Entscheidungsdatum
29.05.2020Norm
BEinstG §14Spruch
W132 2228258-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzerinnen, über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich vom 18.10.2019, OB 22369908600015, betreffend die Abweisung des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 2 und § 14 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG), in Verbindung mit dem Vorlageantrag gegen die Beschwerdevorentscheidung vom 14.01.2020, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird die angefochtene Beschwerdevorentscheidung behoben, und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer hat am 23.05.2019 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gestellt.
1.1. Im zur Überprüfung des Antrages von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten, wird von Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 22.07.2019, im Wesentlichen folgendes ausgeführt:
Lfd. Nr.
Funktionseinschränkung
Position
GdB
01
Schulterprothese beidseits Fixposition, berücksichtigt Endoprothese bei guter Beweglichkeit.
02.06.04
30 vH
02
Hypertonie Fixposition
05.01.01
10 vH
Gesamtgrad der Behinderung
30 vH
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Leiden 1 wird durch Leiden 2 nicht erhöht, da keine maßgebliche wechselseitige Leidensbeeinflussung besteht.
1.2. Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten des Parteiengehörs, wurde unter Vorlage weiterer Beweismittel im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer bei der Untersuchung Befunde betreffend die Rhizarthrose mitgebracht habe. Es sei ihm mitgeteilt worden, dass alles zusammengerechnet werden würde. Die Rhizarthrose sei jedoch nicht berücksichtigt worden, bereite aber eine große Einschränkung. Den Grad der Behinderung von 30 vH für beide Schultern stelle er in Frage, und ersuche um einen Termin für eine neue Einschätzung. Zur Berichtigung des Prozentsatzes ersuche er um neuerliche Vorladung.
Nachstehend angeführte Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:
1.3. Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde vom bereits befassten Sachverständigen Dr. XXXX , basierend auf der Aktenlage, eine mit 29.08.2019 datierte medizinischen Stellungnahme eingeholt, in welcher der Sachverständige im Wesentlichen Folgendes ausführt:
Lfd. Nr.
Funktionseinschränkung
Position
GdB
01
Schulterprothese beidseits Fixposition, berücksichtigt Endoprothese und den Kraftverlust, bei guter Beweglichkeit.
02.06.04
30 vH
02
Rhizarthrose beidseits Fixposition. Wahl der Position, da Kraftreduktion und Schmerze bei Faustschluss.
gZ 02.06.21
20 vH
03
Hypertonie Fixposition
05.01.01
10 vH
Gesamtgrad der Behinderung
40 vH
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Leiden 1 wird durch Leiden 2 wegen ungünstiger wechselseitiger Leidensbeeinflussung um eine Stufe erhöht. Leiden 3 nicht wechselseitig wirksam. Die Rhizarthrose wird mitaufgenommen.
1.4. Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten des Parteiengehörs wurde unter Vorlage weiterer Beweismittel im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer durch die Endoprothesen links und rechts, und die beidseitige Rhizarthrose, starke Schmerzen habe, und dadurch die Beweglichkeit eingeschränkt würde, weshalb der Alltag schwer zu bewältigen sei. Die Schmerzen bei der Verrichtung von Alltagstätigkeiten seien sehr stark. Er sei seit der ersten Operation 2018 durchgehend im Krankenstand, weil an Arbeiten nicht zu denken sei. Er sei in Physiotherapie, und sei eine zweite Reha angeordnet worden.
Nachstehend angeführte Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:
1.5. Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten von DDr. XXXX , Fachärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie, sowie Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 14.10.2019, eingeholt, in welcher die Sachverständige im Wesentlichen Folgendes ausführt:
Lfd. Nr.
Funktionseinschränkung
Position
GdB
01
Schulterprothese beidseits Wahl dieser Fixposition, da gute Beweglichkeit in allen Ebenen.
02.06.04
30 vH
02
Rhizarthrose beidseits Wahl dieser Fixposition, da zwar fortgeschrittene radiologische Veränderungen und rezidivierende Beschwerden, jedoch keine Subluxationszeichen.
