TE Bvwg Beschluss 2020/5/27 W201 2230029-1

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Veröffentlicht am 27.05.2020
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Entscheidungsdatum

27.05.2020

Norm

BEinstG §14
BEinstG §2
BEinstG §3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W201 2230029-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF als Vorsitzende und die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR sowie den fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom 10.02.2020, OB XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gem. § 2 sowie § 14 Abs. 1 und 2 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG), beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer hat am 02.10.2019 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gestellt. Begründend wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer an orthopädisch-unfallchirurgischen Leiden, Bluthochdruck und Depressionen leide.

Nachstehend angeführte medizinische Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:

* Verordnungsplan, XXXX -Innere Medizin, vom 10.09.2019

* Befund, XXXX , Psychiatrie und Neurologie, vom 02.09.2019

* Ambulanzkarte, XXXX , Erstversorgung, vom 17.01.2019

* Erstversorgungsbericht, XXXX , Unfallchirurgie vom 19.06.2018

* Kurzdokumentation KA XXXX , Physikalische Medizin vom 12.03.2018

* Erstversorgungsbericht, XXXX Unfallchirurgie vom 18.09.2017

* Aufenthaltsbestätigung XXXX Unfallchirurgie vom 23.08.2017 bis 26.08.2017

* Patientenkurzbrief, XXXX Unfallchirurgie vom 26.08.2017

* Ambulanzkarte, XXXX Unfallchirurgie vom 19.06.2017

* Nachbehandlungsbericht, XXXX Unfallchirurgie vom 19.06.2017

* CT Befund LWS, XXXX vom 26.03.2015

2. Im zur Überprüfung des Antrages von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten wird von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 11.11.2019, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

"Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen Unterer Rahmensatz dieser Positionsnummer, da bei radiologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen mit Schwerpunkt im Lumbalbereich mäßig funktionelle Einschränkungen im Hals- und Lendenbereich gegeben sind.

02.01.02

30 vH

02

Posttraumatische Funktionseinschränkung geringen Grades im Bereich des linken Ellbogengelenkes. Fixposition.

02.06.11

20 vH

03

Funktionseinschränkung im Bereich des rechten Sprunggelenkes Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da Flexion ungehindert und Extension zu 2/3 eingeschränkt ist; ohne relevante Beeinträchtigung der Fortbewegung.

02.05.32

20 vH

04

Posttraumatische Einschränkung geringen Grades im Bereich des linken Schultergelenkes Fixposition.

02.06.01

10 vH

05

Leichter Bluthochdruck Fixposition. Wahl dieser Positionsnummer, da eine Entwässerungsmedikation nicht dokumentiert ist.

05.01.01

10 vH

 

Gesamtgrad der Behinderung

30 vH

 

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: weil der GdB der führenden Gesundheitsschädigung 1 infolge des Fehlens eines ungünstigen Zusammenwirkens, als auch im Hinblick auf das Ausmaß der übrigen Gesundheitsschädigungen nicht weiter erhöht wird."

3. Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG am 07.01.2020 eingeräumten Parteiengehörs hat der Beschwerdeführer unter Vorlage weiterer medizinischer Beweismittel einwendend vorgebracht, dass er sich seit Jahren in Behandlung bei Fachärzten für Innere Medizin, Neurologie/Psychiatrie, Orthopädie und Allgemeinmedizin befinde. Er sei seit Jahren durchgehend in Schmerztherapie und erhalte mindestens 2- 3 mal jährlich Infusionen, müsse Schmerzmittel einnehmen und erhalte lokale Injektionen. Auch sei er wöchentlich mehrmals in Physiotherapie und sei ihm aufgrund seines Gesundheitszustandes ein orthopädischer Bürosessel zuerkannt worden. Auch sei sein Bluthochdruck nicht leicht, sondern trotz Einnahme von Medikamenten bei 150/90 und habe dies bereits zu einem Krankenhausaufenthalt geführt. Das psychische Leiden sei nicht berücksichtigt worden, obwohl dieses bereits einmal zuerkannt worden sei. Er leide nach traumatisierenden Ereignissen im Flüchtlingslager an Depressionen, Angstzuständen und Panikattacken und habe sich aufgrund dessen wiederholt im Krankenstand und in psychiatrischer Behandlung befunden. Dieser Zustand sei momentan akut und er befinde sich deshalb derzeit im Langzeitkrankenstand. Seit Monaten traue er sich nicht öffentliche Verkehrsmittel zu benützen und habe panische Angst vor geschlossenen Räumen, wie Aufzügen oder U-Bahn. Er nehme keines der im Gutachten aufgelisteten Medikamente, sondern Quetialan 25mg, Escitalopram 15 mg und Duloxetin 30 mg.

