TE Bvwg Beschluss 2019/6/27 L504 2220105-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.06.2019
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Entscheidungsdatum

27.06.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §33
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L504 2220105-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. Engel über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. unbekannt, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.06.2019, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführende Partei [bP] - eine Frau - reiste am 18.05.2019 von Amman kommend am Flughafen Wien Schwechat ein, trat ihren Anschlussflug nach Los Angeles - sie verfügt über ein USA-Visum - nicht an, sondern stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie war im Besitz eines jordanischen Reisepasses und eines paläsitinensischen Reisepasses.

Im Rahmen eines Flughafenverfahrens brachte sie zur Begründung im Wesentlichen vor, dass sie sicherheitsrelevante Probleme in "Palästina" habe. Sie und ihre Kinder seien dort bedroht worden, der Ehegatte sei schon seit ca. einem Jahr hier in Österreich als Asylwerber.

Das Bundesamt hat - nach Einholung einer Zustimmung von UNHCR - folgendermaßen entschieden:

I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 18.05.2019 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 33 Absatz 1 Ziffer 3 iVm § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Palästinensische Gebiete/Westbank abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt

Das Bundesamt stellte ua. fest, dass es sich bei der bP um eine Palästinenserin handle, die im Libanon geboren wurde. Sie sei "staatenlos" und habe von 1988 bis 2004 im Irak, bis etwa 2007 in Jordanien und danach in den Palästinensischen Gebieten gelebt. Von 2015 bis 2018 haben sie in Thailand gelebt. Ihre Identität stehe auf Grund der jordanischen bzw. palästinensischen Reisepässe fest. Die von ihr angeführten Gründe, aus denen sie die Palästinensischen Gebiete verlassen habe, würden keine Asylrelevanz aufweisen.

Im Folgenden traf das Bundesamt Feststellungen zu den Palästinensischen Autonomiegebieten. Die vom Bundesamt dabei herangezogene Berichtslage stammt aus der Zeit von 2012 bis Anfang 2016. Die Behörde argumentierte in ihrer undatierten Entscheidung (verm. vom 03.06.2019), dass sich aus diesen Feststellungen zur Westbank keine reale Gefährdung im Falle der Rückkehr ergeben würde.

Warum die Behörde, trotz vorhandener jordanischer Reisepässe im konkreten Fall von einer "Staatenlosigkeit" ausgeht, wird im Bescheid nicht begründet.

Dagegen wurde innerhalb offener Frist durch die gewillkürte Vertretung Beschwerde erhoben.

Der Verwaltungsakt samt Beschwerde langte am 17.06.2019 beim BVwG in Wien und am 18.06.2019 in der Außenstelle Linz in der zuständigen Geschäftsabteilung L504 ein.

Mit Mail vom 21.06.2019 teilte UNHCR, Mag. Birgit Einzenberger, mit, dass UNHCR zu ihrem Entscheidungszeitpunkt über die Zustimmung davon ausgegangen sei, dass das Ehepaar keine enge Bindung mehr hatte und die übrigen Familienmitglieder nie verfolgt wurden. Inzwischen habe UNHCR der Psychotherapeut des Ehegatten kontaktiert und UNHCR Beweismittel übermittelt, "die die beiden Punkte sehr wohl unterstützen". UNHCR hätte ersucht diese dem BVwG zu übermitteln.

Für das gegenständliche Verfahren sind derartige "Beweismittel" bis dato nicht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.

1. Feststellungen:

Das BFA hat im angefochtenen Bescheid die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen und ergibt sich dieser auch nicht aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes. Das Bundesamt stellte nicht nachvollziehbar dar, dass die bP - trotz gültigem Jordanischem Reisepass "staatenlos" ist. Damit steht die Staatsangehörigkeit und der zur Prüfung zugrunde zulegende Herkunftsstaat nicht fest.

Wenn man - wie die Behörde vermeint - die Westbank der Prüfung zugrundezulegen hat, erweisen sich die vom Bundesamt herangezogenen Berichte aus der Zeit 2012 bis Anfang 2016 als nicht hinreichend aktuell, um im Juni 2019 daraus eine prognostische Beurteilung der maßgeblichen Lage im Falle einer Rückkehr vornehmen zu können.

Das Bundesamt hat damit den wesentlichen Teil des Ermittlungsverfahrens an das BVwG delegiert. Die maßgeblichen Umstände ergeben sich auch nicht aus dem Akteninhalt.

