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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AMA-Gesetz 1992 §2 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser, Mag. Haunold und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des H U in E, vertreten durch die Gheneff - Rami - Sommer Rechtsanwälte OG in 9020 Klagenfurt, Völkermarkter Ring 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juli 2018, Zl. W102 2112775/10E, W102 2103115/9E, W102 2103040/13E, W102 2103019/10E, W102 2103064/10E, W102 2110468/10E, W102 2119480/10E, betreffend einheitliche Betriebsprämie für die Jahre 2008 bis 2014 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorstand für den Geschäftsbereich II der Agrarmarkt Austria), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Revisionsbeantwortung des Vorstandes für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber war Auftreiber auf mehrere Almen und stellte für die Jahre 2008 bis 2014 jeweils einen „Mehrfachantrag Flächen“ u.a. auf Gewährung der einheitlichen Betriebsprämie für die darin näher bezeichneten Flächen. Die Prämien wurden dem Revisionswerber von der belangten Behörde zunächst zumeist antragsgemäß gewährt. In der Folge wurden Vor-Ort-Kontrollen durchgeführt sowie alle diese Bescheide (mit Ausnahme jenes für das Antragsjahr 2014) mehrfach, zum Teil amtswegig gemäß § 19 Abs. 2 Marktordnungsgesetz 2007 (MOG 2007), zum Teil über Antrag abgeändert.
2 Zuletzt setzte die belangte Behörde jeweils die einheitliche Betriebsprämie mit Abänderungsbescheiden vom 3. Jänner 2014 (für 2010), 29. Jänner 2014 (für 2011), 26. Februar 2014 (für 2012), 30. Oktober 2014 (für 2013), 14. November 2013 (für 2009) und 18. November 2014 (für 2008) bzw. Erstbescheid vom 5. Jänner 2015 (für 2014) geringer als beantragt fest bzw. wies zum Teil die Anträge ab. Gegen diese Bescheide erhob der Revisionswerber jeweils im Umfang der Antragsabweisung Beschwerde. Die belangte Behörde erließ zum Teil Berufungsvorentscheidungen, nämlich am 28. August 2014 (für 2011), am 25. September 2014 (für 2012) und am 18. Dezember 2014 (für 2009 und 2010), woraufhin der Revisionswerber jeweils Vorlageanträge stellte.
3 Die belangte Behörde legte den für die einzelnen Jahre jeweils zuletzt ergangenen Bescheiden bzw. Berufungsvorentscheidungen jeweils 112,28 vorhandene flächenbezogene Zahlungsansprüche, jedoch geringere als die beantragten Flächenausmaße zugrunde, nämlich für 2008 78,81 ha anstelle von 107,83 ha, für 2009 75,85 ha anstelle von 103,85 ha, für 2010 66,06 ha anstelle von 90,93 ha, für 2011 67,76 ha anstelle von 96,4 ha, für 2012 67,33 ha anstelle von 67,52 ha, für 2013 67,82 ha anstelle von 68,00 ha und für 2014 60,78 ha anstelle von 60,92 ha. Damit seien in den einzelnen Jahren jeweils mehrere Zahlungsansprüche nicht genutzt worden. Soweit der Revisionswerber eine Kompression von Zahlungsansprüchen beantragt habe, lägen die Voraussetzungen dafür nicht vor. Für einzelne Jahre nahm die Behörde weiters Abzüge aufgrund von Cross-Compliance-Verstößen vor.
4 In den Beschwerden und Vorlageanträgen brachte der Revisionswerber jeweils im Wesentlichen vor, es sei nicht nachvollziehbar, woraus sich die ungenutzten Zahlungsansprüche und die jeweils „ermittelte Fläche“ ergebe. Die in den Bescheidbegründungen genannten Vor-Ort-Kontrollen und deren Ergebnisse seien ihm nicht bekannt. Die betroffenen Flächen hätten sich seit 2000 bis 2002 bzw. 2005 nicht geändert. Es sei nicht zulässig, etwa aufgrund einer geänderten Sichtweise der Behörde der Berechnung ein anderes Flächenausmaß zu Grunde zu legen als bei der Erstfeststellung der Flächenprämie. Die beantragte Kompression von Zahlungsansprüchen sei zu Unrecht abgewiesen worden. Die vorgeworfenen Cross-Compliance-Verstöße seien nicht nachvollziehbar.
