TE Bvwg Beschluss 2020/6/8 W243 2223597-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.06.2020
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Entscheidungsdatum

08.06.2020

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch

W243 2223597-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marianne WEBER als Einzelrichterin über die Beschwerde des minderjährigen XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.08.2019, Zl. 1233232908-190578012, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 06.06.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Zur Person des Beschwerdeführers liegen keine EURODAC-Treffer vor.

2. Im Rahmen der durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten Erstbefragung vom 07.06.2019 brachte der Beschwerdeführer vor, an keinerlei Krankheiten oder gesundheitlichen Beschwerden zu leiden. Er habe keine Familienangehörigen in Österreich.

Zu seinem Reiseweg brachte er im Wesentlichen vor, dass er seinen Herkunftsstaat vor etwa 2,5 Jahren gemeinsam mit seiner Familie illegal in Richtung Iran verlassen habe. Danach seien sie in die Türkei weitergereist, wobei der Beschwerdeführer an der Grenze von seiner Familie getrennt worden sei. Er sei anschließend alleine weiter mittels Schlauchboot nach Griechenland gelangt, wo er sich etwa 1,5 Jahre aufgehalten habe. Die Lage in Griechenland sei sehr schlecht gewesen. Er sei in einem Heim für Minderjährige untergebracht worden und habe er sich von dem erhaltenen Taschengeld ein gefälschtes Identitätsdokument besorgt, mit dem er am gestrige Tage von Athen nach München geflogen sei. Von München sei er schließlich nach Österreich gelangt.

3. In der Folge richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) am 18.06.2018 ein auf Art. 34 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (in der Folge: Dublin III-VO), gestütztes Informationsersuchen an Griechenland, in welchem allgemein um Informationen zur Person des Beschwerdeführers ersucht wurde.

In ihrem Schriftsatz vom 20.06.2019 erläuterte die griechische Behörde, dass der Beschwerdeführer am 16.02.2018 in Griechenland um Asyl angesucht habe. Am 17.04.2019 sei ihm der Flüchtlingsstatus zuerkannt und eine Aufenthaltsberechtigung, gültig von 25.04.2019 bis 24.04.2022, erteilt worden. Die Dokumente habe der Beschwerdeführer nicht erhalten.

4. Bei der niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA am 19.07.2019 gab der minderjährige Beschwerdeführer im Beisein seiner gesetzlichen Vertretung und unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu Protokoll, sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen. Auf Befragung führte der Beschwerdeführer an, über keine Familienangehörigen in Österreich zu verfügen.

Auf Vorhalt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, da ihm in Griechenland der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei und er dort über eine Aufenthaltsberechtigung verfüge, führte der Beschwerdeführer an, dass sein Zielland Österreich gewesen sei. In Griechenland sehe er keine Zukunft; er habe dort nicht leben können, da er keine Schule besuchen habe können und alle Jugendlichen in seinem Alter drogenabhängig gewesen seien. Die anderen männlichen Jugendlichen, die mit ihm zusammengelebt hätten, hätten ihn zum Verkauf von Drogen zwingen wollen, er habe jedoch immer eine Ausrede gefunden, um dies nicht tun zu müssen. In dem Heim für Minderjährige habe er monatlich 30 ? Taschengeld bekommen, welches er für die Ausstellung falscher Papiere gespart habe. Sein Leben in Österreich sei ganz gut und wolle er hier die Sprache lernen.

Auf Nachfrage seitens seiner gesetzlichen Vertretung gab der Beschwerdeführer weiters zu Protokoll, dass er in Griechenland keine richtige Schule besucht habe, sondern lediglich einen Sprachkurs. Eine Tagesstruktur habe es in Griechenland nicht gegeben.

Der gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers wurde auf Antrag eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.

5. Mit Stellungnahme vom 02.08.2019 brachte die gesetzliche Vertretung des minderjährigen Beschwerdeführers unter Verweis auf einen näher zitierten Bericht vor, dass die Versorgung und die Lebensbedingungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Griechenland äußerst prekär seien und die Menschen- und Kinderrechte von Minderjährigen ebendort verletzt würden. Es sei offensichtlich, dass eine Rücküberstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland eine Kindeswohlgefährdung bedeuten würde.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich der Beschwerdeführer nach Griechenland zurückzubegeben habe (Spruchpunkt I). Gleichzeitig wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Unter einem wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG die Außerlandesbringung nach § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung nach Griechenland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Zur Lage in Griechenland traf das BFA folgende Feststellungen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Griechenland, Gesamtaktualisierung am 20.10.2017; unkorrigiert durch das Bundesverwaltungsgericht):

"Schutzberechtigte

2017 erhielten in Griechenland bis Ende August 2017 5.461 Personen in erster Instanz internationalen Schutz, weitere 478 erhielten in erster Instanz subsidiären Schutz (HR 31.8.2017).

Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte erhalten zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Humanitär Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre. Die Aufenthaltserlaubnis wird in der Regel ein bis zwei Monate nach der Entscheidung ausgestellt. In der Zwischenzeit gilt die Asylwerberkarte mit dem Stempel "Pending Residence Permit". Nach fünf Jahren Aufenthalt kommt ein Flüchtling für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung infrage, wenn er bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Gemäß Gesetz haben Flüchtlinge in Griechenland dieselben sozialen Rechte wie griechische Staatsbürger, aber bürokratische Hürden, staatliche Handlungsdefizite, mangelnde Umsetzung des Gesetzes und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise können den Genuss dieser Rechte schmälern. Schutzberechtigte haben Zugang zu Unterbringungseinrichtungen für Obdachlose, die jedoch nur begrenzt vorhanden sind. Eigene Unterbringungsplätze für anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte existieren nicht. Es gibt auch keine Unterstützung für die Lebenshaltungskosten. In Athen etwa gibt es vier Asyle für Obdachlose (zugänglich für griechische Staatsbürger und legal aufhältige Drittstaatsangehörige). Aber es ist äußerst schwierig, dort zugelassen zu werden, da sie chronisch überfüllt sind. Personen, die keine Unterkunft haben und nicht das Geld besitzen eine zu mieten, leben oft in überfüllten Wohnungen, verlassenen Häusern oder werden obdachlos. Die Gesetze sehen einen vollständigen und automatischen Zugang zum Arbeitsmarkt für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte vor, ohne Verpflichtung zur Erlangung einer Arbeitserlaubnis. Aber die Krise, hohe Arbeitslosenquoten und weitere Hindernisse stehen der Integration der Schutzberechtigten in den Arbeitsmarkt entgegen. Es gibt keine staatlich organisierten kostenlosen Sprachkurse für Schutzberechtigte. Nur ein paar NGOs unterhalten entsprechende Programme für Flüchtlinge und Immigranten. Kostenloser Zugang zu Krankenversorgung für Schutzberechtigte ist gesetzlich vorgesehen, allerdings erschweren die Auswirkungen der Finanzkrise auf das Gesundheitssystem und strukturelle Mängel (etwa an Kulturmediatoren und Übersetzern) auch für Schutzberechtigte den Zugang zu medizinischer Versorgung (AIDA 3.2017).

Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine erneuerbare Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Sie haben Zugang zum Arbeitsmarkt, zu medizinischer Behandlung und ihre Kinder können zur Schule gehen. Jedoch stellt der griechische Staat keine Unterbringung zur Verfügung und gewährt auch keine Beihilfen, außer für Behinderte jeglicher Art (HR o.D.a).

Folgendes Diagramm der griechischen Asylbehörde veranschaulicht die Rechte anerkannter Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigter in Griechenland:

Bild kann nicht dargestellt werden

(HR 2.2017b)

Der rechtzeitige Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung wird von einigen NGOs als eines der größten Probleme für Asylwerber, Migranten und Flüchtlinge in Griechenland betrachtet und stark in Zweifel gezogen. Dies betrifft besonders Personen, die eine orthopädische Operation, Rehabilitation oder Behandlung chronischer physischer oder psychischer Krankheiten benötigen (HRW 18.1.2017; vgl. AIDA 3.2017).

