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82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Keine Bedenken gegen § 2 COVID-19-MaßnahmenG im Hinblick auf Art18 Abs2 B VG und das Recht auf Freizügigkeit; hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage für Eingriffe in das Recht auf Freizügigkeit durch Erlassung von Betretungsverboten für bestimmte Orte zum Schutz der Gesundheit und Gesundheitsinfrastruktur; Gesetzwidrigkeit der COVID-19-Maßnahmenverordnung BGBl II 98/2020; keine gesetzliche Grundlage für ein umfassendes Betretungsverbot für öffentliche Orte, das einem allgemeinen Ausgangsverbot gleichkommt; Zulässigkeit des Individualantrags trotz Außerkrafttretens der angefochtenen Bestimmung im Zeitpunkt der Entscheidung des VfGHSpruch
I. 1. §1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020, §2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020, idF BGBl II Nr 108/2020 sowie §§4 und 6 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020, idF BGBl II Nr 107/2020 waren gesetzwidrig.
2. Die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen sind nicht mehr anzuwenden.
3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
II. Der Bund (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) ist schuldig, dem Antragsteller zuhanden seiner Rechtsvertreter die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B-VG begehrt der Antragsteller die Aufhebung der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020, idF BGBl II 108/2020 zur Gänze wegen Gesetzwidrigkeit, in eventu die Aufhebung der §§1, 2, 4 und 6 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020, idF BGBl II 108/2020 wegen Gesetzwidrigkeit.
II. Rechtslage
1. Das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 23/2020 lautet:
"Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen sowie Arbeitsorte
§1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorte im Sinne des §2 Abs3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten werden dürfen.
Betreten von bestimmten Orten
§2. Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Die Verordnung ist
1. vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt,
2. vom Landeshauptmann zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Landesgebiet erstreckt, oder
3. von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf den politischen Bezirk oder Teile desselben erstreckt.
Das Betretungsverbot kann sich auf bestimmte Zeiten beschränken. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen jene bestimmten Orte betreten werden dürfen.
Mitwirkung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes
§2a. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben die nach diesem Bundesgesetz zuständigen Behörden und Organe über deren Ersuchen bei der Ausübung ihrer beschriebenen Aufgaben bzw zur Durchsetzung der vorgesehenen Maßnahmen erforderlichenfalls unter Anwendung von Zwangsmitteln zu unterstützen.
(1a) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben an der Vollziehung dieses Bundesgesetzes und der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen mitzuwirken durch
1. Maßnahmen zur Vorbeugung gegen drohende Verwaltungsübertretungen,
2. Maßnahmen zur Einleitung und Sicherung eines Verwaltungsstrafverfahrens und
3. die Ahndung von Verwaltungsübertretungen durch Organstrafverfügungen (§50 VStG).
(2) Sofern nach der fachlichen Beurteilung der jeweiligen Gesundheitsbehörde im Rahmen der nach Abs1 vorgesehenen Mitwirkung für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach der Art der übertragbaren Krankheit und deren Übertragungsmöglichkeiten eine Gefährdung verbunden ist, der nur durch besondere Schutzmaßnahmen begegnet werden kann, so sind die Gesundheitsbehörden verpflichtet, adäquate Schutzmaßnahmen zu treffen.
Strafbestimmungen
§3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.
(2) Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, nicht betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 30 000 Euro zu bestrafen. Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte höchstens von der in der Verordnung genannten Zahl an Personen betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.
(3) Wer einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß §2 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.
Inkrafttreten
§4. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.
(1a) Abs2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 16/2020 tritt rückwirkend mit 16. März 2020 in Kraft.
(2) Hat der Bundesminister gemäß §1 eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, betreffend die Schließung von Betriebsstätten im Rahmen des Anwendungsbereichs dieser Verordnung nicht zur Anwendung.
(3) Die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 bleiben unberührt.
(4) Verordnungen auf Grund dieses Bundesgesetzes können vor seinem Inkrafttreten erlassen werden, dürfen jedoch nicht vor diesem in Kraft treten.
(5) §§1, 2 und §2a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 23/2020 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft.
Vollziehung
§5. Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betraut."
2. Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes (im Folgenden: COVID-19-Maßnahmenverordnung-98), BGBl II 98/2020, idF BGBl II 108/2020 lautet (die mit dem Eventualantrag angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
"§1. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten.
§2. Ausgenommen vom Verbot gemäß §1 sind Betretungen,
1. die zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum erforderlich sind;
2. die zur Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen dienen;
3. die zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der Deckung des Bedarfs zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann, sofern nicht durch entsprechende Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann. Diese Ausnahme schließt auch Begräbnisse im engsten Familienkreis mit ein;
4. die für berufliche Zwecke erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann, sofern nicht durch entsprechende Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann. Dabei ist darauf zu achten, dass eine berufliche Tätigkeit vorzugweise außerhalb der Arbeitsstätte erfolgen soll, sofern dies möglich ist und Arbeitgeber und Arbeitnehmer darüber ein Einvernehmen finden.
5. wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.
§3. Das Betreten von
1. Kuranstalten gemäß §42a KAKuG ist für Kurgäste verboten,
2. Einrichtungen, die der Rehabilitation dienen, ist für Patienten/-innen verboten, ausgenommen zur Inanspruchnahme unbedingt notwendiger medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation im Anschluss an die medizinische Akutbehandlung sowie im Rahmen von Unterstützungsleistungen für Allgemeine Krankenanstalten.
