Index
E3R E05204020Norm
AlVG 1977 §1 Abs1 litaBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der J GmbH in S, vertreten durch Harisch & Partner Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Otto Holzbauer Straße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. Jänner 2020, Zl. L511 2003618-1/22E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und AlVG (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht: Salzburger Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse, Faberstraße 19-23, 5024 Salzburg; mitbeteiligte Parteien: 1. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 2. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1200 Wien, Adalbert Stifterstraße 65-67, 3. C A, Aufenthalt unbekannt, 4. Mag. A B in S, 5. J E in B, 6. Verlassenschaft nach T F, 7. K K in S; weitere Parteien: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz; Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend)
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision gegen die Spruchpunkte A II, IV, V und VI des angefochtenen Erkenntnisses wird zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Spruchpunkt A I a des angefochtenen Erkenntnisses betreffend die Pflichtversicherung der Drittmitbeteiligten gemäß § 4 Abs. 1 Z 14 iVm Abs. 4 ASVG wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Die Österreichische Gesundheitskasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.104,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht in Spruchpunkt A I a aus, dass die Drittmitbeteiligte auf Grund ihrer im Zeitraum vom 7. November 2005 bis 30. Juni 2006 für die revisionswerbende Partei ausgeübten Tätigkeit der Vollversicherungspflicht als freie Dienstnehmerin gemäß § 4 Abs. 1 Z 14 iVm Abs. 4 ASVG unterlegen ist.
2 Spruchpunkt A I b des angefochtenen Erkenntnisses wurde nicht in Revision gezogen.
3 Mit Spruchpunkt A II sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Viertmitbeteiligte im Zeitraum vom 11. bis 31. Dezember 2006 auf Grund seiner für die revisionswerbende Partei ausgeübten Tätigkeit der Vollversicherungspflicht als freier Dienstnehmer gemäß § 4 Abs. 1 Z 14 iVm Abs. 4 ASVG unterlegen ist.
4 Spruchpunkt A III des angefochtenen Erkenntnisses wurde nicht in Revision gezogen.
5 Mit Spruchpunkt A IV sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Fünftmitbeteiligte in einem näher genannten Zeitraum des Jahres 2008 auf Grund der für die revisionswerbende Partei ausgeübten Tätigkeit der Pflichtversicherung als freier Dienstnehmer gemäß § 4 Abs. 1 Z 14 iVm Abs. 4 ASVG sowie der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen ist.
6 Mit Spruchpunkt A V sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass T F. (nunmehr die sechstmitbeteiligte Verlassenschaft) in einem näher genannten Zeitraum der Jahre 2006 bis 2008 auf Grund der für die revisionswerbende Partei ausgeübten Tätigkeit der Pflichtversicherung als freier Dienstnehmer gemäß § 4 Abs. 1 Z 14 iVm Abs. 4 ASVG sowie der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen ist.
7 Mit Spruchpunkt A VI a und b sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Siebtmitbeteiligte auf Grund ihrer vom 3. März bis 30. Juni 2008 für die revisionswerbende Partei ausgeübten Tätigkeit der Pflichtversicherunggemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG und vom 1. Juli bis 31. Dezember 2008 der Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 14 iVm Abs. 4 ASVG sowie in beiden Zeiträumen gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVGder Arbeitslosenversicherungspflicht unterlegen ist.
8 Zwischen der revisionswerbenden Partei und den genannten Erwerbstätigen seien „Kooperationsverträge“ abgeschlossen worden, wonach diese Objekt- und Kundenakquisitionen im Immobilienbereich vornehmen und sich nach besten Kräften um den Abschluss von Rechtsgeschäften bemühen sollten. Sie seien für die Vermittlung von Rechtsgeschäften (z.B. Kauf, Verkauf, Tausch, Bestandverträge, Beteiligung an Immobilienfonds) über Immobilienobjekte im Bundesland Salzburg, dem angrenzenden Salzkammergut und dem Bezirk Osttirol zuständig gewesen. Als Entlohnung seien ausschließlich Provisionszahlungen vereinbart worden. Die dazugehörigen Nebentätigkeiten - wie das Gestalten von Inseraten in Abstimmung mit dem Büroleiter, das Anfertigen von Lichtbildern, die Erstellung von Exposés, die Betreuung von Kunden und die Korrespondenz - seien selbständig vorzunehmen gewesen. Zu den weiteren Aufgaben habe es gehört, mit dem Büro bzw. dem Büroleiter der revisionswerbenden Partei regelmäßig Kontakt zu halten und über Aufforderung einmal wöchentlich schriftlich über geschäftliche Vorgänge zu berichten. Es habe ein vertragliches Konkurrenzverbot für den Luxusimmobilienbereich gegolten. Der Letztabschluss sei bei der revisionswerbenden Partei verblieben, welche einen Abschluss nach Akquisition auch ohne Angabe von Gründen habe ablehnen können. In diesem Fall sei weder eine Provision noch ein Entschädigungsanspruch zugestanden. Im Vertrag sei eine Verschwiegenheitsklausel enthalten gewesen.
