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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
ASVG §293Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der G O M, vertreten durch Mag. Dr. Anton Karner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Steyrergasse 103/2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 20. Dezember 2019, LVwG 26.20-1827/2019-21, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Steiermark), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Landeshauptmann von Steiermark (Behörde) wies mit Bescheid vom 10. Mai 2019 den Antrag der Revisionswerberin, einer afghanischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in Verbindung mit § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG zur Familienzusammenführung mit ihrem in Österreich rechtmäßig aufhältigen Ehemann mangels ausreichender Unterhaltsmittel ab. Auch eine Abwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG sei zu Ungunsten der Revisionswerberin zu treffen.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.
Das LVwG stellte zunächst im Wesentlichen fest, der Ehemann der Revisionswerberin, den sie 2016 geheiratet habe, sei Inhaber eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU“. Er sei seit 1999 (mit regelmäßigen Notstands- und Überbrückungshilfen) als Arbeiter - bisweilen geringfügig - beschäftigt gewesen und seit ca. 15 Jahren auch als Zeitungskolporteur. Eigenen Angaben des Ehegatten zufolge habe er noch offene Schulden in der Höhe von € 14.000,--. Aus seiner Tätigkeit als Zeitungskolporteur habe der Ehemann der Revisionswerberin im Zeitraum von Jänner 2019 bis Mai 2019 durchschnittlich netto € 644,60 ins Verdienen gebracht. Für seine unselbständige Beschäftigung habe er den vorgelegten Unterlagen zufolge für die Monate Oktober 2018 bis Juli 2019 durchschnittlich € 1.033,-- tatsächlich ausbezahlt bekommen. Den durch die Lohnzettel ausgewiesenen höheren Nettobezug habe das LVwG nicht berücksichtigt, weil dieser durch persönliche Abzüge [gemeint Akonti und Exekutionen] reduziert und somit lediglich ein geringerer Betrag ausbezahlt worden sei. Bei seiner unselbständigen Arbeit sei der Ehegatte im Lager von Montag bis Freitag von 15:30 Uhr bis Mitternacht beschäftigt und als Zeitungsträger arbeite er von 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr in der Früh.
Ausgehend von diesen Feststellungen führte das LVwG in seiner rechtlichen Beurteilung aus, es sei ein monatliches Nettohaushaltseinkommen in der Höhe von € 1.811,14 (basierend auf dem Richtsatz für ein Ehepaar nach dem ASVG in Höhe von € 1.398,97 und unter Berücksichtigung der Alimente von € 175,--, der monatlichen Kreditrate von € 201,82, sowie der Miete von € 330,-- abzüglich des Wertes der freien Station von € 294,65) nachzuweisen.
Mit dem festgestellten monatlichen Durchschnittseinkommen des Ehegatten in der Höhe von € 1.677,40 erreiche er jedoch nicht das erforderliche Ausmaß, sodass nicht angenommen werden könne, der Aufenthalt der Revisionswerberin werde zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. Auch die Berücksichtigung des Nettobezuges aus seiner unselbständigen Tätigkeit - so das LVwG - führe zu keiner anderen Beurteilung, weil sowohl die selbständige als auch die unselbständige Tätigkeit des Ehegatten in einem Zeitrahmen von 15:30 Uhr bis Mitternacht und von 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr in der Früh nicht auf Dauer erwartet werden könne. Aus diesem Gesichtspunkt treffe das VwG die Prognose, dass eine Doppelbeschäftigung in diesem Ausmaß in Erwartung eines gemeinsamen Familienlebens auf Dauer nicht verkraftbar erscheine und in der Folge auf ein geringeres Ausmaß reduziert werde. Auch eine Abwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG falle zu Ungunsten der Revisionswerberin aus.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Begehren, das angefochtene Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit bzw. Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
4 Die Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
5 Die Revisionswerberin bringt in der Zulässigkeitsbegründung vor, das LVwG habe einen bereits bezahlten Kredit als noch existent und zu Lasten des Ehegatten gewertet und die Begriffe Nettolohn und Auszahlungsbetrag verwechselt, sodass bei der Berechnung des Haushaltseinkommens die in den Lohnzetteln aufscheinenden Akonti nicht berücksichtigt worden seien. Es gäbe auch keine Beweisergebnisse für die Annahme des VwG, dass der Ehemann nach der Titelerteilung an die Revisionswerberin beide Tätigkeiten nicht auf Dauer ausüben werde.
6 Die Revision ist zulässig und begründet.
7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einer - wie hier - gemeinsamen Haushaltsführung von Ehegatten zu prüfen, ob das Haushaltsnettoeinkommen den „Haushaltsrichtsatz“ nach § 293 Abs. 1 ASVG erreicht. Die Existenz des zusammenführenden Ehegatten ist dabei gesichert, wenn dem im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepaar der Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG (fallbezogen € 1.398,97 für das Jahr 2019) zur Verfügung steht (VwGH 8.10.2019, Ra 2018/22/0292).
8 Dass die Revisionswerberin selbst über feste und regelmäßige eigene Einkünfte verfügt, lässt sich dem angefochtenen Erkenntnis nicht entnehmen und wurde im Verfahren auch nicht vorgebracht, sodass vorliegend der Richtsatz gemäß § 293 Abs. 1 ASVG für die Mittelaufbringung allein vom Ehemann der Revisionswerberin erbracht werden müsste.
9 Zunächst ist auszuführen, dass das Vorbringen der Revision, ein bereits abbezahlter Kredit sei vom LVwG zu Unrecht als existent gewertet worden, im Widerspruch zu den Aussagen des Ehemannes in der mündlichen Verhandlung vom 21. August 2019 steht, wonach er noch offene Schulden in der Höhe von € 14.000,-- und monatlich eine Kreditrate in der Höhe von € 201,-- zu zahlen habe. Aus den Verwaltungsakten ergibt sich, dass die Kreditrate von € 201,-- an die BAWAG zu zahlen ist (Schreiben vom 31. Mai 2019) und der von der Revision ins Treffen geführte abbezahlte Kredit eine andere Verbindlichkeit bei einem anderen Bankinstitut betrifft (Schreiben der Raiffeisen Landesbank Steiermark vom 21. August 2019). Das LVwG berücksichtigte somit die Kreditrate von € 201,-- zu Recht bei der Berechnung des Haushaltseinkommens.
10 Das LVwG legte bei der Berechnung des Haushaltseinkommens neben dem Einkommen aus seiner Tätigkeit als Zeitungskolporteur jenen Betrag zugrunde, den der Ehemann der Revisionswerberin für seine unselbständige Tätigkeit monatlich tatsächlich ausbezahlt bekam. Dieser Auszahlungsbetrag unterscheidet sich aber deutlich vom Nettobezug, weil dieser durch Exekutionen und die Berücksichtigung ausgezahlter Akonti (ca. € 800,-- monatlich) geschmälert wurde. Aus dem angefochtenen Erkenntnis ergibt sich nicht, aus welchem Grund das LVwG die abgezogenen Akonti nicht berücksichtigte. Trifft es zu, dass es sich hierbei um Gehaltsvorschüsse handelt, sodass dem Ehegatten vorab ein noch nicht fälliges Entgelt ausbezahlt wurde, das vom Dienstgeber bei der nächsten Entgeltauszahlung verrechnet wurde, so ist dieses vorab ausgezahlte Entgelt grundsätzlich bei der Berechnung des Haushaltseinkommens zu berücksichtigen. Dass der Ehemann diese Beträge im vorliegenden Fall zur Abzahlung weiterer Verbindlichkeiten verwendete und somit nicht zur Deckung des Lebensbedarfes des Ehepaares zur Verfügung stünden, wurde vom LVwG nicht festgestellt. Auch berücksichtigte das LVwG nicht, dass der Ehemann in der mündlichen Verhandlung angab, „keine Exekutionen mehr zu haben“, sodass auch diese den Nettobezug nicht mehr schmälerten.
11 Darüber hinaus erweist sich die Alternativbegründung des LVwG, auch die Berücksichtigung des Nettobezuges anstatt des Auszahlungsbetrages führe zu keinem anderen Ergebnis, weil die Doppelbeschäftigung des Ehegatten in diesem Ausmaß im Hinblick auf ein gemeinsames Familienleben auf Dauer nicht verkraftbar erschiene und in der Folge auf ein geringeres Ausmaß reduziert würde, als nicht tragfähig. Selbst wenn das Ausmaß der Beschäftigung nur zum Zweck des Nachweises ausreichender Unterhaltsmittel ausgeweitet worden sein sollte, sind die im Rahmen dieser Tätigkeiten erzielten Einkünfte grundsätzlich im Rahmen der Prognoseentscheidung gemäß § 11 Abs. 5 NAG zu berücksichtigten. Einerseits wurde nicht festgestellt, dass die Beschäftigung befristet sei, und andererseits vermag ein von der Revisionswerberin bei der österreichischen Botschaft „drastisch“ zum Ausdruck gebrachter „dringlicher“ Kinderwunsch nicht ohne weiteres die rechtliche Schlussfolgerung zuzulassen, der Ehemann werde seine Tätigkeiten in diesem zeitlichen Umfang nicht auf Dauer ausüben (vgl. VwGH 30.4.2020, Ra 2020/22/0003, Rn. 9). Im Übrigen würde der Aufenthaltstitel für die Revisionswerberin nur für ein Jahr erteilt; für eine Verlängerung müsste somit erneut das Vorhandensein ausreichender Unterhaltsmittel nachgewiesen werden (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2018/22/0292, Rn. 13, mwN).
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
13 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 9. Juni 2020
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220014.L00Im RIS seit
04.08.2020Zuletzt aktualisiert am
04.08.2020