§4. Die Benützung von Massenbeförderungsmitteln ist nur für Betretungen gemäß §2 Z1 bis 4 zulässig, wobei bei der Benützung ein Abstand von mindestens einem Meter gegenüber anderen Personen einzuhalten ist.
§5. Das Betreten von Sportplätzen ist verboten.
§6. Im Fall der Kontrolle durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind die Gründe, warum eine Betretung gemäß §2 zulässig ist, glaubhaft zu machen.
§7. (1) Diese Verordnung tritt mit 16. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 13. April 2020 außer Kraft.
(2) Die Änderungen durch die Novelle BGBl II Nr 107/2020 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft."
Nach Einlangen des vorliegenden Antrages beim Verfassungsgerichtshof wurde die angefochtene Verordnung durch BGBl II 148/2020 und BGBl II 162/2020 geändert. Sie trat gemäß §13 Abs2 Z2 COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl II 197/2020, mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft.
3. §24 Epidemiegesetz 1950 (im Folgenden: EpidemieG 1950), BGBl 186/1950, idF BGBl I 114/2006 lautet:
"Verkehrsbeschränkungen für die Bewohner bestimmter Ortschaften.
§24. Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, hat die Bezirksverwaltungsbehörde für die Bewohner von Epidemiegebieten Verkehrbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Der Antragsteller ist österreichischer Staatsbürger und Universitätsassistent an einer Privatuniversität in Wien. Das Rektorat der Privatuniversität habe ihm angesichts der Situation in der Zeit der Antragstellung (7. April 2020) auf Grund der Verbreitung des Corona-Virus "Home-Office" verordnet, weshalb er sich an seinem Hauptwohnsitz im Haus seiner Mutter rund 100 Kilometer südwestlich von Wien befinde. Außerdem stehe ihm eine Wohnung in Wien zur Verfügung, die er von seinem Vater in Untermiete genommen habe.
1.1. Der Antragsteller führt zu seiner Antragslegitimation wie folgt aus (ohne Hervorhebungen im Original):
"[…] Durch die §§1, 2 und 4 der Verordnung wird insofern in die Rechtsphäre des Antragstellers eingegriffen, als das Verbot des Betretens öffentlicher Orte zur Folge hat, dass der Antragsteller seinen Aufenthaltsort nicht mehr nach eigenem Gutdünken, sondern nur bei Vorliegen und im Rahmen eines in den Z1 bis 4 des §2 der Verordnung vorgesehenen Rechtfertigungsgrundes, ändern kann. Für den Fall des Zuwiderhandelns gegen die Verordnung sind Verwaltungsstrafen bis zu EUR 3.600,- vorgesehen (§3 Abs3 COVID-19-Maßnahmengesetz). Durch die Verordnung wird sohin massiv in die verfassungsrechtlich gewährleisteten subjektiven Rechte des Antragstellers auf persönliche Freiheit (Art1 Abs1 PersFrBVG) und persönliche Freizügigkeit (Art4, 6 StGG; Art2 Abs1 4. ZP EMRK) eingegriffen. Während das Recht auf persönliche Freiheit die körperliche Bewegungsfreiheit garantiert (wobei vom Schutzbereich auch Anordnungen, sich nur in einem eng begrenzten Gebiet aufhalten zu dürfen, erfasst werden), garantiert das Recht auf persönliche Freizügigkeit, sich innerhalb des Hoheitsgebietes frei bewegen zu dürfen und seinen Wohnsitz frei zu wählen (Öhlinger/Eberhard, Verfas[s]ungsrecht11 [2016] Rz 806).
[…] Der Antragsteller ist in folgender Situation: Der Antragsteller befindet sich derzeit im Haus seiner Mutter […] etwa 100 Kilometer südwestlich von Wien[…]. Aufgrund der Verordnung darf der Antragsteller das Haus derzeit im Wesentlichen nur für Lebensmittelkäufe verlassen. Die Erlaubnistatbestände der Z1, 2 und 4 der Verordnung sind für den Antragsteller nicht einschlägig. Der berufliche Erlaubnistatbestand kann vom Antragsteller nicht in Anspruch genommen werden, weil ihm von seiner Dienstgeberin (************* Privatuniversität Wien) 'Home-Office' verordnet wurde. Ein Verlassen des Hauses gestützt auf die Z5 des §2 der Verordnung ist dem Antragsteller zwar möglich; ein Verlassen des Ortes ist ihm hingegen nicht möglich, weil ihm dies nur unter Zuhilfenahme öffentlicher Verkehrsmittel möglich wäre. Öffentliche Verkehrsmittel dürfen beim Rechtfertigungsgrund der Z5 des §2 der Verordnung gemäß §4 der Verordnung aber nicht benutzt werden. Über ein Auto oder sonstiges Kraftfahrzeug verfügt der Antragsteller nicht.
[…] Aufgrund dieser Umstände ist es dem Antragsteller derzeit auch nicht möglich, zu seiner Mietwohnung in […] Wien zu gelangen. Diesbezüglich wird nicht nur in das Grundrecht des Antragstellers auf persönliche Freizügigkeit, sondern auch in die Eigentumsfreiheit (Art5 StGG; Art1 1. ZP EMRK) eingegriffen. Der Schutzbereich des Eigentums im verfassungsrechtlichen Sinn erfasst nicht nur Enteignungen, sondern alle Eingriffe in vermögenswerten Privatrechte (Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht11 [2016] Rz 868). Unter den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff fallen daher auch das Mietrecht und Rechte aus dem Mietverhältnis (VfSlg 71/1921, 1667/1948, 5499/1967). Da der Antragsteller mangels eines dafür einschlägigen Rechtfertigungsgrundes aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht zu seiner Wohnung in Wien gelangen kann, kann er auch sein Gebrauchsrecht am Mietgegenstand (§1096 ABGB) nicht ausüben, weshalb ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit (Eigentumsbeschränkung) des Antragstellers vorliegt.