02.06.21
20 vH
03
Bluthochdruck Fixposition
05.01.01
10 vH
Gesamtgrad der Behinderung
40 vH
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Leiden 1 wird durch Leiden 2 wegen ungünstiger wechselseitiger Leidensbeeinflussung um eine Stufe erhöht. Leiden 3 erhöht nicht, da kein ungünstiges Zusammenwirken mit dem führendem Leiden 1 besteht.
1.6. Seitens der belangten Behörde wurde dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit gegeben zur Überprüfung des Ergebnisses des erweiterten Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.
1.7. Mit dem Bescheid vom 18.10.2019 hat die belangte Behörde den Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 2 sowie § 14 Abs. 1 und 2 BEinstG, aufgrund des in Höhe von 40 vH festgestellten Grades der Behinderung, abgewiesen.
Dem Bescheid wurden das Aktengutachten Dris. XXXX , und das auf persönlicher Untersuchung basierende Sachverständigengutachten Dris. XXXX , in Kopie beigelegt.
2. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage weiterer Beweismittel, wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Einschätzung nicht den tatsächlichen Gegebenheiten gerecht werde, da die beidseitigen Prothesen der Schultern, die hochgradigen Rhizarthrosen beidseits, sowie die hochgradigen Osteochonddrosen LWS L4/5 und HWS 5/6, zu körperlichen Einschränkungen im Alltag, und ständigen Schmerzen führen würden, wie auch sein behandelnder Arzt bestätige. Auch komme eine erhebliche psychische Belastung hinzu, weshalb der Status Psychicus keinesfalls der Beurteilung im Gutachten DDris. XXXX (Fachgebiet Orthopädie) entspreche. Es lägen soziophobe Zustände, eine depressive Reaktion, Angstzustände, und auf Grund des Krankenstandes, ein gravierender Mangel an sozialen Kontakten, vor. Er lege einen diesbezüglichen Befund vor. Das Ausmaß der Behinderung in der Gesamtheit sei nicht ausreichend gewürdigt worden.
Nachstehend angeführte Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:
2.1. Zur Überprüfung des Beschwerdevorbringens wurde von der belangten Behörde eine mit 03.01.2020 datierte ergänzende medizinische Stellungnahme von der bereits befassten Sachverständigen DDr. XXXX , basierend auf der Aktenlage, mit dem Ergebnis eingeholt, dass es hinsichtlich der Beurteilung der Funktionseinschränkung zu keiner Änderung komme.
Zu den Einwendungen führte die Sachverständige Folgendes aus:
"Maßgeblich für die Einstufung behinderungsrelevanter Leiden nach den Kriterien der EVO sind die bei der Begutachtung am 14.10.2019 anhand einer gründlichen allgemeinmedizinischen und orthopädischen Untersuchung und unter Beachtung sämtlicher vorgelegter Befunde festgestellten Behinderungen und Leidenszustände. Eine höhergradige Funktionseinschränkung konnte weder im Bereich der Schultergelenke noch Daumensattelgelenke festgestellt werden. Ein behinderungsrelevantes psychiatrisches Leiden ist nicht durch über einen längeren Zeitraum durchgängige Befunde und Behandlungsdokumentation belegt. Der vorgelegte Befund des Facharztes für Orthopädie steht nicht im Widerspruch zu getroffener Einstufung, festgestellte Funktionseinschränkungen der Schultergelenke und Daumensattelgelenke werden berücksichtigt. Befunde, die neue Tatsachen, noch nicht ausreihend berücksichtigte Leiden oder eine maßgebliche Verschlimmerung belegen könnten, wurden nicht vorgelegt. Die vorgebrachten Argumente beinhalten keine neuen Erkenntnisse, welche das vorhandene Begutachtungsergebnis entkräften könnten, sodass daran festgehalten wird".
