Entscheidungsdatum
30.07.2019Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
L516 2155575-3/2E
BESCHLUSS
In dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.07.2019, Zahl IFA: 1072164300, VZ INT: 190615759; VZ FAS: 190734588, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, hat das Bundesverwaltungsgericht durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK beschlossen:
A)
Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs 2 AsylG nicht rechtmäßig. Der zitierte Bescheid wird daher aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 04.06.2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesverwaltungsgericht wies diesen Antrag im Rechtsmittelverfahren mit Erkenntnis vom 22.10.2018, L525 2155575-1/7E, zur Gänze ab, erließ eine Rückkehrentscheidung und erklärte die Abschiebung nach Pakistan für zulässig. Jene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wurde der damaligen Vertretung des Beschwerdeführers am 23.10.2018 im elektronischen Rechtsverkehr hinterlegt.
Der Beschwerdeführer stellte am 20.12.2018 in den Niederlanden einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz und wurde nach Durchführung eines Dublinverfahrens am 18.06.2019 von den Niederlanden nach Österreich rücküberstellt. In Österreich fand dazu eine Erstbefragung nach dem Asylgesetz am 18.06.2019 statt, am 12.07.2019 erhielt der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Länderinformationen zu Pakistan und eine Einvernahmen vor dem BFA erfolgte am 19.07.2019.
Das BFA hob mit dem im Zuge der Einvernahme am 19.07.2019 nach der Befragung des Beschwerdeführers mündlich verkündeten Bescheid gemäß § 12a Abs 2 AsylG den faktischen Abschiebeschutz auf und begründete dies damit, dass sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt seit Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert habe, da das vom Beschwerdeführer erstattete Vorbringen bereits im vorangegangenen Verfahren erstattet sowie als nicht glaubhaft erachtet worden sei, auch das neu erstatte Vorbringen nicht glaubhaft sei und der neuerliche Antrag voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei, eine aufrechte Rückkehrentscheidung bestehe und sich zudem die Lage im Herkunftsland nicht entscheidungsrelevant geändert habe, weshalb eine Gefahr im Sinne des § 12a Abs 2 Z 3 AsylG nicht ersichtlich sei.
Das BFA informierte das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 19.07.2019 darüber, dass im gegenständlichem Verfahren der faktische Abschiebeschutz aufgehoben worden sei und übermittelte gleichzeitig dem Bundesverwaltunsgericht die Verwaltungsakten der Behörde. Die Verwaltungsakten des BFA langten am 25.07.2019 bei der zuständigen Gerichtsabteilung ein.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
1.1 Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan, gehört der Volksgruppe der Paschtunen, dem Stamm der Turi aus der Kurram Agency sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest.
1.2 Der Beschwerdeführer stellte am 04.06.2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesverwaltungsgericht wies diesen Antrag im Rechtsmittelverfahren mit Erkenntnis vom 22.10.2018, L525 2155575-1/7E, zur Gänze ab, erließ eine Rückkehrentscheidung und erklärte die Abschiebung nach Pakistan für zulässig. Jene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wurde der damaligen Vertretung des Beschwerdeführers am 23.10.2018 im elektronischen Rechtsverkehr hinterlegt.
Der Beschwerdeführer führte zu jenem Antrag auf internationalen Schutz zusammengefasst vor, seine Eltern und Geschwister würden sich in der Kurram Agency in Pakistan befinden. Er habe auch immer dort gelebt. Er stehe in regelmäßigem Kontakt mit seinen Eltern. In Pakistan hätten sie ein eigenes Haus und auch Grundstücke. Er habe zehn Jahre die Schule besucht und zwei Jahre das College. Er habe dann auf seiner eigenen Landwirtschaft gearbeitet und sei mit dem Traktor gefahren. Er sei in Pakistan nie politisch tätig gewesen. Er habe bis zu seiner Ausreise als Landwirt gearbeitet. Er habe drei Tage vor seiner Ausreise daran gedacht nach Europa zu gehen und sei danach geflüchtet. Er habe Pakistan wegen der ständigen Angriffe von den Taliban oder Daesh verlassen. Weil er dort ständig in Gefahr gewesen sei, habe er einen Asylantrag gestellt. Er sei nie persönlich von den Taliban angegriffen worden, er hätte auch persönlich keine Probleme mit den Taliban gehabt. Es seien eine allgemeine Bedrohung für alle schiitischen Paschtunen, jedoch hätte er persönlich keine Probleme gehabt. Er hätte eigentlich seit vier oder fünf Jahren vorgehabt das Land wegen der Gefahr zu verlassen. 