[…] Durch die §§1, 2 und 4 der Verordnung wird auch in die Erwerbsfreiheit (Art6 StGG) des Antragstellers eingegriffen, und zwar aus folgenden Gründen: Der Antragsteller ist Universitätsassistent am Fachbereich Privatrecht der ************* Privatuniversität Wien. Zu seinen dienstvertraglichen Pflichten zählen neben Forschung und Lehre auch das Verfassen einer Dissertation. Dieser Pflicht kann der Antragsteller derzeit nicht bzw nur sehr eingeschränkt nachkommen, weil ihm von seiner Dienstgeberin — wie dies §2 Z4 der Verordnung vorsieht — 'Home-Office' verordnet wurde. Der Antragsteller musste aufgrund seiner aus dem Dienstvertrag resultierenden Treuepflicht einer 'Home-Office'-Vereinbarung zustimmen ('Home-Office' bedarf, wenn nicht schon ursprünglich im Dienstvertrag vorgesehen, der Zustimmung des Dienstnehmers). Zuhause verfügt der Antragsteller nicht bzw nur sehr eingeschränkt über die Ressourcen, die für das Verfassen einer Dissertation notwendig sind (zB kein Zugang zu Monografien, eingeschränkter Zugriff auf juristische Zeitschriften und Gesetzeskommentare). Insbesondere wird ihm dadurch die erforderliche Benutzung der universitätseigenen Bibliothek, sowie der Bibliotheken anderer juristischer Fakultäten (insbesondere in Wien) versagt. Dadurch wird in seine durch Art6 StGG gewährleistete Erwerbsausübungsfreiheit eingegriffen.
[…] Die dargelegten Eingriffe in die Rechtssphäre des Antragstellers liegen aktuell und nicht bloß potenziell vor, weil das Betretungsverbot zum Zeitpunkt der Antragstellung in Kraft ist, der Antragsteller zu dessen Adressaten zählt und Verstöße dagegen von den Verwaltungsstrafbehörden mit Unterstützung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sanktioniert werden. Der medialen Berichterstattung ist zu entnehmen, dass es auch tatsächlich schon mehrfach zur Verhängung von Verwaltungsstrafen wegen Verstößen gegen das Betretungsverbot gekommen ist.
[…] Die Eingriffe erfolgen durch die bekämpfte Verordnung, wobei die Bestimmungen über das Betretungsverbot, die Ausnahmen hiervon und das Verbot der Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel beim Erlaubnistatbestand der Z5 des §2 der Verordnung eindeutig bestimmt sind. Aus der Verordnung geht klar hervor, dass das Betreten öffentlicher Orte grundsätzlich generell verboten ist (§1 der Verordnung) und ein Betreten öffentlicher Orte nur bei Vorliegen eines in den Z1 bis 5 des §2 der Verordnung aufgelisteten Rechtfertigungsgrundes ausnahmsweise erlaubt ist. Aus §4 der Verordnung folgt, dass öffentliche Verkehrsmittel bei Vorliegen des Erlaubnistatbestandes der Z5 des §2 der Verordnung (Spaziergeherregelung) nicht verwendet werden dürfen. Dass Verstöße verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert sind, folgt unzweifelhaft aus §3 Abs3 COVID-19-Maßnahmengesetz.
[…] Umwegunzumutbarkeit
[…] Ein Individualantrag ist, seinem Charakter als subsidiärer Rechtsbehelf entsprechend, nur zulässig, wenn dem Antragsteller kein anderer — zumutbarer — Weg offensteht, um die behauptete Gesetzeswidrigkeit an den VfGH heranzutragen. Als alternativer Weg zum VfGH bliebe dem Antragsteller nur die Möglichkeit, gegen das in §1 der Verordnung verankerte Betretungsverbot zu verstoßen und den allenfalls ergehenden Strafbescheid zu bekämpfen. Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH ist dem Antragsteller ein derartiges Vorgehen aber nicht zumutbar (vgl etwa VfGH G183/2016 ua), weshalb auch die Zulässigkeitsvoraussetzung der Umwegunzumutbarkeit vorliegt."
1.2. Seine Bedenken gegen die angefochtene Verordnung begründet der Antragsteller wie folgt (ohne Hervorhebungen im Original):
"[…] Keine bestimmte Bezeichnung der Orte des Betretungsverbotes in der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes
[…] Die bekämpfte Verordnung wurde auf Grundlage des §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes erlassen. Gemäß dieser Gesetzesbestimmung kann beim Auftreten von COVID-19 durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.
[…] Die Begründung des Initiativantrages (396/A 27. GP 11), auf den das Gesetz zurückgeht, belegt, dass die Wortfolge 'von bestimmten Orten' nicht unreflektiert, sondern ganz bewusst gewählt wurde.
[…]
Durch das Erfordernis der Bezeichnung bestimmter Orte wollte der Gesetzgeber verhindern, dass es vorschnell und unreflektiert zu generellen Betretungsverboten des öffentlichen Raumes kommt. §2 COVID-19-Maßnahmengesetz ist der Auftrag des Gesetzgebers an die Verwaltung zu entnehmen, im Einzelfall genau zu evaluieren, ob ein Betretungsverbot notwendig ist. Damit wird letztlich auch dem verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen der Grundrechte, in die eingegriffen wird, entsprochen.