Asylwerber und Asylberechtigte erhalten dieselbe Versorgung mit Medikamenten wie arbeitslose und nicht versicherte griechische Staatsangehörige. Die Ausstellung des Rezeptes erfolgt durch das Krankenhaus oder Ärzte. Anteilsmäßige Gebühren werden je nach Einkommen (20%, 10% oder 0%) verrechnet. Seit einigen Jahren gibt es in Griechenland zusätzlich zu den öffentlichen Apotheken sogenannte "Sozial-Apotheken", die hauptsächlich von Freiwilligen, pensionierten Apothekern oder Ärzten, NGOs usw. betrieben werden. Finanziert und ausgestattet werden diese durch Spenden von Firmen, Apotheken, Pharmafirmen und durch Rückgabe von nicht verbrauchten Medikamenten aus privatem Bestand (dies wird sogar im griechischen TV beworben). Bei diesen Sozial-Apotheken kann jegliche einkommenslose Person (Statement und Nachweis erforderlich) kostenfrei Medikamente erhalten. Die Ausgabe von rezeptpflichtigen Medikamenten wird von einem Arzt überprüft (VB 20.7.2017).

UNHCR arbeitet daran den Zugang der Asylwerber und anerkannten Flüchtlinge zu medizinischer Versorgung zu verbessern und kooperiert hierzu mit staatlichen Stellen (UNHCR 10.2017).

Die derzeitigen Lebensbedingungen von Schutzberechtigten in Griechenland werden von NGOs sehr negativ gesehen, da nicht nur ein Mangel an Integrationsaussichten in die griechische Gesellschaft besteht, sondern oftmals unzureichende Lebensbedingungen, eine prekäre sozioökonomische Situation oder gar Probleme bei der grundlegenden Existenzsicherung bestehen. Finanzielle oder soziale Unterstützung oder gezielte Integrationsmaßnahmen fehlen. Es gibt keine speziell für sie gewidmeten Wohnprojekte. Viele Schutzberechtigte leben in verlassenen Häusern, in überfüllten Mietwohnungen, in Abbruchhäusern, leeren Fabrikhallen, bei Freunden oder auf der Straße. Andere bleiben für mehrere Monate nach ihrer Anerkennung in den Unterbringungslagern oder der UNHCR-Unterbringung oder gar in den Hotspots. Die meisten Schutzberechtigten in Griechenland sind arbeitslos, andere arbeiten für wenig Geld in der Schattenwirtschaft. Der gleichberechtigte Zugang zu sozialen Rechten wie für griechische Staatsangehörige ist in der Praxis durch verschiedene Faktoren erschwert (z.B. mangelnde Sprachkenntnisse, mangelndes Wissen über Rechte von Schutzberechtigten, Mangel an Dokumenten bzw. Probleme beim Zugang zu diesen Dokumenten, Bürokratie, etc.). Viele sind über ihre Rechte und Pflichten nicht informiert. Beim Zugang zu Sozialleistungen und zum Gesundheits- und Bildungssystem bestehen ebenso faktische Einschränkungen (z.B. Sprachbarriere, Unwissenheit beim medizinischen Personal betreffend die Rechte von AW und ein generell unterfinanziertes Gesundheitssystem). Der allgemeine Mangel im System als Folge von erheblichen Einschnitten infolge der Wirtschaftskrise, tut ein Übriges. Im Jänner 2017 lag die Arbeitslosenquote in Griechenland bei 23,5%, bei den Personen unter 24 Jahren sogar bei 48%. Die genaue Zahl der momentan in Griechenland aufhältigen Schutzberechtigten Personen ist unbekannt. Es gibt Berichte über Schutzberechtigte, die aus anderen EU-Ländern nach Griechenland zurückgeschickt wurden und ohne jegliche Versorgung auf sich gestellt und obdachlos waren (PA/RSA 23.6.2017).

Im August haben NGOs gegenüber griechischen Behörden Fragen bezüglich Integrationsmaßnah-men aufgeworfen. Sie äußerten die Besorgnis über das Fehlen eines Unterbringungsprogramms für anerkannte Flüchtlinge in Griechenland. Es wurde auch dazu aufgerufen den Zugang von Antragstellern zu Sozialversicherungsnummer, Steuernummer und Arbeitslosenkarten zu verbessern. Es wurde offiziell verlautbart, dass eine umfassende soziale Integrationspolitik für Flüchtlinge und Migranten zu den Prioritäten der Regierung für Ende 2017 gehört (UNHCR 8.2017; vgl. UNHCR 10.2017).

