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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. April 2019, W155 2173071-1/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 2. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 20. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die belangte Behörde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 26. April 2019 nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Mit Beschluss vom 24. Februar 2020, E 1646/2019-9, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat diese mit Beschluss vom 5. Mai 2020, E 1646/2019-12, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 In der vorliegenden Revision wird zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht, das BVwG hätte im Rahmen seiner Prüfung die „EASO-Leitlinien“ berücksichtigen und angesichts der Sozialisation des Revisionswerbers im Iran die innerstaatliche „Neuansiedlungsalternative“ aufgrund der mangelnden Unterstützung durch den Onkel und aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen des Revisionswerbers verneinen müssen. Zudem habe sich das BVwG mit den „UNHCR-Richtlinien“ weder hinsichtlich des vorgebrachten Risikoprofils noch hinsichtlich der Einschätzung zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul nachvollziehbar auseinandergesetzt. Es sei nicht ersichtlich, von welcher prüfungsrelevanten Herkunftsregion das Gericht ausgehe, beziehungsweise ob Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative angenommen werde. Ausführungen zur Situation in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif seien dem Erkenntnis an keiner Stelle zu entnehmen. Ebenso wenig könne aus dem Erkenntnis schlüssig nachvollzogen werden, ob die vorgelegten Befunde zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Revisionswerbers überhaupt gewürdigt worden seien. Die Beweiswürdigung sei sowohl dazu als auch im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen unvertretbar vorgenommen worden.
9 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 30.4.2020, Ra 2020/14/0016, mwN).
11 Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte, mit dem Fluchtvorbringen auseinandergesetzt. Es würdigte das Vorbringen und begründete, wie es fallbezogen zu dem Ergebnis gelangte, dass aus dem Fluchtvorbringen keine aktuelle und begründete Furcht vor Verfolgung ableitbar sei. Dass das BVwG seine Beweiswürdigung in unvertretbarer Weise vorgenommen hätte oder die beweiswürdigenden Überlegungen insgesamt als unschlüssig anzusehen wären, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision auch nicht, die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels in Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen konkret darzulegen (vgl. VwGH Ra 15.5.2020, Ra 2020/14/0176; 19.5.2020, Ra 2019/14/0599; jeweils mwN).
12 Soweit die Revision hinsichtlich der Annahme der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative eine unzureichende Auseinandersetzung mit den „EASO-Leitlinien“, den „UNHCR-Richlinien“ und dem Gesundheitszustand des Revisionswerbers rügt, macht sie einen Verfahrensmangel geltend. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel darzulegen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH Ra 15.5.2020, Ra 2020/14/0176; 19.5.2020, Ra 2019/14/0599; jeweils mwN).
13 Mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen vermag die Revision keinen relevanten Verfahrensfehler geltend zu machen. Es entspricht nämlich in Bezug auf Afghanistan der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2019/14/0599; 15.5.2020, Ra 2020/14/0176; 28.4.2020, Ra 2019/14/0121; 17.9.2019, Ra 2019/14/0160; jeweils mwN).
14 Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine - von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende - Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. wiederum VwGH 15.5.2020, Ra 2020/14/0176, mwN).
15 Das BVwG ging im angefochtenen Erkenntnis von einer Rückkehrmöglichkeit des Revisionswerbers in die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif aus und traf sowohl zur Lage des Revisionswerbers als auch zur Erreichbarkeit der Städte entsprechende Feststellungen. Es gelangte zum Ergebnis, dass es sich beim Revisionswerber um einen jungen, gesunden, arbeitsfähigen Mann handle, der mit den Gepflogenheiten Afghanistans vertraut sei, Farsi als Muttersprache beherrsche und die Möglichkeit habe, sich durch Arbeit in der Landwirtschaft, als Gärtner und in der Gastronomie eine Existenzgrundlage zu sichern. Die Feststellung, dass der Revisionswerber an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten leide, begründete das BVwG unter anderem damit, dass sich dieser Umstand aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen ergebe. Dass dem Bundesverwaltungsgericht fallbezogen ein relevanter Begründungsmangel unterlaufen wäre, vermag die Revision somit nicht aufzuzeigen.
16 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 8. Juli 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140292.L00Im RIS seit
09.08.2020Zuletzt aktualisiert am
09.08.2020