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StVONorm
StVO 1960 §16 Abs1 litdBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dkfm. Dr. Porias und die Hofräte DDr. Dolp, Dr. Schmid, Dr. Schmelz und Dr. Rath als Richter, im Beisein des Schriftführers Regierungsoberkommissär Dr. Paschinger, über die Beschwerde des Rechtsanwaltes Dr. R S in S, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 12. Jänner 1972, Zl. IX-2343/1-1971, betreffend die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Übertretung nach § 16 Abs. 1 lit. d StVO 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bundesland Salzburg Aufwendungen in der Höhe von S 600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Salzburg sprach - nachdem eine dieselbe Verwaltungsübertretung betreffende Strafverfügung zufolge rechtzeitigen Einspruches des Beschwerdeführers außer Kraft getreten war - mit Straferkenntnis vom 12. November 1971 aus, der Beschwerdeführer habe am 30. März 1971 um 12.46 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Personenkraftwagens in Salzburg, Bürglsteinstraße, auf dem Schutzweg vor dem Freibad im Volksgarten einen Bus der Salzburger Verkehrsbetriebe überholt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs. 1 lit. d StVO 1960 begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a desselben Gesetzes werde gegen den Beschwerdeführer wegen dieser Übertretung eine Geldstrafe in der Höhe von S 500,-- und für den Fall der Uneinbringlichkeit dieser Geldstrafe eine Arreststrafe in der Dauer von zwei Tagen verhängt. Zur Begründung wurde im tatsächlichen Bereich auf die Anzeige eines Straßenaufsichtsorganes hingewiesen, die über dessen eigene dienstliche Wahrnehmung erstattet worden war. In rechtlicher Beziehung hielt die Behörde der Behauptung des Beschwerdeführers, es habe nicht ein Überholen, sondern ein Nebeneinanderfahren stattgefunden, entgegen, daß gemäß § 2 Z. 29 StVO 1960 (nur) das Nebeneinanderfahren von Fahrzeugreihen ... auf Straßen mit mehr als einem Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung nicht als Überholen gelte. Aus dem - im Zuge des Ermittlungsverfahrens eingeholten, die Anzeige ergänzenden und mit einer Lageskizze versehenen - Bericht des Meldungslegers vom 4. Juli 1971 gehe demgegenüber eindeutig hervor, daß im Überholbereich weder mindestens zwei Fahrstreifen vorhanden gewesen seien noch auch das Fahrzeug des Beschwerdeführers und der Autobus einer Fahrzeugreihe angehört hätten. Der gegen dieses Straferkenntnis durch den Beschwerdeführer erhobenen Berufung gab die Salzburger Landesregierung mit Bescheid vom 12. Jänner 1972 keine Folge. In der Begründung wurde ausgeführt, es bestreite der Beschwerdeführer nicht, daß er sich als Lenker seines Personenkraftwagens an einem allenfalls noch in Fahrt befindlichen Autobus auf dem Schutzweg in der Bürglsteinstraße vor dem Volksgartenbad vorbeibewegt habe, wobei dieser Vorgang jedoch nicht als Überholen zu qualifizieren sei, weil gemäß § 2 Z. 29 StVO 1960 das Nebeneinanderfahren auf Straßen mit mehr als einem Fahrstreifen (zu ergänzen: für die betreffende Fahrtrichtung) nicht als Überholen gelte. Die vom Meldungsleger im Zuge des erstinstanzlichen Strafverfahrens angefertigte Skizze gebe ein klares Bild der maßgeblichen örtlichen Verhältnisse am Tatort. Sie lasse erkennen, daß die etwa 8,80 m breite Fahrbahn der Bürglsteinstraße, stadtauswärts gesehen, zunächst in drei Fahrstreifen geteilt gewesen sei, wobei Richtungspfeile angekündigt hätten, daß für den stadteinwärts fließenden Verkehr zwei und für den sich stadtauswärts bewegenden Verkehr ein Fahrstreifen zur Verfügung stehe. Im Bereiche der Zufahrt zur Hermann-Bahr-Promenade, sohin knapp vor dem Schutzweg, trete in bezug auf die Bodenmarkierungen insofern eine Änderung ein, als die Fahrbahn nunmehr durch eine Leitlinie in zwei, etwa 4,40 m breite Hälften geteilt werde. Die im weiteren, stadtauswärts gerichteten Verlauf der Bürglsteinstraße eintretende neuerliche Änderung der Bodenmarkierungen sei für die Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers nicht von Bedeutung. Ein zulässiges Nebeneinanderfahren im Sinne des § 7 Abs. 3 StVO 1960 habe zur Voraussetzung, daß eine Straße mit wenigstens zwei Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung zur Verfügung stehe und daß - außer auf Einbahnstraßen - die Fahrbahnmitte nicht überfahren werde. Die Fahrbahn sei im Tatortbereich insgesamt 8,80 m breit. Der Autobus der Städtischen Verkehrsbetriebe weise amtsbekanntermaßen eine Breite von 2,50 m auf. Stelle man in Rechnung, daß der Autobus einen Sicherheitsabstand vom Fahrbahnrand im Ausmaß von etwa 1 m eingehalten habe, so seien von der insgesamt 4,40 m breiten Fahrbahnhalte schon 3,50 m vom Autobus in Anspruch genommen worden. Daraus folge, daß der Beschwerdeführer die Fahrbahnmitte zwangsläufig habe überfahren müssen. Aber selbst dann, wenn man entgegen der glaubwürdigen Aussage des Meldungslegers annähme, der seitliche Abstand des Autobusses vom Fahrbahnrand sei geringer gewesen, ergäbe sich derselbe Schluß, weil der Autobus und der Personenkraftwagen des Beschwerdeführers zusammen eine Breite von mehr als 4 m aufwiesen und bei Einhaltung eines entsprechenden Sicherheitsabstandes zwischen Autobus und Personenkraftwagen jedenfalls die Fahrbahnmitte hätte überfahren werden müssen. Es sei daher nicht mehr näher zu untersuchen gewesen, ob die weiteren Voraussetzungen für ein zulässiges Nebeneinanderfahren vorgelegen seien, d. h., ob dies die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs tatsächlich erfordert hätte. Zu bemerken sei hiezu lediglich, daß der Beschwerdeführer unbestrittenermaßen erst knapp vor dem Schutzweg den rechten Fahrstreifen verlassen habe und es die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs wohl nicht erfordere, mit dem Nebeneinanderfahren gerade vor einem Schutzweg zu beginnen. Das Verhalten des Beschwerdeführers im Bereich des Schutzweges sei daher nicht als ein Nebeneinanderfahren im Sinne des § 7 Abs. 3 StVO 1960, sondern als ein gemäß § 16 Abs. 1 lit. d desselben Gesetzes verbotenes Überholen auf und unmittelbar vor Schutzwegen zu qualifizieren. Die Abhaltung eines Lokalaugenscheines sei nicht erforderlich gewesen, weil sich die Behörde insbesondere mit Hilfe der vom Meldungsleger angefertigten Skizze ein klares Bild über die Verhältnisse am Tatort habe machen können und auch sonst der Sachverhalt in ausreichendem Maße geklärt sei.
