TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/17 W217 2228554-1

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Veröffentlicht am 17.06.2020
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Entscheidungsdatum

17.06.2020

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W217 2228554-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia Stiefelmeyer als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ulrike LECHNER, LL.M. sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER BA, MA als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, NÖ und Bgld., gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 18.11.2019, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 29.01.2020, OB: XXXX , betreffend die Feststellung der Aberkennung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung", zu Recht erkannt:

I.

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, gemäß § 28 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) idgF behoben.

II.

DIE REVISION IST GEMÄß ART 133 ABS. 4 B-VG NICHT ZULÄSSIG.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Frau XXXX (in der Folge: BF) ist seit 24.06.2008 Inhaberin eines unbefristet ausgestellten Behindertenpasses mit einem festgestellten Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 50 v.H.

Seit 05.07.2011 verfügt die BF über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung".

Im hierzu von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 06.07.2011 wurden folgende Funktionseinschränkungen festgestellt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1 2 3

Zustand nach Klumpfuß-Operation links und Knick-Senkfuß Angststörung, Soziophobie und Depression Cervikalsyndrom

151 585 190

40 40 20

Hinsichtlich der Frage, ob aufgrund der funktionellen Einschränkungen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung vorliegen, wurde das Kästchen "JA" angekreuzt.

Eine nähere Begründung hierzu wurde nicht festgehalten.

2. Am 16.04.2019 einlangend begehrte die BF die Neufestsetzung des Grades der Behinderung. Diesem Antrag wurde ein Konvolut an medizinischen Beweismitteln beigelegt.

3. In weiterer Folge wurde hinsichtlich des Verfahrens auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung ein medizinisches Sachverständigengutachten auf Grundlage der durch die BF vorgelegten Befunde sowie einer am 03.09.2019 durchgeführten Begutachtung durch Frau Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, erstellt. Darin wurde Folgendes ausgeführt:

"(..)

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Knick-Senkfuß links bei Zustand nach Klumpfuß-Operation

02.05.36

40

2

Angststörungen mit Panikattacken

03.04.01

30

3

Degenerative Veränderungen in der Wirbelsäule mit Funktionseinschränkungen geringen Grades.

02.01.01

20

4

Beinlängendifferenz unter 3cm

02.05.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

(...)

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Beurteilung nach Einschätzungsverordnung (EVO), Vorgutachten nach Richtsatzverordnung, Leiden 1 gleichbleibend, Leiden 2 gemäß der EVO um 1 Stufe herabgesetzt, zumal keine regelmäßige psychiatrische Betreuung erforderlich ist und Psychotherapie bedarfsweise in Anspruch genommen wird, Leiden 3 gleichbleibend, Leiden 4 neu erfasst, der GesamtGdB gleichbleibend.

X Dauerzustand

(...)

1. Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel - welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Es liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule vor, welche das Zurücklegen kurzer Wegstrecken, das Einsteigen und Aussteigen sowie den sicheren Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich und dauerhaft einschränken. Ausreichende Gangsicherheit kann auch ohne Verwendung einer Gehhilfe festgestellt werden. Die Beschwerden vor allem im Bereich der Wirbelsäule und im linken Fuß führen zwar zu einer geringgradigen Einschränkung der Gehstrecke, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Kurze Wegstrecken von etwa 300-400 m können alleine, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe, ohne fremde Hilfe und ohne Pause zurückgelegt werden. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen möglich ist. Die Gesamtmobilität ist nicht wesentlich eingeschränkt, Kraft und Koordination sind gut. Im Bereich der oberen Extremitäten liegen keine höhergradigen Funktionseinschränkungen vor, das Erreichen von Haltegriffen und das Festhalten ist nicht eingeschränkt, sodass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist. Da das psychische Leiden nicht ausschließlich oder vorwiegend im Kontext der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auftritt, Klaustrophobie und Angst vor Kontrollverlust in Menschenmengen nicht wesentliche Bestandteile des Leidens sind und ferner auch die diesbezüglichen Behandlungsoptionen nicht nachweislich ausgeschöpft wurden, ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein"

4. Mit Schreiben vom 11.10.2019 brachte das Sozialministeriumservice der BF das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnisnahme und allfälliger Stellungnahme binnen 3 Wochen.