2.2. Ohne dem Beschwerdeführer das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis zu bringen, hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.01.2020, im Rahmen der rechtzeitig ergangenen Beschwerdevorentscheidung, die fristgerecht eingelangte Beschwerde gegen den Bescheid vom 18.10.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Feststellung der Begünstigteneigenschaft, gemäß § 2, § 3, § 14 und § 19 BEinstG iVm § 14 VwGVG abgewiesen.
Als Beilage zum Bescheid wurde das Aktengutachten DDris. XXXX vom 03.01.2020 übermittelt.
3. Unter Vorlage eines fachärztlichen Befundbriefes Dris. XXXX , Facharzt für Psychiatrie, vom 29.01.2020, wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht beantragt. Unter Wiederholung des Beschwerdevorbringens wurde ergänzend zusammengefasst vorgebracht, dass das orthopädisch und das psychische Leiden in direkter Verbindung stünden. Es stehe eine Operation der Daumengelenke bevor, was wieder zu einem längeren Krankenstand führen werde, weshalb er fürchte, seinen Arbeitsplatz zu verlieren.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 19b Abs. 1 BEinstG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des § 14 Abs. 2 durch den Senat.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.
Zu A)
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.
Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus (vgl. u.a. 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016).
Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.
Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Das verwaltungsbehördliche Verfahren erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:
Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 3 BEinstG)
Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. (§ 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010 auszugsweise)
Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten. (§ 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010)
Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt die letzte rechtskräftige Entscheidung über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 vH
a) eines Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (der Schiedskommission) bzw. des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen oder der Bundesberufungskommission im Sinne des Bundesberufungskommissionsgesetzes, BGBl. I Nr. 150/2002, oder des Bundesverwaltungsgerichtes;
b) eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. eines nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, zuständigen Gerichtes;
c) eines Landeshauptmannes (des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) oder des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen in Verbindung mit der Amtsbescheinigung gemäß § 4 des Opferfürsorgegesetzes;
d) in Vollziehung der landesgesetzlichen Unfallfürsorge (§ 3 Z 2 Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 200/1967).
Die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Nachweis gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung. Die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten ( § 2 ) auf Grund der in lit. a bis d genannten Nachweise erlischt mit Ablauf des dritten Monates, der dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung folgt, sofern nicht der begünstigte Behinderte innerhalb dieser Frist gegenüber dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erklärt, weiterhin dem Personenkreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Personen angehören zu wollen. (§ 14 Abs. 1 BEinstG)
Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Menschen mit Behinderung das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung der Entscheidung folgt, mit der der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird. (§ 14 Abs. 2 BEinstG)
Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.
Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.
Der Beschwerdeführer hat im Rahmen des am 30.08.2019 erteilen Parteiengehörs einen Röntgenbefund der Wirbelsäule von 11.09.2019 in Vorlage gebracht, welcher eine hochgradige Osteochondrose L-4/L-5 sowie C-5/C-6 mit dorsaler Kantenspondylose, eine deutliche Spondylosis deformans thoracolumbalis, und eine Streckfehlhaltung der HWS und LWS, sowie einen minimalen Beckenschiefstand beschreibt. Im vorgelegten Sonographiebefund vom 02.07.2019 wird eine Steatosis Hepatis attestiert.