2. Beweiswürdigung:

Der hierfür relevante Sachverhalt ergibt sich aus der vorliegenden Aktenlage zweifelsfrei.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zurückverweisung

§ 28 VwGVG

(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

(6) [....]

(7) [....]

(8) [....]

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Ergänzend zu obigen Ausführungen ist aber auch die jüngste Judikatur des EuGH zu erwähnen, der in seinem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 sich ua. mit der Frage, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (anstelle der Behörde) - bei entsprechender Untätigkeit der Behörde - der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität bzw. Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen.

Nach seiner Ansicht können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281) diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.

Der EuGH führte weiter aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin zu interpretieren sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Hinsichtlich des Rechts nach Art. 47 Abs. 2 der Charta auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht umfasst der Begriff der "Unabhängigkeit", die der Aufgabe des Richters innewohnt, nämlich zwei Aspekte. Der erste, externe, Aspekt setzt voraus, dass die Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteilens ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreite gefährden könnten (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der zweite, interne, Aspekt steht mit dem Begriff der "Unparteilichkeit" in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Was das Zusammenspiel zwischen der den nationalen Gerichten nach dem nationalen Recht obliegenden Pflicht, in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, und dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), anbelangt, ist in den Rn. 50 bis 52 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass die nationalen Gerichte nach dem Unionsrecht eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, auf der Grundlage der Beweise vornehmen müssen, die die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats vorgelegt haben.

Diese Gerichte können nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie - wie die Generalanwältin in den Nrn. 51 bis 56 und 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat - nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.

Die Ausführungen des EuGH beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind nach ho. Ansicht in ihren sich daraus ergebenden Grundsätzen zu der Rolle des Verwaltungsgerichtes im Verhältnis zu jener der ermittelnden Behörde jedoch auch im gegenständlichen Fall anwendbar.

Im Lichte einer GRC-konformen Interpretation der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wonach das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden hat, finden diese demnach jedenfalls dort ihre Grenze, wenn das Gericht an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten hätte, der es eigentlich obliegt, dem Gericht die Beweise, iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts, vorzulegen. Wird diese Grenze überschritten ist das Gericht ermächtigt - wenn nicht sogar iS obiger, vom EuGH aufgezeigter Grundsätze verpflichtet - eine kassatorische Entscheidung iSd § 28 Abs. 3 VwGVG zu treffen.

Fallbezogen ergibt sich Folgendes:

Keine nachvollziehbare Auseinandersetzung bzw. keine Ermittlungen zur Staatsangehörigkeit und damit zum maßgeblichen Herkunftsstaat

Die bP legte im Verfahren zwei als von der Behörde gültig anerkannte jordanische Reisepässe und einen "Palästinensischen Reisepass" vor. Aus dem Inhalt des jordanischen Reisepasses ergibt sich wohl, dass auch die USA diesen als unbedenklich erachtet und vermutlich davon ausgeht, dass es sich hier um eine jordanische Staatsangehörige handelt. USA hat ihr folglich auch ein Visum für 5 Jahre erteilt. Gerade die Einreise- und Einwanderungsbestimmungen der USA gelten weltweit als besonders streng und hat USA selbst den "Staat Palästina" nicht anerkannt.

Gegenständlich ergibt sich, dass die beiden jordanischen Reisepässe jeweils für 5 Jahre ausgestellt wurden. Aus der auf der Homepage der Staatendokumentation des Bundesamtes ersichtlichen Anfragebeantwortung zu Jordanien: "Status eines palästinensischen Vaters in Jordanien, gebürtig aus Gaza, vormals Aufenthaltstitel in Syrien; Staatsbürgerschaft der Kinder [a-10455]", werden auch Ausführungen zu verschiedenen Reisepässen / Rechten /Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsrechten für Palästinenser gemacht, ohne dass man daraus - ohne weitere Ermittlungen - jedoch schon hinreichend gesicherte Erkenntnisse für diesen Fall aus aktueller Sicht gewinnen könnte.

Zusammenfassend ergibt sich daraus insbesondere, dass es für (staatenlose) Palästinenser bis zu 5 verschiedene Aufenthaltstitel mit verschiedenen Rechten gibt. Jordanien kann für staatenlose Palästinenser auch jordanische Reisepässe ausstellen, die nur für Reisezwecke gelten, ohne dass diese aber dadurch alle die einem Staatsbürger zukommenden Rechte haben würden. Schon dadurch ergeben sich die vielfältigen Varianten und die notwendige Prüfung im Einzelfall, unter welche Kategorie ein Palästinenser mit jordanischem Reisepass fällt und welche Rechte ihm dadurch zukommen bzw. ob diese Rechte im Wesentlichen dem eines jord. Staatsbürger gleichzuhalten sind.

