TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/13 I401 2180404-2

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Veröffentlicht am 13.05.2020
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Entscheidungsdatum

13.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b Abs1
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I401 2180404-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX, StA. Irak, vertreten durch Dr. Hermann KIENAST, Rechtsanwalt, Friedrichgasse 6/IV/17, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, vom 02.12.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 08.10.2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit der Verfolgung durch eine schiitische Miliz aufgrund seiner sunnitischen Glaubenszugehörigkeit und seines sunnitisch konnotierten Vornamens begründete.

1.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) wies diesen Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 31.10.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig ist und gewährte für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen.

1.3. Nach Durchführung einer Verhandlung wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 24.01.2019 als unbegründet ab. In der schriftlichen Ausfertigung vom 06.03.2019, G311 2180404-1/12E, wurde das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass eine Verfolgung durch die schiitische Miliz drohe, aufgrund zahlreicher und nicht aufzuklärender Widersprüche als nicht glaubhaft erachtet und dem Vorbringen die Asylrelevanz auch aufgrund eines fehlenden zeitlichen Konnexes abgesprochen.

Das Bundesverwaltungsgericht stellte in dieser Entscheidung unter anderem Folgendes fest:

"Der Beschwerdeführer war im Irak kein Mitglied einer politischen Partei. Gegen ihn ist kein Gerichtsverfahren anhängig und wird nach ihm weder gefahndet, polizeilich gesucht noch wird er behördlich verfolgt. Er wurde weiters nicht inhaftiert oder festgenommen."

1.4. Mit Beschluss vom 23.09.2019 lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde ab.

2.1. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte nur eineinhalb Monate nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes den gegenständlichen Folgeantrag.

In den niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesamt am 19.11. und 25.11.2019 stützte er sein Fluchtvorbringen weiterhin auf eine Verfolgung durch die schiitische Miliz und untermauerte seine Bedrohung nunmehr durch die Vorlage eines Drohbriefes und eines Haftbefehls eines Appellationsgerichtes vom 05.09.2019. Diese Dokumente seien seiner im Irak lebenden Familie im August bzw. September 2019 zugestellt worden und sei auch sein Sohn bereits ein Jahr zuvor auf der Straße auf ihn angesprochen worden.

2.2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.12.2019 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers vom 12.11.2019 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurück, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.), gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). erließ gegen ihn ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.) und trug ihm gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 auf, ab dem 13.11.2019 in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).

2.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 12.12.2019. Der Beschwerdeführer habe eine Verfolgung glaubhaft vorgetragen und diese durch den Drohbrief und den Haftbefehl untermauert. Nur weil er diese Dokumente als Kopien samt Übersetzung vorgelegt habe, hätte das Bundesamt diesen Beweismitteln nicht pauschal die Beweiskraft absprechen dürfen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird zum maßgeblichen Sachverhalt erhoben und ergänzend festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte (Verfahrens-) Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum Islam sunnitischer Ausrichtung. Er spricht arabisch.

Er ist gesund und arbeitsfähig. Er ist in Bagdad geboren und aufgewachsen, schloss ein technisches Studium im Irak ab und arbeite jahrelang im Irak und auch in Ausland, so in Syrien, in der Schwerindustrie sowie als Dolmetscher.

Er hat im Irak eine Ehefrau und zwei volljährige Kinder. Er steht nach wie vor in Kontakt zu seinen Angehörigen im Herkunftsstaat.

In Österreich schloss er zwischenzeitlich am 01.12.2015 mit einer weiteren Frau eine nach traditionellem Ritus geschlossene Ehe. Diese Beziehung ist aber bereits beendet. Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Strafverfahren wegen Verdachts der Körperverletzung und der Nötigung nach Anzeige der zweiten Ehefrau geführt. Er bekannte sich schuldig. Das Strafverfahren wurde unter Setzung einer mittlerweile abgelaufenen Probezeit durch Diversion beendet. Er ist somit strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer ging in Österreich keiner Beschäftigung nach, lebte bislang von staatlichen Leistungen aus der Grundversorgung und verzichtete mit 02.12.2019 freiwillig auf eine staatliche Versorgung. Er ist seit seiner Einreise durchgehend mit einem Wohnsitz im Bundesgebiet gemeldet.

