TE Vwgh Erkenntnis 1998/1/28 96/01/0834

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Veröffentlicht am 28.01.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §37;
StbG 1985 §10 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Stefan Nemet in Wies, vertreten durch Dr. Wilfrid Stenitzer, Rechtsanwalt in Leibnitz, Hauptplatz 34/I, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 29. Februar 1996, Zl. 5-11.N/ 28 - 94/14, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 29. Februar 1996 hat die Steiermärkische Landesregierung den Antrag des Beschwerdeführers, eines rumänischen Staatsangehörigen, vom 7. Jänner 1994 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und die Anträge der Gattin und des Kindes des Beschwerdeführers auf Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft "gemäß §§ 10 Abs. 3, 16, 17 Abs. 1 Ziffer 1 und 18 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985", BGBl. Nr. 311 (StbG), abgewiesen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat

der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Da der Beschwerdeführer unbestritten erst seit 16. November 1989 seinen Wohnsitz in Österreich hat, erfüllt er nicht die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG, weil er noch nicht seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat. Von dieser Voraussetzung kann aber gemäß § 10 Abs. 3 StbG abgesehen werden, wenn es sich um einen Minderjährigen handelt oder wenn der Fremde seit mindestens vier Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat und ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. Mai 1996, Zl. 96/01/0087) handelt es sich bei der Beurteilung der Frage, ob ein "besonders berücksichtigungswürdiger Grund" im Sinne des § 10 Abs. 3 StbG vorliegt, um eine zwingende Verleihungsvoraussetzung, weshalb eine nach § 11 StbG vorzunehmende Ermessensentscheidung erst dann in Betracht kommt, wenn - zusätzlich zu den weiters erforderlichen Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 StbG - jene nach § 10 Abs. 3 StbG gegeben ist. Da vorliegend der Antrag bereits aufgrund des Fehlens dieser zwingenden Verleihungsvoraussetzung abgewiesen wurde, geht das Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde habe das ihr eingeräumte Ermessen unrichtig ausgeübt, ins Leere.

Die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers stellt nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen "besonders berücksichtigungswürdigen Grund" für die Verleihung der Staatsbürgerschaft dar (vgl. auch dazu das bereits zitierte Erkenntnis zur Zl. 96/01/0087). Da das Bemühen um die Integration in Österreich, der Schulbesuch der Tochter des Beschwerdeführers, die Sicherung des Unterhaltes und die Unbescholtenheit jeweils keine Besonderheit darstellen, ist der von der belangten Behörde im Ergebnis vertretenen Ansicht zuzustimmen, daß es diese Umstände weder je für sich allein noch in ihrer Gesamtheit rechtfertigen, von der grundsätzlichen Verleihungsvoraussetzung des mindestens zehnjährigen Wohnsitzes abzusehen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die in der als Auslegungshilfe für den unbestimmten Gesetzesbegriff des "besonders berücksichtigungswürdigen Grundes" heranzuziehende, demonstrative (aktuelle) Aufzählung in dem das Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 betreffenden Bericht des Verfassungsausschusses (875 Blg. NR 10. GP, Seite 4) enthaltene Ausübung eines "Mangelberufes" einen derartigen Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft darstellen, wobei bisher die Frage offengelassen wurde, ob generell bzw. unter welchen Umständen bei einer Beschäftigung in einem Mangelberuf die Annahme, es liege ein "besonders berücksichtigungswürdiger Grund" vor, gerechtfertigt ist (vgl. neben dem bereits mehrfach zitierten Erkenntnis zur Zl. 96/01/0087 die Erkenntnisse vom 22. Mai 1996, Zl. 96/01/0090 und Zl. 96/01/0092).

Der Gerichtshof vertritt die Ansicht, daß bei Vorliegen eines deutlichen Überhanges an in einem bestimmten Berufszweig in einer bestimmten Region benötigten Arbeitskräften gegenüber Personen - mit und ohne österreichische Staatsbürgerschaft - die in der Lage sind, diesen Beruf in der betreffenden Region auszuüben, ein "besonders berücksichtigungswürdiger Grund" für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gegeben ist, wenn der Verleihungswerber die für diesen Beruf allenfalls erforderliche Qualifikation erfüllt und den Beruf in der betreffenden Region tatsächlich ausübt.