9 Hauptaufgabe der genannten Erwerbstätigen sei es gewesen, der revisionswerbenden Partei Suchkunden und Immobilien aus dem Luxussegment zuzuführen sowie die dazugehörigen Exposés und Fotos zu erstellen. Die Tätigkeit sei örtlich ungebunden gewesen. Viel habe über Telefonate und E-Mails abgewickelt werden können. Es habe weder Vorgaben hinsichtlich der Anzahl der zu akquirierenden Kunden bzw. Objekte noch hinsichtlich der diesbezüglich aufzuwendenden Zeit gegeben. Die Gestaltung der Tätigkeit sei völlig frei gewesen, es habe keinerlei Vorgaben gegeben, wie die Akquisitionen durchzuführen wären. Die Arbeitszeiten seien frei gestaltbar gewesen.
10 Die revisionswerbende Partei habe eine Liste für die Besetzung der beiden Büros in A und in der Ggasse erstellt. Die Anwesenheit der Erwerbstätigen sei laufend eingefordert worden, weshalb einige Mitbeteiligte, darunter der Fünftmitbeteiligte und die Siebtmitbeteiligte, öfter im Büro in A anwesend gewesen seien. An die Nichteinhaltung der Anwesenheiten seien jedoch keine Konsequenzen geknüpft worden. Es habe wöchentliche Besprechungen zum Portfolioabgleich gegeben, an denen die Erwerbstätigen zumeist teilgenommen hätten. Eine Verpflichtung zur Teilnahme habe nicht bestanden. Sämtliche im Zusammenhang mit der Tätigkeit entstandenen Kosten (Transportaufwand, Telefon) seien von den Erwerbstätigen getragen worden. Ihnen sei ein Handy zur Verfügung gestellt worden. Die Verbindungskosten hätten sie jedoch selbst getragen. Sie hätten einen Computer mit Internetverbindung benötigt, welcher von ihnen „zu organisieren“ gewesen sei, sowie gegebenenfalls einen eigenen Pkw für Besichtigungen und Kundenbesuche.
11 Die Tätigkeit der Drittmitbeteiligten habe am 7. November 2005 begonnen. Sie habe ihren Wohnsitz in Spanien gehabt, von wo aus sie die Tätigkeit für die revisionswerbende Partei auch telefonisch und per E-Mail durchgeführt habe. Sie habe ihre Honorarnoten unter ihrer spanischen Adresse und Steuernummer ausgestellt. Für Jänner 2006 bis September 2006 habe sie Honorarrechnungen für erbrachte Beratungsleistungen in Höhe von € 12.222,-- gelegt. Sie sei ab 1. Juli 2006 zusätzlich in Deutschland „unselbständig sozialversichert“ gewesen. Sie habe in Österreich zu keinem Zeitpunkt über eine Gewerbeberechtigung verfügt und es habe im verfahrensgegenständlichen Zeitraum auch keine Versicherung nach dem GSVG bestanden.
12 Der Viertmitbeteiligte sei ab ca Dezember 2006 für die revisionswerbende Partei tätig gewesen. Er habe keine Erfahrung im Immobilienbereich aufgewiesen, weshalb ein „Schnuppern“ vereinbart worden sei. Er habe am 28. Dezember 2006 eine Honorarnote für die Vermittlung eines Interessenten in Höhe von € 5.675,51 gelegt und seine Tätigkeit mit Ende Dezember 2006 beendet. Er habe weder über eine Gewerbeberechtigung verfügt, noch habe eine Pflichtversicherung nach dem GSVG bestanden.
13 Der Fünftmitbeteiligte habe im verfahrensgegenständlichen Zeitraum weder über eine aufrechte Gewerbeberechtigung verfügt, noch habe eine Pflichtversicherung nach dem GSVG bestanden. Er habe in Deutschland gewohnt und zu keinem Zeitpunkt über eine österreichische Gewerbeberechtigung verfügt. Er sei im Jahr 2008 nur in Österreich für die revisionswerbende Partei tätig geworden und habe in Deutschland eine Rente bezogen.
14 T F. (sechstmitbeteiligte Partei) sei im Jänner 2009 verstorben. Er habe im verfahrensgegenständlichen Zeitraum in Deutschland gewohnt, sei aber ausschließlich in Österreich tätig gewesen. Es habe weder eine aufrechte Gewerbeberechtigung noch eine Pflichtversicherung nach dem GSVG gegeben.