Mit Verfahrensanordnung wurde ihm die Unterkunftnahme in einer näher bezeichneten Betreuungseinrichtung des Bundes aufgetragen, wo er von 13.11.2019 bis zu seinem erklärten Verzicht auf Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung am 02.12.2019 Quartier bezog. Die Verfahrensanordnung wurde an diesem Tag aufgehoben.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf. Er hat in Österreich keine familiären Beziehungen.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Die im gegenständlichen Verfahren vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe, durch eine schiitische Miliz wegen seiner sunnitischen Glaubenszugehörigkeit, des von ihm begangenen Verrates und seines sunnitisch konnotierten Vornamens im Irak verfolgt worden zu sein, bildete bereits den Gegenstand des mit (schriftlich ausgefertigtem) Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.03.2019 erledigten ersten Asylverfahrens.

Im rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren gab es keine Hinweise für ein im Irak gegen den Beschwerdeführer gerichtetes anhängiges Gerichtsverfahren oder Amtshandlungen von staatlichen bzw. polizeilichen Behörden.

Seine Bedrohung im Herkunftsstaat untermauerte er nunmehr durch die Vorlage eines ihm nach der Erlassung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.03.2019 über WhatsApp zugekommenen "Untersuchungs- und Haftbefehls" des Appellationsgerichtes vom 05.09.2019 sowie einer nicht datierten "Warnung der Liga der rechtschaffenen Leute". Diese Schriftstücke legte er (zusammen mit einer Übersetzung aus der arabischen Sprache) bei der am 19.11.2019 erfolgten niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt in Kopie vor.

Nach Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes mit Schriftsatz vom 21.04.2020 übermittelte der Beschwerdeführer diese Beweismittel im Original.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang sowie die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes (inklusive der Akten zum Vorverfahren) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache:

3.1.1. Nach § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Letzteres betrifft die amtswegige oder aufsichtsbehördliche Bescheidänderung oder -aufhebung. Die §§ 69 und 71 AVG normieren die Rechtsinstitute der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die hier nicht zur Anwendung kommen.

3.1.2. Da das Bundesamt den Folgeantrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hat, ist Beschwerdegegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung dieses Antrages, nicht aber der Antrag selbst.

Entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (VwGH 21.03.1985, 83/06/0023, u.a.). Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (VwGH 27.09.2000, 98/12/0057).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben (nochmals) zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235; VwGH 15. 10. 1999, 96/21/0097).

Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 09.09.1999, 97/21/0913).

Ist davon auszugehen, dass ein/eine Asylwerber/Asylwerberin einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz auf behauptete Tatsachen stützt, die bereits zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die dieser/diese jedoch nicht bereits im ersten Verfahren vorgebracht hat, liegt schon aus diesem Grund keine Sachverhaltsänderung vor und ist der weitere Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (vgl. VwGH 24.08.2004, 2003/01/0431; 04.11.2004, 2002/20/0391).

3.1.3. Wie das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung bereits im vorangegangenen Asylverfahren geklärt hat, war das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner angeblichen Verfolgung durch eine schiitische Miliz wegen seiner sunnitischen Glaubenszugehörigkeit, des von ihm begangenen Verrates und seines sunnitisch konnotierten Vornamens nicht glaubwürdig. Zwischen dem fluchtauslösenden Moment und der tatsächlichen Ausreise habe es auch an einem zeitlichen Zusammenhang gemangelt. Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht haben sich somit bereits mit dem Vorbringen der angeblichen Verfolgung durch die schiitische Miliz auseinandergesetzt und entschieden, dass dieses, soweit es nun wiederholt wird, nicht asylrelevant gewesen sei. Die im gegenständlichen Verfahren vorgelegte undatierte "Warnung der Liga der rechtschaffenen Leute", die eine noch immer bestehende, nunmehr aber "belegte" Verfolgung durch die Miliz nachweisen soll, kann daran nichts ändern. Dieses Dokument betreffend die Verfolgung des Beschwerdeführers durch eine schiitische Miliz ist nicht geeignet, die vom Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 06.03.2019 vertretene Ansicht, diesem Vorbringen mangle es an einem glaubhaften Kern und komme somit keine Asylrelevanz zu, die "Sache", nämlich die Verfolgung durch eine Miliz, neu zu beurteilen.

