TE Bvwg Beschluss 2019/6/27 L529 2213206-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.06.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

27.06.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L529 2213206-2/9E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Georgien, vertreten durch den Verein Menschenrechte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.06.2019, Zl. XXXX :

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrenshergang

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ist ein männlicher Staatsangehöriger der Republik Georgien. Seinen Angaben zufolge reiste der BF im Mai oder Juni 2017 ins Bundesgebiet ein. Er wurde am 17.07.2017 in Haft genommen und mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 16.02.2018 wegen §§ 127, 128, 129, 130 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 33 Monaten verurteilt.

I.2. Der BF stellte am 22.05.2019 aus dem Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2.1. In der Erstbefragung am 22.05.2019 und in der niederschriftlichen Einvernahme am 28.05.2019 gab der BF zum Fluchtgrund an, Probleme mit staatlichen Organen gehabt zu haben, weil er sich geweigert habe, bestimmte Parteien zu unterstützen. Es sei ihm nahegelegt worden, Georgien zu verlassen, ansonsten er lange in Haft sein bzw. ihm Suchtgift untergeschoben werde.

I.2.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der bB gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III). Weiters wurde der Beschwerde gem. § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.), gemäß § 55 Abs. 1a FPG festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt V.), und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von 9 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen wird (Spruchpunkt VI.).

I.2.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen des BF in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft.

I.2.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Georgien traf die belangte Behörde ausführliche Feststellungen.

I.2.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorgekommen sei. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen unter § 57 AsylG zu subsumierenden Sachverhalt ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte dar. Einen Familienbezug im österreichischen Bundesgebiet habe der BF nicht. Der BF sei in Österreich (wegen §§ 127, 128, 129, 130 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 33 Monaten gerichtlich verurteilt worden. Zudem stamme der BF aus einem sicheren Herkunftsstaat und wurde daher der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (§ 18 (1) 1 BFA-VG).

I.2.3. Gegen den genannten Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Der entscheidungserhebliche Sachverhalt steht im Hinblick auf den Gesundheitszustand des BF, im Hinblick auf ein allfälliges Familien- bzw. Privatleben, im Hinblick auf die Identität des BF, im Hinblick auf die der strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden Handlungen des BF, im Hinblick auf die im Verfahren vorgelegten Dokumente und im Hinblick auf das Fluchtvorbringen (Darstellung in der Erstbefragung / Darstellung in der Einvernahme) nicht fest; das Ermittlungsverfahren ist grob mangelhaft.

Eine Sanierung in der verkürzten Entscheidungsfrist ist nicht möglich.

II.2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus folgenden Überlegungen:

Soweit das BFA begründend ausführt, beim BF handle es sich um einen "gesunden ....Mann" - vgl. AS 245) so ist das jedenfalls aktenwidrig. Dokumente über den Gesundheitszustand finden sich zwar im Akt (AS 163 - 174), dass sich das BFA damit (mit den in den Dokumenten angeführten Diagnosen) aber entsprechend auseinandergesetzt hätte, ist der vorliegenden Entscheidung nicht zu entnehmen. In der Einvernahme am 28.05.2019 erwähnte der BF, dass er sich im Hungerstreik befinde, in der Entscheidung wird das nicht mehr thematisiert (abgesehen von der Aussage: "Sie befinden sich aktuell in Schubhaft [gemeint: Hungerstreik], um eine Entlassung zu erzwingen." - AS 240). Unterlagen dazu (zum Hungerstreik) finden sich nicht in den vorgelegten Verwaltungsakten.ie Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde.

Soweit das BFA ausführt, der BF habe keine sozialen Kontakte, die ihn an Österreich binden, so ist das insoweit aktenwidrig. Der BF hatte schon in der Erstbefragung angegeben, dass hier eine ihm nahestehende Person lebe, die er schon 22 Jahre kenne (AS 23), in der Einvernahme gab er an, dass er eine Lebensgefährtin hier habe (AS 69). Die Dokumente in georgischer Sprache, die der BF im Verfahren nachreichte, wurden von dieser Lebensgefährtin per E-Mail an das BF gesendet (AS 79).

Das BFA führte im Rahmen der Beweiswürdigung aus, die Identität des BF stehe aufgrund der Vorlage von identitätsbezeugenden Dokumente (Reisepass) fest. Kopien eines solchen Dokumentes finden sich aber an keiner Stelle der vorgelegten Verwaltungsakten. Dagegen scheinen hinsichtlich des BF zwei verschiedene Namen und Geburtsdaten auf. In den mit E-Mail vom 21.06.2019 nachgereichten Unterlagen findet sich eine Notiz des BMI v. 22.11.2017, dass die angeführte Person von IP-Tiblisi unter den Daten XXXX , XXXX , Vater: XXXX , StA: Georgien, identifiziert worden sei (vgl. do. AS 7). Eine nachvollziehbare Dokumentation dazu fehlt aber. Die Identität kann daher nicht als feststehend angesehen werden.