[…] Diese Anordnung des §2 COVID-19-Maßnahmengesetz ist auch verständlich, weil etwa im ländlichen und städtischen Raum ganz unterschiedliche Ausgangssituationen vorliegen können (sowohl hinsichtlich der Verbreitung des Virus als auch hinsichtlich der Bewirtschaftung der Lebensräume). Letztlich kommt durch diese Bestimmung zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber pauschale Betretungsverbote des öffentlichen Raumes als unverhältnismäßig einstuft und für den Verordnungsgeber einschränkende gesetzliche Vorgaben festlegt. Wenn der Gesetzgeber ein pauschales Betretungsverbot gewollt hätte (wie es letztlich durch die Verordnung umgesetzt wurde) hätte er ein solches direkt im COVID-19-Maßnahmengesetz[es] anordnen können. Richtigerweise wollte der Gesetzgeber aber, dass Maßnahmen durch die zuständige Behörde des betroffenen Gebietes verhältnismäßig und den konkreten Umständen entsprechend umgesetzt werden.
[…] Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat sich durch die Verankerung eines generellen Betretungsverbotes des öffentlichen Raumes in §1 der Verordnung offenkundig über diese Vorgaben hinweggesetzt. Daran ändern auch die in §2 der Verordnung verankerten — funktionsbezogen und nicht ortsbezogen (!) umschriebenen — Ausnahmetatbestände nichts. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz unterminiert durch das Regelungsmodell 'Generalklausel mit Ausnahmen' das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, das im Gegenteil die Formulierung bestimmter Orte durch den Verordnungsgeber verlangt. Damit verstößt der Bundesminister gegen die durch den Gesetzgeber aufgestellten Grenzen (vgl in diesem Zusammenhang auch VfSlg 18.582/2008).
[…] Die §§1 und 2 (Generalklausel und Ausnahmen) der Verordnung finden in der gesetzlichen Verordnungsermächtigung sohin keine Deckung, sondern verstoßen gegen die gesetzlich aufgestellten Bedingungen. Die Bestimmungen sind deshalb wegen Gesetzeswidrigkeit aufzuheben. Zusätzlich sind auch die §§4 und 6 der Verordnung hinsichtlich der Benützung von Massenverkehrsmittel und der Kontrollbefugnisse der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufzuheben, weil diese Bestimmungen unmittelbar auf §2 der Verordnung Bezug nehmen und deshalb ein untrennbarer Zusammenhang besteht.
[…] Verfassungswidrige Verordnungsermächtigung (§2 Z1 COVID-19-Maßnahmengesetz)
[…]
Verletzung des Rechts auf persönliche Freiheit (Art1 Abs1 PersFrBVG)
[…] Durch die §§1, 2 und 4 der Verordnung wird die körperliche Bewegungsfreiheit des Antragstellers beträchtlich eingeschränkt, weil nach der Konzeption der Verordnung jedes Betreten des öffentliches Raumes rechtfertigungsbedürftig ist. Bei mangelnder Rechtfertigung droht eine empfindliche Verwaltungsstrafe. Damit wird in den Schutzbereich des Rechts auf persönliche Freiheit eingegriffen, der die körperliche Bewegungsfreiheit umfasst (Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht11 [2016] Rz 835), und dieses verfassungsrechtlich gewährleistete Recht — wie sogleich dargelegt — auch verletzt.
[…] Am Eingriff in das Recht des Antragstellers auf persönliche Freiheit ändert auch der Erlaubnistatbestand der Z5 des §2 der Verordnung wenig. Der Antragsteller befindet sich derzeit im Haus seiner Mutter […] etwa 100 Kilometer südwestlich von Wien[…]. Aufgrund der Verordnung darf der Antragsteller das Haus derzeit im Wesentlichen nur für Lebensmittelkäufe verlassen. Die Erlaubnistatbestände der Z1, 2 und 4 der Verordnung sind für den Antragsteller nicht einschlägig. Der berufliche Erlaubnistatbestand kann vom Antragsteller nicht in Anspruch genommen werden, weil ihm von seiner Dienstgeberin (************* Privatuniversität Wien) 'Home-Office' verordnet wurde. Ein Verlassen des Hauses gestützt auf die Z5 des §2 der Verordnung ist dem Antragsteller zwar möglich; ein Verlassen des Ortes ist ihm hingegen nicht möglich, weil ihm dies nur unter Zuhilfenahme öffentlicher Verkehrsmittel möglich wäre. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist im Fall der Z5 gemäß §4 der Verordnung aber nicht zulässig. Über ein Auto oder sonstiges Kraftfahrzeug verfügt der Antragsteller nicht.
[…] Selbst unter Berücksichtigung des Erlaubnistatbestandes der Z5 des §2 der Verordnung wird der Antragsteller in einem begrenz[t]en Gebiet festgehalten. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass auch die Anordnung, ein eng umgrenztes Gebiet nicht verlassen zu dürfen, ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf persönliche Freiheit ist (VfSlg 15.465/1999).
[…] Im Zusammenhang mit den hier geäußerten Normbedenken ist zu beachten, dass Einschränkungen der persönlichen Freiheit nur aus den in Art2 Abs1 PersFrBVG taxativ aufgezählten Gründen zulässig sind. Im konkreten Fall kommt als Eingriffstatbestand nur Art2 Abs1 Z5 PersFrBVG in Betracht. Gemäß dieser Bestimmung darf einem Menschen die persönliche Freiheit dann entzogen werden, 'wenn Grund zur Annahme besteht, dass er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten sei oder wegen psychischer Erkrankungen sich oder andere gefährde'.