Einem Bericht des in Beirut und Amman ansässigen Think Tanks Al Quds Center for Political Studies (in der zitierten Anfragebeantwortung) zufolge, gebe es drei Kategorien von Palästinensern in Jordanien:

* Zum einen gebe es Jordanier palästinensischer Abstammung, die über einen fünf Jahre gültigen Reisepass und eine "nationale Identitätsnummer" verfügen würden.

* Die zweite Kategorie seien Palästinenser aus dem Westjordanland, die ein fünf Jahre gültiges Reisedokument "ohne nationale Identifikationsnummer" besitzen würden; der Besitzer eines solchen Reisdokuments gelte nicht als jordanischer Staatsbürger und verfüge zudem über eine grüne Karte für den Grenzübergang ins Westjordanland.

* Die dritte Kategorie bestehe aus Gaza-Palästinensern, die ein Reisedokument mit einer Gültigkeit von zwei Jahren ausgestellt bekommen würden, das ihnen den Zugang zu den Dienstleistungen für Staatsbürger verwehre [...].

Beide jordanische Reisepässe wurden für jeweils 5 Jahre ausgestellt. Ob die bP über eine nationale Identifikationsnummer verfügt - demnach könnte sie verm. auch jordanische Staatsangehörige mit allen Rechten eines Staatsbürgers von Jordanien sein, wobei dies aus der Anfragebeantwortung auch nicht ganz gesichert und klar hervorgeht - ist aus dem Akteninhalt und der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht ersichtlich.

Aus dem Akteninhalt fällt auf, dass in der Niederschrift der Erstbefragung die bP offenbar zu ihrer Staatsangehörigkeit selbst "Jordanien" angibt (Seite 1). Auch die LPD führt sie in den im Akt befindlichen Unterlagen mit jordanischer Staatsangehörigkeit. Soweit ersichtlich hat das Bundesamt die bP erstmals in der Niedeschrift im Schriftkopf als "staatenlos" bezeichnet, wobei, wie bereits angeführt, eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der Staasangehörigkeit zur Gänze fehlt.

Das Bundesamt hat zum Thema Staatsangehörigkeit keinerlei nachvollziehbare Ermittlungen getätigt. Insbesondere hat sie es unterlassen darzustellen, weshalb im konkreten Fall nicht von einer jordanischen Staatsbürgerschaft auszugehen ist, obwohl die Indizien anhand der vorgelegten Reisepässe durchaus dafür sprechen könnten.

Das Bundesamt hat diesbezüglich Ermittlungen zu tätigen und ist hier auch für die bP gerade in Bezug auf Jordanien ihre Mitwirkungspflicht gegeben, zumal es sich nicht um jenen Staat handelt in dem sie Verfolgung behauptete.

Selbst wenn man hier von einer Staatenlosigkeit ausgehen würde und das Palästinensische Autonomiegebiet - Westbank der Prüfung zugrundezulegen hätte, erweist sich das Ermittlungsverfahren auch diesbezüglich grob mangelhaft. Die zur Beurteilung der Rückkehrsituation im Entscheidungszeitpunkt Juni 2019 herangezogenen Berichte aus den Jahren 2012 bis Anfang 2016 erweisen sich unzweifelhaft als nicht hinreichend aktuell für die Beurteilung der "aktuellen" Lage.

Im gegenständlichen Fall wurde durch die aufgezeigten Mängel somit der maßgebliche Sachverhalt dermaßen qualifiziert mangelhaft ermittelt, dass von einem gänzlichen Ausbleiben der zur Entscheidungsfindung notwendigen Ermittlungen über weite Strecken iSd Erk. d. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 gesprochen werden muss. Das BVwG hätte hier nicht bloß Ergänzungen dazu vorzunehmen, sondern wäre vielmehr die erste Instanz die diese vollinhaltlich vornimmt und kann erst nach dieser eine Beweiswürdigung und Beurteilung der Rechtsfrage stattfinden. Das ho. Gericht hätte iSd Urteils des EuGH vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 somit in einem wesentlichen Teil des Ermittlungsverfahrens "an die Stelle" der zuständigen belangten Behörde zu treten, der es eigentlich obliegt, dem Gericht die Beweise iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts vorzulegen.