Im von der belangten Behörde zur Überprüfung eingeholten Sachverständigengutachten DDris. XXXX wird der Inhalt dieser Befunde zwar auszugsweise wiedergegeben, dennoch findet sich keine konkrete Auseinandersetzung mit den darin beschriebenen Gesundheitsschädigungen. So beschreibt die Sachverständige, dass im Rahmen der klinischen Untersuchung die Wirbelsäule in allen Ebenen frei beweglich gewesen sei, stellt aber nicht dar, wie dieser Status mit dem vorgelegten Röntgenbefund, in welchem hochgradige Osteochondrosen beschrieben sind, in Einklang zu bringen ist, bzw. weshalb die in diesen Befunden beschriebenen Gesundheitsschädigungen kein einschätzungsrelevantes Ausmaß erreichen. Auch hat der Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerde neuerlich darauf hingewiesen, ein relevantes Wirbelsäulenleiden zu haben, und hat einen orthopädischen Befund Dris. XXXX vom 06.11.2019 in Vorlage gebracht, welchem zu entnehmen ist, dass der Beschwerdeführer an schweren Degenerationen der LWS leide, er daher schweres Heben, und langes Sitzen, vermeiden solle, und insgesamt eine mehr als fünfzigprozentige Behinderung bestehe. lm von der belangten Behörde eingeholten Aktengutachten wird von DDr. XXXX zwar wieder auszugsweise aus dem Befund zitiert, es wird aber keinerlei Stellungnahme zu dem vom Beschwerdeführer vorgebrachten und dokumentierten Wirbelsäulenleiden abgegeben.
Auch wurde insgesamt auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht im Einzelnen eingegangen. Es wurden lediglich auszugsweise daraus zitiert, Aussagen über die Schwere der darin beschriebenen Gesundheitsschädigungen, bzw. Feststellungen hinsichtlich deren Auswirkungen und Einfluss auf den Grad der Behinderung, sind nicht getroffen worden.
Weiters hat der Beschwerdeführer vorgebracht, an soziophoben Zuständen, einer depressiven Reaktion, und Angstzuständen zu leiden, und hat dies durch die Vorlage eines fachärztlich psychiatrischen Befundberichtes vom 18.11.2019 untermauert. Es wird in diesem Befund dargestellt, dass eine Behandlung der psychischen Erkrankung mittels Medikation und Psychotherapie indiziert ist. Im zur Überprüfung eingeholten, auf der Aktenlage basierenden Gutachten DDris. XXXX , wird diesbezüglich lediglich festgehalten, dass ein behinderungsrelevantes psychiatrisches Leiden nicht durch über einen längeren Zeitraum gehenden Befunddokumentationen belegt ist. Weitere Ausführungen zu diesem Leiden sind dem Gutachten nicht zu entnehmen. Gegenständlich ist nicht nachvollziehbar, weshalb die belangte Behörde darauf verzichtet hat, ein Sachverständigengutachten der Fachrichtung Psychiatrie einzuholen. Zwar besteht kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch ist im vorliegenden Fall das von der belangten Behörde eingeholte - lediglich auf der Aktenlage basierende - Sachverständigengutachten zur Beurteilung des beim Beschwerdeführer vorgebrachten psychiatrischen Beschwerdebildes nicht geeignet. Aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass zusätzlich die Einholung eines Gutachtens der Fachrichtungen Psychiatrie unbedingt erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers (auch im Hinblick auf eine mögliche wechselseitige Leidensbeeinflussung der festgestellten Gesundheitsschädigungen) zu gewährleisten.
Die seitens des Entscheidungsorganes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.
Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).
Der Mangel wurde auch im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung nicht behoben.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat, und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens und der vorgelegten Beweismittel, unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen, zusätzlich zu den bereits eingeholten Sachverständigengutachten, ein auf die konkrete Fragestellung eingehendes Sachverständigengutachten der Fachrichtung Orthopädie, und ein Sachverständigengutachten der Fachrichtung Psychiatrie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, einzuholen, und die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.
Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.
Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen gravierend mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch der, mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren verbundene, erhöhte Aufwand.
Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG zweckmäßig. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass dem Beschwerdeführer zuletzt keine Möglichkeit gegeben wurde, zum Ergebnis der auf Grund der erhobenen Einwendungen erfolgten Überprüfung des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer hatte sohin keine Gelegenheit, der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegenzutreten und auszuführen ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015, Ra 2015/08/0171 vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0106 vom 24.02.2016) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.
Schlagworte
Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W132.2228258.1.00Im RIS seit
04.08.2020Zuletzt aktualisiert am
04.08.2020