Der Beschwerdeführer hat im vorliegenden Verwaltungsverfahren zunächst angegeben, als Schweißer in einem namentlich genannten Unternehmen tätig zu sein. Die von der belangten Behörde eingeholte Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Steiermark (nunmehr: Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice) hat folgenden Inhalt:

"Der Einbürgerungswerber ist Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention und seit 1990 bei der Firma K. als Schlosser beschäftigt.

Aus der Sicht des Arbeitsmarktes besteht keine unbedingte Notwendigkeit Herrn Nemet die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen, da eine Ersatzstellung durch inländische Arbeitskräfte möglich ist."

In seiner dazu abgegebenen Stellungnahme hat der Beschwerdeführer vorgebracht, über spezielle Schweißkenntnisse zu verfügen, die im Unternehmen unbedingt erforderlich seien. Er sei für seinen Arbeitgeber nicht zu ersetzen. In der "gegenständlichen Region" bestehe ein Mangel an Facharbeitern, die über diese speziellen Kenntnisse verfügten. Er hat dazu ein Schreiben seines Arbeitgebers vorgelegt, wonach er aufgrund seiner Praxis und Qualifikation für das Unternehmen unverzichtbar und wegen des Mangels an Facharbeitern in dieser Sparte nicht zu ersetzen sei.

Die belangte Behörde hat dazu kein weiteres Ermittlungsverfahren durchgeführt, sie vertrat im angefochtenen Bescheid folgende Ansicht:

"Die Behauptung, daß in der gegenständlichen Region ein Mangel an Facharbeitern bestehe, die über spezielle Kenntnisse verfügen, ist in diesem Verfahren von uns nicht zu prüfen, da der Antragsteller ohnedies aufgrund seiner Flüchtlingseigenschaft keine Arbeitsbewilligung benötigte und die Firma spezielle Anforderungsprofile ihren Mitarbeitern gegenüber entsprechend honorieren kann. Im Zuge der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft könnte nur der übergeordnete Begriff eines festgestellten Mangelberufes als besonders berücksichtigungswürdiger Grund, der auch im öffentlichen Interesse zu werten ist, zum Tragen kommen. Ein Mangelberuf wurde durch das Arbeitsmarktservice nicht behauptet. Nachdem das Arbeitsmarktservice jene öffentliche Einrichtung ist, die die Arbeitsmarktlage Österreichs erkennt und steuert, ist davon auszugehen, daß die Frage der Feststellung eines Mangelberufes auch vom Arbeitsmarktservice zu treffen ist."

Dazu ist auszuführen, daß die Staatsbürgerschaftsbehörde im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens eines "besonders berücksichtigungswürdigen Grundes" - entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde - selbst zu prüfen hat, ob ein "Mangelberuf" im Sinne der obigen Kriterien vorliegt, also auch, ob in der betreffenden Region ein Mangel an entsprechenden Facharbeitern gegeben ist. Die Einholung einer Stellungnahme des Arbeitsmarktservice stellt dafür ein taugliches Beweismittel dar. Im vorliegenden Fall nimmt die Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Steiermark jedoch nur auf den Beruf des Beschwerdeführers als Schlosser Bezug. Aufgrund des konkreten und durch die Stellungnahme des Arbeitgebers belegten Vorbringens, daß der Beschwerdeführer als Schweißer mit Spezialkenntnissen tätig ist, wäre die belangte Behörde jedoch verpflichtet gewesen - etwa durch Einholung einer weiteren Stellungnahme des Arbeitsmarktservice - im Sinne obiger Ausführungen zu erheben, ob es sich bei dem vom Beschwerdeführer ausgeübten Beruf um einen Mangelberuf im dargestellten Sinn handelt. Derartige Erhebungen hat sie jedoch unterlassen, weil sie in Verkennung der Rechtslage der Meinung war, das Vorliegen eines "Mangelberufes" nicht selbst prüfen zu müssen.

Aufgrund der aufgezeigten Verkennung der Rechtslage war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes ein gesonderter Ersatz der Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche Beurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996010834.X00

Im RIS seit

18.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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