Trotz der Einrichtung von Außenstellen des BVwG ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des BVwG und des BFA eine Weiterführung des Verfahrens durch das BVwG im Sinne des § 28 Abs. 2 u 3 VwGVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist bzw. zu keiner wesentlichen Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens führt. So ergäbe sich etwa für das BVwG nach der nunmehr stRsp des VwGH auch im Falle der Einbringung neuer Berichte durch das Verwaltungsgericht zur Wahrung des Parteiengehörs hier grds. die Verpflichtung eine Verhandlung durchzuführen, dies zudem in einem Mehrparteienverfahren. Schon daraus ergibt sich ein wesentlicher Mehraufwand gegenüber einem Verfahren vor dem Bundesamt in einem Einparteienverfahren, in dem die schriftliche Stellungnahmemöglichkeit zur Wahrung des Parteiengehörs grds. alleine genügt. Das Bundesamt verfügt auch hinsichtlich der Anzahl von Entscheidern über wesentlich höhere personelle Ressourcen als das BVwG.

Eine vorweg per se angenommene Verlängerung des Verfahrens durch die Zurückverweisung und eine nochmalige Beschwerdeerhebung wäre rein spekulativ, zumal die Statistiken zeigen, dass nicht gegen jegliche Entscheidung des Bundesamtes Beschwerde erhoben wird. Insbesondere, wenn nunmehr ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren und darauf basierend eine nachvollziehbare Beweiswürdigung und rechtsrichtige Beurteilung des Antrages vorgenommen wird, kann den Erfahrungen nach von einer höheren Akzeptanz durch die Partei ausgegangen werden.

Dem Bundesamt ist als Spezialbehörde bekannt, dass zwingend auch aktuelle Berichte zur Beurteilung der Rückkehrsituation im Herkunftsstaat heranzuziehen sind und hätte die Behörde auch die Möglichkeit gehabt, diesen offenkundigen groben Mangel im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung zu beheben. Davon machte sie jedoch keinen Gebrauch, wodurch die Absicht der Delegation dieser zentralen Aufgabe an das BVwG in diesem Punkt auch auf der Hand liegt.

Das Bundesamt hat nunmehr in Entsprechung der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts allenfalls nach einer ergänzenden Einvernahme unter Zugrundelegung aktueller fallbezogener Berichte bzw. Ermittlungen, unter Wahrung des rechtlichen Gehörs in Bezug auf die Ermittlungsergebnisse, das Vorbringen auf seine Glaubhaftmachung hin zu prüfen und einer rechtlichen Beurteilung zuzuführen.

Wie die vorherigen Ausführungen zeigen, wurde der maßgebliche Sachverhalt vom BFA nicht festgestellt. Dieser ist weder dem gegenständlich angefochtenen Bescheid, noch dem vorliegenden Akteninhalt zu entnehmen. Das BFA hat dadurch, dass wesentliche Punkte des Vorbringens der bP nicht ausreichend berücksichtigt wurden, essentielle Ermittlungen unterlassen, weswegen im gegenständlichen Fall entsprechend der Rechtsprechung des VwGH zu § 28 Abs. 3 VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) davon auszugehen ist, dass genau solch gravierende Ermittlungslücken vorliegen, die zur Zurückweisung an die Verwaltungsbehörde (BFA) berechtigen, zumal das Vorliegen eines asylrelevanten Sachverhaltes nicht abschließend beurteilt werden kann, ohne sich mit dem gesamten entscheidungsrelevanten Sachverhalt auseinandergesetzt zu haben.

Da im gegenständlichen Fall das den Kern des Vorbringens betreffende Ermittlungsverfahren vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert wäre, käme dies einer Delegation des Verfahrens an das BVwG gleich. Es liegt auch nicht auf der Hand, dass die Ermittlungen und Entscheidung in der Sache durch das Bundesverwaltungsgericht rascher durchgeführt werden könnten oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wären.

Das BFA hat somit die aufgezeigten Mängel zu beheben bzw. den maßgeblichen Sachverhalt in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festzustellen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs 3 VwGVG an das BFA zurückzuverweisen.

Entfall einer Verhandlung

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war, worunter nach hL auch eine Kassation des Bescheides subsumiert werden kann (vlg. Hengstschläger/Leeb, AVG Kommentar, Rz 22 zu §67d).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung hinsichtlich § 28 Abs 3 VwGVG von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer diesbezüglichen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Feststellungen mangelnde Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht staatenlos Staatsangehörigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L504.2220105.1.00

Im RIS seit

31.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

31.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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