5 In einem weiteren Schriftsatz vom 25. Februar 2018 ergänzte der Revisionswerber, es sei nicht zulässig, seine Anträge mit der Begründung nicht genutzter Zahlungsansprüche abzuweisen. Aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 5. Juni 2014, P.J. Vonk Noordegraaf, C-105/13, ergebe sich, dass Zahlungsansprüche neu berechnet werden müssten, wenn sich Flächenänderungen durch (Änderungen von) angewendeten Messmethoden ergäben. Es sei unbestritten, dass sich in Österreich das Erfassungssystem seit der Entkoppelung der produktbezogenen Direktzahlungen mehrmals gravierend geändert habe. Die Zahlungsansprüche seien daher neu zu berechnen, sodass es keine nicht genutzten Zahlungsansprüche gebe.
6 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) verband sämtliche Beschwerden und Vorlageanträge zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Im Zuge der Verhandlung erklärte der Revisionswerber, er verzichte auf sämtliche seiner Argumente mit Ausnahme jener des Schriftsatzes vom 25. Februar 2018. Es gehe bei ihm ausschließlich um nicht genutzte Zahlungsansprüche und die damit zusammenhängende Entscheidung Noordegraf. Hätte die belangte Behörde bereits bei der Feststellung der Zahlungsansprüche im Jahr 2004 die genaueren Orthofotos sowie den erst später eingeführten NLN-Faktor berücksichtigt, wäre sie zu einer geringeren beihilfefähigen Fläche und damit zu einer geringeren Anzahl von Zahlungsansprüchen gekommen, auf die der Referenzbetrag aufzuteilen gewesen wäre. Die Verbesserung von Messmethoden könne nicht den Landwirten zum Nachteil gereichen. Im Falle des Revisionswerbers hätte der Referenzbetrag von € 10.490,00 statt unrichtig auf 112,51 Zahlungsansprüche (= ha) richtigerweise auf 67,82 ha umgelegt werden müssen, woraus sich der Wert eines Zahlungsanspruchs von € 154,62 statt € 93,24 ergebe. Im Hinblick auf die richterweise bestehenden 67,82 Zahlungsansprüche gebe es keine nicht genutzten Zahlungsansprüche.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerden ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
8 Es gab in seiner Begründung zunächst im Abschnitt „Feststellungen (Sachverhalt)“ im Hinblick auf die erhobenen „grundsätzlichen Bedenken gegen das bei Vor-Ort-Kontrollen auf Almen in Österreich und auch bei der konkreten Kontrolle angewendete Messsystem“ das Gutachten eines vermessungstechnischen Amtssachverständigen, das in einem anderen Verfahren eingeholt worden war, wörtlich wieder. Das zitierte Gutachten befasst sich mit der Frage, „ob die beihilfefähige Fläche bei der Vor-Ort-Kontrolle ... mit Mitteln bestimmt wurde, die den auf Gemeinschaftsebene festgelegten technischen Normen entsprechen“, und bejaht dies.
9 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG nach Wiedergabe einer Reihe von Rechtsvorschriften aus, es liege kein Irrtum der Behörde aufgrund einer Änderung des Messsystems bzw. der Messgenauigkeit vor, die darin gelegen sei, dass es ab dem „Mehrfachantrag Flächen“ 2011 zu einer Umstellung des Messsystems von dem bis dahin geltenden System unter anderem mit 30 %-Schritten (nach dem „Almleitfaden 2000“) zur verpflichtenden digitalen Flächenermittlung unter anderem mit 10 %-Schritten gekommen sei. Es treffe aus nachstehenden Erwägungen auch nicht zu, dass sich die relevante Futterfläche allein durch die Änderung des Messsystems ohne Veränderungen des Naturzustandes und ohne Änderungen der Bewirtschaftungsverhältnisse geändert habe.