5. Binnen offener Frist führte die BF aus, da sich ihr Gesundheitszustand in den letzten Jahren nicht verbessert, sondern verschlechtert habe, könne sie das Ergebnis der Untersuchung nicht nachvollziehen und ersuche um eine neuerliche Bearbeitung.

6. In ihrer Stellungnahme vom 30.10.2019 führt die bereits befasste Ärztin für Allgemeinmedizin aus:

"Antwort(en):

Frau XXXX erklärt sich mit dem Ergebnis vom 03.09.2019 nicht einverstanden, sie beantragt die Zusatzeintragung ?Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel'.

Laut den geltenden Richtlinien werden die medizinischen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung ?Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel' nicht erfüllt, da keine maßgeblichen Mobilitätseinschränkung vorliegt, bzw. Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angst vor Kontrollverlust nicht wesentliche Bestandteile des psychischen Leidens sind.

Wie schon im Gutachten ausführlich begründet liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule vor, welche das Zurücklegen kurzer Wegstrecken, das Einsteigen und Aussteigen sowie den sicheren Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln erheblich und dauerhaft einschränken. Ausreichende Gangsicherheit konnte bei der Untersuchung am 03.09.2019 auch ohne Verwendung einer Gehhilfe festgestellt werden. Die Beschwerden vor allem im Bereich der Wirbelsäule und im linken Fuß führen zwar zu einer geringgradigen Einschränkung der Gehstrecke, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Kurze Wegstrecken von etwa 300-400 m können alleine, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe, ohne fremde Hilfe und ohne Pause zurückgelegt werden. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen möglich ist. Die Gesamtmobilität ist nicht wesentlich eingeschränkt, Kraft und Koordination sind gut. Im Bereich der oberen Extremitäten liegen keine höhergradigen Funktionseinschränkungen vor, das Erreichen von Haltegriffen und das Festhalten ist nicht eingeschränkt, sodass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist. Da das psychische Leiden nicht ausschließlich oder vorwiegend im Kontext der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auftritt, Klaustrophobie und Angst vor Kontrollverlust in Menschenmengen nicht wesentliche Bestandteile des Leidens sind und ferner auch die diesbezüglichen Behandlungsoptionen nicht nachweislich ausgeschöpft wurden, ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar."

7. In einer weiteren Stellungnahme vom 14.11.2019 führt die bereits befasste Ärztin für Allgemeinmedizin Folgendes aus:

Antworten

Frau XXXX erklärt sich mit dem Ergebnis vom 03.09.2019 bzw. der Stellungnahme vom 30.10.2019 nicht einverstanden, sie beantragt die Zusatzeintragung ?Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel'. Es wird ein Psychiatrischer Befund vom 01.11.2019 nachgereicht: Dg.: Angststörung mit Panikattacken deutlich sozialphobisch geprägt, NB: Pes varus operat, und ein orthopädischer Befund vom 07.11.2019: Dg.: Knick-Senkfuß links, Lumbalgie chronisch, Beckenschiefstand, Zustand nach Klumpfußoperation links. (Ein klinischer Befund ist nicht dabei)

In der Anamnese wird angegeben, dass Psychotherapie nach Bedarf in Anspruch genommen wird. Zwischen 2001 und 03/2019 liegen keine Befunde vor, die auf sporadische und erst recht nicht auf eine regelmäßige psychiatrische bzw. psychotherapeutische Betreuung bezüglich des psychischen Leidens hinweisen. Wie schon in der Stellungnahme am 30.10.2019 angeführt, werden laut den geltenden Richtlinien die medizinischen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung ?Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel' nicht erfüllt, da Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angst vor Kontrollverlust nicht Hauptdiagnose ist. Das therapeutische Angebot (z.B. Verhaltenstherapie, gegebenenfalls stationäre psychiatrische Behandlung bzw. Rehabilitation) muss ausgeschöpft sowie eine diesbezügliche Therapie nachweislich mindestens 1 Jahr erfolgen. Dies trifft im gegenständlichen Fall nicht zu. Bezüglich des Fußleidens wurde sowohl im Gutachten vom 03.09.2019, als auch in der Stellungnahme vom 30.10.2019 ausführlich begründet, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist."

