TE Bvwg Beschluss 2020/5/27 W201 2228978-1

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Veröffentlicht am 27.05.2020
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Entscheidungsdatum

27.05.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W201 2228978-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF als Vorsitzende und die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR sowie den fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , bevollmächtigt vertreten durch die RAe Nemetschke, Huber, Koloseus GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom 09.01.2020, OB XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer hat am 30.07.2019 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gestellt.

2. Im zur Überprüfung des Antrages von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten wird von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 13.11.2019, im Wesentlichen folgendes ausgeführt:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Koronare Herzkrankheit, Zustand nach Intervention mit Stentimplantation Unterer Rahmensatz, da Pumpfunktion erhalten.

05.05.02

30 vH

02

Degenerative Wirbelsäulenveränderungen Unterer Rahmensatz, da bei Zustand nach operativer Intervention im Bereich der Lendenwirbelsäule und belastungsindizierter Symptomatik endlagig mäßige funktionelle Einschränkung bei ausreichend selbständig erhaltener Gehfähigkeit, ohne relevante Wurzelreizsymptomatik.

02.01.02

30 vH

03

Hypertonie, paroxysmales Vorhofflimmern/Vorhofflattern

05.01.02

20 vH

04

Kniegelenksersatz links Oberer Rahmensatz, da kompletter Gelenksersatz bei aktiver Beweglichkeit von 0-0-90°.

02.05.18

20 vH

05

Zustand nach Mitralklappenrekonstruktion und Trikuspidalrekonstruktion Wahl dieser (gZ) Position mit oberem Rahmensatz, da Rekonstruktion zweier Klappen, bei leichter Mitralklappeninsuffizienz ohne Hinweis auf Obstruktion und leichter Trikuspidalinsuffizienz, bei insgesamt erhaltener Pumpfunktion.

05.07.05

20 vH

06

Chronisch-venöse Insuffizienz Eine Stufe über unterem Rahmensatz, da Varizenbildung an beiden unteren Extremitäten mit Schwellneigung ohne wesentliche Beeinträchtigung der Gelenksbeweglichkeit.

05.08.01

20 vH

07

Polyneuropathie Eine Stufe über unterem Rahmensatz, da Sensibilitätsstörung ohne relevantes motorisches Defizit.

04.06.01

20 vH

08

Periphere arterielle Verschlusskrankheit Wahl dieser Position da gut kompensiert.

05.03.01

10 vH

09

Narbenhernie Unterer Rahmensatz, da gut reponierbar.

07.08.01

10 vH

 

Gesamtgrad der Behinderung

30 vH

 

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Das führende Leiden unter Nr. 1 wird durch 2-9 mangels relevanter ungünstiger Leidensbeeinflussung nicht weiter erhöht.

3. Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG am 29.11.2019 erteilten des Parteiengehörs wurden keine Einwendungen erhoben.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses aufgrund des in Höhe von 30 vH festgestellten Grades der Behinderung gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG abgewiesen.

5. Gegen diesen Bescheid wurde von der bevollmächtigten Vertretung fristgerecht Beschwerde erhoben. Ohne Vorlage von weiteren Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Grad der Behinderung in Höhe von 30 vH nicht nachvollziehbar sei, da der Beschwerdeführer an massiven degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule leide. Es lägen Stenosen vor. Die Nerven würden bei aufrechtem Gehen auf die Wirbelsäule drücken und permanent Schmerzen erzeugen, was vom Allgemeinmediziner nicht berücksichtigt worden sei. Nach einer Lendenwirbelsäulenoperation 2014 leide der Beschwerdeführer nach wie vor an massiven Schmerzen im Rücken, den Beinen und den Füßen. Diese Schmerzen würden zu einer Schwindelproblematik führen und der Beschwerdeführer müsse nach einigen Metern stehen bleiben. Auch bestehe auf Grund dieser Einschränkungen massive Unsicherheit und benötige der Beschwerdeführer zur Sicherheit trotz Rollator eine Begleitperson für Wege außer Haus. Die bestehende Polyneuropathie sei nicht ausreichend berücksichtigt worden und es sei nicht nachvollziehbar weshalb dieses Nervenleiden das führende Leiden "koronare Herzkrankheit" nicht weiter negativ beeinflussen solle, das Gegenteil sie der Fall. Es sei außer Acht gelassen worden, dass der Beschwerdeführer mit einem Krankenhauskeim infiziert sei, der jederzeit wieder ausbrechen könne und dann zu einem Totalzusammenbruch des Immunsystems führe, wodurch eine latente Bedrohung bestehe. Bei dem 77ährigen Beschwerdeführer seien die Einzelleiden sogar mit 180% angegeben es sei daher medizinisch nicht vertretbar, dass ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 vH festgestellt worden sei. Auch sei die Begründung mangelhaft bzw. fehlend. Die Untersuchung und die Erhebungen in der 1. Instanz seien äußerst oberflächlich durchgeführt worden. Es werde daher beantragt die Ausstellung eines Behindertenpasses vorzunehmen, Sachverständigengutachten der Fachrichtung Innere Medizin und Orthopädie einzuholen und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

6. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am 26.02.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Mai 1990 über die Beratung, Betreuung und besondere Hilfe für behinderte Menschen (Bundesbehindertengesetz - BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idgF, hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur zur Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 28 VwGVG (vgl. VwGH vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) grundsätzlich von einem prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus. Eine meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes liegt jedenfalls gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG vor, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde. Davon ist auszugehen, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Die verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidung in der Sache selbst sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum beschränkt. Die in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG verankerte Zurückverweisungsentscheidung stelle eine solche Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte dar. Normative Zielsetzung ist, bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch zu machen. Davon ist auszugehen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wird das Treffen einer meritorischen Entscheidung verneint, hat das Verwaltungsgericht auch nachvollziehbar zu begründen, dass die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG nicht vorliegen.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Bereits mit dem Antrag wurden vom Beschwerdeführer umfangreiche medizinische Beweismittel vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass beim Beschwerdeführer Gesundheitsschädigungen des internistischen und orthopädischen Formenkreises vorliegen.

Die belangte Behörde hat zur Überprüfung der Leidenszustände des Beschwerdeführers jedoch lediglich ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses erscheint nicht ausreichend zur Beurteilung des Beschwerdebildes des Beschwerdeführers.

Zwar besteht kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch ist im vorliegenden Fall das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten zur Beurteilung des beim Beschwerdeführer vorliegenden komplexen internistischen und orthopädischen Beschwerdebildes nicht geeignet. Aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass zusätzlich zur erfolgten Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Allgemeinmedizin auch die Einholung von Gutachten der Fachrichtungen Innere Medizin und Orthopädie unbedingt erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers (auch im Hinblick auf eine mögliche wechselseitige Leidensbeeinflussung der festgestellten Gesundheitsschädigungen) zu gewährleisten. Die alleinige Heranziehung eines Sachverständigen der Fachrichtung Allgemeinmedizin durch die belangte Behörde ist somit offensichtlich sachwidrig erfolgt.

Darüber hinaus ist das der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten hinsichtlich der Beurteilung der beim Beschwerdeführer vorliegenden Leidenszustände und somit auch bezüglich der Beurteilung des Gesamtleidenszustandes nicht nachvollziehbar. So ist eine schlüssige und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Beweismitteln durch den befassten Sachverständigen nicht im ausreichendem Maße erfolgt, da in dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Sachverständigengutachten auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht im Einzelnen eingegangen worden ist. Es wurden lediglich einzelne der vorgelegten Befunde angeführt und auszugsweise daraus zitiert, Aussagen über die Schwere der darin beschriebenen Gesundheitsschädigungen bzw. Feststellungen hinsichtlich deren Auswirkungen und Einfluss auf den Grad der Behinderung sind nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße getroffen worden.

Auch hält der Sachverständige lediglich fest, dass keine relevante ungünstige Leidensbeeinflussung der Leiden 2- 9 mit Leiden 1 vorliegt. Ausführungen darüber, wie er zu dieser Schlussfolgerung kommt, lässt der Sachverständige jedoch vermissen. Insbesondere da hier auch verschiedene Organsysteme betroffen sind und nicht dargestellt wird, weshalb das Wirbelsäulenleiden welches mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 30 vH objektiviert wurde, keine relevante Gesundheitsschädigung darstellt. Auch ist nicht nachvollziehbar, weshalb das führende Leiden koronare Herzkrankheit bei Zustand nach Intervention mit Stentimplantation, mit dem Leiden Hypertonie mit Vorhofflimmern und dem Leiden Zustand nach Mitralklappenrekonstruktion und Trikuspidalrekonstruktion nicht zusammenwirken sollte, da all diese angeführten Leiden das Herz-Kreislaufsystem betreffen. Gleiches gilt für die chronisch venöse Insuffizienz und die periphere arterielle Verschlusskrankheit. Das der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten ist somit auch hinsichtlich der Beurteilung des Gesamtleidenszustandes nicht nachvollziehbar.

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen kann somit nicht von einer Schlüssigkeit des eingeholten Sachverständigengutachtens (auch in Zusammenschau mit der ergänzend eingeholten medizinischen Stellungnahme) gesprochen werden.

Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag daher die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich.

Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Innere Medizin und Orthopädie einzuholen, da - wie bereits oben ausgeführt - zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen und in weiterer Folge zur umfassenden Beurteilung des Gesamtleidenszustandes jedenfalls die Einholung von Sachverständigengutachten dieser Fachrichtungen erforderlich gewesen wäre.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Innere Medizin und Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, zu den oben dargelegten Fragestellungen einzuholen und die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W201.2228978.1.00

Im RIS seit

04.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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