15 Zwischen der Siebtmitbeteiligten und der revisionswerbenden Partei sei vom 3. März bis 30. Juni 2008 zunächst ein Dienstvertrag über eine Beschäftigung im Ausmaß einer 40-Stunden-Woche zu einem Gehalt von € 700,-- netto vorgelegen. Der Kooperationsvertrag zwischen den Genannten habe mit 1. Juli 2008 begonnen. Seit dem 30. März 2009 verfüge sie über eine aufrechte Gewerbeberechtigung als Immobilientreuhänderin gemäß § 94 Z 35 Gewerbeordnung 1994, eingeschränkt auf Immobilienmakler. Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum 2008 habe weder eine aufrechte Gewerbeberechtigung noch eine Versicherung nach dem GSVG bestanden.
16 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass bei allen Erwerbstätigen in den genannten Zeiträumen freie Dienstverhältnisse im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG bzw. bei der Siebtmitbeteiligten auch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis iSd § 4 Abs. 2 ASVG vorgelegen sei.
17 Zur Drittmitbeteiligten führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitsnehmer und deren Familien die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO 1408/71) grundsätzlich die Rechtsvorschriften jenes Mitgliedstaates gelten würden, in dem der Arbeitnehmer bzw. der Selbständige seine Tätigkeit ausüben würde, auch wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat wohnen würden. Für Personen, die im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten gleichzeitig eine abhängige Beschäftigung und eine selbständige Beschäftigung ausüben würden, würde Art. 140 (lit. a) VO 1408/71 (lit. a) einen Vorrang des bzw. der Mitgliedstaaten vorsehen, in denen eine abhängige Beschäftigung ausgeübt werde. Zusätzlich sei bei der Erstreckung der VO 1408/71 auf Selbständige in Art. 14c lit. b leg. cit. eine Ausnahme von der Regel der Anwendbarkeit nur eines Rechts dahingehend vorgesehen worden, dass in den im Anhang VII der VO 1408/71 genannten Fällen die Rechtsvorschriften dieser beiden Mitgliedstaaten für diese Person gelten würden. Das bedeute, dass die Drittmitbeteiligte trotz ihrer selbständigen Tätigkeit in Spanien auf Grund ihrer freien Dienstnehmertätigkeit in Österreich für den Zeitraum vom 7. November 2005 bis 30. Juni 2006 mit dieser Tätigkeit jedenfalls den österreichischen Sozialversicherungsbestimmungen unterlegen sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob und in welchem Ausmaß sie mit ihrer selbständigen Tätigkeit in Spanien gemäß Art. 14c lit. b iVm Anhang VII Nr. 8 der VO 1408/71 auch den spanischen Sozialversicherungsbestimmungen unterlegen sei.
18 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
19 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision.
20 Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die Abweisung der Revision beantragt. Die Mitbeteiligten haben sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
21 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
22 Zu Punkt I (Zurückweisung der Revision betreffend die viert-, bis siebtmitbeteiligte Partei):
23 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
24 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
25 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
26 Die revisionswerbende Partei bringt vor, der Fünftmitbeteiligte und T F. hätten in Österreich nie über einen Wohnsitz verfügt, sondern in Deutschland gewohnt. Es existiere keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wie
„mit freien Dienstnehmern im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG umzugehen ist, welche ihren Beschäftigungsort gemäß § 3 Abs. 4 ASVG im Ausland haben“.
27 Darüber hinaus sei dem Bundesverwaltungsgericht eine unvertretbare Beweiswürdigung vorzuwerfen. „Anders lautende Erhebungen, Aussagen der mitbeteiligten Parteien sowie der informierten Vertreterin“ sowie das gesamte Beschwerdevorbringen seien unberücksichtigt geblieben. Ein Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom 27. März 2018 (in dem dieses zum Ergebnis gekommen sei, dass „umfangreiche und maßgebliche Ermittlungen“ fehlen würden) sei vom Bundesverwaltungsgericht ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Dieses wäre verpflichtet gewesen, Entscheidungen anderer Gerichte und Behörden heranzuziehen und zu berücksichtigen. Die durch das Bundesverwaltungsgericht selbst durchgeführten Ermittlungen seien keinesfalls geeignet gewesen, diesen vom Bundesfinanzgericht aufgezeigten wesentlichen Verfahrensmangel zu sanieren, zumal an der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nur eine von insgesamt sechs mitbeteiligten Parteien erschienen sei. Damit sei die Beweiserhebung in unvertretbarer Weise (lückenhaft) vorgenommen worden. Es fehle zudem Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage,
„ob ausschließliche Tippgeberprovisionen für die Namhaftmachung von potentiellen Kunden ein freies Dienstverhältnis im Sinn eines Dauerschuldverhältnisses begründen können“.