8. Mit Bescheid vom 18.11.2019 wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht mehr vorliegen würden. Die Zusatzeintragung im Behindertenpass sei daher zu entfernen. Begründend wurde auf die Stellungnahme vom 14.11.2019 verwiesen.

9. Gegen diesen Bescheid wurde von der BF fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage neuer Befunde führte die BF aus, sie könne das Ergebnis der Untersuchung nicht nachvollziehen. Sie ersuche um eine Untersuchung durch einen Facharzt für Orthopädie, da sie sonst ihre Tätigkeit im Landesklinikum XXXX nicht ausüben könne. Sie sei angewiesen, mit dem Auto zur Arbeit zu kommen, sie fühle sich nicht in der Lage, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Sie habe im Jahr 2011 die Zusatzeintragung erhalten, dadurch habe sich ihre Lebenssituation um einiges vereinfacht. Sie sei eine alleinerziehende Mutter und ihre Tochter besuche eine höhere Schule und verdiene noch kein Geld. Auch sonst habe sie keine Person, die ihr helfe. Sie stehe unter großer psychischer Belastung seit dem Entzug der Zusatzeintragung. Durch diese falsche Beurteilung sei ihre Lebenssituation sehr schwer.

10. Hierauf wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der BF am 230.1.2020, mit nachstehendem Ergebnis eingeholt:

1. Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel - welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Es liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule vor, welche das Zurücklegen kurzer Wegstrecken, das Einsteigen und Aussteigen sowie den sicheren Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich und dauerhaft einschränken. Ausreichende Gangsicherheit kann auch ohne Verwendung einer Gehhilfe festgestellt werden. Die Beschwerden vor allem im Bereich der Wirbelsäule und im linken Fuß führen zwar zu einer geringgradigen Einschränkung der Gehstrecke, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Kurze Wegstrecken von etwa 300-400 m können alleine, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe, ohne fremde Hilfe und ohne Pause zurückgelegt werden. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen möglich ist. Die Gesamtmobilität ist nicht wesentlich eingeschränkt, Kraft und Koordination sind gut. Im Bereich der oberen Extremitäten liegen keine höhergradigen Funktionseinschränkungen vor, das Erreichen von Haltegriffen und das Festhalten ist nicht eingeschränkt, sodass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist. Da das psychische Leiden nicht ausschließlich oder vorwiegend im Kontext der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auftritt, Klaustrophobie und Angst vor Kontrollverlust in Menschenmengen nicht wesentliche Bestandteile des Leidens sind und ferner auch die diesbezüglichen Behandlungsoptionen nicht nachweislich ausgeschöpft wurden, ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

nein

(...)

Gutachterliche Stellungnahme:

Es bestehen keine dauerhaften erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder gleichzusetzende neurologische Ausfälle. Ein Aktionsradius von 10 Minuten ist ihr sicher möglich."

11. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 29.01.2020 wurde die Beschwerde der BF abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht mehr vorliegen würden. Die Zusatzeintragung im Behindertenpass sei daher zu streichen. Der Behindertenpass sei unverzüglich dem Sozialministeriumservice zur Berichtigung vorzulegen.

Am 11.02.2020 stellte die BF einen Vorlageantrag.

12. Die Beschwerde samt Vorlageantrag und dem Bezug habenden Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 13.02.2020 zur Entscheidung vorgelegt.

13. Mit Schriftsatz vom 28.02.2020 führte die BF aus, die Leiden, die zur Gewährung der Zusatzeintragung geführt hätten, hätten sich seit Gewährung in keiner Weise geändert, sodass eine entschiedene Rechtssache vorliege. Auch hätten die Sachverständigen es bisher unterlassen, einen Vergleich des Zustandes bei Gewährung der Zusatzeintragung und dem nunmehrigen Zustand anzustellen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF ist seit 24.06.2008 Inhaberin eines unbefristet ausgestellten Behindertenpasses mit einem festgestellten Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 50 v.H.

Seit 05.07.2011 verfügt die BF über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" im Behindertenpass.

