TE Vfgh Erkenntnis 1996/3/6 V168/95

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Veröffentlicht am 06.03.1996
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz lita
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
AufschließungsgebietsV der Gemeinde Maria Wörth vom 27.10.92
Krnt Allgemeine GemeindeO 1982 §15 Abs1
Krnt GemeindeplanungsG 1982 §2 Abs11

Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des Krnt GemeindeplanungsG 1982 über die Festlegung von Aufschließungsgebieten auf ein vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung beschlossenes amtswegiges Verordnungsprüfungsverfahren; Aufhebung der auf diese Bestimmung gestützten AufschließungsgebietsV mangels einer gesetzlichen Grundlage und infolge rückwirkender in Kraft Setzung ohne gesetzliche Ermächtigung

Spruch

Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Maria Wörth vom 27. Oktober 1992 über die Festlegung von Aufschließungsgebieten, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel des Gemeindeamtes der Gemeinde Maria Wörth in der Zeit vom 4. bis 23. November 1992, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Kärntner Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Aus Anlaß einer gemäß Art144 B-VG erhobenen Beschwerde gegen einen Bescheid der Kärntner Landesregierung, mit dem die Vorstellung gegen einen Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde Maria Wörth abgewiesen worden war, hat der Verfassungsgerichtshof am 25. September 1995 beschlossen, die Gesetzmäßigkeit des §1 Z1 der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Maria Wörth vom 27. Oktober 1992 über die Festlegung von Aufschließungsgebieten, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel des Gemeindeamtes der Gemeinde Maria Wörth in der Zeit vom 4. bis 23. November 1992, gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen zu prüfen. Diese Verordnung stützt sich ua. auf §2 Abs11 des Kärntner Gemeindeplanungsgesetzes 1982, Anlage zur Kundmachung der Landesregierung vom 13. April 1982, Zl. Verf-212/1/1982, über die Wiederverlautbarung des Gemeindeplanungsgesetzes 1970, LGBl. für Kärnten 51/1982 (im folgenden: GemeindeplanungsG 1982). Der Verfassungsgerichtshof hegte das Bedenken, daß die in Prüfung genommene Verordnungsregelung auf Grund der genannten, als verfassungswidrig erachteten Rechtsvorschrift erlassen worden sei. Weiters nahm er vorläufig an, daß die Verordnung in unzulässiger Weise rückwirkend in Kraft gesetzt worden sei.

2.1. Der Gemeinderat der Gemeinde Maria Wörth hat eine Äußerung erstattet, in der festgehalten wird, daß die in Prüfung gezogene Verordnung im Rahmen des vom GemeindeplanungsG 1982 eingeräumten Entscheidungsspielraumes beschlossen worden sei und daß §2 der Verordnung "eine fälschliche Formulierung darstellt", weil damit der Tag der Beschlußfassung durch den Gemeinderat, nicht jedoch der Tag des Inkrafttretens der Verordnung bezeichnet werde. Außerdem sei seitens des Amtes der Kärntner Landesregierung kein Hinweis auf einen allfälligen Kundmachungsmangel erfolgt.

2.2. Die Kärntner Landesregierung hat in ihrer Sitzung am 23. Jänner 1996 beschlossen, von der Erstattung einer Äußerung abzusehen.

II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hatte aus Anlaß mehrerer (anderer) bei ihm anhängiger Beschwerdesachen von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §2 Abs11 des GemeindeplanungsG 1982 eingeleitet; er hat mit Erkenntnis vom 10. Oktober 1995, G21,22/95 ua., festgestellt, daß diese Gesetzesstelle verfassungswidrig war.

2. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Gleiches gilt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verordnung, die auf die aufgehobene Gesetzesbestimmung gegründet war.

3. Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren, bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung, mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung bereits anhängig geworden sind (VfSlg. 11057/1986, 13269/1992).

4. Die nichtöffentliche Beratung im Verfahren zur Prüfung des §2 Abs11 GemeindeplanungsG 1982 begann am 3. Oktober 1995. Der vorliegende Verordnungsprüfungsbeschluß ist beim Verfassungsgerichtshof schon vorher, nämlich bereits am 25. September 1995, gefaßt worden.

Nach dem Gesagten ist der vorliegende Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.

5.1. Die in Prüfung genommene Bestimmung des Flächenwidmungsplanes findet ihre materielle Basis in der als verfassungswidrig erkannten Bestimmung des §2 Abs11 GemeindeplanungsG 1982. Sie ist nunmehr so zu beurteilen, als ob sie ohne gesetzliche Grundlage - also in Widerspruch zu Art18 B-VG - erlassen worden wäre (vgl. VfSlg. 10066/1984, 11057/1986). Das Bedenken, daß die genannte Verordnungsbestimmung auf Grund einer verfassungswidrigen Gesetzesvorschrift erlassen wurde, trifft sohin zu.

5.2. Aber auch das weitere vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluß geäußerte Bedenken, daß die in Prüfung genommene Verordnungsstelle rückwirkend in Kraft gesetzt wurde, ohne daß hiefür eine gesetzliche Ermächtigung vorlag, konnte im Prüfungsverfahren nicht ausgeräumt werden: Die Verordnung wurde durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde Maria Wörth in der Zeit vom 4. bis zum 23. November 1992 kundgemacht und hätte im Sinne des §15 Abs1 der hier maßgeblichen (Kärntner) Allgemeinen Gemeindeordnung 1982, LGBl. für Kärnten 8/1992, nach Ablauf des Tages, an dem sie angeschlagen worden war, in Kraft treten müssen, da landesgesetzlich nicht anderes bestimmt ist. Ungeachtet dessen bestimmt jedoch §2 der Verordnung unmißverständlich, daß diese bereits am 27. Oktober 1992 in Kraft tritt.

5.3. Da die Verordnung sowohl rückwirkend in Kraft gesetzt wurde, ohne daß hiefür eine gesetzliche Ermächtigung bestanden hatte, als auch insgesamt der gesetzlichen Grundlage entbehrt, war sie - da sich entgegenstehende Gründe im Sinne des Art139 Abs3, letzter Satz, B-VG nicht ergeben haben - gemäß Art139 Abs3 lita B-VG zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben.

6. Die Entscheidung über die Kundmachungsverpflichtung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

III. Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Anlaßfall, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Rückwirkung, Aufschließungsgebiet

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:V168.1995

Dokumentnummer

JFT_10039694_95V00168_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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