[…] Es besteht jedoch kein Zweifel, dass gestützt auf Art2 Abs1 Z5 PersFrBVG nur jenen Personen die Freiheit entzogen werden darf, von denen eine Gefahr ausgeht (arg: 'wenn Grund zur Annahme besteht, dass er [!] eine Gefahrenquelle […] sei'), weil sie entweder selbst infiziert sind oder zumindest der konkrete Verdacht einer Infektion besteht. Einer Regelung, die ein generelles Betretungsverbot des öffentlichen Raumes für jedermann vorsieht, kann Art2 Abs1 Z5 PersFrBVG hingegen nicht als verfassungsrechtliche Grundlage dienen.
[…] Die §§1, 2 und 4 der Verordnung sind also auch deshalb wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben, weil sie auf einem Gesetz (§2 Z1 COVID-19-Maßnahmengesetz) beruhen, das sich hinsichtlich der Beschränkung der persönlichen Freiheit auf keinen im PersFrBVG verankerten Eingriffstatbestand stützen kann und deshalb seinerseits verfassungswidrig ist. Auch hier gilt wiederum, dass aufgrund des unmittelbaren Zusammenhanges auch §6 der Verordnung aufzuheben ist.
[…] Verletzung des Rechts auf persönliche Freizügigkeit (Art4 StGG; Art2 Abs1 4. ZP EMRK)
[…] Das österreichische Verfassungsrecht gewährleistet die Freizügigkeit der Person in mehrfacher Hinsicht. Gemäß Art4 StGG unterliegt die Freizügigkeit der Person (und des Vermögens) innerhalb des Staatsgebietes keiner Beschränkung. Darüber hinaus ist durch Art6 StGG unter anderem gesichert, dass jeder Staatsbürger an jedem Ort des Staatsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz nehmen kann. Die persönliche Freizügigkeit wird auch durch Art2 Abs1 4. ZP EMRK geschützt. Gemäß dieser Bestimmung hat jede Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und ihren Wohnsitz frei zu wählen.
[…] §2 COVID-19-Maßnahmengesetz räumt — je nach räumlicher Ausdehnung der Maßnahme — dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, dem Landeshauptmann oder der Bezirksverwaltungsbehörde die Möglichkeit ein, durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten zu untersagen, soweit dies zur Verhinderung von COVID-19 erforderlich ist. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, die persönliche Freizügigkeit im Bedarfsfall durch Verordnung weitreichend einzuschränken. Von dieser Möglichkeit hat der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz weitreichend Gebrauch gemacht und das Betreten öffentlicher Orte mit wenigen Ausnahmen durch Verordnung generell verboten.
[…] Die Freizügigkeitsgarantien gelten nicht absolut, sondern unterliegen — wie die meisten Grundrechte — einem Gesetzesvorbehalt. Art2 Abs3 4. ZP EMRK enthält folgenden materiellen Gesetzesvorbehalt: 'Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.' Beschränkungen des Grundrechts auf persönliche Freizügigkeit sind also nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig.
[…] Nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, dass Betretungsverbote, und mögen sie auch große Teile des Staatsgebietes umfassen, unter dem Blickwinkel des Rechts auf persönliche Freizügigkeit verhältnismäßige Maßnahmen zur Eindämmung von ansteckenden Krankheiten sein können. Nach Ansicht de[s] Antragsteller[s] kann bei derart schwerwiegenden Grundrechtseingriffen die Verhältnismäßigkeit aber nur dann bejaht werden, wenn der Gesetzgeber zusätzlich rechtsstaatliche Sicherungsmechanismen vorsieht. Derartige Institutionen können inhaltlicher oder verfahrensrechtlicher Natur sein.
[…] Als inhaltliche Schranke käme etwa die Befristung von Maßnahmen in Frage. Das COVID-19-Maßnahmengesetz determiniert das Vorgehen der Verwaltung in dieser Hinsicht aber nicht (wenn man einmal außen vorlässt, dass das COVID-19-Maßnahmengesetz selbst und damit die Verordnungsermächtigung mit Jahresende außer Kraft tritt, damit aber auch einen Spielraum von über neun Monate gewährt). In §2 COVID-19-Maßnahmengesetz ist zwar vorgesehen, dass sich das Betretungsverbot auch nur auf bestimmte Zeit erstrecken kann. Damit wird aber keine inhaltliche, nämlich zeitliche, Schranke für die Erlassung von Betretungsverboten, sondern eine Selbstverständlichkeit normiert. Eine Befristungsverpflichtung lässt sich aus dieser Kann-Bestimmung jedenfalls nicht ableiten.
[…] Dass sich der Gesetzgeber der Sensibilität der Einschränkung der persönlichen Freizügigkeit andernorts durchaus bewusst war, zeigt etwa das Sicherheitspolizeigesetz (SPG). Gemäß §36 Abs4 SPG ist das als Verordnung zu qualifizierende Platzverbot aufzuheben, sobald keine Gefahr mehr besteht und tritt jedenfalls sechs Stunden nach ihrer Erlassung außer Kraft. §36a SPG sieht eine auf 150m (!) beschränkte Schutzzone (Verordnung) vor, die nicht nur zwingend örtlich und zeitlich zu beschränken ist, sondern deren Wirksamkeit jedenfalls nach sechs Monaten endet. Diese Regelungen positivieren die verfassungsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeit. Eine Verhältnismäßigkeit, die §2 COVID-19-Maßnahmengesetz vermissen lässt, obwohl die möglichen Maßnahmen ein viel größeres Ausmaß an Intensität annehmen können als die dargelegten Fälle.