Nachstehend angeführte Unterlagen wurden in Vorlage gebracht:

* Antrag auf Psychische Rehabilitation, Dr. XXXX vom 12.12.2019

* Medikamentenverordnung, Dr. XXXX vom 12.12.2019

* Befund, Dr. XXXX vom 02.09.2019 mit Ergänzung vom 30.09.2019 und 12.12.2019

4. Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde vom bereits befassten Sachverständigen Dr. XXXX , basierend auf der Aktenlage, eine mit 19.09.2018 datierte medizinischen Stellungnahme eingeholt, in welcher der Sachverständige nach Wiederholung der erhobenen Einwendungen im Wesentlichen Folgendes ausführt:

"Folgende Befunde werden im Rahmen des Parteiengehörs beigebracht: 1. Befundbericht des FA für Psychiatrie und Neurologie, Dr. XXXX vom 02.09.2019. Dieser Befund ist ident mit dem Befund, welcher bereits im Rahmen der Begutachtung am 11.11.2019 vorlag und zu dem auch Stellung bezogen wurde. Antrag auf psychische ambulante Rehabilitation, datiert vom 12.12.2019, unterzeichnet gleichfalls von Dr. XXXX , mit Anführung der Diagnosen F32, depressive Episode und F 41, generalisierte Angststörung, sowie Bestätigung der Medikation. Für die Höhe der Einschätzung von degenerativen Skelettveränderungen nach der Einschätzungsverordnung ist das Ausmaß der funktionellen Einschränkungen maßgebend, deshalb kann eine höhere Einschätzung der Diagnose unter Pkt. 1 nicht erfolgen. Eine Entwässerungsmedikation zur Behandlung des Bluthochdruckes ist nicht dokumentiert, Sekundärfolgen sind nicht belegt und somit ist eine höhere Einschätzung nicht möglich. Bezüglich der psychischen Erkrankung ist festzuhalten, dass Brückenbelege vor September 2019, welche eine psychische Erkrankung bestätigen nicht vorliegen und somit auch nach Beibringung eines Antrages auf psychische Rehabilitation, datiert vom 12.12.2019, eine psychische Erkrankung nicht über den Zeitraum von 6 Monaten hinaus dokumentiert ist. Somit kann keine diesbezügliche Richtsatzeinschätzung erfolgen."

5. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 2 sowie § 14 Abs. 1 und 2 BEinstG aufgrund des in Höhe von 30 vH festgestellten Grades der Behinderung abgewiesen.

6. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage von weiteren Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass bei der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung die psychische Erkrankung nicht berücksichtigt worden sei, obwohl er sich seit 2008 durchgehend in psychiatrischer Behandlung befinde. Er habe bezüglich dieses Leidens auch bereits einen Grad der Behinderung von 30 vH zuerkannt erhalten. Aktuell befinde er sich diesbezüglich seit 28.08.2019 im Krankenstand und der nächste chefärztliche Termin sei am 30.03.2020. Er sei derzeit nicht arbeitsfähig und es sei ein Krankenstand von mehr als sechs Monaten dokumentiert.

Nachstehend angeführte Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:

* Arbeitsunfähigkeitsmeldung vom 21.02.2020

* Einschätzung des Grades der Behinderung nach der Richtsatzverordnung, undatiert

7. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am 30.03.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 19b Abs. 1 BEinstG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des § 14 Abs. 2 durch den Senat. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur zur Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 28 VwGVG (vgl. VwGH vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) grundsätzlich von einem prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus. Eine meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes liegt jedenfalls gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG vor, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde. Davon ist auszugehen, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Die verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidung in der Sache selbst sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum beschränkt. Die in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG verankerte Zurückverweisungsentscheidung stellt eine solche Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte dar. Normative Zielsetzung ist, bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch zu machen.