Diesen Bescheid focht der Beschwerdeführer zunächst mittels einer auf Art. 144 B-VG gestützten Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof an. Mit Erkenntnis vom 7. Juni 1972 stellte der Verfassungsgerichtshof fest, daß der Beschwerdeführer durch diesen Bescheid in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden sei und wies die Beschwerde demgemäß ab. Gleichzeitig trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde zur Entscheidung darüber, ob der Beschwerdeführer in einem sonstigen Recht verletzt worden sei, an den Verwaltungsgerichtshof ab. In dieser Beschwerde hat der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der vom Verfassungsgerichtshof an den Verwaltungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde hatte der Beschwerdeführer weder den Beschwerdepunkt bestimmt bezeichnet noch auch die Gründe angegeben, auf die er die - für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof allein maßgebliche - Behauptung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides stützen zu können glaubt. Mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. September 1972 wurde der Beschwerdeführer daher aufgefordert, dies nachzutragen. In der daraufhin vorgelegten Beschwerdeergänzung berief sich der Beschwerdeführer zunächst auf die in der Verfassungsgerichtshofbeschwerde zum Zwecke des Nachweises der Verletzung eines verfassungsmäßig gewährleisteten Rechtes vorgebrachten Beschwerdegründe. Auf diese Darlegungen einzugehen, würde sich der Verwaltungsgerichtshof nur dann veranlaßt sehen, wenn aus ihnen erkennbar wäre, daß der Beschwerdeführer die vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend gemachte Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides auch aus Gründen für gegeben erachtet, die er in der Beschwerdeergänzung nicht vorgebracht hat. Dies trifft aber nicht zu. Aus der Formulierung des Beschwerdepunktes ergibt sich vielmehr, daß der Beschwerdeführer die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ausschließlich darin erblickt, daß die belangte Behörde das ihm vorgeworfene Verhalten nicht als ein - straffreies -Nebeneinanderfahren im Sinne des § 7 Abs. 3 erster Satz StVO 1960 bzw. als ein auf Schutzwegen gleichfalls erlaubtes Vorbeifahren im Sinne des § 2 Z. 30 desselben Gesetzes gewertet hat. Die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ist nach Auffassung des Beschwerdeführers darin gelegen, daß die belangte Behörde zu ihrem Schluß, es liege ein - mit Strafe bedrohtes - Überholen vor oder auf Schutzwegen vor, auf der Grundlage einer unvollständigen bzw. widerspruchsvollen Sachverhaltsannahme gelangt sei.
Der Beschwerdeführer hat es zwar im Verwaltungsverfahren unternommen, mit Hilfe einer Anzahl hypothetischer Gedankengänge die Sachverhaltsdarstellung des Meldungslegers, auf der der angefochtene Bescheid im wesentlichen beruht, in Frage zu stellen. Er hat aber niemals behauptet, daß der Autobus in jenem Zeitpunkt, in dem sich der Beschwerdeführer mit seinem Personenkraftwagen an diesem Fahrzeug vorbeibewegt hat, schon stillgestanden sei. Auch in der Beschwerde behauptet er derlei nicht. Er stellt vielmehr den Vorgang so dar, daß der Autobus „möglicherweise .... noch .... im Ausrollen .... gewesen“ sei. Damit ist aber sein Vorbringen widerlegt, er sei lediglich am Autobus vorbeigefahren. Der Verwaltungsgerichtshof kann nämlich der in der Beschwerde vertretenen Rechtsauffassung nicht beipflichten, wonach der in der Definition des § 2 Z. 30 StVO 1960 enthaltene Begriff „anhaltendes ... Fahrzeug“ im Sinn eines Fahrzeuges zu verstehen sei, das gerade im Begriff ist, anzuhalten und sich daher noch in Bewegung befindet. Die Unhaltbarkeit einer solchen Deutung der betreffenden Gesetzesstelle ergibt sich allein schon aus deren vollständigen Wortlaut, der besagt, daß unter Vorbeifahren das Vorbeibewegen eines Fahrzeuges an einer sich auf der Fahrbahn befindenden, sich nicht fortbewegenden Person oder Sache, insbesondere an einem anhaltenden, haltenden oder parkenden Fahrzeug zu verstehen ist.