10 Nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften sei nur die tatsächlich genutzte Futterfläche beihilfefähig. Weiters könnten mit Bäumen bestandene Flächen nur insoweit beantragt werden, als auf ihnen die Nutzung der Futterfläche unter denselben Bedingungen möglich sei wie auf Flächen, die nicht baumbestanden seien. Zur Erleichterung der Berechnung nach diesen beiden Kriterien habe die AMA im Jahr 2000 einen Leitfaden zur Verfügung gestellt, der die Ermittlung der Futterfläche auf Almen erleichtern sollte („Almleitfaden“). Dieser Leitfaden solle den Landwirten und den Prüforganen eine gewisse schematisierte Vorgangsweise mit einigermaßen vertretbarem Aufwand ermöglichen. Es stehe dem Landwirt auch frei, die Almfutterfläche selbst nach anderen Kriterien zu ermitteln, solange diese Ermittlungsmethode die realiter zur Verfügung stehende Futterfläche präziser abbilde. In diesem Leitfaden sei zur Erleichterung der Feststellung des Überschirmungsgrades, also der unproduktiven Fläche unter Bäumen, eine Abschätzung in Prozentschritten vorgeschlagen worden. Für die Feststellung der nach Abzug der überschirmten Flächen noch verbleibenden unproduktiven Flächen, wie beispielsweise mit Pflanzen bewachsene Flächen, die keine Grünfutterpflanzen seien, oder Geröllflächen und Gewässer, sei darin noch keine spezielle Vorgangsweise vorgeschlagen worden. Jeder Antragsteller sei dennoch verpflichtet gewesen, nur die beihilfefähigen Flächen zu beantragen, worauf im Almleitfaden auch hingewiesen worden sei.
11 Im Jahr 2010 habe die AMA zusätzlich ein Berechnungsmodell für die Berechnung des sogenannten NLN-Faktors (= die nicht landwirtschaftliche Nutzfläche) zur Verfügung gestellt, bei dem nach Abschätzung des Überschirmungsgrades die Abschätzung der übrigen unproduktiven Fläche in 10 %-Schritten erfolgen habe können. Dies sei die Zurverfügungstellung eines zusätzlichen Hilfsmittels für die Antragsteller gewesen, aber keine Änderung eines Messsystems oder einer Messgenauigkeit. Eine verbesserte Messgenauigkeit sei zwar naturgemäß mit der verpflichtenden Digitalisierung im Jahr 2010 erfolgt und erfolge auch laufend mit der Verbesserung der Luftbildqualität. Die Ergebnisse der Vor-Ort-Kontrolle beruhten aber nicht (ausschließlich) auf einem verbesserten Luftbild, sondern insbesondere auf einer Begutachtung der Alm vor Ort.
12 Es sei somit nicht allein aufgrund der Änderung von Messsystemen zu einer Reduktion der Almfutterflächen gekommen, sodass der vorliegende Fall nicht mit jenem vergleichbar sei, der dem Urteil des EuGH vom 5. Juni 2014, C-105/13, zugrunde gelegen sei.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit einerseits vorbringt, das BVwG habe das Gutachten eines vermessungstechnischen Amtssachverständigen aus einem anderen Verfahren verwertet, ohne dass der Revisionswerber dieses gekannt habe oder eine Stellungnahme dazu habe abgeben können. Andererseits liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu vor, inwieweit die Änderung der Messmethoden die österreichischen Behörden auf Grund der Judikatur des EuGH in der Rechtssache Noordegraf zur Neuberechnung und Neuaufteilung von Zahlungsansprüchen und deren Werte verpflichte. Mit der Einführung des NLN-Faktors sei auch die österreichische Flächenerfassung von Bruttofläche auf Nettofläche umgestellt worden. Gerade diese Änderung habe sich beim Revisionswerber grundlegend ausgewirkt: Wäre der NLN-Faktor nicht eingeführt worden, wäre die Fläche des Revisionswerbers weiterhin gleich wie davor eingeschätzt worden. Somit hätte die Einführung des NLN-Faktors zur Neuberechnung und Neuzuweisung der Zahlungsansprüche im Sinne der Entscheidung Noordegraf führen müssen.
14 1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
17 2. Mit dem Vorbringen zur Verletzung des Parteiengehörs im Zusammenhang mit dem Gutachten des Amtssachverständigen macht der Revisionswerber einen Verfahrensmangel geltend.
18 Soweit die Zulässigkeit der Revision mit einem Verfahrensmangel begründet wird, ist schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dessen Relevanz, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, darzutun. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Diese gilt insbesondere auch für die Verletzung des rechtlichen Gehörs (vgl. VwGH 12.6.2019, Ra 2017/06/0030, mwN).
19 Eine solche Relevanzdarlegung enthält die Zulässigkeitsbegründung nicht, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.