Davon ist auszugehen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wird das Treffen einer meritorischen Entscheidung verneint, hat das Verwaltungsgericht auch nachvollziehbar zu begründen, dass die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG nicht vorliegen.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.

Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.

Bereits im Antrag wurde vom Beschwerdeführer angeführt, an orthopädischen, internistischen und neurologisch/psychiatrischen Gesundheitsschädigungen zu leiden und wurden dokumentierende medizinische Beweismittel vorgelegt.

Die belangte Behörde hat zur Überprüfung des Leidenszustandes des Beschwerdeführers jedoch lediglich ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses erscheint nicht ausreichend zur Beurteilung des Beschwerdebildes des Beschwerdeführers.

Zwar besteht kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch ist im vorliegenden Fall das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten zur Beurteilung des beim Beschwerdeführer vorliegenden komplexen Beschwerdebildes nicht geeignet. Aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass zusätzlich zur erfolgten Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Allgemeinmedizin auch die Einholung von Gutachten der Fachrichtungen Orthopädie und Neurologie/Psychiatrie unbedingt erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers (auch im Hinblick auf eine mögliche wechselseitige Leidensbeeinflussung der festgestellten Gesundheitsschädigungen) zu gewährleisten. Die alleinige Heranziehung eines Sachverständigen der Fachrichtung Allgemeinmedizin durch die belangte Behörde ist somit offensichtlich sachwidrig erfolgt.

Darüber hinaus ist das der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten hinsichtlich der Beurteilung der beim Beschwerdeführer vorliegenden Leidenszustände und somit auch bezüglich der Beurteilung des Gesamtleidenszustandes nicht nachvollziehbar. So ist eine schlüssige und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Beweismitteln durch den befassten Sachverständigen nicht im ausreichenden Maße erfolgt, da in dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Sachverständigengutachten auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht im Einzelnen eingegangen worden ist. Es wurde lediglich auszugsweise aus den vorgelegten Befunden zitiert, Aussagen über die Schwere der darin beschriebenen Gesundheitsschädigungen bzw. Feststellungen hinsichtlich deren Auswirkungen und Einfluss auf den Grad der Behinderung sind nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße getroffen worden.

So hält der Sachverständige lediglich wiederholt fest, dass eine Depression nicht über einen Zeitraum von 6 Monaten hinaus befundmäßig belegt ist und somit eine diesbezügliche Einschätzung nicht erfolgen kann. Gleichzeit beschreibt der Sachverständige in seinem Gutachten aber, dass der Beschwerdeführer anamnestisch angab, seit 2006 immer wieder an depressiven Phasen zu leiden, welche über ein Jahr andauern. Es nicht nachvollziehbar, weshalb die belangte Behörde darauf verzichtet hat, diese Angaben belegende medizinische Beweismittel vom Beschwerdeführer zu fordern. Dies wäre zumindest vor dem Hintergrund der im Rahmen des Parteiengehörs erhobenen Einwendungen des Beschwerdeführers - er habe sich seit 2008 auf Grund der psychischen Erkrankung wiederholt im Krankenstand befunden, und befinde sich seit August 2019 im Langzeitkrankenstand, jedenfalls erforderlich gewesen.

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen kann somit nicht von der Vollständigkeit und Schlüssigkeit des eingeholten Sachverständigengutachtens (auch in Zusammenschau mit der ergänzend eingeholten medizinischen Stellungnahme) gesprochen werden. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag daher die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich.

Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Orthopädie und Neurologie/Psychiatrie einzuholen, da - wie bereits oben ausgeführt - zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen und in weiterer Folge zur umfassenden Beurteilung des Gesamtleidenszustandes jedenfalls die Einholung von Sachverständigengutachten dieser Fachrichtungen erforderlich gewesen wäre.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens und den damit vorgelegten Beweismitteln, Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Orthopädie und Neurologie/Psychiatrie basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, zu den oben dargelegten Fragestellungen einzuholen und die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG zweckmäßig.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W201.2230029.1.00

Im RIS seit

04.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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