Zu erörtern bleibt die Frage, ob sich der Beschwerdeführer mit Recht darauf berufen kann, nicht überholt, sondern von der Möglichkeit des zulässigen Nebeneinanderfahrens im Sinne des § 7 Abs. 3 StVO 1960 Gebrauch gemacht zu haben. Vorauszuschicken ist hiezu, daß alle Versuche des Beschwerdeführers fehlgehen müssen, aus allgemeinen, das Verkehrsrecht beherrschenden Grundsätzen abzuleiten, er habe nicht überholt, sondern lediglich diesen Grundsätzen zu gehorchen getrachtet. Durfte die belangte Behörde mit Recht als erwiesen ansehen, daß der Beschwerdeführer das Tatbild des § 16 Abs. 1 lit. d StVO 1960 verwirklicht habe, so kann in der Bestrafung des Beschwerdeführers wegen dieser Verwaltungsübertretung nicht deshalb eine Rechtswidrigkeit gelegen sein, weil sich der Beschwerdeführer zu seinem Verhalten durch das Bestreben hat bewegen lassen, die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zu fördern oder aber seine vermeintliche Pflicht zur Beachtung von Leitlinien zu erfüllen. Unter Überholen ist gemäß § 2 Abs. 1 Z. 29 StVO 1960 das Vorbeibewegen eines Fahrzeuges an einem auf derselben Fahrbahn in gleicher Richtung fahrenden Fahrzeug zu verstehen; nicht unter diesen Begriff fällt gemäß der angeführten Gesetzesstelle sowie zufolge der Regelung des § 7 Abs. 3 StVO 1960 das Nebeneinanderfahren von Fahrzeugen. Wie die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides mit Recht hervorgehoben hat, ist es, abgesehen von Einbahnstraßen, ein Begriffsmerkmal des zulässigen Nebeneinanderfahrens, daß hiebei die Fahrbahnmitte nicht überfahren wird. Fehlt es an dieser Voraussetzung, dann liegt kein Nebeneinanderfahren, sondern ein Überholen vor. Für die Abgrenzung zwischen dem auch unmittelbar vor und auf Schutzwegen straffreien Nebeneinanderfahren auf der einen Seite und dem dort verbotenen Überholen auf der anderen Seite ist es also entscheidend, ob während des betreffenden Verkehrsvorganges die Fahrbahnmitte überfahren worden ist. Ob dies im Beschwerdefall zutrifft, ist eine Tatfrage und daher eine Frage der Beweiswürdigung. In der Begründung des angefochtenen Bescheides hat die belangte Behörde die Erwägungen dargelegt, aus denen heraus sie in freier Beweiswürdigung als erwiesen angesehen hat, daß der Beschwerdeführer bei seinem Überholmanöver die Fahrbahnmitte überfahren hat Abgesehen davon, daß der Verwaltungsgerichtshof diese Beweiswürdigung für schlüssig und unbedenklich hält, hat auch der Beschwerdeführer dieses Sachverhaltselement nicht direkt in Abrede gestellt: Im Rahmen der Beschwerdeergänzung hat er vielmehr ausgeführt, ein Fahrzeuglenker dürfe - mit Rücksicht auf die örtliche Gestaltung der Leitlinien, wie sie im bekämpften Bescheid geschildert worden ist - „der Leitlinie folgend, sich gegen die Mitte zu einordnen, um ungefähr in der Straßenmitte den Schutzweg zu queren“. Damit ist unter Berücksichtigung des bisher Gesagten klargestellt, daß nach der unbedenklichen Annahme der belangten Behörde kein Nebeneinanderfahren stattgefunden, sondern daß der Beschwerdeführer den städtischen Autobus unmittelbar vor bzw. auf dem Schutzweg überholt hat. Nach dem Tatbild der dem Beschwerdeführer sohin zu Recht zur Last gelegten Verwaltungsübertretung kommt es weder auf die Geschwindigkeit an, mit der der Überholvorgang abgewickelt wurde, noch ist es von Bedeutung, an welcher Stelle der Straße das Überholmanöver präzise begonnen und beendet worden ist. Daraus folgt, daß der von der belangten Behörde als erwiesen angenommene maßgebliche Sachverhalt weder in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig noch auch in sich widerspruchsvoll ist. Dies entzieht der Verfahrensrüge den Boden und läßt erkennen, daß in der Weigerung der belangten Behörde, entsprechend dem Antrag des Beschwerdeführers, einen Lokalaugenschein zur weiteren Klärung des Sachverhaltes durchzuführen, keine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gelegen sein kann.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 sowie auf die Bestimmungen der Verordnung des Bundeskanzlers vom 14. November 1972, BGBl. Nr. 427.
Wien, am 25. Jänner 1973
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1973:1972001475.X00Im RIS seit
03.08.2020Zuletzt aktualisiert am
03.08.2020