Entscheidungsdatum
20.04.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W275 2199597-1/24E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Stella VAN AKEN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Peterpaul SUNTINGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2018, Zahl 1103223602-160116424:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer stellte am 23.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet.
Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit oben genanntem Bescheid vom 29.05.2018 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.01.2020, W275 2199597-1/16Z, wurde ein allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Psychiatrie und Neurologie zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstellung eines Gutachtens über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beauftragt.
Das Gutachten des Sachverständigen vom 21.02.2020 langte am 24.02.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Mit Schreiben vom 05.03.2020 regte das Bundesverwaltungsgericht beim zuständigen Bezirksgericht aufgrund des Inhaltes des eingeholten Sachverständigengutachtens die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für den Beschwerdeführer an.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 23.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 29.05.2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
Am 05.06.2018 wurde die an den Beschwerdeführer gerichtete, die Bescheidausfertigung des oben genannten Bescheides beinhaltende Sendung beim zuständigen Postamt hinterlegt und ab 06.06.2018 zur Abholung bereitgehalten. Die Verständigung über diese Hinterlegung wurde in den Briefkasten des Beschwerdeführers eingelegt.
Der Beschwerdeführer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1). Er ist zeitlich und örtlich nur eingeschränkt orientiert und nicht in der Lage, bestimmte oder einzelne Angelegenheiten des täglichen Lebens ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen. Eine Erwachsenenvertretung ist dringend zu empfehlen und wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes beim zuständigen Bezirksgericht angeregt.
Der Beschwerdeführer war am 06.06.2018 bzw. am Tag der tatsächlichen Entgegennahme des angefochtenen Bescheides nicht in der Lage, die Tragweite dieser Rechtshandlung (nämlich die Übernahme eines behördlichen Schriftstückes, womit über seinen Antrag auf internationalen Schutz entschieden und eine Rechtsmittelfrist ausgelöst wird) zu begreifen und die notwendigen Schritte ohne die Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen bisherigen Angaben im Verfahren (AS 5, 38 und 261). Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren, da seine Identität - mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente - nicht abschließend geklärt werden konnte. Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründet auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben (AS 5 und 39); das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln. Das Datum der Antragstellung ergibt sich ebenso wie die Feststellung zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2018 aus dem Inhalt des seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vorgelegten Verwaltungsaktes zu 1103223603-160116424.
Die Feststellungen zur Hinterlegung der an den Beschwerdeführer gerichteten Sendung bzw. der Verständigung des Beschwerdeführers über die erfolgte Hinterlegung ergeben sich aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Zustellnachweis (AS 257).
Dass der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) leidet, zeitlich und örtlich nur eingeschränkt orientiert sowie nicht in der Lage ist, bestimmte oder einzelne Angelegenheiten des täglichen Lebens ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen sowie eine Erwachsenenvertretung, welche seitens des Bundesverwaltungsgerichtes beim zuständigen Bezirksgericht angeregt wurde, dringend zu empfehlen ist, ergibt sich aus dem im Gerichtsakt einliegenden schlüssigen Sachverständigengutachten vom 21.02.2020. Das Gutachten wurde sowohl dem gewillkürten Rechtsvertreter des Beschwerdeführers als auch dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum Parteiengehör übermittelt, wobei die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme jeweils nicht wahrgenommen wurde.