[…] Die Einführung von Befristungen und die Notwendigkeit der Evaluierung der gesetzten Maßnahmen verhindert nicht die Einführung von zeitlich begrenzten massiven Einschränkungen der Bevölkerung, sondern schaffen rechtsstaatlich und grundrechtlich notwendige Beschränkungen der Möglichkeiten des Verordnungsgebers und damit die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen. Ohne diese Begrenzung verlagert der Gesetzgeber einen unverhältnismäßigen Handlungsspielraum zur Verwaltung, bei gleichzeitig großer Eingriffsintensität in Grundrechte, die überdies die gesamte Bevölkerung in Österreich betreffen können.
[…] Als verfahrensrechtliche Schranken kämen etwa die Verpflichtung zur Evaluierung von Maßnahmen, die Beiziehung von anderen verfassungsmäßig eingerichteten Organen (etwa des Hauptausschusses des Nationalrates), anderweitige Konsultationsmechanismen oder zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeiten für Betroffene in Frage. Auch derartige Schranken sieht §2 COVID-19-Maßnahmengesetz überhaupt nicht vor. Die Bestimmung kann nicht als gelindestes Mittel verstanden werden und ist damit nicht erforderlich. Schließlich berücksichtigt die Bestimmung damit auch nicht die notwendige Abwägung zwischen der Eingriffsintensität des Grundrechts einerseits und der Zielerreichung andererseits. Während durch das Vorsehen rechtsstaatlicher Einschränkungen und Kontrollen die Zielerreichung (der öffentlichen Gesundheit) nicht vermindert wird, würden rechtsstaatliche Garantien die Eingriffsintensität in das Grundrecht deutlich vermindern.
[…] Nach Ansicht des Antragstellers führt das Fehlen derartiger institutioneller Garantien dazu, dass §2 COVID-19-Maßnahmengesetz dem Verordnungsgeber die Möglichkeit eröffnet, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf persönliche Freizügigkeit unverhältnismäßig einzuschränken. Die Verordnung gründet sich damit auf eine verfassungswidrige Rechtsgrundlage, weshalb es ihr an der gesetzlichen Deckung mangelt.
[…] Angemerkt sei, dass §2 COVID-Maßnahmengesetz unabhängig davon verfassungswidrig ist, ob man den Maßstab des Art2 Abs3 4. ZP EMRK oder jenen der Art4 bzw 6 StGG anlegt. Wie gezeigt wurde, hält diese Bestimmung dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs3 4. ZP EMRK nicht stand. Die Art4 und 6 StGG enthalten demgegenüber keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt. Das bedeutet aber weder, dass diese Grundrechte schrankenlos gewährt werden, noch, dass jegliche Einschränkungen durch den Gesetzgeber hingenommen werden müssen. Der VfGH ging in seiner älteren Rechtsprechung zwar davon aus, dass die aus den Art4 und 6 StGG resultierenden Freizügigkeitsrechte nur im Rahmen der Rechtsordnung garantiert werden (VfSlg 13.097/1992). Um die Gewährleistungen der Art4 und 6 StGG nicht leer laufen zu lassen, war aber auch der VfGH in seiner älteren Rechtsprechung der Ansicht, dass unsachliche, durch öffentliche Rücksichten nicht gebotene Einengungen des Schutzes durch das Gleichheitsgebot verhindert werden sollen (dazu Berka, Verfassungsrecht7 [2018] Rz 1383).
[…] Die neuere Rechtsprechung unterscheidet bei den — scheinbar — vorbehaltslos gewährleisteten Grundrechten zwischen intentionalen Beschränkungen und allgemeinen Gesetzen. Regelungen, die direkt und intentional auf die Beschränkungen des jeweiligen Grundrechts abzielen, sind durch ein vorbehaltslos gewährleistetes Grundrecht ausnahmslos untersagt. Dagegen verletzen allgemeine, nicht intentionale Gesetze diese Grundrechte nur dann, wenn sie nicht den Kriterien der Verhältnismäßigkeit entsprechen (siehe dazu Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht11 [2016] Rz 720). Wenngleich diese Rechtsprechung zur Kunstfreiheit ergangen ist, ist sie aufgrund der strukturellen Gemeinsamkeiten dieser Grundrechte auch hier einschlägig.
[…] Aus all dem kann abgeleitet werden, dass auch Eingriffe in die durch das StGG gewährleisteten Freizügigkeitsrechte nur dann zulässig sind, wenn sie verhältnismäßig sind. Insofern sind die oben zum materiellen Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs3 4. ZP EMRK gemachten Ausführungen auch hier einschlägig. Da Bestimmungen, die gezielte Betretungsverbote zur Eindämmung von ansteckenden Krankheiten zulassen, intentionalen Eingriffen wertungsmäßig zumindest sehr nahe kommen, ist nach Ansicht des Antragstellers bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne eines beweglichen Systems ein strenger Maßstab anzulegen.
[…] Verletzung des Bestimmtheitsgebots (Art18 Abs1 B-VG)
[…] Das in Art18 Abs1 B-VG zum Ausdruck kommende verfassungsrechtliche Legalitätsprinzip gebietet es, hinreichend bestimmte Gesetze zu erlassen. Dabei ist allgemein anerkannt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit von Gesetzen nicht uniform sind, sondern von unterschiedlichen Gesichtspunkten, insbesondere der Eingriffsintensität des Gesetzes, abhängen (siehe dazu etwa Kucsko-Stadlmayer, Die allgemeinen Strukturen der Grundrechte, in Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer, Handbuch der Grundrechte VII/12 §3 Rz 92).