Eine Auseinandersetzung des BFA mit den der strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Handlungen fehlt in der vorliegenden Entscheidung. Im Wesentlichen werden nur die Daten aus dem Strafregister zitiert. Dass das BFA diese Handlungen nicht entsprechend würdigte (und auch nicht würdigen konnte), ergibt sich auch aus den vorliegenden Akten. In den ursprünglich vorgelegten Akten fehlt dieses Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.02.2018 (es wurde erst mit den nachgereichten Unterlagen, nachdem diese von anderen Organisationseinheiten des BFA erlangt worden waren, vorgelegt), demnach konnte sich das BFA auch nicht mit dessen Inhalt auseinandergesetzt haben.

Die Einvernahme des BF beim BFA erfolgte am 28.05.2019, mit E-Mail vom gleichen Tag (18:33 Uhr) erfolgte für den BF die Vorlage von Dokumenten. Eine Zusammenfassung des Inhaltes der Dokumente wurde von der Dolmetscherin am 02.06.2019, 19:28 Uhr, dem BFA übermittelt. Der Bescheid wurde am 06.06.2019 ausgefertigt - dazwischenliegende Ermittlungsschritte der Behörde sind nicht dokumentiert, d.h. eine Befragung des BF zu den vorgelegten Dokumenten fand nicht statt. Die vorgreifende Beweiswürdigung diesbezüglich ergibt sich schon aus dem zeitlichen Ablauf.

Eine ausreichende Auseinandersetzung des BFA mit den divergierenden Schilderungen des Fluchtvorbringens ist aus der vorliegenden Entscheidung nicht ersichtlich.

II.3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

II.3.1. Zur Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: "Tatsachenbereich") (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar und soll von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher im Lichte der oa. Ausführungen insbesondere dann in Betracht kommen,

- wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,

- wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder

- bloß ansatzweise ermittelt hat.

- Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

II.3.2. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG im gegenständlichen Fall:

II.3.2.1. Vorweg ist anzuführen, dass das BFA die Beweiswürdigung - das Fluchtvorbringen des BF sei nicht glaubwürdig - darauf stützte, dass, wenn der BF in Georgien einer Gefahr ausgesetzt gewesen wäre, er mit hoher Wahrscheinlichkeit gleich einen Asylantrag gestellt hätte [und nicht 2 Jahre zugewartet hätte], er bereits einen Monat nach seiner Einreise in Österreich straffällig geworden ist, es nicht nachvollziehbar sei, dass er im fremdenpolizeilichen Verfahren keine Stellungnahme abgegeben habe, die Angaben des BF in der Erstbefragung unwahrscheinlich seien, die Ehefrau in Georgien unbehelligt leben könne, es unmittelbar einsichtig sei, dass es sich um ein fiktives Gedankenkonstrukt handle, seine Aussagen zu allgemein, abstrakt, also nicht dem Inhaltsgehalt eines persönlich erlebten Erfahrungsberichtes entsprechen könnten und das Vorbringen in Kernpunkten einen hohen Unbestimmtheitsgrad aufweise. Diese vom BFA angeführten Argumente stellen zwar (in unterschiedlicher Intensität) Indizien für die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des BF dar, sind jedoch in Summe nicht geeignet, den Befund der Unglaubwürdigkeit zu tragen, handelt es sich doch zum Teil um Argumente, die schwache Indizwirkung in Richtung einer Unglaubwürdigkeit haben.

Gleichwohl wären weitere gewichtige Argumente (Widersprüche - besonders im Hinblick auf die Schussattentate auf den BF) im Vorbringen des BF vorliegend, die allerdings vom BFA nicht aufgegriffen wurden. Dem BVwG ist es aber verwehrt, solche wesentlichen beweiswürdigenden Überlegungen ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung anzustellen.

Wenn das BFA anführt, die Abschiebung des BF sei für 19.05.2019 geplant gewesen, er habe die Abschiebung dahingehend verhindert, dass er im Stande der Schubhaft einen Asylantrag eingebracht habe, so ist das angesichts der zeitlichen Einordnung unverständlich, stellte der BF doch den Antrag auf internationalen Schutz erst am 22.05.2019.