2. Beweiswürdigung:

Der angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch einen Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in Anwendung der §§ 17 ff. VwGVG über diese Beschwerde zu entscheiden.

Prüfungsmaßstab ist dabei die vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen am 20.01.2020 erlassene Beschwerdevorentscheidung.

Gemäß § 15 Abs. 1 VwGVG kann jede Partei binnen zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).

Die Beschwerdevorentscheidung tritt durch den Vorlageantrag mangels einer gesetzlichen Regelung nicht außer Kraft. Den Beschwerdegegenstand im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht bildet daher die Beschwerdevorentscheidung (vgl. Fister in Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 15 VwGVG Anm. 9).

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu Spruchpunkt I.:

Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit gemäß § 42 Abs. 1 BBG zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 45 BBG Abs. 1 sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, einzutragen. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das

36. Lebensmonat vollendet ist und

- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach

§ 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078 ua.).

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).

Gemäß § 29b Abs. 1 StVO (Straßenverkehrsordnung 1960) ist Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, die über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügen, als Nachweis über die Berechtigungen nach Abs. 2 bis 4 auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Ausweis auszufolgen.

Bei der Beurteilung einer Aberkennung der Zusatzeintragung ist hinsichtlich der Beurteilung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts und des Wegfalls der Voraussetzungen jedenfalls das der ursprünglichen Zuerkennung zugrundeliegende Sachverständigengutachten zu berücksichtigen. Die belangte Behörde ist somit nicht bei jeder neuerlichen Überprüfung gänzlich frei in seiner Beurteilung des Sachverhalts, sondern an seine bisherigen rechtskräftigen Entscheidungen gebunden. [vgl. dazu, dass die Verbindlichkeit eines rechtskräftigen Bescheides von einer nachfolgenden Änderung der Rechtslage grundsätzlich unberührt bleibt etwa Eberhard/Lachmayer, "Bindungswirkung" und "Verbindlichkeit" als Rechtskraftwirkung, in Holoubek/Lang (Hrsg.), Rechtskraft im Verwaltungs- und Abgabenverfahren (2008), 79 (111), die von der "Ablösung von der dem Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschrift" bzw. der normativen Selbständigkeit des Bescheides sprechen].

Daraus folgt, dass die Behörde den Wegfall der Voraussetzungen, welche zur Gewährung der Zusatzeintragung geführt haben, ausreichend zu dokumentieren und darzustellen hat.

Nur so kann überprüft werden, ob die Rechtskraft der (derzeit) noch gültigen Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" mangels Sachverhaltsänderung einer Streichung entgegenstünde.

Das Gutachten von Dr. XXXX vom 07.06.2011, welches zur Gewährung der Zusatzeintragung geführt hat, lässt jegliche Begründung hierzu vermissen. Im Sachverständigengutachten vom 04.09.2019 wurden zwar von der Ärztin für Allgemeinmedizin Stellung zu den gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten genommen ("Beurteilung nach Einschätzungsverordnung (EVO), Vorgutachten nach Richtsatzverordnung, Leiden 1 gleichbleibend, Leiden 2 gemäß der EVO um 1 Stufe herabgesetzt, zumal keine regelmäßige psychiatrische Betreuung erforderlich ist und Psychotherapie bedarfsweise in Anspruch genommen wird, Leiden 3 gleichbleibend, Leiden 4 neu erfasst, der GesamtGdB gleichbleibend"). Weder im Sachverständigengutachten vom 04.09.2019, noch in den Stellungnahmen vom 30.10.2019 und vom 14.11.2019 wurde jedoch nachvollziehbar begründet, weshalb der BF zwar vormals die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar gewesen war, ihr nun jedoch die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sehr wohl zumutbar ist. Auch das Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 29.01.2020 lässt eine derartige Begründung vermissen.

Damit ist es der belangten Behörde aber nicht gelungen, den Wegfall der Voraussetzungen für die Gewährung der Zusatzeintragung im Falle der BF schlüssig und nachvollziehbar darzulegen.

Zu Spruchpunkt II:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Schlagworte

Begründungsmangel Behindertenpass Sachverständigengutachten Voraussetzungen Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W217.2228554.1.00

Im RIS seit

04.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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