2015 habe er sich dann zur Ausreise entschlossen. Auch sonst gäbe es in Pakistan keine Personen, mit denen er sonst Probleme hätte. Befragt, warum er nicht in einer anderen Stadt in Pakistan geblieben sei, führte der Beschwerdeführer aus, es sei überall für sie Gefahr. Egal ob in Karachi oder Islamabad, es gäbe überall Gefahr für sie. Die Frage, ob ihm in Karachi oder Islamabad etwas passiert sei, verneinte der Beschwerdeführer, aber er habe das Gefühlgehabt, dass er dort nicht hinkönne. Es seien aber andere Leute getötet oder entführt worden. Befragt, ob es in seinem Heimatdorf spezielle Gefahren gegeben hätte, meinte der Beschwerdeführer es gäbe überall Gefahren. Es gäbe Anschläge, wenn man unterwegs sei, wenn man in einem Basar sei. Das letzte Mal sei ein Anschlag in seinem Dorf im Jänner 2017 passiert. Die Schiiten seien in Gefahr. Er hätte nie Probleme wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit gehabt, er sei in Pakistan nicht vorbestraft und werde nicht gesucht. Aufgrund seiner Religion und seines Glaubens habe er Probleme durch die Taliban oder Daesh. Er habe sonst keine persönlichen Probleme mit staatlichen Behörden, Gerichten oder der Polizei in Pakistan (vgl BVwG 22.10.2018, L525 2155575-1/7E, Seite 2 f).
Das Bundesverwaltungsgericht erachtete im damaligen Rechtsmittelverfahren mit näherer Begründung das Vorbringen des Beschwerdeführers zu dessen vorgebrachten Ausreisegründen für nicht glaubhaft und führte aus, dass auch kein Sachverhalt im Sinne der Art 2 und 3 EMRK vorliege sowie eine Rückkehrentscheidung im Falle des Beschwerdeführers keine Verletzung des Art 8 EMRK darstelle (näher dazu BVwG 22.10.2018, L525 2155575-1/7E, S 5, 66 ff).
1.3 Der Beschwerdeführer führte zur Begründung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz bei der Erstbefragung am 18.06.2019 aus, dass seine alten Asylgründe noch immer aufrecht seien und es keine neuen Asylgründe gebe (Verwaltungsverfahrensakt des BFA zum gegenständlichen Verfahren, Aktenseite (AS) 9, 10).
Bei der Einvernahme vor dem BFA am 19.07.2019 führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, er habe nach seiner ersten negativen Entscheidung Österreich verlassen und er sei über Deutschland und Frankreich in die Niederlande gereist, wo er dann um Asyl angesucht habe und nach sechs Monaten nach Österreich überstellt worden sei (AS 142, 143). Er habe in Pakistan vor seiner Ausreise für die Organisation "Alamdar Föderation" gearbeitet und lege dazu eine Bestätigung vom 15.07.2019 vor. Diese habe er verlangt und sich schicken lassen. Er könne nicht nach Pakistan zurückkehren, da er für jene Organisation gearbeitet habe. Er habe in der "Alamdar Föderation" Zeit verbracht. Er sei da im Jahr 2013 bis 2014 gewesen. Er sei von 2010-2014 tätig gewesen und es habe einen Streit gegeben. Er könne dorthin nicht zurückkehren. Er könne dorthin nicht zurückkehren, da die Sicherheitslage zwei bis drei Tage gut und dann wieder schlechter sei. Die allgemeine Lage sei ein bisschen besser geworden. Man könne dort leben, aber die Lage sei derzeit nicht gut. Die Sicherheitslage werde dort schlimmer. Es gebe für ihn jedoch keine persönliche Bedrohung. Es sei die Sicherheitslage, weshalb er nicht zurückkehren könne. Seien Fluchtgründe hätten sich nicht geändert. Er wolle nicht zurückkehren. Wenn er dort wäre und dort Zeit verbringen würde, wäre sein Leben in Gefahr. Er sei in Pakistan nicht persönlich bedroht worden. Zu den Länderfeststellungen gebe er an, die Sicherheitslage in seinem Land sei manchmal gut und manchmal schlecht. Er könne dorthin nicht zurückkehren (AS 141, 144-145).
In jener Einvernahme am 19.07.2019 gab er weiter an, dass seine Eltern und Geschwister in der Heimat seien und es gehe ihnen gut. In Österreich arbeite er seit zwei Wochen, er schneide in Gärten Hecken, wofür er 12 Euro am Tag erhalte. Er sei in Österreich in keinem Verein tätig, habe hier keine Angehörige und lebe auch mit keiner Person in einer Lebensgemeinschaft (As 143, 144).
1.4 Eine entscheidungswesentliche Änderung der allgemeinen Lage in Pakistan seit 24.10.2018 ist nicht eingetreten.
1.5 Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Er verfügt über kein gültiges Reise- oder sonstiges Identitätsdokument. Das BFA hat bisher keine erkennbaren Ermittlungen gepflogen, um bei der zuständigen Vertretungsbehörde für den Beschwerdeführer ein Heimreisezertifikat zu erwirken. Es ist gegenwärtig nicht absehbar, ob und wann ein (Ersatz-)reisedokument für den Beschwerdeführer erlangt werden kann bzw ob und wann die Abschiebung des Beschwerdeführers tatsächlich möglich ist.
2. Beweiswürdigung
2.1 Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den vom BFA vorgelegten und unverdächtigen Verwaltungsverfahrensakten zu den Anträgen des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie aus den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Vorverfahren. Die Feststellungen zu den Angaben des Beschwerdeführers im vorangegangenen sowie gegenständlichen Verfahren (oben 1.1-1.3) ergeben sich konkret aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.10.2018 und den im Verwaltungsverfahrensakt des BFA zum gegenständlichen Folgeantrag einliegenden Niederschriften, wobei zu den jeweiligen Feststellungen die entsprechenden Aktenseiten (AS) angeführt sind.
2.2 Dass die allgemeine Situation in Pakistan - soweit sie den Beschwerdeführer betrifft - seit der Erlassung der Rückkehrentscheidung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.10.2018 im Wesentlichen unverändert geblieben ist (oben 1.4) und sich die maßgebliche Lage in Pakistan für den Beschwerdeführer nicht geändert hat, ergibt sich aus den vom BFA im gegenständlichen Verfahren herangezogenen Länderinformationsquellen (AS 154-237), die dem Beschwerdeführer in der Einvernahme zur Kenntnis gebracht worden sind. Der Beschwerdeführer gab zu diesen an, die Sicherheitslage sei zwei bis drei Tage gut und dann wieder schlechter. Die allgemeine Lage sei ein bisschen besser geworden. Man könne dort leben, aber die Lage sei derzeit nicht gut. Die Sicherheitslage werde dort schlimmer. Es gebe für ihn jedoch keine persönliche Bedrohung (AS 145). Damit ist der Beschwerdeführer den Länderfeststellungen nicht substantiiert entgegengetreten.
2.3 Die Feststellung, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe (oben 1.5) wurde bereits vom BFA im gegenständlichen Bescheid getroffen (AS 152). Auch im Vorverfahren konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht als feststehend festgestellt werden (BVwG 22.10.2018, L525 2155575-1/7E, S 66). Dem vom BFA gegenständlich vorgelegten Verwaltungsverfahrensakt lässt sich des Weiteren nicht entnehmen, dass der Beschwerdeführer oder das BFA über ein gültiges Identitätsdokument (Reisepass, Ersatzreisedokument, sonstiger Identitätsausweis ...) des Beschwerdeführers verfügt.
Soweit das BFA unter der Überschrift "E) Rechtliche Beurteilung" ausführte "Die Erlangung der faktischen Notwendigkeiten für eine Abschiebung, z.B. die Ausstellung eines Heimreisezertifikates, ist bereits gegeben bzw. steht unmittelbar bevor." (AS 109), ist aus dem vom BFA vorgelegten Akteninhalt nicht ersichtlich, worauf sich diese Ausführung stützt. Es wurden vom BFA keine entsprechenden Sachverhaltsfeststellungen getroffen, es enthält auch der vorgelegte Verwaltungsverfahrensakt keine Anhaltspunkte dafür, dass das BFA bezüglich der Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikates erkennbare Ermittlungen gepflogen hätte.
Daher war schließlich die Feststellung zu treffen, dass es gegenwärtig nicht absehbar ist, ob und wann ein (Ersatz-)reisedokument für den Beschwerdeführer erlangt werden kann bzw ob und wann die Abschiebung tatsächlich möglich ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Unrechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes
Rechtsgrundlagen
3.1 Gemäß § 12a Abs 2 AsylG kann das Bundesamt, wenn der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs 1 Z 23) gestellt hat und kein Fall des Abs 1 vorliegt, den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn (1.) gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG besteht, (2.) der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und (3.) die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
3.2 Gemäß § 12a Abs 6 AsylG bleiben Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht, es sei denn es wurde ein darüberhinausgehender Zeitraum gemäß § 53 Abs 2 und 3 FPG festgesetzt.