Quellen:

- AIDA - Asylum Information Database (3.2017): GCR - Greek Council for Refugees / ECRE - European Council on Refugees and Exiles: Country Report Greece, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_gr_2016update.pdf, Zugriff 4.4.2017

- HR - Hellenic Republic (31.8.2017): Statistical Data of the Greek Asylum Service (from 7.6.2013 to 31.8.2017), http://asylo.gov.gr/en/wp-content/uploads/2017/09/Greek_Asylum_Service_Statistical_Data_EN.pdf, Zugriff 2.10.2017

- HR - Hellenic Republic (2.2017b): Rights of Beneficiaries of International Protection, http://asylo.gov.gr/en/wp-content/uploads/2017/02/Rights-of-beneficiaries-of-international-protection-2.2017.jpg, Zugriff 2.10.2017

- HR - Hellenic Republic (o.D.a): Answers to questions regarding the rights of international protection applicants and beneficiaries of international protection, http://asylo.gov.gr/en/wp-content/uploads/2017/09/t?se...pa?t?se...-a?t?te?-psfe?-18.2.15-English.pdf, Zugriff 2.10.2017

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2017): Greece. Refugees with Disabilities Overlooked, Underserved - Identify People with Disabilities; Ensure Access to Services, https://www.ecoi.net/local_link/334948/476771_de.html, Zugriff 27.3.2017

- PA/RSA - Pro Asyl / Refugee Support Aegean (23.6.2017): Legal Note. On the living conditions of beneficiaries of international protection in Greece. Rights and effective protection exist only on paper: The precarious existence of beneficiaries of international protection in Greece, https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/2017-06-26-Legal-note-RSA-beneficiaries-of-international-protection-in-Greece.pdf, Zugriff 11.10.2017

- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (8.2017): Europe Monthly Report, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/59081, Zugriff 29.9.2017

- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (10.2017): Fact Sheet Greece, per E-Mail

- VB des BM.I Griechenland (20.7.2017), Auskunft VB, per E-Mail"

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass sich keine Hinweise ergeben hätten, dass der Beschwerdeführer an lebensbedrohenden Krankheiten leide. Aus der Aktenlage stehe fest, dass dem Beschwerdeführer in Griechenland der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Aus den Angaben des Beschwerdeführers sei keine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte feststellbar.

In der rechtlichen Beurteilung wurde festgehalten, es bestehe kein Grund daran zu zweifeln, dass Griechenland seine sich aus der GFK und Statusrichtlinie ergebenden Verpflichtungen nicht erfülle. Es sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer dort Schutz vor Verfolgung gefunden habe. Es hätten sich aus der Aktenlage keine Hinweise auf das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 57 AsylG 2005 für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" ergeben. Die Anordnung zur Außerlandesbringung würde nicht zu einer relevanten Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 7 GRC führen.

7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht im Wege der gesetzlichen Vertretung des minderjährigen Beschwerdeführers eingebrachte Beschwerde vom 17.09.2019, die mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden wurde. Darin wird im Wesentlichen bemängelt, dass Berichte über die Situation von Minderjährigen in den Länderfeststellungen fehlten. Auf die spezielle Situation und die Bedürfnisse unbegleiteter minderjähriger Schutzberechtigter werde nicht eingegangen. Weiters sei im Sinne des EGMR-Urteils vom 04.11.2014, Tarakhel vs. Switzerland, keine Einzelfallzusicherung im gegenständlichen Fall eingeholt worden. Schließlich stehe eine Außerlandesbringung dem Kindeswohl entgegen und sei eine solche daher unzulässig. Die belangte Behörde habe sich auch nur sehr unzureichend mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. So sei in Griechenland keinerlei Tagesstruktur vorhanden gewesen, sodass er den älteren Personen in seiner Unterkunft, die einen schlechten und kriminellen Einfluss auf ihn ausgeübt hätten, ausgeliefert gewesen sei. Aufgrund der von der belangten Behörde selbst herangezogenen Berichte hätte diese zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine Ausweisung des Beschwerdeführers eine Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde.

8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.09.2019, GZ. W185 2223597-1/3Z, wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der minderjährige Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger von Afghanistan und stellte nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 06.06.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Zuvor stellte der minderjährige Beschwerdeführer am 16.02.2018 in Griechenland einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. In Griechenland wurde ihm am 17.04.2019 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt und eine von 25.04.2019 bis 24.04.2022 gültige Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Die oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Situation von Schutzberechtigten im Mitgliedstaat Griechenland entsprechen dem Stand vom 20.10.2017 und beinhalten lediglich die Lage von erwachsenen Schutzberechtigten. Feststellungen zur speziellen Situation von minderjährigen, alleinstehenden Schutzberechtigten in Griechenland fehlen zur Gänze.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Zusammenhalt mit den Auskünften der griechischen Dublin-Behörde sowie den Ausführungen im angefochtenen Bescheid und der Beschwerde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Aufhebung des angefochtenen Bescheides:

3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:

"§ 4a. Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat.

