TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/10 W217 2231678-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.06.2020
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Entscheidungsdatum

10.06.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W217 2231678-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ulrike LECHNER LL.M sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER BA, MA als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 03.01.2020, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Herr XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer) beantragte am 01.10.2019 einlangend unter Beilage eines medizinischen Befundes eines Facharztes für Orthopädie die Ausstellung eines Behindertenpasses.

Im daraufhin eingeholten Sachverständigengutachten vom 03.12.2019, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 28.11.2019, wurde von DDr. XXXX , Fachärztin für Orthopädie, Folgendes festgehalten:

"Anamnese:

Operationen: AE, TE

Nierensteinentfernung 03/2019, sonst keine weitere Operation

Abnützungserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates, chronische Lumbalgie, Beschwerden im Bereich beider Hüftgelenke

Derzeitige Beschwerden:

?Beschwerden habe ich vor allem in der Wirbelsäule und in den Hüftgelenken, und in den Schultern, kann nur 50 m gehen, dann muss ich eine Pause machen. Beantrage daher den Parkausweis. Bekomme einmal im Jahr Akupunktur und Hyaluronspritzen in die Hüftgelenke. Habe eine Inkontinenz, komme nicht so schnell zum WC, Einlagen trage ich nicht.

Bin immer wieder beim Lungenfacharzt, etwa alle 3 Monate, habe immer wieder Atemnot und nehme Medikamente. Hergekommen bin ich mit einer Begleitperson mit dem Auto, wurde gebracht.'

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Medikamente: Euthyrox, Aglandin, Symbicort, Dutaglandin

Allergie: 0

Nikotin: 0

Hilfsmittel: keine

Sozialanamnese:

verheiratet, eine Tochter, lebt in Wohnung im 1. Stockwerk mit Lift.

Berufsanamnese: Berufssoldat, Beamter im Ruhestand

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Dr. XXXX 13.09.2019 (Chronisches Schmerzsyndrom im Bereich d. LWS und Hüften bds bei bekannt degenerativen Veränderungen; Diagnose LWS Syndrom, Osteochondrose L4-S1 Wurzelreizsyndrom S1 11., Verkürzung Ischiokrural bas., Facettensyndrom LWS)

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

gut, 80 Jahre

Ernährungszustand:

gut

Größe: 176,00 cm Gewicht: 95,00 kg Blutdruck:

Klinischer Status - Fachstatus:

Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen, sichtbare Schleimhautpartien unauffällig, Pupillen rund, isocor, prompte Reaktion auf Licht. Halsvenen nicht gestaut.

Thorax: symmetrisch, elastisch

Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA, keine Rasselgeräusche, keine obstruktiven Geräusche, Lungenbasen etwas tiefer stehend. HAT rein, rhythmisch. Keine Dyspnoe, keine Zyanose.

Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.

Integument: unauffällig

Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:

Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, seitengleich mittelkräftig entwickelte Muskelverhältnisse. Die Durchblutung ist ungestört, Radialispulse beidseits tastbar, die Sensibilität wird als ungestört angegeben.

Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden.

Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Schultern, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig.

Nacken- und Schürzengriff sind endlagig eingeschränkt durchführbar.

Becken und beide unteren Extremitäten:

Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits mit Anhalten und ohne Einsinken durchführbar.

Der Einbeinstand ist mit Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist zu einem Drittel möglich.

Die Beinachse ist gerade. Seitengleich mittelkräftig entwickelte Muskelverhältnisse. Beinlänge ident.

Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird im Bereich des linken Unterschenkels als gestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.

Hüftgelenke beidseits: kein Stauchungsschmerz, kein Rotationsschmerz

Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Hüften endlagig eingeschränkt, Knie, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.

Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 80° bei KG 5 möglich.

Wirbelsäule:

Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet, geringgradig Hartspann. Kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule, ISG und Ischiadicusdruckpunkte sind frei.

Aktive Beweglichkeit:

HWS: in allen Ebenen frei beweglich

BWS/LWS: FBA: 20 cm, Rotation und Seitneigen jeweils 20°

Lasegue bds. negativ, geprüfte Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen ohne Hilfsmittel, das Gangbild ist etwas kleinschrittig, hinkfrei, etwas verlangsamt, Richtungswechsel sicher möglich.

Bewegungsabläufe verlangsamt, jedoch nicht eingeschränkt. Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.