28 Schließlich macht die revisionswerbende Partei noch geltend, das Bundesverwaltungsgericht hätte prüfen müssen, ob nicht jeweils tageweise versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zustande gekommen seien und ob der Ausschluss der persönlichen Arbeitspflicht nicht auch ein freies Dienstverhältnis ausschließe, zumal § 4 Abs. 4 ASVG von einer „Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen“ spreche.
29 Diesem Vorbringen ist zunächst zu erwidern, dass das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die viert- bis siebtmitbeteiligte Partei festgestellt hat, dass sie ihre Tätigkeiten in Österreich ausgeübt haben, sodass gemäß Art. 13 Abs. 2 der hier zeitraumbezogen anzuwendenden VO 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 Österreich für die Durchführung der Pflichtversicherung zuständig ist.
30 Mit den behaupteten Verfahrensfehlern zeigt die revisionswerbende Partei keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf, zumal sie nicht darlegt, welche Feststellungen sich aus der Berücksichtigung der genannten Beweismittel hätten ergeben sollen. Bei den hier festgestellten freien Dienstverhältnissen kommt entgegen der Auffassung der revisionswerbenden Partei auch keine tageweise Pflichtversicherung in Frage (VwGH 4.6.2008, 2007/08/0340; 27.4.2011, 2009/08/0123). Dem Bundesverwaltungsgericht ist auf Basis des festgestellten Sachverhalts auch keine unvertretbare Entscheidung eines Einzelfalls vorzuwerfen, wenn es die Tätigkeiten in den genannten Zeitträumen als freie Dienstverhältnisse im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG klassifiziert hat, zumal die revisionswerbende Partei nicht behauptet, dass die in § 4 Abs. 4 ASVG genannten Kriterien für eine selbständige Tätigkeit vorliegen würden, die die genannten Dienstnehmer bei Erfüllung der dort genannten Voraussetzungen zu neuen Selbständigen im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG machen würden.
31 In der Revision werden insoweit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher - soweit sie sich gegen die Spruchpunkte A II, IV, V und VI des angefochtenen Erkenntnisses richtet - zurückzuweisen.
32 Zu Punkt II (Stattgebung der Revision betreffend die Drittmitbeteiligte):
33 Die revisionswerbende Partei bringt zur Zulässigkeit der Revision in Bezug auf die Drittmitbeteiligte vor, diese habe ihren Wohnsitz in Spanien gehabt, von wo aus sie die Tätigkeit für die revisionswerbende Partei auch telefonisch und per E-Mail durchgeführt habe. Sie habe ihre Honorarnoten unter ihrer spanischen Adresse und Steuernummer ausgestellt. Es existiere keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wie
„mit freien Dienstnehmern im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG umzugehen ist, welche ihren Beschäftigungsort gemäß § 3 Abs. 4 ASVG im Ausland haben“.
34 Damit zeigt sie im Ergebnis eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf.
35 Im Unterschied zu den anderen hier gegenständlichen Erwerbstätigen hat die drittmitbeteiligte Partei nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts ihre Tätigkeit im Zeitraum vom 7. November 2005 bis 30. Juni 2006 von ihrem Wohnsitz in Spanien aus ausgeübt. Erst ab 21. August 2006 war sie in Österreich mit Hauptwohnsitz und ab 11. September 2006 bei der damaligen Gebietskrankenkasse als „Auslandsbetreute Wohnsitz in Österreich“ gemeldet bzw. ab 1. Juli 2007 in Deutschland „unselbständig sozialversichert“. Sie hat im Rahmen ihrer Tätigkeit im verfahrensgegenständlichen Zeitraum telefonisch und per E-Mail mit Stellen in Österreich kommuniziert („Telearbeit“). Nach der allgemeinen Regel des Art. 13 Abs. 2 der VO 1408/71 unterliegt (lit. a) eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat, sowie (lit. b) eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats eine selbständige Tätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Insbesondere in Anbetracht des Wohnsitzes der Drittmitbeteiligten in Spanien ergibt sich aus den Art. 14 bis 17 leg. cit. keine abweichende Beurteilung. Daher ist Spanien der für die Durchführung der Pflichtversicherung zuständige Mitgliedstaat. Dies steht der Feststellung einer Pflichtversicherung nach dem ASVG entgegen.
36 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit es in Spruchpunkt A I a die Pflichtversicherung der Erstmitbeteiligten gemäß § 4 Abs. 1 Z 14 iVm Abs. 4 ASVG ausgesprochen hat, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
37 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.
Wien, am 8. Juli 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020080044.L00Im RIS seit
19.08.2020Zuletzt aktualisiert am
19.08.2020