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3.-5. [...]

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2)-(3) [...]

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

----------

1.-wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2.-zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.-wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2)-(4) [...]

§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1.-der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2.--5. [...]

(2)-(14) [...]"

3.2. § 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

----------

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

"§ 21. (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

3.3. § 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet:

"§ 61. (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. [...]

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird."

3.4. Im gegenständlichen Verfahren ging das BFA unter Zugrundelegung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zunächst zutreffenderweise davon aus, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zurückzuweisen war, da diesem in Griechenland der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Allerdings wäre jedoch die Wahrnehmung der im nunmehr angefochtenen Bescheid festgestellten Unzuständigkeit Österreichs dann unzulässig, wenn der Beschwerdeführer dadurch in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt werden würde. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673; 08.09.2015, Ra 2015/18/0113-0120) ist im Zuständigkeitsverfahren nämlich aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat, die auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung der aktuellen Berichtslage unter Bedachtnahme auf die individuelle Lage des betroffenen Beschwerdeführers zu erfolgen hat.

Im vorliegenden Fall kann jedoch die allfällige Verpflichtung der Republik Österreich zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes noch nicht abschließend beurteilt werden. Denn die behördlichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid zur Lage in Griechenland befassen sich ausschließlich mit der Situation von erwachsenen Schutzberechtigten. Wie sich die Lage für minderjährige Schutzberechtigte in Griechenland darstellt, lässt sich den herangezogenen Länderberichten jedoch nicht entnehmen. Vor dem Hintergrund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers, die seitens des BFA zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens in Zweifel gezogen wurde, hätte sich das BFA aber jedenfalls mit der aktuellen Situation von minderjährigen Schutzberechtigten in Griechenland auseinandersetzen müssen und ausgehend davon die Frage zu klären gehabt, ob in Griechenland aktuell für minderjährige Personen bzw. konkret für den minderjährigen Beschwerdeführer eine Situation vorherrschen könnte, die einen Selbsteintritt Österreichs zur Vermeidung einer Grundrechtsverletzung nach Art. 3 EMRK (bzw. Art. 4 GRC) geboten erscheinen lässt.

Weiters wurde - wie in der Beschwerde zutreffend moniert - keine Kindeswohlprüfung durchgeführt. In der Beschwerde wurde zu Recht darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer als minderjährige und unbegleitete Person besonders vulnerabel ist und der Grundsatz des Kindeswohls, welcher fest im Unionsrecht verankert ist, im Sinne einer Interessensabwägung im Einzelfall über andere Interessen zu stellen sein könnte. So ist den Ausführungen in der Beschwerde zuzustimmen, dass sich das BFA im gegenständlichen Bescheid in keiner Weise mit diesem Grundsatz auseinandergesetzt hat.

Das BFA wird im fortgesetzten Verfahren einerseits eine Kindeswohlprüfung durchzuführen sowie andererseits auch aktuelle Feststellungen zur Situation minderjähriger alleinstehender Personen in Griechenland ins Verfahren einzubringen haben, um eine Gefährdung im Falle einer Außerlandesbringung des Beschwerdeführers nach Griechenland ausschließen zu können. Schließlich werden diese aktuellen Länderberichte dem Beschwerdeführer zur Kenntnis zu bringen sein, wobei im Rahmen der Kindeswohlprüfung auch der Obsorgeberechtigte bzw. ein örtlicher Kinder- und Jugendhilfeträger einzubinden sein wird, und schließlich in Relation zum Vorbringen des Beschwerdeführers zu setzen sein.

3.5. Gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wurde.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die tragenden Elemente der Entscheidung liegen allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedstaat, welche sich aus den umfassenden und aktuellen Länderberichten ergibt, weiters im Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin sowie in der Bewertung der Intensität ihrer privaten und familiären Interessen und demgemäß in Tatbestandsfragen.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

aktuelle Gefahr Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation Kindeswohl mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W243.2223597.1.00

Im RIS seit

04.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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