TE Bvwg Beschluss 2020/3/16 W109 2177219-1

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Veröffentlicht am 16.03.2020
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Entscheidungsdatum

16.03.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §17

Spruch

W109 2177219-1/17Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. BÜCHELE als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 05.10.2017, Zl. XXXX - XXXX :

A) Das Verfahren über die Beschwerde wird gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in dem zur Zahl W109 2177219-2 anhängigen Verfahren ausgesetzt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Am 25.10.2016 stellte der damals minderjährige Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 05.10.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Am 15.11.2017 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.10.2017 bei der Behörde ein.

3. Mit Bescheid vom 26.09.2018, zugestellt am 26.09.2018, sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG aus, der Beschwerdeführer habe sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 31.07.2018 verloren. Zusammen mit dem Bescheid vom 26.09.2018 wurde dem Beschwerdeführer die Verfahrensanordnung gemäß § 13 AsylG über den Verlust des Aufenthaltsrechtes zugestellt.

Am 24.10.2018 langte die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.09.2018 bei der Behörde ein. Dieses Verfahren ist zu W109 2177219-2 am Bundesverwaltungsgericht anhängig.

Am 24.07.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

4. Mit Beschluss vom 16.03.2020 stellte das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren zu W109 2177219-2 gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a iVm Art. 89 Abs. 2 iVm Art. 135 Abs. 4 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag § 2 Abs. 4 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Aussetzung des Verfahrens:

Gemäß § 38 AVG zweiter Satz kann die Behörde das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

Gemäß § 17 VwGVG ist diese Bestimmung auch in Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anzuwenden.

Verfahrensgegenständlich hat das Bundesverwaltungsgericht unter anderem über die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides, mit dem gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen wurde, in der Sache zu entscheiden. Gemäß § 9 BFA-VG ist eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringen geboten ist. In der nach diesen Bestimmungen gebotenen Interessenabwägung hat das Bundesverwaltungsgericht nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG bei der Beurteilung des Privat und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere auch die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, zu berücksichtigen. Diese Frage, nämlich ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers rechtmäßig war bzw. ist, ist Gegenstand des Verfahrens zu W109 2177219-2.

Hinsichtlich der Aussetzung eines Verfahrens im Hinblick auf die zu lösende "Vorfrage", ob ein Recht zum Aufenthalt besteht, hat der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit dem AlVG in der Vergangenheit ausgesprochen, dass ein Recht auf Aufenthalt grundsätzlich mit einem Aufenthaltstitel mit konstitutiver Wirkung eingeräumt wird. Aufgrund dessen könne keine Vorfrage iSd § 38 AVG vorliegen, die auch nach eigener Anschauung beurteilt werden könnte, sondern sei viel mehr zu prüfen, ob das Tatbestandsmerkmal des Aufenthaltsrechts gegeben sei (VwGH 19.12.2012, 2011/08/0369).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich die Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet allerdings unmittelbar aus § 13 AsylG und damit unmittelbar aus dem Gesetz (VwGH 25.09.2007, 2007/18/0631). Folglich bildet das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG vom in der oben zitierten Judikatur formulierten Grundsatz, dass ein Aufenthaltsrecht durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels mit konstitutiver Wirkung eingeräumt wird und deshalb sein Bestehen nicht Vorfrage iSd § 38 AsylG sein kann, eine Ausnahme.

Die Vorfrage ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Rechtsfrage, deren Lösung unabdingbare Voraussetzung für die Lösung der jeweiligen Hauptfrage darstellt (VwGH 30.04.2019, Ra 2018/10/0064). Sie liegt bereits dann vor, wenn der relevante Tatbestand ein Element enthält, das für sich allein Gegenstand der bindenden Entscheidung einer anderen Behörde bzw. eines Gerichts (oder allenfalls derselben Behörde in einem anderen Verfahren) sein kann (VwGH 04.04.2019, Ra 2018/11/0225). Voraussetzung für die Aussetzung ist, dass eine Vorfrage in einem anderen Verfahren als Hauptfrage zu beurteilen sein muss (VwGH 30.04.2019, Ra 2018/10/0064).

Gegenständlich ist nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die Art, Dauer und Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu berücksichtigen und bildet diese Frage ein zu berücksichtigendes Element in der nach § 9 BFA-VG und Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotenen Interessenabwägung.

Der Verwaltungsgerichthof hat in seiner Judikatur die Frage, ob jemand eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat, bereits als Vorfrage für die im Verwaltungsverfahren als Hauptfrage zu beurteilende Vertrauenswürdigkeit der betreffenden Person angesehen (VwGH 28.11.2013, 2013/03/0070). Auch hat er ausgesprochen, dass es der Qualifikation als Vorfrage nicht entgegensteht, dass es zur Lösung der Hauptfrage überdies einer Wertung bzw. Gewichtung der in den Strafverfahren allenfalls festgestellten Straftat(en) bedürfte (VwGH 04.04.2019, Ra 2018/11/0225).

Hieraus ergibt sich, dass auch Elemente einer Gesamtbetrachtung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles - wie sie auch in der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG erfolgt (Vgl. etwa VwGH 17.09.2019, Ra 2019/18/0358) - eine Vorfrage iSd § 38 AVG darstellen können. Demnach kann auch die Frage des rechtmäßigen Aufenthaltes als Element der Interessenabwägung nach § 9 AsylG grundsätzlich eine Vorfrage iSd § 38 AVG darstellen.

Die Art und Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nach § 13 AsylG ist Hauptfrage im zu W109 2177219-2 am Bundesverwaltungsgericht in der auch gegenständlich zuständigen Gerichtsabteilung anhängigen Verfahren und wurde in diesem Verfahren mit Beschluss vom 16.03.2020 ein Gesetzesprüfungsantrag gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG an den Verfassungsgerichtshof gestellt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage der Rechtmäßigkeit einer anzuwendenden generellen Norm keine Vorfrage iSd § 38 AVG dar. Eine anhängige Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof begründet für das Verwaltungsgericht daher prinzipiell keine Vorfragenproblematik (VwGH 11.07.2019, Ra 2019/03/0029).

Wie bereits ausgeführt erfolgt die Aussetzung gegenständlich im Hinblick auf die Vorfrage des Rechts des Beschwerdeführers zum Aufenthalt im Bundesgebiet.

Nach § 62 Abs. 3 VfGG dürfen, wenn ein Gericht einen Antrag gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG gestellt hat, in dem bei ihm anhängigen Verfahren bis zur Verkündung bzw. Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnung und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.

Folglich kann die Entscheidung über die Vorfrage, ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nach § 13 AsylG rechtmäßig war und ist, im Verfahren zu W109 2177219-2 erst entschieden werden, wenn der Verfassungsgerichtshof über den Antrag des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.03.2020 entschieden hat.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Ermessensentscheidung, das Verfahren zu unterbrechen oder selbst die Vorfrage zu beurteilen, an Überlegungen vornehmlich der Verfahrensökonomie (so etwa Raschheit, Einfachheit, Kostenersparnis, die Erzielung möglichst richtiger und einheitlicher Entscheidungen, Vermeidung von Wiederaufnahme; demgegenüber das Postulat der möglichst raschen Beendigung des Verfahrens) auszurichten (VwGH 18.11.2014, Ro 2014/05/0010).

Gegenständlich lässt sich das Bundesverwaltungsgericht angesichts des engen sachlichen Zusammenhanges zwischen dem Verfahren zu W109 2177219-2 und dem gegenständlichen Verfahren insbesondere von Erwägungen der Einfachheit und Kostenersparnis leiten, sowie vom Gedanken, eine mögliche Wiederaufnahme des Verfahrens zu vermeiden, um schließlich - aus den nach den oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu berücksichtigenden Überlegungen der Verfahrensökonomie heraus - beide Angelegenheiten gemeinsam verhandeln und unter einem entscheiden zu können.

Das Verfahren war sohin bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in dem zur Zahl W109 2177219-2 anhängigen Verfahren spruchgemäß auszusetzen.

2. Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhängt. So lässt sich der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entnehmen, dass, nachdem das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG - anders als ein Aufenthaltsrecht, das erst konstitutiv aufgrund eines Aufenthaltstitels entsteht - sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (VwGH 25.09.2007, 2007/18/0631) und sein Bestehen aus diesem Grund vom in VwGH 19.12.2012, 2011/08/0369, dargelegten Grundsatz abweichend Vorfrage iSd § 38 AVG sein kann. Zu diesem Schluss kommt das Bundesverwaltungsgericht anhand der oben unter 1. zitierten ständigen Rechtsprechung zur Vorfragenproblematik. Zusätzlich ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, dass einer Partei selbst aus einem rechtskräftigen Aussetzungsbescheid nach § 38 AVG kein subjektives Recht auf Nichtbeendigung des ausgesetzten Verfahrens erwächst und sie durch die Fortsetzung eines ausgesetzten Verfahrens vor Beendigung des die Vorfrage betreffenden Verfahrens nicht in ihren Rechten verletzt sein kann (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0609). Folglich steht es dem Bundesverwaltungsgericht frei, das Verfahren bis zur Entscheidung zu W109 2177219-2 auszusetzen und beide Verfahren dennoch unter einem zu beenden, ohne die Parteien in ihren subjektiven Rechten zu verletzen.

Schlagworte

Aussetzung Verfahrensökonomie Vorfrage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W109.2177219.1.00

Im RIS seit

30.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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