II.3.2.2. Der BF wurde zwar im Zuge der Einvernahme zum Gesundheitszustand befragt und gab dabei an, dass er sich derzeit im Hungerstreik befinde und es ihm nicht gut gehe, er bekomme Lyrica zur Linderung seiner Nierenschmerzen und Codidol als Drogenersatz, in Haft habe er Hepatitis C bekommen. Der BF brachte auch medizinische Dokumente in Vorlage (vgl. AS 163 - 174), eine nähere Auseinandersetzung mit dem Gesundheitszustand des BF findet sich im angefochtenen Bescheid jedoch nicht. Gleichwohl stellte das BFA fest, dass der BF gesund sei (AS 245).

Der Sachverhalt steht insoweit nicht fest.

II.3.2.3. Der BF gab auch an, er habe hier eine Lebensgefährtin, diese kenne er seit Kindheit und wohne diese in Wien an einer bezeichneten Adresse; Unterlagen zu seiner früheren Firma habe er bei ihr (AS 23, 69, 71). Im Bescheid führte das BFA dagegen an, der BF habe keine sozialen Kontakte, die ihn an Österreich binden (AS 189).

Der Sachverhalt steht insoweit nicht fest.

II.3.2.4. Im angefochtenen Bescheid wurde festgestellt: "Ihre Identität steht fest". Diese Feststellung ist insofern unklar, als den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakten kein entsprechendes Identitätsdokument zu entnehmen ist. Die Information auf AS 7 des Voraktes ist jedenfalls unzureichend.

II.3.2.5. Im Hinblick auf das von der belangten Behörde ausgesprochene Einreiseverbot von 9 Jahren wurde von der bB auf den entsprechenden Eintrag im Strafregister verwiesen und dieser Eintrag zitiert. Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens sei unter Bedachtnahme auf sein Gesamtverhalten, davon auszugehen, dass der BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Eine nähere Auseinandersetzung mit dem dieser Verurteilung zugrundeliegenden Strafurteil, insbesondere mit den vom BF begangenen einzelnen strafbaren Handlungen erfolgte nicht.

Bei der Bemessung - dh. der Festlegung der Dauer des Einreiseverbotes - ist aber das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und aufgrund konkreter Feststellungen eine Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose vorzunehmen. Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder des Vorliegens der sonstigen genannten Tatbestandsvoraussetzungen an, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und die Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild. D.h. für den konkreten Fall, dass eine Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden Fehlverhalten und der entsprechenden Rechtsgutbeeinträchtigung - und daher mit dem entsprechenden Gerichtsurteil - notwendig gewesen wäre, was die bB allerdings unterlassen hat.

II.3.2.6. Per E-Mail vom 28.05.2019 übersendete die Lebensgefährtin des BF Dokumente in georgischer Sprache (vgl. AS 79 - 157). Dazu findet sich eine Zusammenfassung des Inhaltes dieser Dokumente - verfasst von der Übersetzerin (vgl. AS 161). Ohne aber den BF konkret zu diesen vorgelegten Dokumenten zu befragen - was er mit den vorgelegten Dokumenten zu beweisen beabsichtige - wurden diese Dokumente offenbar (vgl. AS 244 unten) als unerheblich qualifiziert. Eine solche Beweiswürdigung ist vorgreifend und damit unzulässig.

II.3.2.7. Schon aufgrund des notwendigen Unterlassens von Erhebungen zum Inhalt vorgelegter Dokumente (insbesondere eine konkrete Befragung des BF, was er mit den vorgelegten Dokumenten zu beweisen beabsichtige) ergibt sich, dass die belangte Behörde insgesamt von einer ungenügenden Sachverhaltsgrundlage ausgegangen und die notwendige Ermittlung des Sachverhalts unterlassen hat, was nach Lage des Falles ergänzende Ermittlungen erforderlich macht.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass Bescheide iSd § 58 AVG zu begründen sind. Im Sinne des § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen, sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 20.03.2014, 2012/08/0024, und 21.12.2010, 2007/05/0231, beide mwH) erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

II.3.2.8. Gegenständlich liegt daher zum einen vor, dass die Behörde bloß ansatzweise ermittelt hat, zum anderen kann das Vorgehen der belangten Behörde - Unterlassen notwendiger Ermittlungsschritte zu zentralen Aspekten des behaupteten Sachverhaltes - nur so interpretiert werden, dass damit nicht unerhebliche Ermittlungsschritte auf die Beschwerdeinstanz übergewälzt werden sollten. Angesichts der mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde de facto verbundenen verkürzten einwöchigen Entscheidungsfrist bleibt in erster Linie nur die Behebung und Zurückverweisung als Sanierungsmöglichkeit. Eine Sanierung durch eigene Ermittlungen des BVwG und Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte eine Behebung des Spruchpunktes über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bedingt. Eine solche Behebung - ausschließlich aus dem Grunde der Gewinnung von Zeit für notwendige Ermittlungen - entspricht nicht der Regelung des § 18 Abs. 5 BFA-VG.

Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren die oben aufgelisteten fehlenden Ermittlungen (vgl. oben die Punkte II.3.2.1. bis II.3.2.7.) durchzuführen und die angeführten Mängel zu beheben haben.

Gleichzeitig wird auf die unten (II.5.) angeführten Punkte hingewiesen.

II.3.3. Von diesen Überlegungen ausgehend ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

II.4. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der angefochtene Bescheid zu beheben war.

II.5. Über Urgenz des BVwG wurden Aktenteile zu gegenständlichem Verfahren mit E-Mail vom 21.06.2019 nachgereicht. Bei den nachgereichten Aktenteilen handelt es sich im Wesentlichen um das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien von 16.02.2018, Zl.: 96 S Hv 72/17m, den Bescheid des BFA, RD Wien v. 20.12.2018, Zl: 1159654707 - 170869335/BMI-BFA_WIEN_RD, (diese bzw. Teile daraus jeweils mehrfach), und den Mandatsbescheid des BFA RD Niederösterreich über die Verhängung der Schubhaft vom 20.05.2019, Zahl: 1159654707 - 190506879 / BMI-BFA_NOE_RD.

Mit weiterem E-Mail vom 24.06.2019 erfolgte die nochmalige Übermittlung der angeführten Bescheide (Mandatsbescheid über die Verhängung der Schubhaft vom 20.05.2019; Bescheid vom 20.12.2018).

Mit der Beschwerdevorlage (vom 14.06.2019) erfolgte gleichzeitig der Hinweis, dass sich der BF in Schubhaft befinde. In der Anhaltedatei des BMI scheint aber auf, dass der BF am 14.06.2019 wegen Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen wurde.

Es wäre daher zu erwarten gewesen, dass der Umstand der Haftentlassung (und die zugehörige Dokumentation) vom BFA der Beschwerde nachgereicht wird. Insofern sind die Verwaltungsakten ebenfalls unvollständig (arg. "Gesundheitszustand") - die Informationen aus der Anhaltedatei unzureichend.

Nach Urgenz diesbezüglich wurde seitens des BFA mitgeteilt, dass der BF am 14.06.2019 aus der Schubhaft entlassen wurde.

Soweit im Bescheid unter der Rubrik "Herangezogene Beweismittel" "Bescheid des BFA vom 20.12.2018" aufscheint, so ist dazu anzumerken:

Die Beschwerde des BF (gegen Abschiebung und Aufenthaltsverbot v. 10.01.2019 - offenbar gegen den Bescheid vom 20.12.2018; vgl. do. AS 69 - 76) wurde vom BF direkt an das BVwG gerichtet (und nicht an das BFA) und ging am 17.01.2019 beim BVwG ein. Mit Schreiben vom 17.01.2019, Zl.: L515 2213206-1/3E (do. Zl.: 1159654707-170869335) erfolgte durch die zuständige Gerichtsabteilung daher gemäß § 6 AVG iVm § 17 VwGVG eine Weiterleitung an das BFA (vgl. do. AS 67).

Sofern der weitere Akteninhalt eine Beschwerdevorlage vom 21.01.2019 an das BVwG enthält (vgl. do. AS 82), so scheint ein derartiges Verfahren (offenbar aufgrund nicht ordnungsgemäßer Vorlage) beim BVwG nicht auf.

Abgesehen von den Spruchpunkten I. und II. (§ 3 und § 8 AsylG negativ) des hier in Beschwerde gezogenen Bescheides des BFA, EAST Ost, IFA-Zahl XXXX v. 06.06.2019, gibt es hinsichtlich der weiteren Spruchpunkte III. bis VI. erhebliche Überschneidungen mit dem Bescheid des BFA, RD Wien, Zahl: 1159654707 - 170869335/BMI-BFA_Wien_RD, vom 20.12.2019 (vgl. die dortigen Spruchpunkte I. bis IV.).

Ein abgestimmtes Vorgehen der Organisationseinheiten des BFA wäre hier anzustreben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aufgrund der oa. Ausführungen war die Revision nicht zuzulassen.

Schlagworte

Aktenwidrigkeit Asylverfahren aufschiebende Wirkung - Entfall Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Gefährlichkeitsprognose Gesundheitszustand Kassation mangelnde Feststellungen mangelnde Sachverhaltsfeststellung Straffälligkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L529.2213206.2.00

Im RIS seit

30.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten