TE Vwgh Erkenntnis 2020/6/22 Ra 2019/01/0117

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2020
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VwRallg
ZustG §17 Abs1
ZustG §17 Abs3

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2019/01/0118

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revisionen 1. der F O und 2. des S O, beide in S, beide vertreten durch Mag. Klaudius May, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Franz-Josef-Straße 41, gegen die Beschlüsse des Landesverwaltungsgerichts Salzburg jeweils vom 4. Februar 2019, Zlen. 1. 405-11/116/1/2-2019 und 2. 405-11/117/1/2-2019, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Salzburger Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Beschlüsse werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Salzburg hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.306,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit den Bescheiden jeweils vom 2. Oktober 2018 stellte die Salzburger Landesregierung (belangte Behörde) gemäß § 27 Abs. 1 iVm § 42 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) fest, dass die Revisionswerber durch Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit am 1. November 2015 die österreichische Staatsbürgerschaft verloren haben.

2        Diese Bescheide wurden jeweils am 5. Oktober 2018 (Beginn der Abholfrist) gemäß § 17 Abs. 1 Zustellgesetz (ZustG) hinterlegt.

3        Die Revisionswerber kehrten am Freitag, den 12. Oktober 2018, an die Abgabestelle zurück und hätten somit (gemäß § 17 Abs. 3 letzter Halbsatz ZustG) am Montag, den 15. Oktober 2018, die hinterlegten Bescheide beheben können.

4        Die von den Revisionswerbern gegen diese Bescheide jeweils am 5. November 2018 zur Post gegebenen Beschwerden langten am 6. November 2018 bei der belangten Behörde ein. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerden brachten die Revisionswerber vor, dass sie sich vom 21. September 2018 bis 12. Oktober 2018 im Ausland befunden hätten und ihnen die Bescheide urlaubsbedingt erst am 16. Oktober 2018 zugestellt worden seien.

5        Mit den angefochtenen Beschlüssen wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg (Verwaltungsgericht) jeweils die Beschwerden gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG als verspätet zurück und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

6        Nach Feststellung des wesentlichen Sachverhaltes führte das Verwaltungsgericht rechtlich im Wesentlichen aus, den Revisionswerbern wären (ausgehend vom Beginn der Abholfrist am 5. Oktober 2018) „immer noch 17 Tage und somit fast zwei Drittel der gesamten Beschwerdefrist zur Ausführung der Beschwerde zur Verfügung gestanden“. Nach näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei davon auszugehen, dass die Zustellung der Bescheide jeweils ordnungsgemäß durch Hinterlegung am 5. Oktober 2018 erfolgt sei, insbesondere weil den Revisionswerbern „deutlich mehr Zeit zur Verfassung der Beschwerde“ geblieben sei „als die vom Verwaltungsgerichtshof geforderten zehn Tage“. Die vierwöchige Beschwerdefrist habe daher gemäß § 17 Abs. 3 ZustG am 5. Oktober 2018 zu laufen begonnen und am 2. November 2018 geendet. Die erst am 5. November 2018 eingebrachten Beschwerden seien somit als verspätet zurückzuweisen gewesen.

7        Gegen diese Beschlüsse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen. Die belangte Behörde erstattete jeweils in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Revisionen erwogen:

8        Die Revisionen sind zu der in ihrer Zulässigkeitsbegründung vorgebrachten Rechtsfrage der Rechtzeitigkeit iSd § 17 Abs. 3 ZustG zulässig und berechtigt.

9        Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG ist das hinterlegte Dokument mindestens zwei Wochen zur Abholung bereit zu halten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, in dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter iSd § 13 Abs. 3 leg.cit. wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.

10       Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die durch den dritten Satz des § 17 Abs. 3 ZustG normierte Zustellwirkung der Hinterlegung nicht durch die Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Es ist nicht erforderlich, dass dem Empfänger in den Fällen einer Zustellung durch Hinterlegung stets die volle Frist für die Erhebung eines allfälligen Rechtsmittels zur Verfügung stehen muss (vgl. etwa VwGH 22.12.2016, Ra 2016/16/0094, Rn. 8 und 10, mwN).

11       Zu der vorliegend entscheidenden Rechtsfrage der Rechtzeitigkeit der Kenntnis vom Zustellvorgang, auf die § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG abstellt, kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Juni 2015, Ro 2014/07/0107, verwiesen werden. Diesem Erkenntnis lag - wie vorliegend - die Zurückweisung einer Beschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG nach Zustellung des angefochtenen Bescheides durch Hinterlegung als verspätet zugrunde.

12       Nach dieser Rechtsprechung greift eine Beurteilung der „Rechtzeitigkeit“ iSd § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG, die sich allein daran orientiert, ob noch ein angemessener Zeitraum für die Einbringung des Rechtsmittels verbleibt, zu kurz. Es ist auch zu beurteilen, ob dem Empfänger noch jener Zeitraum zur Ausführung seines Rechtsmittels (hier: einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht) zur Verfügung steht, der ihm auch im Falle einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung durch postamtliche Hinterlegung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre. Erlangt der Empfänger erst später die Möglichkeit, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, erfolgt die Kenntnisnahme nicht rechtzeitig. Dies ist bei einer Behebung der hinterlegten Sendung erst 8 Tage nach Beginn der Abholfrist der Fall.

13       Vorliegend konnten die Revisionswerber nach ihrer Rückkehr an die Abgabestelle frühestens erst zehn Tage nach Beginn der Abholfrist die angefochtenen Bescheide beheben, weshalb den Revisionswerbern ausgehend von obiger Rechtsprechung umso weniger jener Zeitraum zur Ausführung einer Beschwerde zur Verfügung stand, der ihnen auch im Falle einer Ersatzzustellung durch postamtliche Hinterlegung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre, und ihnen die wahrzunehmende vierwöchige Beschwerdefrist keinesfalls ungekürzt zur Verfügung stand. Die Revisionswerber haben somit nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt.

14       Die angefochtenen Bescheide galten daher erst mit dem 15. Oktober 2018, dem Tag, an dem die Revisionswerber die hinterlegten Sendungen nach ihrer Rückkehr zur Abgabestelle frühestmöglich beheben konnten, als zugestellt. Die am 5. November 2018 eingebrachten Beschwerden waren somit rechtzeitig; ihre Zurückweisung inhaltlich rechtswidrig.

15       Die angefochtenen Beschlüsse waren demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Ein Eingehen auf das übrige Revisionsvorbringen erübrigt sich daher.

16       Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf Ersatz der Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren der Revisionswerber war abzuweisen, weil in dem in der Verordnung vorgesehenen Pauschalbetrag die Umsatzsteuer bereits mitenthalten ist (vgl. etwa VwGH 5.11.2019, Ra 2019/01/0285, Rn. 12, mwN).

17       Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 22. Juni 2020

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019010117.L00

Im RIS seit

04.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten