte der Beschwerdeführer beim Sozialministeriumservice (im Folgenden auch als belangte Behörde bezeichnet) einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung und legte ein Konvolut an medizinischen Befunden vor.
Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In dem auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.10.2019 basierenden Gutachten vom 31.10.2019 wurde Folgendes - hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben - ausgeführt:
"Anamnese:
Bezüglich Vorgeschichte siehe Vorgutachten vom 26.02.2018 wegen Zusatzeintrag öffentlicher Verkehrsmittel und Vorgutachten für das BvWG vom 28.04.2017 ges. GdB 50% Zwischenanamnese:
keine Spitalsaufenthalte
Derzeitige Beschwerden:
Teilweise lässt das linke Bein aus. Ich habe Kreuzschmerzen mit Ausstrahlung bis zur linken Großzehe. Die linke Großzehe ist bamstig. Das linke Handgelenk sticht. Zeitweilig bekomme ich schlecht Luft.
Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:
Medikamente: Naprobene, Spiolto, Berodual, Candesartan
Laufende Therapie:
Hilfsmittel: hat 1 Unterarmstützkrücke mit, orthop. Einlagen, schuhausgleich links 2cm.
Sozialanamnese:
War Gemeindebediensteter, jetzt AMS
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
11/2018 Orthopädischer Befundbericht beschreibt sämtliche operativ versorgten Frakturen knöchern geheilt. Beinverkürzung links von etwa 7 mm, sowie ausgeprägte lumbale Schmerzen im Bereich des Plattenlagers nach Beckenverplattung. Zusätzlich leidet der Patient an radikulären Schmerzen, ausstrahlend ins linke Bein bei MRT verifizierter Vertebrostenose L4/5.
Im klinischen Status sind die Hüft- und Kniegelenke bds frei beweglich, im Vordergrund steht eine ausgeprägte Lumbalgie mit teilweise radikulären Ausstrahlungen in das linke Bein.
08/2019 Röntgenbefund beschreibt geheilten Oberschenkelbruch links mit Gammanagel und inzipiente Gonarthrose beidseits, sonst altersentsprechender Befund.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
altersentsprechend
Ernährungszustand:
adipös
Größe: 176 cm Gewicht: 114 kg Blutdruck:
Klinischer Status - Fachstatus:
Caput/Collum: unauffällig
Thorax: symmetrisch, elastisch
Abdomen: klinisch unauffällig, kein Druckschmerz, deutlich adipös
Obere Extremitäten:
Rechtshänder. Die linke Schulter ist etwas verkürzt. Symmetrische Muskelverhältnisse.
Durchblutung und Sensibilität sind ungestört. Benützungszeichen sind seitengleich.
Linkes Handgelenk: beugeseitig blasse Narbe. Das Handgelenk ist gering verdickt und verbreitert. Keine Fehlstellung. Weiters kleine Narbe am Speichengriffel. Kein lokaler Druckschmerz, kein wesentlicher Endlagenschmerz.
Übrige Gelenke sind bandfest und unauffällig.
Beweglichkeit:
Schultern seitengleich frei. Ellenbogen S 0-0-110 beidseits. Vorderarmdrehung 90-0-90. Handgelenk S rechts 50-0-45, links 20-0-45. F 10-0-30. Daumen und Langfinger sind seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar, der Faustschluss ist komplett.
Untere Extremitäten:
Der Barfußgang ist insgesamt wankend, unelastisch und etwas breitbasig.
Zehenballengang, Fersengang möglich, Einbeinstand ist links unsicher, Anhocken ist endlagig gering eingeschränkt. Die Beinachse ist im Lot. Gering Muskelverschmächtigung am linken Ober- und diskret am linken Unterschenkel. beinlänge links -1,5 cm. Die Durchblutung ist ungestört. Die Sensibilität wird streckseitig am linken Fuß als etwas vermindert sonst als ungestört angegeben. Die Fußsohlenbeschwielung ist seitengleich ausgebildet, das Fußgewölbe ist erhalten.
Die Innenrotation an den Hüften ist im Kreuz schmerzhaft.