20 3.1. Zum Zulässigkeitsvorbringen betreffend die geforderte Neuberechnung von Zahlungsansprüchen aufgrund des im Jahr 2010 eingeführten NLN-Faktors stellt sich die Rechtslage folgendermaßen dar:
21 Mit der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 des Rates vom 29. September 2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 2019/93, (EG) Nr. 1452/2001, (EG) Nr. 1453/2001, (EG) Nr. 1454/2001, (EG) Nr. 1868/94, (EG) Nr. 1251/1999, (EG) Nr. 1254/1999, (EG) Nr. 1673/2000, (EWG) Nr. 2358/71 und (EG) Nr. 2529/2001 wurde unter anderem eine von der Produktion abgekoppelte Einkommensstützungsregelung für Landwirte eingeführt, die fortan an die beihilfenfähigen Flächen des jeweiligen Betriebs gekoppelt war. Diese „einheitliche Betriebsprämie“ fasste eine Reihe von Direktzahlungen an Landwirte gemäß verschiedenen bis dahin bestehenden Beihilferegelungen zusammen und löste diese ab.
22 Der Gesamtanspruch eines Betriebs wurde im Rahmen dieser Umstellung auf sogenannte „Zahlungsansprüche“ aufgeteilt, und zwar im Regelfall folgendermaßen: Zunächst wurde ein Referenzbetrag errechnet. Dieser entsprach dem Dreijahresdurchschnitt der Gesamtbeträge der Zahlungen, die ein Betriebsinhaber im Rahmen der einbezogenen Stützungsregelungen in den Jahren 2000, 2001 und 2002 bezogen hatte (Art. 37 und 38 der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003). Sodann erhielt der Betriebsinhaber je einen „Zahlungsanspruch“ pro Hektar Fläche im Dreijahresdurchschnitt der Hektarzahl aller Flächen, für die in den Jahren 2000, 2001 und 2002 ein Anspruch auf die einbezogenen Direktzahlungen bestand. Die Gesamtzahl der Zahlungsansprüche war gleich der genannten durchschnittlichen Hektarzahl. Die Höhe eines dieser Zahlungsansprüche wurde durch Teilung des Referenzbetrages durch die genannte durchschnittliche Hektarzahl (also die Anzahl der Zahlungsansprüche) ermittelt (Art. 43 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003). In der Folge gab jeder Zahlungsanspruch zusammen mit je einem Hektar beihilfefähiger Fläche Anspruch auf Zahlung des mit dem Zahlungsanspruch festgesetzten Betrags. Zur Nutzung eines Zahlungsanspruchs hatte ein Betriebsinhaber Parzellen zu melden, die ihm zur Verfügung standen und der beihilfefähigen Fläche für jeden Zahlungsanspruch entsprachen (Art. 44 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003).
23 Die Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 war für Zeiträume bis 2009 anzuwenden. Sie wurde dann durch die Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1290/2005, (EG) Nr. 247/2006, (EG) Nr. 378/2007 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 ersetzt, welche für Zeiträume von 2010 bis 2014 anzuwenden war.
24 Nach Art. 33 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 konnte die Betriebsprämienregelung unter anderem von jenen Betriebsinhabern in Anspruch genommen werden, welche Zahlungsansprüche besaßen, die sie gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 erhalten hatten. Eine Stützung im Rahmen der Betriebsprämienregelung wurde den Betriebsinhabern bei Aktivierung eines Zahlungsanspruchs je beihilfefähige Hektarfläche gewährt (Art. 34 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 73/2009).
25 Soweit ein Betriebsinhaber also einen Zahlungsanspruch nicht genutzt bzw. aktiviert hat, etwa weil seine beihilfenfähige Fläche im betreffenden Antragsjahr geringer war als die Anzahl seiner Zahlungsansprüche (also die durchschnittliche beihilfenfähige Fläche in den Jahren 2000 bis 2002), fiel im Ergebnis die gewährte einheitliche Betriebsprämie (im Vergleich zum ursprünglichen Referenzbetrag) entsprechend geringer aus.
26 Die Kommission erließ zur Durchführung der genannten Verordnungen jeweils Durchführungsverordnungen. Die Verordnung (EG) Nr. 796/2004 der Kommission vom 21. April 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur Modulation und zum Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem gemäß den Verordnungen (EG) Nr. 1782/2003 und (EG) Nr. 73/2009 des Rates sowie mit Durchführungsbestimmungen zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 479/2008 des Rates in der durch die Verordnung (EG) Nr. 380/2009 der Kommission vom 8. Mai 2009 geänderten Fassung galt für Zeiträume in den Jahren 2008 und 2009. Die Verordnung (EG) Nr. 1122/2009 der Kommission vom 30. November 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 73/2009 hinsichtlich der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, der Modulation und des integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems im Rahmen der Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe gemäß der genannten Verordnung und mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates hinsichtlich der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen im Rahmen der Stützungsregelung für den Weinsektor war für Zeiträume von 2010 bis 2014 anzuwenden. Diese Durchführungsverordnungen enthielten jeweils Regelungen für die nachträgliche Neuberechnung und Berichtigung von Zahlungsansprüchen.
