TE Vwgh Beschluss 2020/7/7 Ra 2020/14/0147

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Veröffentlicht am 07.07.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2019, W123 2200086-1/24E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 7. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, zunächst Afghanistan aufgrund der Sicherheitslage und in der Folge den Iran aufgrund diverser Probleme verlassen zu haben.

2        Mit Bescheid vom 29. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang mit Erkenntnis vom 20. Dezember 2019 nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 10. März 2020, E 421/2020-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision vor, das BVwG habe sich nicht adäquat mit der schwierigen familiären Situation des Revisionswerbers auseinandergesetzt. Seine Mutter sei psychisch schwer beeinträchtigt, der Vater sei chronisch krank und benötige die ständige Betreuung, Pflege und Unterstützung des Revisionswerbers. Der Bruder des Revisionswerbers leide an einer depressiven Störung mit Suizidversuch und benötige ebenfalls Unterstützung. Auf diese schwierige Situation habe sich der Revisionswerber in der Verhandlung vor dem BVwG berufen. Das BVwG hätte sich damit befassen müssen, ob angesichts des relativ hohen Alters der Eltern, der Erkrankungen und der schweren Erkrankung des Bruders ein Abhängigkeitsverhältnis der Eltern bzw. des Bruders gegenüber dem Revisionswerber vorliege. Das Gericht hätte in der Folge eine inhaltlich anders lautende Entscheidung treffen müssen und aufgrund der Abhängigkeit der Eltern und des Bruders die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklären müssen.

9        Zudem habe das BVwG nicht mehr aktuelle Länderberichte, insbesondere den Bericht von EASO vom Jänner 2018, herangezogen. Das Gericht hätte bezogen auf den Revisionswerber, der langjährig im Iran bzw. Europa gelebt und in Afghanistan keine Angehörigen mehr habe, eine Auseinandersetzung mit der EASO Country Guidance vom Juni 2019 vornehmen müssen. Hätte es sich mit den darin genannten Kriterien auseinandergesetzt, wäre es zu einem inhaltlich anders lautenden Ergebnis gelangt. Auch die übrigen Länderfeststellungen seien nicht hinreichend aktuell. Die Sicherheitslage in Herat habe sich massiv verschlechtert, die volatile Sicherheitslage beziehe sich auch auf Mazar-e Sharif.

10       Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargelegt:

11       Mit dem Vorbringen zur familiären Situation zielt der Revisionswerber auf die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG im Rahmen der Rückkehrentscheidung ab. Diesbezüglich hat das BVwG berücksichtigt, dass der volljährige Revisionswerber in Österreich wieder zusammen mit seinen Eltern und seinem ebenfalls volljährigen jüngeren Bruder lebt (über die Anträge der übrigen Familienmitglieder auf internationalen Schutz war noch nicht rechtskräftig abgesprochen worden). Das BVwG hat einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK unter anderem mit der Begründung verneint, dass - auf Basis näherer Erwägungen, insbesondere der langjährigen Trennung der Familie - nicht ersichtlich sei, dass trotz derzeitiger Wohngemeinschaft ein derart enges Verhältnis zwischen dem Revisionswerber und seinen Eltern bestünde, dass eine Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig wäre. Es sei im Verfahren auch nicht hervorgekommen, dass ausgerechnet der Revisionswerber für seine Eltern eine derart wichtige Bezugsperson darstelle, dass eine räumliche Trennung zwischen dem Revisionswerber und seinen Eltern unverhältnismäßig wäre. Der Revisionswerber erhalte zudem von seinen Eltern bzw. seinem Bruder auch keine finanzielle Unterstützung.

12       Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. etwa VwGH 20.12.2018, Ra 2018/14/0284, mwN).

13       Sofern die Revision nun diesbezüglich einen Begründungsmangel releviert und vorbringt, das BVwG habe sich nicht hinreichend mit der schwierigen familiären Situation auseinandergesetzt, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Revisionswerber in der Verhandlung vor dem BVwG nur die Krankheiten seiner Mutter - und zwar im Zusammenhang mit den Fluchtgründen der Familie - ins Treffen führte. Dass einerseits eine dringend notwendige Unterstützung durch den Revisionswerber sowie ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Revisionswerber vorliege und andererseits auch der Bruder und der Vater des Revisionswerbers unter schweren Erkrankungen leiden würden, wurde im Beschwerdeverfahren - entgegen dem Revisionsvorbringen - nicht vorgebracht. Damit steht der Berücksichtigung dieses Vorbringens im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof das aus § 41 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegen, weil sich ein entsprechendes Vorbringen erstmals in der Revision findet. Im Übrigen geht auch aus dem Revisionsvorbringen nicht hervor, welche Art von Unterstützungsleistungen der Revisionswerber erbringen soll und inwieweit die übrigen Familienmitglieder gerade darauf in Form eines Abhängigkeitsverhältnisses angewiesen wären.

14       Soweit die Revision vorbringt, das BVwG habe seiner Entscheidung nicht die aktuellen Länderberichte zugrunde gelegt, macht sie Verfahrensmängel geltend. Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs- und Feststellungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2020/14/0189; 2.3.2020, Ra 2020/14/0062; jeweils mwN). Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2019/14/0599, mwN). Dieser Anforderung wird die Revision mit dem allgemeinen gehaltenen Vorbringen, das BVwG wäre bei entsprechender Auseinandersetzung zu einem „inhaltlich anders lautenden Ergebnis gelangt“, nicht gerecht.

15       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 7. Juli 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140147.L00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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