An der linken Hüfte unauffällige Narben nach Marknagelung. Kein Druckschmerz.
Sonst sind sämtliche Gelenke bandfest und klinisch unauffällig.
Beweglichkeit:
Hüften S 0-0-95 beidseits. R (S 90°) rechts 10-0-25, links 5-0-25. Knie, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.
Wirbelsäule:
Zarte s-förmige Rotationsskoliose. Regelrechte Krümmungsverhältnisse. Über beiden Kreuzbeindarmbeingelenken bestehen unauffällige blasse Narben. Das linke KreuzbeinDarmbein-Gelenk ist druckschmerzhaft. Klopfschmerz über dem Kreuzbein, kein wesentlicher Druckschmerz. Gering Hartspann zervikal.
Beweglichkeit:
Halswirbelsäule: allseits konstitutionsbedingt etwa 1/3 eingeschränkt.
Brustwirbelsäule/Lendenwirbelsäule: beim Vorwärtsbeugen reichen die Hände zu den Kniegelenken. Seitwärtsneigen und Rotation je etwa 1/2 eingeschränkt.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Kommt in Konfektionsschuhen mit 1 Unterarmstützkrücke zur Untersuchung, die Schuhe sind mit orthopädischen Einlagen und links Höhenausgleich 2cm ausgestattet. Das Gangbild ist flott, gering hinkend, sicher. Das Aus- und Ankleiden wird im Stehen durchgeführt.
Status Psychicus:
Wach, Sprache unauffällig.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
GdB %
1
Degenerative und posttraumatische Veränderungen mit geringgradigen funktionellen Einschränkungen der Wirbelsäule Unterer Rahmensatz dieser Position, da ohne neurologisches Defizit
02.01.02
30
2
Geringgradige posttraumatische funktionelle Einschränkung linkes Hüftgelenk und geringe Hüftgelenksarthrose rechts Unterer Rahmensatz dieser Position, da nur unwesentliche Beweglichkeitseinschränkung und gering Beinverkürzung links
02.05.08
20
3
Geringgradige posttraumatische funktionelle Einschränkung linkes Handgelenk Fixer Rahmensatz
02.06.20
10
4
Zustand nach operiertem Beckenbruch Fixer Rahmensatz
02.04.01
10
Gesamtgrad der Behinderung 30 v.H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Das führende Leiden 1 wird durch die übrigen Leiden nicht erhöht, wegen fehlender wechselseitiger ungünstiger Leidensbeeinflussung in relevantem Ausmaß.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
-
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Gegenüber dem Vorgutachten von 02/2018 ist funktionell keine wesentliche Änderung eingetreten.
Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:
Im Gutachten von 04/2017 wurden alle Leiden unter einer Pos. berücksichtigt, wobei das Gutachten 1 Jahr nach Unfall erstellt wurde. Zwischenzeitlich ist ein Endzustand der Folgen der einzelnen Verletzungen eingetreten. Die einzelnen Leiden werden jeweils separat nach deren Funktionsbehinderungen berücksichtigt. Daraus ergibt sich der abweichende Gesamt GdB.
[x] Dauerzustand
..."
Mit Schreiben vom 05.11.2019 brachte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG zur Kenntnis und räumte die Möglichkeit einer Stellungnahme ein.
Der Beschwerdeführer gab keine Stellungnahme ab.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.12.2019 wies die belangte Behörde den Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung (Erhöhung des Grades der Behinderung) ab und stellte den Grad der Behinderung von Amts wegen mit 30 v.H. neu fest. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem Beiblatt, das einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Dem Beschwerdeführer sei Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Da eine Stellungnahme innerhalb der gesetzten Frist nicht eingelangt sei, habe vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht abgegangen werden können. Mit dem Bescheid wurde dem Beschwerdeführer das ärztliche Sachverständigengutachten übermittelt.
Mit E-Mail vom 22.01.2020 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Rechtsanwalt XXXX , gegen diesen Bescheid fristgerecht die gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin brachte er im Wesentlichen vor, der im Jahr 2016 mit 70 v.H. festgesetzte Grad der Behinderung sei mit Gutachten vom 28.04.2017 mit der Begründung auf 50 v.H. herabgesetzt worden, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers maßgeblich verbessert habe. Im Gutachten vom Oktober 2019, welches der bekämpften Entscheidung zugrunde liege, sei keine derartige Begründung angeführt worden. Während die einzelnen Leiden in den Vorgutachten als "einzig relevantes Leiden" in einer Position berücksichtigt worden seien, sei dieses im aktuellen Gutachten unzulässigerweise in einzelne Leiden in mehrere Positionen aufgesplittet und behauptet worden, die Leiden 2 bis 4 hätten keinen "erhöhenden" Einfluss auf das nunmehr führende Leiden 1 ohne dies näher zu begründen. Die Aufteilung in "einzelne" Leiden, die sich angeblich wechselseitig nicht "in relevantem Ausmaß" beeinflussen würden, sei nicht nachvollziehbar. Sämtliche Beschwerden würden aus einem Ereignis, nämlich dem Unfall im Jahr 2016, resultieren. Das Gutachten stehe auch im Widerspruch zu dem der Beschwerde angeschlossenen unfallchirurgischen Sachverständigengutachten vom 22.01.2018, in welchem festgehalten werde, dass das unfallchirurgische Heilverfahren abgeschlossen, eine wesentliche Änderung des Zustandsbildes aber nicht zu erwarten sei. Auch aus dem beigelegten Befundbericht vom 27.11.2018 sei ersichtlich, dass die Frakturen zwar knöchern verheilt seien, aber weiterhin Schmerzen bestehen würden und auch die Mobilität stark eingeschränkt sei. Seit der Festsetzung des Grades der Behinderung mit 50 v.H. sei es daher nicht mehr zu einer wesentlichen Änderung (Verbesserung) des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers gekommen und sei dies auch nicht im gegenständlichen Gutachten zur Begründung der Herabsetzung des Grades der Behinderung auf 30 v.H. angeführt. Vielmehr resultiere die Herabsetzung offenbar auf einer willkürlichen Aufteilung der Beschwerden auf mehrere Leiden, die einzeln einen 30%igen Grad der Behinderung nicht übersteigen und angeblich keinen maßgeblichen Einfluss auf einander haben würden. Es werde die Einholung eines orthopädischen und lungenfachärztlichen Sachverständigengutachtens und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Der Beschwerde wurde ein Konvolut an medizinischen Unterlagen angeschlossen.
Aufgrund der Einwendungen des Beschwerdeführers und der vorgelegten Befunde ersuchte die belangte Behörde den bereits befassten Sachverständigen und Facharzt für Orthopädie um eine Stellungnahme. In der auf der Aktenlage basierenden ergänzenden Stellungnahme vom 31.01.2020 wurde Folgendes - hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben - ausgeführt:
"...
Der BW erhebt neuerlich Einspruch und führt an, dass das gegenständliche Gutachten im Widerspruch zum unfallchirurgischen Gutachten von 01/2018 für die private Unfallversicherung steht.
In diesem Gutachten wird eine Armwertminderung von 10% festgesetzt, was 7% entspricht (der gesamte Armwert beträgt 70%) und eine Beinwertminderung von 15%, (Beinwert 70%) was 10,5% entspricht.
Es darf aber darauf hingewiesen werden, dass ein direkter Vergleich nicht möglich ist, da unterschiedliche Beurteilungskriterien vorliegen.
Das weiters angeführte Gutachten vom Sozialministeriumservice von 2016 wurde nur 2 Monate nach Unfall erstellt. Daraus ergibt sich auch die hohe Einschätzung.
Zwischenzeitlich ist es naturgemäß zu einer wesentlichen Verbesserung gekommen, was auch mit Fortdauer der Zeit den jeweils geringeren gesamt GdB erklärt.
Zum angeführten Orthop. Befundbericht von 11/2018 wurde im GA bereits Stellung genommen.
Die vorgebrachte Argumentation ist nicht geeignet, die bereits vorhandene Leidensbeurteilung zu entkräften, welche daher auch aufrechterhalten wird. Es darf noch angemerkt werden, dass bei weiteren Untersuchungen die Möglichkeit besteht, dass der gesamt GdB weiter reduziert wird, da durch Anpassung und Gewöhnung eine weitere Besserung möglich ist."