27 Zu diesen gehörte Art. 73a Abs. 2a der Verordnung (EG) Nr. 796/2004, welcher wörtlich lautete:
„(2a) Wird für die Zwecke der Anwendung der Absätze 1 und 2 festgestellt, dass die Zahl der einem Betriebsinhaber gemäß der Verordnung (EG) Nr. 795/2004 zugewiesenen Zahlungsansprüche nicht korrekt ist, wobei sich die zu Unrecht erfolgte Zuweisung nicht auf den Gesamtwert der Zahlungsansprüche auswirkt, die der Betriebsinhaber erhalten hat, so berechnet der Mitgliedstaat die Zahlungsansprüche neu und berichtigt gegebenenfalls die Art der dem Betriebsinhaber zugewiesenen Ansprüche. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Fehler von den Betriebsinhabern nach billigem Ermessen hätten festgestellt werden können.“
28 Weiters lautete Art. 81 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1122/2009 wörtlich:
„(3) Wird für die Zwecke der Anwendung der Absätze 1 und 2 festgestellt, dass die Zahl der einem Betriebsinhaber gemäß der Verordnung (EG) Nr. 795/2004 oder der Verordnung (EG) Nr. 1120/2009 zugewiesenen Zahlungsansprüche nicht korrekt ist, wobei sich die zu Unrecht erfolgte Zuweisung nicht auf den Gesamtwert der Zahlungsansprüche auswirkt, die der Betriebsinhaber erhalten hat, so berechnet der Mitgliedstaat die Zahlungsansprüche neu und berichtigt gegebenenfalls die Art der dem Betriebsinhaber zugewiesenen Ansprüche.
Unterabsatz 1 gilt jedoch nicht, wenn die Fehler von den Betriebsinhabern billigerweise hätten erkannt werden können.“
29 3.2. Mit der Auslegung des Art. 73a Abs. 2a der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 befasste sich der EuGH im Rahmen eines von einem niederländischen Gericht vorgelegten Vorabentscheidungsersuchens (EuGH 5.6.2014, P. J. Vonk Noordegraaf, C-105/13).
30 Im dortigen Ausgangsverfahren wurden dem Antragsteller im Jahr 2006 Zahlungsansprüche zugewiesen, die auf der Grundlage der ihm während des Bezugszeitraums (2000 bis 2002) für seine Rinder gezahlten Prämien und der ihm im selben Zeitraum zur Verfügung stehenden Parzellen berechnet wurden. Im Lauf des Jahres 2009 haben die niederländischen Behörden nach Beanstandungen der Kommission jedoch die Methode zur Bestimmung der Fläche von landwirtschaftlichen Parzellen in den Niederlanden geändert. So wurde entschieden, ab dem Jahr 2009 ein Parzellenregister zu verwenden, das auf die „Nettofläche“ der Parzellen abstellt, also die bebaubaren Flächen unter Ausschluss künftig nicht zu berücksichtigender Flächen wie Gräben, Seitenstreifen und Wege. Dies hatte zur Folge, dass die dem Antragsteller gewährte einheitliche Betriebsprämie für das Jahr 2009 - aufgrund der nunmehr geringeren Fläche und damit geringeren Anzahl der aktivierbaren Zahlungsansprüche - gegenüber den Vorjahren herabgesetzt wurde (Rz 22, 23, 33, 34).
31 Der EuGH kam zum Ergebnis, dass die zuständigen Behörden im Ausgangsrechtsstreit nicht zu berücksichtigende Teile bei der Bestimmung der landwirtschaftlichen Parzellen eines Betriebsinhabers berücksichtigt hätten, wodurch die Zahl der ihm zugewiesenen Zahlungsansprüche als „nicht korrekt“ im Sinne von Art. 73a Abs. 2a der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 anzusehen gewesen sei. Ein Betriebsinhaber in der Lage des Antragstellers hätte die Fehler bei der Feststellung der Fläche seiner Parzellen nach billigem Ermessen nicht erkennen können, da sie die unmittelbare Folge der seinerzeit von den zuständigen nationalen Behörden angewandten Methode gewesen seien. Folglich seien nach der genannten Bestimmung die Zahlungsansprüche eines Betriebsinhabers neu zu berechnen, wenn ihm wegen einer in dem betreffenden Mitgliedstaat angewandten fehlerhaften Methode zur Bestimmung der Fläche landwirtschaftlicher Parzellen eine bestimmte Zahl von Zahlungsansprüchen zu Unrecht zugewiesen worden sei, weil sein Referenzbetrag durch eine zu große Hektarzahl geteilt worden sei (Rz 49 bis 51).