Dass der Beschwerdeführer am 06.06.2018 bzw. am Tag der tatsächlichen Entgegennahme des angefochtenen Bescheides nicht in der Lage war, die Tragweite dieser Rechtshandlung (nämlich die Übernahme eines behördlichen Schriftstückes, womit über seinen Antrag auf internationalen Schutz entschieden und eine Rechtsmittelfrist ausgelöst wird) zu begreifen und die notwendigen Schritte ohne die Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen, ergibt sich aus dem Sachverständigengutachten vom 21.02.2020 sowie der Tatsache, dass der Beschwerdeführer diesem Gutachten zufolge zeitlich und örtlich nur eingeschränkt orientiert ist und nicht in der Lage ist, bestimmte oder einzelne Angelegenheiten des täglichen Lebens ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen in Verbindung mit dem - wenngleich vom Bundesverwaltungsgericht nicht näher geprüften - Vorbringen des Beschwerdeführers bereits in seiner Erstbefragung sowie fortgesetzt in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 26.04.2018, wonach er im Herkunftsstaat gefoltert worden und seine Schwester getötet worden sei (AS 13 und 43ff). Anhaltspunkte dafür, dass die beim Beschwerdeführer diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung aus seit seiner Einreise in Österreich erlebten Ereignissen resultiert, sind dem Akt nicht zu entnehmen. Auch wird im Sachverständigengutachten davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer an einer posttraumaatischen Belastungsstörung "bei Zustand nach massiver Misshandlung [...] und [...] Gefangenschaft durch die Taliban" leide. Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat der Beschwerdeführer unter anderem angegeben, vieles vergessen zu haben (AS 41), sich schlecht zu fühlen, wenn er über seine Erinnerungen rede, nicht durchschlafen zu können (AS 44) und immer mit seinen Erinnerungen beschäftigt gewesen zu sein (AS 47). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hielt im angefochtenen Bescheid beweiswürdigend fest, dass die vom Beschwerdeführer gemachten Angaben hinsichtlich seiner Entführung oder der Tötung seiner Schwester weder unglaubhaft noch konstruiert wirken würden, jedoch nicht den Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl entsprechen würden (AS 222) und sah von einer Auseinandersetzung mit der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers ab (AS 224). Aufgrund des Sachverständigengutachtens vom 21.02.2020 in Verbindung mit den Angaben des Beschwerdeführers ist demnach davon auszugehen, dass die aus Erlebnissen im Herkunftsstaat resultierende posttraumatische Belastungsstörung des Beschwerdeführers bereits im Zeitpunkt der Einreise und sohin auch am 06.06.2018 bzw. am Tag der tatsächlichen Entgegennahme des angefochtenen Bescheides bestanden hat, wenngleich es zwischenzeitlich zu einer Verschlechterung der Erkrankung gekommen sein dürfte (Seite 12 des Sachverständigengutachtens vom 21.02.2020). Es war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer am 06.06.2018 bzw. am Tag der tatsächlichen Entgegennahme des angefochtenen Bescheides nicht in der Lage war, die Tragweite dieser Rechtshandlung zu begreifen und die notwendigen Schritte ohne die Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu A) Zurückweisung der Beschwerde:
Die Frage der prozessualen Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) einer Partei ist zufolge des auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuwendenden § 9 AVG nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft. Hierfür ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten, was neben den von ihr gesetzten aktiven Verfahrenshandlungen auch Unterlassungen erfasst. Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist nach § 9 AVG als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Hat das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des Vorliegens der Prozessfähigkeit einer Partei Bedenken, so hat es die Frage - in der Regel durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - von Amts wegen zu prüfen. Bei Bestätigung der Bedenken ist nach § 11 AVG vorzugehen, sohin die Bestellung eines Sachwalters beim zuständigen Gericht zu veranlassen (vgl. VwGH 28.04.2016, Ra 2014/20/0139, siehe auch VwGH 20.02.2002, 2001/08/0192).
Ist die Partei schon bei Zustellung des verwaltungsbehördlichen Bescheides prozessunfähig, führt dies zur Unwirksamkeit der verfahrensrechtlichen Akte der Behörde (VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162).
Ausweislich der Feststellungen war der Beschwerdeführer bereits bei der Zustellung des angefochtenen Bescheides nicht in der Lage, die Tragweite der Rechtshandlung der Übernahme eines behördlichen Schriftstückes, womit über seinen Antrag auf internationalen Schutz entschieden und eine Rechtsmittelfrist ausgelöst wird, zu begreifen und die notwendigen Schritte ohne die Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen und sohin prozessunfähig.
Die an den Beschwerdeführer erfolgte Zustellung des gegenständlichen Bescheides war daher aufgrund der bei ihm zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegenen Prozessfähigkeit rechtsunwirksam, was zur Folge hat, dass der Bescheid rechtlich nicht existent geworden ist.
Die vom Beschwerdeführer gegenständlich erhobene Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht richtet sich somit mangels wirksamer Bescheiderlassung gegen einen Nichtbescheid, was entsprechend oben zitierter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes den Mangel der Zuständigkeit der Beschwerdeinstanz zu einem meritorischen Abspruch über das Rechtsmittel zur Folge hat (vgl. auch VwGH 20.04.2017, Ra 2017/20/0095). Diese Frage der eigenen Zuständigkeit hat das Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. § 6 Abs. 1 AVG iVm § 17 VwGVG).
Die Beschwerde ist daher spruchgemäß als unzulässig zurückzuweisen.
3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (insbesondere dem Erkenntnis vom 20.12.2016, Ra 2015/01/0162) ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Bescheiderlassung Bescheidqualität Nichtbescheid Prozessfähigkeit ZustellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W275.2199597.1.00Im RIS seit
30.07.2020Zuletzt aktualisiert am
30.07.2020