Mit Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 31.01.2020 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice vom 09.12.2019 abgewiesen. Mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. erfülle die Beschwerdeführerin nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Behindertenpass sei einzuziehen und unverzüglich dem Sozialministeriumservice vorzulegen.
Mit Schreiben vom 06.02.2020 stellte der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer fristgerecht einen Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG. Darin führte er aus, dass die belangte Behörde in ihrer Beschwerdevorentscheidung nicht zum Beschwerdevorbringen Stellung genommen habe, sondern lediglich auf die kritisierten Gutachten verwiesen habe. Es sei nur angeführt worden, die Gutachten seien als schlüssig erkannt worden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gutachten sei offenbar nicht erfolgt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer war Inhaber eines Behindertenpasses. Zuletzt wurde der Grad der Behinderung mit Bescheid der belangten Behörde im Jahr 2017 mit 50 v.H. festgestellt.
Am 06.09.2019 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung beim Sozialministeriumservice.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 09.12.2019 stellte die belangte Behörde unter Zugrundelegung eines neu eingeholten Sachverständigengutachtens vom 31.102019, welches auf Grundlage der Bestimmungen der Anlage der Einschätzungsverordnung zu erstellen war, fest, dass der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers nur mehr 30 v.H. beträgt und er daher die Voraussetzungen für den Besitz eines Behindertenpasses nicht mehr erfüllt.
Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
- Degenerative und posttraumatische Veränderungen mit geringgradigen funktionellen Einschränkungen der Wirbelsäule
- Geringgradige posttraumatische funktionelle Einschränkung linkes Hüftgelenk und geringe Hüftgelenksarthrose rechts
- Geringgradige posttraumatische funktionelle Einschränkung linkes Handgelenk
- Zustand nach operiertem Beckenbruch
Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß und medizinischer Einschätzung sowie der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie vom 31.10.2019 zu Grunde gelegt.
Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt aktuell 30 v.H.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellung zum Behindertenpass und dem im Jahr 2017 festgestellten Grad der Behinderung basiert auf dem Akteninhalt.
Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung basiert auf dem Akteninhalt.
Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland ergibt sich aus dem Akt; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das durch die belangte Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie vom 31.10.2019, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.10.2019.
Darin wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Der sachverständige Gutachter setzt sich auch mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen der persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen. Die Gesundheitsschädigungen wurden nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass die ursprünglich unter einem Leiden zusammengefassten Beschwerden nunmehr aufgesplittet worden seien, obwohl sämtliche Beschwerden aus dem Unfall im Jahr 2016 resultieren würden. Dazu führt der Gutachter nachvollziehbar aus, dass seit den Vorgutachten ein Endzustand der Folgen der einzelnen Verletzungen eingetreten ist. Auch wenn der Unfall ursächlich für die Verletzungen war, sind seither nun fast vier Jahre vergangen und sind die Restfolgen, die verschiedenste Körperteile des Beschwerdeführers betreffen, als solche einzeln zu bewerten. Die Einschätzungsverordnung teilt sämtliche Funktionseinschränkungen nach Art und Schwere ein und haben daher auch seitens der Sachverständigen die dementsprechenden Einstufungen auf Basis der genannten Verordnung zu erfolgen. Der Vollständigkeit halber ist darüber hinaus festzuhalten, dass bereits mit seitens der belangten Behörde im Zusammenhang mit dem Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass erstellten orthopädischen Sachverständigengutachten vom 26.02.2018 die zuvor als Gesamtleiden eingeschätzten Folgen des Unfalls in die drei einzelnen Funktionseinschränkungen "geringgradig posttraumatische funktionelle Einschränkung linkes Hüftgelenk", "degenerative und posttraumatische Veränderungen mit geringgradigen funktionellen Einschränkungen der Wirbelsäule ohne neurologisches Defizit" und "geringgradige posttraumatische funktionelle Einschränkung linkes Handgelenk" geteilt wurden. Das erste Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2016, in welchem ein Grad der Behinderung von 70 v.H. festgestellt wurde, wurde nur wenige Monate nach dem Unfall erstellt, was naturgemäß zu einer höheren Einschätzung geführt hat. Die nach Abheilung der Unfallfolgen im Laufe der Jahre schrittweise Besserung des Gesundheitszustandes geht damit auch verständlicherweise mit einer Herabsetzung des Grades der Behinderung einher.
Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung hat bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung; den eindeutigen Wortlaut des § 3 der Einschätzungsverordnung, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN).
Im gegenständlichen Fall ist das Ausmaß der übrigen Leiden mit 20 v.H. bzw. 10 v.H. nicht relevant genug, um das führende Leiden mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. ungünstig zu beeinflussen und zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung zu führen.
Aufgrund der Einwendungen in der Beschwerde und den nachgereichten Befunden holte die belangte Behörde eine ergänzende Stellungnahme des orthopädischen Sachverständigen ein. In dieser Stellungnahme vom 31.01.2020 kommt der Gutachter zum Schluss, dass die Einwendungen und vorgelegten Befunde nicht geeignet sind, eine Änderung der Beurteilung herbeizuführen. Dem unfallchirurgischen Sachverständigengutachten vom 22.01.2018, welches im Auftrag der Unfallversicherung erstellt wurde, liegen andere Beurteilungskriterien zu Grunde als einem medizinischen Sachverständigengutachten auf Grundlage der Bestimmungen der Anlage der Einschätzungsverordnung. Aus diesem Grund sind ein direkter Vergleich bzw. eine Entkräftung des seitens der belangten Behörde eingeholten Gutachtens nicht möglich. Der orthopädische Befundbericht vom 27.11.2018 wurde bereits bei der Antragsstellung vorgelegt und vom orthopädischen Sachverständigen im Gutachten vom 31.10.2019 berücksichtigt. Die darin beschriebenen weiterhin bestehenden Schmerzen werden auch vom Sachverständigen nicht in Abrede gestellt, führen jedoch trotzdem nicht zu einer Erhöhung des Grades der Behinderung.
Betreffend den Antrag auf Einholung weiterer Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten Orthopädie und Lungenheilkunde wird auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung verwiesen.
Das Beschwerdevorbringen und die vorgelegten Beweismittel waren somit nicht geeignet, eine andere Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen mit einem höheren Grad der Behinderung herbeizuführen bzw. eine zwischenzeitig eingetretene Verschlechterung der Leidenszustände zu belegen und allenfalls zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen.
Der Beschwerdeführer ist dem vorliegenden Sachverständigengutachten im Lichte obiger Ausführungen daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 31.10.2019 und der ergänzenden Stellungnahme vom 31.01.2020. Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes lauten auszugsweise:
"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 43. (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."
Wie oben unter Punkt II.2. ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie vom 31.10.2019, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.10.2019 zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers aktuell 30 v.H. beträgt. Die Funktionseinschränkungen wurde im Gutachten entsprechend den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.
Der Beschwerdeführer ist diesem medizinischen Sachverständigengutachten, wie bereits erwähnt, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).
Da der Sachverhalt feststeht und die Sache daher entscheidungsreif ist, war dem in der Beschwerde sowie im Vorlageantrag gestellten Antrag auf Einholung weiterer Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich Orthopädie und Lungenheilkunde nicht Folge zu geben, zumal bereits medizinische Sachverständigengutachten eingeholt wurden und der Entscheidung zu Grunde gelegt werden. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass kein Rechtsanspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes besteht.
Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, aktuell nicht mehr erfüllt.
Da die Voraussetzungen für einen Behindertenpass weggefallen sind, ist der Behindertenpass gemäß § 43 Abs. 1 BBG von der belangten Behörde einzuziehen.
Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung wurde unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der vom Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG - trotz des in der Beschwerde gestellten Antrages auf eine mündliche Verhandlung -nicht entgegen. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Einziehung Grad der Behinderung Neufestsetzung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W265.2228423.1.00Im RIS seit
04.08.2020Zuletzt aktualisiert am
04.08.2020