32 3.3. Entscheidend für die Frage, ob es zu einer Neuberechnung von Zahlungsansprüchen nach Art. 73a Abs. 2a der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 im Sinne der Erwägungen des EuGH in der Rechtssache Noordegraf kommen muss, ist demnach, dass bei der ursprünglichen Berechnung der Zahlungsansprüche die beihilfefähigen Flächen - etwa auf Grund einer fehlerhaften Methode - zu groß bestimmt wurden. Es wäre also bei Anwendung der korrekten (neueren) Methode eine geringere Fläche ermittelt worden. Entsprechendes hat - bezogen auf die Antragszeiträume 2010 bis 2014 - für die inhaltsgleiche Bestimmung des Art. 81 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1122/2009 zu gelten.
33 Das BVwG ist diesbezüglich - insofern dem Tatsachenbereich zuzuordnen - zum Ergebnis gekommen, dass nach den in Österreich angewendeten Messmethoden - insbesondere anhand des „Almleitfadens“ - die unproduktiven Flächenteile sowohl vor als auch nach Einführung des NLN-Faktors nicht in die Ermittlung der beihilfenfähigen Fläche einbezogen worden seien. Allein die Anwendung des NLN-Faktors habe nicht zu einer Änderung der ermittelten Flächen geführt. Das bedeutet im Ergebnis, dass es auch nicht zur Umstellung des Systems von zu großen Brutto- auf korrekte Nettoflächen gekommen ist.
34 Der Revisionswerber begründet die Relevanz der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage damit, dass allein die Einführung des NLN-Faktors zur Änderung der (anerkannten) Fläche geführt habe; ohne Einführung des NLN-Faktor wäre er seinem Vorbringen nach weiterhin gleich eingeschätzt worden. Damit weicht er aber in einem entscheidenden Punkt von jenem Sachverhalt ab, den das BVwG seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat ohne darzutun, warum die getroffenen Annahmen des BVwG unzutreffend sein sollen.
35 3.4. Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich die revisionswerbende Partei bei der Zulässigkeitsbegründung vom festgestellten Sachverhalt, kann schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen (vgl. etwa VwGH 6.7.2018, Ra 2017/02/0106; 3.9.2019, Ra 2019/01/0325, jeweils mwN).
36 4. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in nichtöffentlicher Sitzung in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
37 5. Der Vorstand für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht und in deren Rubrum sowie Text die Agrarmarkt Austria als belangte Behörde bezeichnet. Belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht - und damit Partei im Sinne des § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG - war jedoch der Vorstand für den Geschäftsbereich II der Agrarmarkt Austria. Ihm war die behördliche Zuständigkeit für die Erlassung von Bescheiden zur Durchführung der Direktzahlungen im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik, insbesondere die Einheitliche Betriebsprämie, auf Basis von § 5 Abs. 4 AMA-Gesetz 1992 durch die Geschäftsordnung der Agrarmarkt Austria in Verbindung mit § 4 Z 3 der Geschäftsordnung des AMA-Vorstands übertragen worden (vgl. näher zur Behördenqualität von Organen der AMA: VwGH 28.5.2020, Ra 2019/07/0115). Da im vorliegenden Verfahren weder dem Vorstand für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria noch der Agrarmarkt Austria selbst eigene subjektiv öffentliche Rechte zukommen, war die Revisionsbeantwortung zurückzuweisen (vgl. VwGH 20.11.2018, Ro 2018/12/0002 bis 0008, zur vergleichbaren Konstellation Gemeinderat/Stadtgemeinde).
Wien, am 25. Juni 2020
Gerichtsentscheidung
EuGH 62013CJ0105 Vonk Noordegraaf VORABSchlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018070442.L00Im RIS seit
12.08.2020Zuletzt aktualisiert am
19.08.2020