Die Zurückweisung des zweiten Antrages auf internationalen Schutz allein aus diesem Grund wäre nicht zu beanstanden gewesen.

3.1.4. Das Bundesamt begründete den bekämpften Bescheid damit, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Asylverfahren seine Argumente auf bereits nicht als glaubhaft qualifizierte Behauptungen stütze bzw. sein gegenwärtiges Vorbringen, wonach seine Angehörigen einen Drohbrief der Miliz erhalten hätten und es auch einen von der Justiz ausgestellten Haftbefehl gebe, auf ein unglaubhaftes Vorbringen aufbaue. Ein neuer Sachverhalt könne nicht vorliegen, weil jeder Sachverhalt, welcher auf dieses unglaubhafte Vorbringen aufbaue bzw. mit diesem im Zusammenhang stehe, nach den Denkgesetzen der Logik ebenfalls als unglaubhaft zu werten sei und der darin behauptete Sachverhalt in der Tatsachenwirklichkeit nicht existieren könne. Bei dem vorgelegten Drohbrief und Haftbefehl handle es sich lediglich um (per "WhatsApp" übermittelte) Kopien, sodass von deren Authentizität nicht ausgegangen und ihnen daher keine Beweiskraft beigemessen werden könne. Sie könnten einer objektiven Quelle nicht zugeordnet werden und es könne sich auch um eine Gefälligkeitshandlung einer Sympathieperson handeln. In der Folge kam das Bundesamt im Rahmen der Beweiswürdigung zum Schluss, dass es dem Beschwerdeführer durch die Steigerung seines Vorbringens, indem er zwei Schriftstücke in Kopie vorgelegt habe, nicht gelungen sei, eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen. Mangels glaubhaften Kerns des neuen Vorbringens sei es auch zu keiner entscheidungsrelevanten und zu berücksichtigenden Sachverhaltsänderung gekommen.

Das Bundesamt übersieht mit dieser Argumentationslinie, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis vom 06.03.2019 davon ausgegangen war, dass gegen den Beschwerdeführer kein Gerichtsverfahren anhängig gewesen und nach ihm weder gefahndet und polizeilich gesucht noch er behördlich verfolgt worden sei. Er sei auch nicht inhaftiert oder festgenommen worden. In Hinblick auf diese Feststellungen schließt nunmehr der erst nach dem rechtskräftig abgeschlossenen ersten Asylverfahren vorgelegte "Untersuchungs- und Haftbefehl" des Appellationsgerichtes vom 05.09.2019 eine andere rechtliche Beurteilung des (Folge-) Antrages auf internationalen Schutz nicht von Vornherein aus. Damit liegt aber im Vergleich zur getroffenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.03.2019 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt vor.

Die vom Bundesamt in diesem Zusammenhang maßgeblich getroffene Schlussfolgerung, dass der Beschwerdeführer durch die Vorlage neuer bzw. von erst nach Abschluss des rechtskräftig abgeschlossenen ersten Verfahrens entstandenen Beweismittel, insbesondere des "Untersuchungs- und Haftbefehls" des Appellationsgerichtes bzw. - wie der Beschwerdeführer vorbringt - des Obersten Gerichtshofes vom 05.09.2019, sein Vorbringen im Verhältnis zu den im ersten Verfahren geltend gemachten Behauptungen gesteigert habe, hätte daher einer fachmännischen Beurteilung der Echtheit und des Inhaltes sowie der Quelle des vorgelegten Untersuchungs- und Haftbefehls bedurft (vgl. dazu VwGH 04.11.2004, Zl. 2002/20/0391, mwN).

Sollte es sich bei dem nunmehr im Original vorliegenden Dokument tatsächlich um ein authentisches, echtes und auf ein Appellationsgericht zurückzuführendes Beweismittel handeln, könnte die Beurteilung der Verfolgung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat zu einem anderen Ergebnis führen. Der in einem strafrechtlichen bzw. gerichtlichen Vorverfahren erlassene Haftbefehl kann eine "Vorstufe" für den Abschluss eines (straf-) gerichtlichen Verfahrens bilden, wobei in diesem Zusammenhang nicht zu verkennen ist, dass in der Folge auch ein Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung in Betracht kommen kann.