Zum gegenständlichen Beschwerdeverfahren
3.3 Aufrechte Rückkehrentscheidung
3.3.1 Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.10.2018, L525 2155575-1/7E, zum ersten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde der damaligen Vertretung des Beschwerdeführers am 23.10.2018 im elektronischen Rechtsverkehr hinterlegt und damit mit 24.10.2018 zugestellt (§ 21 Abs 8 BVwGG). Seit dieser Erlassung sind keine 18 Monate vergangen.
3.4 Res iudicata
3.4.1 Der Beschwerdeführer begründet den gegenständlichen Antrag damit, dass seine im Vorverfahren angegebenen Fluchtgründe, nach wie vor aufrecht seien und er keine neuen Fluchtgründe habe (siehe oben 1.3). Damit stützt er den gegenständlichen Folgeantrag auf von ihm bereits im Vorverfahren getätigte Angaben, über welche zuletzt vom Bundesverwaltungsgericht am 22.10.2018 in der Sache rechtskräftig abgesprochen wurde. Soweit er zudem vorbrachte, vor seiner Ausreise in Pakistan von 2010-2014 für "Alamdar Föderation" tätig gewesen zu sein, und er dazu dem BFA auch eine Bestätigung vom 15.07.2019 vorlegte, stützt er sich auch damit auf Tatsachen, die bereits zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung über seinen ersten Asylantrag mit Erkenntnis des BVwG vom 22.10.2018 vorlagen.
3.4.2 Das BFA legte seinem am 19.07.2019 mündlich verkündeten Bescheid aktuelle Feststellungen zur Lage in Pakistan zugrunde, aus denen sich ergibt, dass die allgemeine Situation in Pakistan - soweit sie den Beschwerdeführer betrifft - seit der Erlassung der Rückkehrentscheidung im Wesentlichen unverändert geblieben ist und sich die maßgebliche Lage in Pakistan für den Beschwerdeführer nicht geändert hat. Auch von Amts wegen ist seit den rechtskräftigen Abschlüssen der vorhergehenden Asylverfahren keine Änderung der allgemeinen Situation in Pakistan notorisch, welche die Annahme einer allgemeinen extremen Gefährdungslage gerechtfertigt erscheinen lassen würde.
3.4.3. Das BFA ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass sich aus dem - bisherigen - Vorbringen des Beschwerdeführers zum gegenständlichen Folgeantrag kein entscheidungswesentlicher neuer Sachverhalt ergeben hat und auch die Ländersituation im Wesentlichen gleichgeblieben ist, sodass der neue Antrag auf internationalen Schutz - voraussichtlich - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird.
3.5 Verletzung der EMRK
3.5.1 Bereits im vorangegangenen ersten Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keiner realen Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bestehen würde.
3.5.2 Auch im nunmehrigen zweiten Verfahren ist nichts hervorgekommen, was gegen die Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Heimatstaat im Sinne dieser Bestimmung sprechen würde. Nach der ständige Judikatur des EGMR obliegt es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art 3 MRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 MRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134). Einen derartigen Nachweis hat der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht erbracht.
3.5.3 Des Weiteren gelangte das BFA zu der Beurteilung, dass sich auch hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers keine relevante Änderung zum Vorverfahren ergebe. Dem konnte nicht entgegengetreten werden.
3.6 Bevorstehende Abschiebung
3.6.1 Artikel 41 Abs 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie) erlaubt es den Mitgliedstaaten, Ausnahmen vom Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet zu machen, wenn eine Person a) nur zur Verzögerung oder Behinderung der Durchsetzung einer Entscheidung, die zu ihrer unverzüglichen Abschiebung aus dem betreffenden Mitgliedstaat führen würde, förmlich einen ersten Folgeantrag gestellt hat, der gemäß § 40 Abs 5 nicht weiter geprüft wird, oder b) nach einer bestandskräftigen Entscheidung, einen ersten Folgeantrag gemäß Art 40 Abs 5 als unzulässig zu betrachten, oder nach einer bestandskräftigen Entscheidung, einen ersten Folgeantrag als unbegründet abzulehnen, in demselben Mitgliedstaat einen weiteren Folgeantrag stellt. Allerdings können die Mitgliedstaaten eine solche Ausnahme nur dann machen, wenn die Asylbehörde die Auffassung vertritt, dass eine Rückkehrentscheidung keine direkte oder indirekte Zurückweisung zur Folge hat, die einen Verstoß gegen die völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Pflichten dieses Mitgliedstaates darstellt (VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451).
3.6.2 Durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, BGBl I Nr 122/2009, wurden für Folgeanträge auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005 Sonderregelungen geschaffen, die in bestimmten Fällen Ausnahmen vom faktischen Abschiebeschutz vorsehen. Sie haben - nach den Gesetzesmaterialien (RV 330 BlgNR 24. GP 11) - "unter Wahrung der notwendigen rechtsstaatlichen Garantien ... das Ziel, jene Fälle, in denen ein berechtigtes Interesse an einem neuerlichen Asylverfahren besteht, möglichst früh von klar missbräuchlichen Antragstellungen zu unterscheiden und diese in weiterer Folge als Mittel zur Hintanhaltung fremdenpolizeilicher Maßnahmen unbrauchbar zu machen." (VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451).
3.6.3 Ein verstärkter Senat des (nicht mehr existenten) Asylgerichtshofes (AsylGH 06.06.2013, AsylGH-170.000/0002-Kammer C/2013) ist in Zusammenhang mit der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Verfahrensrichtlinie 2005/85/EG zu dem Ergebnis gekommen, dass zwingend eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 12a Abs 2 AsylG vorzunehmen ist, und dazu festgestellt: "Dies erscheint insofern zwanglos möglich, als dem Gesetzgeber unterstellt werden kann, dass er - im Unterschied zu den nach Tagen bestimmten Varianten der Abs. 3 und Abs.4 leg.cit. - in § 12a Abs. 2 AsylG einen Auffangtatbestand schaffen wollte, welcher - bei zeitlicher Vorhersehbarkeit der Abschiebung - die notwendige Flexibilität zu bewahren erlaubt, die sich im Einzelfall ergeben kann." (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, E5 zu § 12a AsylG).
3.6.4 Die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes ist daher nach der hier vertretenen Auffassung nach § 12a Abs 2 AsylG 2005 nur zulässig, wenn die faktische Durchführung der Abschiebung alsbald nach Aberkennung möglich erscheint. Andernfalls hätte dies ein unvertretbares Rechtsschutzdefizit zur Folge, da die Einbringung eines weiteren Antrages auf internationalen Schutz während eines bereits offenen Verfahrens nicht zur abermaligen Gewährung von faktischem Abschiebeschutz führt und es bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Antragstellung in der Hand der Verwaltungsbehörde läge, wann das Verfahren erledigt wird. Voraussetzung für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes ist daher, dass die Abschiebung nicht mehr durch von der Fremdenpolizeibehörde nicht zu beeinflussende Umstände - wie die Ausstellung eines Heimreisezertifikates, wenn dies nicht sehr wahrscheinlich erscheint - verzögert oder gar verhindert werden kann (so bereits Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, K12 zu § 12a AsylG; siehe auch AsylGH 11.06.2013, C2 430751-1/2012/6E).
3.6.5 Fallbezogen handelt es sich um den ersten Folgeantrag (Art 41 Abs 1 lit a Verfahrensrichtlinie) des Beschwerdeführers. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Er verfügt über kein gültiges Reise- oder sonstiges Identitätsdokument. Das BFA hat bisher keine erkennbaren Ermittlungen gepflogen, um bei der zuständigen Vertretungsbehörde oder anderweitig für den Beschwerdeführer ein Heimreisezertifikat zu erwirken. Es ist gegenwärtig nicht absehbar, ob und wann ein (Ersatz-)reisedokument für den Beschwerdeführer erlangt werden kann bzw ob und wann die Abschiebung des Beschwerdeführers tatsächlich möglich ist. Es ist daher auch nicht zu erkennen, welche fremdenpolizeiliche Maßnahme durch den Folgeantrag gegenwärtig (erfolgreich) verhindert werden soll. Mangels einer erkennbaren zeitlichen Abschiebungsnähe ist der gegenständliche Bescheid des BFA daher rechtswidrig.
3.7 Da somit die Voraussetzungen des § 12a Abs 2 nicht erfüllt sind, ist die vom BFA mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom 19.07.2019 verfügte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtmäßig.
3.8 Gemäß § 22 Abs 1 zweiter Satz BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.
Zu B)
Revision
3.9 Die Revision ist zu der Frage zulässig, ob die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs 2 AsylG 2005 nur zulässig ist, wenn die faktische Durchführung der Abschiebung alsbald nach Aberkennung möglich erscheint und bejahendenfalls, wie die Verwaltungsbehörde das Vorliegen dieser Voraussetzung nachzuweisen hat. Eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt dazu bisher.
3.10 Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Abschiebungshindernis faktischer Abschiebeschutz faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung nicht rechtmäßig Folgeantrag Revision zulässigEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L516.2155575.3.00Im RIS seit
30.07.2020Zuletzt aktualisiert am
30.07.2020