[…] Gesteigerte Bestimmtheitserfordernisse werden vom VfGH daher konsequenterweise an 'eingriffsnahe Gesetze' gestellt. Das sind solche, die zu regelmäßigen und intensiven Grundrechtseingriffen ermächtigen. In diesem eingriffsnahen Bereich muss der Gesetzgeber den Ausgleich zwischen Freiheit und Bindung durch eine besonders deutliche Umschreibung des Eingriffstatbestandes abschließend und umfassend selbst regeln (siehe dazu Berka, Das 'eingriffsnahe Gesetz' und die grundrechtliche Interessenabwägung, in FS R. Walter [1991] 43; vgl dazu jüngst auch Prankl, Zur Streitschlichtung zwischen Rechtsanwälten [§21 Abs2 RL-BA 2015] und zu den Rechtsfolgen ihrer Missachtung, AnwBI 2020, 120 f). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass Eingriffe in den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich — der Funktionsweise des Gesetzesvorbehaltes entsprechend — nur durch förmliches Gesetz zulässig sind (Berka, in FS R. Walter 43; ders, Die grundrechtliche Interessenabwägung im Stufenbau der Rechtsordnung, in GS R. Walter [2013] 45). Ermächtigt ein Gesetz — wie im vorliegenden Fall — in einem eingriffsnahen Bereich (zu den schwerwiegenden Grundrechtseingriffen, die §2 COVID-19-Maßnahmengesetz ermöglicht, siehe die Ausführungen oben) zur Erlassung von Verordnungen, ist der Verordnungsinhalt daher bereits im Gesetz entsprechend konkret zu determinieren.
[…] Den gesteigerten Bestimmtheitserfordernissen ist der Gesetzgeber bei der Erlassung des §2 COVID-19-Maßnahmengesetz nicht nachgekommen. Diese Bestimmung legt in lapidarer Kürze fest, dass bei Auftreten von COVID-19 Betretungsverbote für bestimmte Orte verhängt werden können, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Die einzig erkennbare Determinante — die vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, wie oben aufgezeigt, in gesetzwidriger Weise missachtet wurde — liegt darin, dass Betretungsverbote nur für bestimmte Orte verhängt werden dürfen. Das Gesetz legt aber weder fest ab welchem Verbreitungsgrad von COVID-19 Betretungsverbote erlassen werden dürfen noch werden Kriterien vorgegeben, anhand derer die Erforderlichkeit für derartige Maßnahme zu beurteilen ist. Schließlich werden auch keine Grenzen aufgezeigt, ab dem nicht mehr vom 'Auftreten von COVID-19' gesprochen werden kann. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass einzelne Fälle von COVID-19 in den nächsten Jahren immer (wieder) 'auftreten werden'. Eine marginale Auftretenswahrscheinlichkeit kann aber nicht ausreichen, um wiederum weitreichende Einschränkungen vorzusehen. Dem Verordnungsgeber hinsichtlich der Erforderlichkeit derart eingriffsintensiver Maßnahmen völlig die Einschätzungsprärogative zu überlassen, ist verfassungsrechtlich nicht zulässig. §2 COVID-19-Maßnahmengesetz ist daher auch wegen eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot (Art18 B-VG) verfassungswidrig.
[…] Verletzung der Eigentumsfreiheit (Art5 StGG; Art1 1. ZP EMRK), der Erwerbsfreiheit (Art6 StGG) und des Gleichheitssatzes (Art7 B-VG)
[…] [Oben] wurde ausgeführt, dass durch die §§1, 2 und 4 der Verordnung auch in die Eigentumsfreiheit und die Erwerbsfreiheit des Antragstellers eingegriffen wird, und zwar im Einzelnen wie folgt:
- Eigentumsfreiheit: In die Eigentumsfreiheit des Antragstellers wird eingegriffen, weil er aufgrund des Betretungsverbotes derzeit nicht in der Lage ist, seine Mietwohnung in […] Wien zu betreten. Er kann sich diesbezüglich auf keinen in §2 der Verordnung angeführten Erlaubnistatbestand berufen.
- Erwerbsfreiheit: In die Erwerbsfreiheit des Antragstellers wird eingegriffen, weil ihm von seiner Dienstgeberin (************* Privatuniversität Wien) gestützt auf die Verordnung 'Home-Office' verordnet wurde und er mangels Zuganges zu Bibliotheken nicht adäquat an seiner Dissertation (zu deren Verfassen er dienstvertraglich verpflichtet ist) arbeiten kann.
[…] Die Verordnung wurde — wie nun bereits mehrfach ausgeführt wurde — auf Grundlage des §2 COVID-19-Maßnahmengesetz erlassen. §2 COVID-19-Maßnahmengesetz ist aber verfassungswidrig, weil es auf unverhältnismäßige Weise Befugnisse zum Eingriff in Grundrechte an den Verordnungsgeber delegiert.
[…] Naturgemäß können sämtliche der oben angeführten Grundrechte gesetzlichen Beschränkungen unterworfen werden. Auch hier gilt aber, dass Grundrechtseingriffe nur dann verfassungsrechtlich zulässig sind, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. Freilich können — auch weitreichende — Betretungsverbote, die gegebenenfalls im Verordnungsweg erlassen werden, hinsichtlich der hier ins Treffen geführten Grundrechte nicht schlechthin als unverhältnismäßig eingestuft werden. Auch hier ergibt sich die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen und folglich die Verletzung der Grundrechte aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in §2 COVID-19-Maßnahmengesetz keine zusätzlichen rechtsstaatlichen Sicherungsmechanismen (Befristung der Maßnahmen, verfahrensrechtliche Vorkehrungen, Rechtsschutzmöglichkeiten für Betroffene, etc) vorgesehen hat und dem Verordnungsgeber somit auf inadäquate Weise weitreichende Befugnisse zum Eingriff in Grundrechte eingeräumt hat. Angesichts der starken Intensität der möglichen Grundrechtseingriffe wäre dies aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten gewesen.
[…] Das Fehlen zusätzlicher rechtsstaatlicher Sicherungsmechanismen in §2 COVID-19-Maßnahmengesetz bewirkt nach Ansicht des Antragstellers zudem, dass die Regelung dem aus dem Gleichheitsgrundsatz (Art7 B-VG) abgeleiteten Sachlichkeitsgebot nicht standhält.
[…] Zusammenfassend führt das Fehlen derartiger institutioneller Garantien dazu, dass §2 COVID-19-Maßnahmengesetz dem Verordnungsgeber die Möglichkeit eröffnet, die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte der Eigentumsfreiheit, der Erwerbsfreiheit und des Rechts auf Achtung des Familienlebens, unverhältnismäßig einzuschränken. Darüber hinaus ist §2 COVID-19-Maßnahmengesetz auch unsachlich und verletzt den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Die Verordnung gründet sich sohin auch unter diesem Aspekt auf eine verfassungswidrige Rechtsgrundlage, weshalb es ihr an der gesetzlichen Deckung mangelt. Sie ist deshalb vollumfänglich aufzuheben."
2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden: BMSGPK) hat die Verordnungsakten vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der er die Zurückweisung des Antrages, in eventu dessen Abweisung begehrt und dies wie folgt begründet (ohne Hervorhebungen im Original):
"[…] Zur Zulässigkeit:
[…] Zur aktuellen und unmittelbaren Betroffenheit:
[…]
Die aktuelle Betroffenheit muss dabei sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vorliegen (statt vieler mwN VfSlg 14.712/1996; VfSlg 19.391/2011). Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs entfaltet eine im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtshofs bereits außer Kraft getretene Norm für die Rechtssphäre des Antragstellers regelmäßig nicht mehr die eine Antragstellung rechtfertigende unmittelbare Wirkung (VfSlg 9868/1983, 11.365/1987, 12.182/1989, 12.413/1990, 12.999/1992, 14.033/1995, 15.116/1998, 16.224/2001; 17.266/2004). Mit dem Außer-Kraft-Treten ist das Ziel eines Verfahrens nach dem letzten Satz der ersten Absätze in Art139 und 140 B-VG, die rechtswidrige Norm ohne Verzug mit genereller Wirkung aus dem Rechtsbestand zu entfernen, fortgefallen (vgl nur VfGH V8/00, VfGH 5. 3. 2014, G20/2013, V11/2013; vgl auch VfSlg 16.618/2002, 17.400, 17653).
[…] Das Außer-Kraft-Treten schadet im Hinblick auf die Antragslegitimation nur dann nicht, wenn die angefochtene Bestimmung auch nach dem Außer-Kraft-Treten noch eine nachteilige rechtliche Wirkung für den Antragsteller hat (s nur VfSlg 12.227/1989, VfSlg 16.229/2001), wenn also der 'Rechtsfolgenbereich' über den zeitlichen 'Bedingungsbereich' hinausreicht (vgl Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht10 Rz 1023 und 437). Diesfalls trifft den Antragsteller eine besondere Darlegungspflicht (vgl etwa VfSlg 15.116/1998, VfSlg 12.634/1991 und 11.365/1987).
[…] Die Verordnung BGBl II Nr 98/2020 ist mit 30. April 2020 außer Kraft getreten (§13 Abs2 Z2 COVID-19-Lockerungserordnung BGBl II Nr 197/2020). Eine auch nach dem Außer-Kraft-Treten weiter bestehende nachteilige Wirkung behauptet bzw legt der Antragsteller nicht dar. Solche fortbestehenden rechtlichen Wirkungen der aufgehobenen Verordnung sind auch nicht ersichtlich. Mit Außer-Kraft-Treten der Verordnung BGBl II Nr 98/2020 fielen die darin vorgesehenen Betretungsverbote weg.
[…] Mangels aktueller Betroffenheit ist der Antrag nach Ansicht des BMSGKP daher zur Gänze zurückzuweisen.
[…] Zur Darlegung der Bedenken
[…] Nach §57 Abs1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Ein Antrag, der sich gegen den ganzen Inhalt einer Verordnung richtet, muss die Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit aller Bestimmungen der Verordnung 'im Einzelnen' darlegen und dabei insbesondere dartun, inwieweit alle angefochtenen Verordnungsregelungen unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen. Anträge, die diesem Erfordernis nicht entsprechen, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht (im Sinne von §18 VfGG) verbesserungsfähig, sondern als unzulässig zurückzuweisen (VfSlg 19.585/2011 mwN, 19.954/2015 mwN; VfGH 13.9.2013, V56/2013; VfGH 30.11.2017, V102/2017).
[…] Die Bedenken des Antragstellers richten sich weitgehend gegen das COVID-19-Maßnahmengesetz. Gestützt auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg 9535/1982; 17.341/2004; 17.967/2006;