Eine Zurückweisung des gestellten zweiten Asylantrages wegen entschiedener Sache im Sinn des § 68 AVG hätte nicht erfolgen dürfen, sondern hätte sich das Bundesamt, was es im Rahmen der Beweiswürdigung im Übrigen ohnehin getan hat, mit dem neuen Vorbringen bzw. dem neuen Beweismittel auch inhaltlich auseinandersetzen müssen. Auch wenn gegenständlich keine neuen Fluchtgründe vorgebracht wurden, hat sich durch die Vorlage eines nach dem Abschluss des rechtskräftig abgeschlossenen ersten Verfahrens datierten Beweismittels eine Sachverhaltsänderung ergeben, die eine inhaltliche Prüfung in Bezug auf die Frage der Zuerkennung internationalen Schutzes notwendig macht (vgl. in Bezug auf die Änderung der allgemeinen Lage das Erk. des VwGH vom 12.10.2016, Ra 2015/18/0221).

Im gegebenen Zusammenhang gilt es darauf hinzuweisen, dass mit dem gegenständlichen Erkenntnis nicht eine (inhaltliche) Entscheidung über den gestellten Folgeantrag des Beschwerdeführers vorweggenommen wird. Es wird lediglich festgestellt, dass im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen ersten Asylverfahren eine erhebliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist, die allenfalls zu einer anderen Beurteilung in Bezug auf die Gewährung internationalen Schutzes führen könnte.

Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen, so ist Sache des Beschwerdeverfahrens - wie bereits ausgeführt - lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag durch das Bundesverwaltungsgericht hätte den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschritten (vgl. VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115). Über den in der Beschwerde gestellten Antrag auf Gewährung von Asyl oder subsidiären Schutz kann daher nicht entschieden werden.

Die Zurückweisung des (Folge-) Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinn des § 68 AVG erfolgte daher nicht zu Recht. Die Spruchpunkte I. und II. waren daher zu beheben, ebenso wie die darauf aufbauenden Spruchpunkte III. bis VII.

3.1.5. Zur Anordnung der Unterkunftnahme (zu Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides):

Mittels Verfahrensanordnung vom 13.11.2019 wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, ab sofort in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (AS 31). Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer nach.

Gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 kann einem Asylwerber mittels Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) des Bundesamtes aus Gründen des öffentlichen Interesses, der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der zügigen Bearbeitung und wirksamen Überwachung des Antrags auf internationalen Schutz aufgetragen werden, in einem von der für die Grundversorgung zuständigen Gebietskörperschaft zur Verfügung gestellten Quartier durchgängig Unterkunft zu nehmen. Über die Verfahrensanordnung ist im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

Die Anordnung der Unterkunftnahme gilt gemäß Abs. 4 leg. cit. bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz, solange dem Asylwerber das Quartier zur Verfügung gestellt wird.

Der Beschwerdeführer verzichtete ab 02.12.2019 auf Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, somit auch auf eine zur Verfügung gestellte Unterkunft, und wurde die oben angeführte Verfahrensordnung aus diesem Grund am selben Tag aufgehoben.

Somit fehlt es an einer Verfahrensanordnung, über die im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen wäre. Damit war Spruchpunkt VIII. des bekämpften Bescheides mangels einer Grundlage ebenfalls zu beheben.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt unbestritten ist und der bekämpfte Bescheid (zur Gänze) zu beheben war, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG unterbleiben.

Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung betreffend neuer Tatsachen bzw. Beweismittel, die erst nach Abschluss des rechtskräftig erledigten ersten Verfahrens entstanden sind, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Asylverfahren Behebung der Entscheidung Bindungswirkung entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung entschiedene Sache ersatzlose Behebung Folgeantrag geänderte Verhältnisse Haftbefehl Identität der Sache Kassation Rechtskraft der Entscheidung Rechtskraftwirkung res iudicata wesentliche Sachverhaltsänderung Wohnsitzauflage Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I401.2180404.2.00

Im RIS seit

31.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

31.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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