Status Psychicus:

Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Abnützungserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates Unterer Rahmensatz, da rezidivierende Beschwerden vor allem im Bereich der Lendenwirbelsäule und Hüftgelenke mit mäßigen funktionellen Einschränkungen.

02.02.02

30

Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

-

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Harninkontinenz: nicht durch aktuelle fachärztliche Befunde belegt

Lungenfunktionseinschränkung: nicht durch aktuelle fachärztliche Befunde belegt

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

kein Vorgutachten vorliegend

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

-

X Dauerzustand

(...)"

2. Mit Bescheid vom 03.01.2020 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab. Begründend wurde ausgeführt, dass die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung von 30 % ergeben habe, weshalb die Voraussetzungen für die Ausstellung des Behindertenpasses nicht vorliegen würden.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer unter Beilage neuer Befunde fristgerecht Beschwerde.

4. Die belangte Behörde holte in der Folge ein weiteres Sachverständigengutachten ein.

Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, hält in seinem Gutachten aufgrund der Aktenlage vom 11.02.2020 Folgendes fest:

"Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

letzte hierortige Einstufung 11/2019, DDr.in XXXX mit 30% (Abnützungserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates) Dagegen Widerspruch mit Vorlage neuer Befunde:

20201-1 Dr. XXXX , Lunge: COPD II, Rezidiv, resp. Infekt

2019-9 ür. XXXX , Urologin: Prostatahyperplasie; Nierenzyste li.; Drangsymptomatik, St. p. URS sin.

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:

Euthyrox, Aglandin, Symbicort, Dutaglandin, Santizor ret.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Abnützungserscheinungen des Stütz-und Bewegungsapparates Unterer Rahmensatz, da rezidivierende Beschwerden vor allem im Bereich der Lendenwirbelsäule und Hüftgelenke mit mäßigen funktionellen Einschränkungen

02.02.02

30

2

chronisch obstruktive Atemwegserkrankung Heranziehung dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da im Stadium II unter regelmäßiger Medikamenteneinnahme Stabilisierung möglich

06.06.02

30

3

Prostatahyperplasie Heranziehung dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da Drangsymptomatik dokumentiert

08.01.06

10

Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 2 erhöht nicht weiter, da keine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung besteht.

Leiden 3 erhöht nicht, da von zu geringer funktioneller Relevanz

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: Erstmalige Berücksichtigung von Leiden 2+3

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

keine Änderung, da keine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung mit den neu berücksichtigten Leiden vorliegt

X Dauerzustand

(...)"

5. Mit Schreiben vom 12.02.2020 übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer das Sachverständigengutachten von Dr. XXXX zur Kenntnisnahme und allfälligen Stellungnahme binnen zweier Wochen. Diese Frist verstrich ungenützt.

6. Am 08.06.2020 langte die Beschwerde samt Fremdakt beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die belangte Behörde wies in ihrem Schreiben darauf hin, dass eine Beschwerdevorentscheidung innerhalb der Frist aufgrund der Maßnahmen im Zusammenhang mit der Coronakrise nicht möglich gewesen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist am XXXX geboren, besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft und hat seinen Wohnsitz im Inland.

1.2. Der Beschwerdeführer begehrte am 01.10.2019 die Ausstellung eines Behindertenpasses bei der belangten Behörde.

1.3. Beim Beschwerdeführer liegen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden, vor:

Lfd. Nr.

 

Pos.Nr.

Gdb %

1

Abnützungserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates

02.02.02

30

2

chronisch obstruktive Atemwegserkrankung

06.06.02

30

3

Prostatahyperplasie

08.01.06

10

1.4. Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 30 v.H.

2.

Beweiswürdigung:

Zu 1.2) Die Feststellung hinsichtlich der Antragsstellung auf Ausstellung eines Behindertenpasses gründet auf dem diesbezüglich schlüssigen Akteninhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Fremdaktes.

Zu 1.3 bis 1.4) Die Feststellungen zur Höhe des Gesamtgrades der Behinderung und der Art und dem Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich auf die von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten von DDr. XXXX , basierend auf der persönlichen Untersuchung am 28.11.2019 des Beschwerdeführers, sowie auf dem Aktengutachten von Dr. XXXX vom 11.02.2020.

Darin wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei, im Einklang mit der medizinischen Wissenschaft und den Denkgesetzen, eingegangen, wobei die vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunde und Beweismittel im Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme umfassend Berücksichtigung gefunden haben.

Die getroffenen Einschätzungen basieren auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund von DDr. XXXX sowie auf dem Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage von Dr. XXXX und entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen. Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers wurde mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. eingeschätzt.

Im Beschwerdeschriftsatz wurde lediglich ein neuer Befund einer Fachärztin für Urologie vom 30.09.2019 sowie ein lungenfachärztlicher Befund vom 22.01.2020 vorgelegt. Diese beiden neuen Befunde wurden vom Sachverständigen Dr. XXXX in seinem Gutachten vom 11.02.2020 berücksichtigt und sohin die Funktionseinschränkungen Leiden Nr. 2 "chronisch obstruktive Atemwegserkrankung" sowie Leiden Nr. 3 "Prostatahyperplasmie" mit 30% bzw. 10% eingeschätzt. Insgesamt stellte der Sachverständige fest, dass das Leiden 2 nicht weiter erhöht, da keine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung besteht; Leiden 3 erhöht ebenfalls nicht, da es von zu geringer funktioneller Relevanz ist.

Der Beschwerdeführer ist den von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachten vom 03.12.2019 und vom 11.02.2020. Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

Aufgrund der vom Beschwerdeführer im Verfahren vorgelegten Unterlagen und einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers konnte gegenwärtig kein höherer Grad der Behinderung als 30 v.H. objektiviert werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu Spruchpunkt A)

Zur Entscheidung in der Sache

Unter Behinderung iSd Bundesbehindertengesetz (BBG) ist gemäß dessen § 1 Abs 2 leg.cit. die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktion zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

§ 40 Abs. 1 BBG normiert, dass behinderte Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG), BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist (§ 40 Abs. 2 BBG).

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010 idF BGBl II 251/2012) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung BGBl II 261/2010 idF BGBl II 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung:

§ 2 Abs. 1 Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

Gemäß § 3 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung ist eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

Gemäß Abs. 2 leg.cit. ist bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit diese durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.

Wie oben unter Punkt II.2. ausgeführt, werden der gegenständlichen Entscheidung die oben dargestellten Sachverständigengutachten vom 03.12.2019 und vom 11.02.2020 zu Grunde gelegt, aus denen sich ein Grad der Behinderung des Beschwerdeführers von 30 v. H. ergibt.

In diesen Gutachten wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß ausführlich, schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Die medizinischen Sachverständigen setzen sich mit den vorgelegten Befunden, die in den Gutachten angeführt sind, sowie auch mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden objektivierten Gesundheitsschädigungen auseinander.

Der Beschwerdeführer ist den Ausführungen der beigezogenen medizinischen Sachverständigen, denen das Bundesverwaltungsgericht folgt, im Ergebnis nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, er hat - wie bereits oben ausgeführt - kein aktuelles Sachverständigengutachten bzw. keine sachverständige Aussage vorgelegt, in welcher in sachverhaltsbezogener und rechtlich erheblicher Form die Auffassung vertreten worden wäre, dass die Befundnahmen und Schlussfolgerungen der dem gegenständlichen Verfahren beigezogenen Sachverständigen unzutreffend oder unschlüssig seien.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag, oder wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG).

Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (§ 24 Abs. 1 VwGVG).

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Eine Verhandlung ist demnach in jenen Fällen durchzuführen, wenn ?civil rights' oder ?strafrechtliche Anklagen' iSd Art. 6 MRK oder die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte betroffen sind und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (VwGH 9.9.2014, Ro 2014/09/0049).

Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten.

Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs. 1 MRK noch Art 47 GRC entgegenstehen (§ 24 Abs. 4 VwGVG).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung sind die Art und das Ausmaß der beim Beschwerdeführer festgestellten Funktionseinschränkungen im Hinblick auf deren Einschätzung des durch sie bedingten Grades der Behinderung. Im gegenständlichen Fall bilden medizinische Sachverständigengutachten die Grundlage für die Beurteilung der Höhe des Gesamtgrades der Behinderung. In diesen wurden die Funktionsbeeinträchtigungen des Beschwerdeführers nachvollziehbar, vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. bewertet.

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund der eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten als geklärt anzusehen. Da die Klärung der Rechtssache durch eine eingehende Auseinandersetzung mit den Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin durch ein medizinisches Sachverständigengutachten erfolgte und bedingt durch die dort nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen bedurfte es keiner weiteren Klärung der Rechtssache.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W217.2231678.1.00

Im RIS seit

04.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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